ABO
Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

14. Juli 2025

Das Ende des Kalten Krieges war ein Triumph gebrochener Versprechen

Der Historiker Fritz Bartel bricht mit dem gängigen Narrativ über das Ende des Kalten Krieges: Der Kapitalismus triumphierte, weil er sein Wohlstandsversprechen an die Bevölkerung brechen konnte – der Sozialismus zerbrach daran.

Margaret Thatcher und Ronald Reagan beim NATO-Gipfel in Bonn, 1982.

Margaret Thatcher und Ronald Reagan beim NATO-Gipfel in Bonn, 1982.

IMAGO / United Archives

Wenn man mit der Lektüre von Fritz Bartels Buch Gebrochene Versprechen fertig ist, blickt man anders auf die Geschichte des Kalten Krieges. Wir alle wissen, dass der Kalte Krieg ein Systemwettbewerb war, der im Wesentlichen von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion angeführt wurde. Diese beiden Supermächte standen an der Spitze zweier geopolitischer Blöcke, die fundamental unterschiedliche Ideologien verkörperten – demokratischer Kapitalismus auf der einen Seite, Kommunismus beziehungsweise Staatssozialismus auf der anderen.

Am Ende des Kalten Krieges, so will es die liberale Erzählung, vermochte der demokratische Kapitalismus den Wettbewerb für sich zu entscheiden, weil er seiner Bevölkerung mehr Wohlstand und Freiheit bieten konnte. Diese triumphalistische Erzählung stellt Fritz Bartel in seinem Buch auf den Kopf. Für sein Buch hat er neues Archivmaterial aus dem Osten ausgewertet sowie die politische Ökonomie der rivalisierenden Systeme untersucht – auf der einen Seite die USA und Großbritannien, auf der anderen die Sowjetunion und die Ostblockstaaten (Polen, Ungarn und die DDR). Danach ist er auf eine etwas andere Erklärung für das Ende des Kalten Krieges gekommen.

Nach dieser Erklärung hat der Westen 1989 deshalb triumphiert, weil die Staaten des demokratischen Kapitalismus dazu imstande waren, ihren Bevölkerungen ökonomische Disziplin aufzuerlegen, ohne destabilisierende Gegenreaktionen auszulösen. Entscheidend hierfür war die Ideologie des Neoliberalismus, wie der Historiker in seinem Buch zeigt: Dieser gab den Regierungen von Margaret Thatcher und Ronald Reagan rhetorische Mittel an die Hand, mit denen sie ihre Politik als alternativlos darstellen und schließlich auch gegen den Widerstand streikender Gewerkschaften durchsetzen konnten. Die nötige Legitimation hierfür verlieh ihnen der demokratische Entscheidungsprozess.

Weil Regierungen im Osten über keine vergleichbare Ideologie verfügten, mit der sie entsprechende Maßnahmen rechtfertigen konnten, begannen staatssozialistische Regierungen an den Fundamenten ihrer Herrschaft zu rütteln, als sie in den 1970er und 80er Jahren versuchten, ökonomische Disziplin durchzusetzen.

Den Regierungen im Ostblock war das durchaus bewusst, wie Bartel zeigt. Allerdings gab es keine Alternative zu einer »neoliberalen« Politik. In ihrer verzweifelten Lage hatte die ungarische Regierung etwa versucht, die marxistisch-leninistische Ideologie umzudeuten, indem sie sie liberaler auffasste. Auch versuchte sie, ihre Agenda demokratisch zu legitimieren, indem sie Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen beteiligte – so waren die Runden Tische in Ungarn und Polen entstanden. Im Verlauf der Gespräche entglitt den Machthabern schließlich ihre Macht und Moskau verzichtete darauf, den imperialen Zerfall durch militärische Intervention aufzuhalten. Es war für den Kreml schlicht zu kostspielig geworden, das sowjetische Imperium aufrechtzuerhalten.

Kapitalistische Perestroika

Doch was zwang Regierungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs überhaupt dazu, ökonomische Disziplin durchzusetzen? Das jahrzehntelange Wirtschaftswachstum aus der Nachkriegszeit begann um das Jahr 1970 zurückzugehen. Hinzu kamen mehrere Krisen, die die Situation zusätzlich verschärften. Vor allem der Erdölpreis spielte eine bedeutende Rolle, da das Wachstum auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs industriell geprägt und folglich auch sehr energieintensiv gewesen war.

Im Westen hatte das Wachstum den kapitalistisch-demokratischen Staaten erlaubt, auf Massenkonsum ausgerichtete Industriegesellschaften aufzubauen. Im Osten hatte das Wachstum den Staaten wiederum erlaubt, den Lebensstandard der Bevölkerungen zu erhöhen und eine Aufholjagd zum westlichen Lebensstandard zu beginnen. Ökonomisch waren Ost und West zwar nie auf gleicher Höhe – der Westen war zu Beginn des Kalten Krieges reicher und blieb das auch bis zum Ende –, allerdings konnte der Osten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten glaubhaft behaupten, mit dem starken Wachstum aus dem Westen mitzuhalten und es sogar noch zu übertreffen.

