18. Dezember 2021
Mit Friedrich Merz an der Spitze hofft die CDU zu ihrem konservativen Kern zurückzufinden. Wem wird das gefährlich?
Friedrich Merz nach der Wahl zum Vorsitzenden in der CDU-Parteizentrale, 17. Dezember 2021, Berlin.
Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert. Friedrich Merz versuchte zum dritten Mal in Folge, Parteivorsitzender der CDU zu werden und wurde nun für seine Hartnäckigkeit belohnt – nicht zuletzt auch durch die Schwäche seiner Gegner. Etwa zwei Drittel der Mitglieder (bei einer Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent) wählten den ehemaligen Blackrock-Chef zu Armin Laschets Nachfolger, im Januar soll ihn ein Parteitag bestätigen. Der Merkel-Vertraute Helge Braun hatte noch geringere Chancen als der ebenfalls erneut angetretene, selbsternannte Modernisierer Norbert Röttgen.
So richtig euphorisch war nun niemand mehr, die Wahlniederlage steckt der Partei noch in den Knochen, die CDU ist in der Opposition nach sechzehn Jahren sichtbar orientierungslos. In dieses Machtvakuum stößt nun derjenige, den man vor wenigen Monaten noch als Sauerland-Trump belächelt hatte. Zu viele Fehler machte er in den vorangegangen Anläufen. Selbst die ihm sonst treue Mittelstandsunion und die Junge Union feierten ihn nicht mehr so frenetisch wie noch nach der knappen Niederlage gegen Annegret Kramp-Karrenbauer.
Tatsächlich wartete Merz bloß auf ein Votum der Mitglieder, die sich nach den Merkel-Jahren offenbar eine deutlich konservativere Kontur wünschen. Der Machtapparat Merkels ist nach Laschets Niederlage, dem kläglichen Versuch von Braun und auch dem stillen Abgang von Wolfgang Schäuble erheblich geschwächt. Dieser Apparat hatte sich all die Jahre gegen das Raunen von der Basis durchgesetzt, bis zuletzt. Merz musste um diesen Sieg also nicht einmal mehr kämpfen, er fiel ihm unverdient in den Schoß.
Dennoch stellte er sich klüger an als zuvor. Er bezirzte die Sozialunion und macht nun Mario Czaja aus Berlin zum Generalsekretär, der in Berlin-Marzahn sogar das Direktmandat gegen Petra Pau von der LINKEN gewinnen konnte. Damit signalisierte Merz, dass der neoliberale Hardliner ausgedient hatte. Aus dem Rüpel wurde augenscheinlich ein Versöhner.
Wie lang diese versöhnlichen Töne halten, ist unklar. Fest steht aber, dass Merz versuchen wird in die Lücke, die die FDP wirtschaftspolitisch hinterlässt, zu stoßen. Denn diese könnte die CDU in der Opposition nun genüsslich füllen, da sich Lindner & Co. in der Regierung gezwungen fühlen, von ihrer Position zur Schuldenbremse oder staatlichen Investitionen abzurücken. Dafür ist Merz, der Privatisierer vor dem Herren, genau der richtige Mann. Und wenn er machtbewusst genug ist, knöpft er sich als nächstes noch den Fraktionsvorsitz vor, um die Opposition gegen die Ampel auch tatsächlich anzuführen.
Der Ampelkoalition überlässt die CDU damit aber auch die Hegemonie über gesellschaftspolitische Fragen der »Mitte«. Merz wird vermutlich versuchen, einen Kulturkampf gegen die selbsternannte Fortschrittskoalition zu führen, auch wenn sich die CDU und die Ampelkoalition als Parteien des Zentrums in wesentlichen Punkten mehr gleichen, als ihm lieb ist. Ob ihm dieser Kulturkampf nützt, ist noch weitgehend offen. Aber führen wird er ihn.
Merz’ zweite Front ist damit die konservative bis hin zur AfD. Zwar schließt er Bündnisse immer wieder aus, schimpfte aber nicht selten über die Fehler, die Merkel in der Migrationspolitik nach 2015 gemacht haben soll. Nicht zuletzt war es auch Merz, der die Leitkultur-Debatte Anfang der 2000er popularisierte und in den letzten Jahren entscheidend dazu beitrug, die CDU ideologisch rechtsoffen zu halten. Seine Beliebtheit in den Ostverbänden zeugt davon. Der AfD könnte das insofern gefährlich werden, als dass sie selbst weiterhin in einen neoliberalen und einen sich »sozial« gebenden, rechtsradikalen Flügel gespalten ist. Ihre Oppositionspolitik war in den Corona-Jahren blass und uneindeutig, die Partei zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Die CDU hingegen findet seit 2018, als Angela Merkel ihren Rückzug ankündigte, nun vielleicht das erste Mal wieder zu sich selbst. Und das ist paradoxerweise der historische Moment des ewigen Verlierers Friedrich Merz.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.