Das änderte sich in den 1970er Jahren. Mit dem nachlassenden Wirtschaftswachstum wurde der Zugang zu westlichen Finanzmärkten, den damaligen Euromärkten, zunehmend wichtiger für den Ostblock. Bis Anfang der 1970er Jahre waren Milliarden von Dollar auf den Euromärkten gelandet und hatten ein globales System unregulierter Kapitalströme geschaffen, die das System von Bretton Woods untergruben. Davon machten nicht nur finanzstarke ölproduzierende Länder Gebrauch, sondern eben auch die Ostblockstaaten. Insbesondere Polen hatte im Laufe des Jahrzehnts immer mehr Kredite von westlichen Privatbanken erhalten, damals sogar zu günstigen Konditionen. Die Bonität des Landes wurde ironischerweise gerade deshalb hoch eingestuft, weil es sich um einen autoritären Staat handelte. Zusätzlich hatte aber auch die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank die Kreditvergabe an sozialistische Staaten befeuert.

»Die Krisen der 1970er Jahre veränderten nicht nur die politische Ökonomie im Vereinigten Königreich und den USA, sondern auch den Verlauf des Kalten Krieges.«

1973 trat dann der erste Ölpreisschock auf. In den USA und Großbritannien löste dieser eine Rezession und eine Verbraucherpreisinflation aus. Die Arbeitslosigkeit stieg bis zur Mitte des Jahrzehnts stark und die Inflation geriet außer Kontrolle. Eigentlich hätte dieser Fall gar nicht auftreten dürfen, da die keynesianische Wirtschaftslehre davon ausging, dass Arbeitslosigkeit und Inflation in einem umgekehrten Verhältnis zueinanderstehen – nimmt das eine zu, nimmt das andere ab. Doch da der Ölpreisschock von den OPEC-Staaten ausgelöst wurde und auf politische Entwicklungen im Nahen Osten zurückging, konnte die Aufwärtsbewegung der Preise durch nationale Zinspolitik nicht gestoppt werden. Hinzu kam allerdings, dass die damals starken Gewerkschaften auf Lohnerhöhungen drängten, die mit der Inflation Schritt hielten.

Für die politische Ökonomie der Nachkriegszeit stellte die Stagflation sich als fatal heraus. Die politische Nachkriegsökonomie beruhte auf einem Kräftegleichgewicht von Arbeit und Kapital. Man könnte alternativ auch von einem Klassenkompromiss sprechen. Unter den Bedingungen der Stagflation wurde dieser Kompromiss brüchig. In Großbritannien und den USA versuchten die Regierungen, die Inflation zu senken, indem sie das Versprechen der Vollbeschäftigung zurücknahmen. Die Gewerkschaften konnten das nicht zulassen, weil ihre Mitglieder auf Arbeitsplätze und Lohnerhöhungen als Inflationsausgleich angewiesen waren. Das Kapital wiederum konnte die hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht tolerieren – so geriet die Politik schließlich in ein Dilemma.

Nach Jahren der Stagflation und einem zweiten Ölpreisschock im Jahre 1979 entschied sich die US-amerikanische Notenbank dann zu einem radikalen Schritt. Paul Volcker, der damalige Notenbankchef, erhöhte die Zinsen 1979 erstmals schockartig und danach im Jahre 1981 nochmal. Insbesondere der zweite Zinsschock löste einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA aus, brachte aber auch die Inflation zum Sinken.

Diese Schocktherapie war jedoch nur der Auftakt zu einem noch größeren Umbau der politischen Ökonomie: 1979 wurde Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin gewählt. Nach dem sogenannten »Winter of Discontent« – dem Winter der Unzufriedenheit – hatten viele Menschen in Großbritannien die Nase voll. Das Jahr war von Arbeitskämpfen, wirtschaftlicher Stagnation und Energieknappheit geprägt. 1976 stand Großbritannien sogar kurz vor dem Staatsbankrott. Nach alledem lag Thatcher bei den Unterhauswahlen 1979 selbst in klassischen Labour-Wahlkreisen vorn. Sie wiederholte in der Anfangszeit ihrer Regierung einen politischen Slogan, um ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik zu legitimieren: »There is no alternative« – es gibt keine Alternative.

Nach Bartels Darstellung scheint es tatsächlich keine Alternative gegeben zu haben: Unter den Bedingungen der Stagflation konnte die politische Ökonomie der Nachkriegszeit nicht aufrechterhalten werden. Auf Krisen wie den Ölpreisschock sowie auf strukturelle Handelsbilanzdefizite, die durch die globale Leitwährung des Dollars entstanden waren, konnten westliche Staaten nicht angemessen reagieren. Es fehlten dem Bretton-Woods-System, so kann man beim Lesen schlussfolgern, entscheidende Steuerungsinstrumente auf transnationaler Ebene, um handlungsfähig zu bleiben. In den 1970er Jahren hatte sich unter Politikern und Ökonomen jedoch genau die entgegensetzte Ansicht durchgesetzt: Die Krisen waren aus den »Exzessen« staatlicher Wirtschaftssteuerung und Wohlfahrt entstanden, nicht aus einem Mangel staatlicher Handlungsfähigkeit. Hierin waren neoliberale und sogar manche keynesianische Ökonomen sich einig, wie Bartel bemerkt.

Als 1981 Ronald Reagan ins Weiße Haus kam, war das Schicksal der politischen Nachkriegsökonomie besiegelt. Ähnlich wie die »eiserne Lady« in Großbritannien privatisierte Reagan Staatsbetriebe, senkte Spitzensteuern, bekämpfte Gewerkschaften und reduzierte die staatliche Wohlfahrt in den USA. Auch das Vollbeschäftigungsziel wurde nach dem Volcker-Schock nicht erneuert, sondern vom Ziel der Preisstabilität verdrängt. Für Vollbeschäftigung würde die Wirtschaft schon von allein sorgen, wenn der Staat sich aus ihr zurückziehen und heraushalten würde. Im Osten wurde das neue ökonomische Denken durchaus zur Kenntnis genommen. Man gab diesem sogar einen Namen: Perestroika.

Sozialistische Perestroika

Bartel stellt in seinem Buch heraus, wie die Krisen der 1970er Jahre nicht nur die politische Ökonomie im Vereinigten Königreich und den USA verändert haben, sondern auch den Verlauf des Kalten Krieges. Während im Westen die materielle Grundlage in den 1970er Jahren zerbröckelt war, ohne die die politische Ökonomie der Nachkriegszeit nicht aufrechterhalten werden konnte, und eben dieser Umstand westliche Regierungen dazu zwang, ökonomische Disziplin durchzusetzen, standen staatssozialistische Regierungen in den 1980er Jahren vor ganz ähnlichen Herausforderungen, wie Bartel zeigt.

Auch sie gerieten unter Handlungsdruck, je stärker das Wachstum aus den Nachkriegsjahrzehnten in den 1970er und 80er Jahren nachließ. In der Sprache von Fritz Bartel könnte man auch sagen: Auch der Staatssozialismus musste »politische Versprechen« brechen.

Politisch gestaltete sich dies aber schwierig. Anders als im demokratischen Westen, wo eine politische Opposition für einen Regierungswechsel werben konnte, gab es diese Institution im Staatssozialismus nicht. Im Einparteienstaat geriet nicht eine bestimmte Regierung unter Druck, wenn sie unpopuläre Maßnahmen durchsetzen musste, sondern der Staat als Ganzes – weil eben dieser Staat die Wirtschaft von oben bis unten kontrollierte, wie Bartel erklärt. Zugleich war die politische Ökonomie des Ostens ungleich ambitionierter als die des Westens. Es ging den kommunistischen Staaten nicht einfach um Umverteilung, gesellschaftlichen Aufstieg und soziale Sicherheit, sondern um Kommunismus. Angesichts des exorbitanten Wachstums hatte Nikita Chruschtschow in den 1950er Jahren sich dazu hinreißen lassen, zu proklamieren, dass der sozialistische Osten den Kommunismus in den 1980er Jahren erreichen werde.

Doch vom Kommunismus war der Osten in den 1980er Jahren weiter entfernt denn je. Nicht nur der wirtschaftliche Aufschwung aus den Nachkriegsjahren war ins Stocken geraten, auch die ökonomischen Interessen der Sowjetunion und die der übrigen Ostblockstaaten strebten immer weiter auseinander. Nachdem der Ölpreis sich in den 1970er Jahren vervierfacht hatte, wollte die Sowjetunion ihre sozialistischen Bruderstaaten von den stetig höher gewordenen Energieimporten aus der Sowjetunion entwöhnen. Denn einerseits musste sie gestiegene Militärausgaben finanzieren und selbst hohe Importkosten zahlen, andererseits konnte sie mit ihren reichen Energieressourcen auf dem Weltmarkt viel höhere Erträge erzielen. Kurzum: Die Sowjetunion hatte hohe Opportunitätskosten.

»Gorbatschow priorisierte die nationalen Interessen der Sowjetunion gegen die des Ostblocks. Damit ließ er seinen Verbündeten keine Wahl mehr: Sie mussten ökonomische Disziplin durchsetzen.«

So wurde der Ostblock zu einer ökonomischen Bürde für die Sowjetunion. Als die sowjetische Führung ihre Öl- und Gasexporte drosseln wollte, schwächte das den Ostblock enorm. Denn nicht nur waren die Ostblockstaaten von steigenden Energieimporten aus der Sowjetunion ökonomisch abhängig, sie mussten ihre Waren auch dorthin exportieren. Die Sowjetunion zeigte sich im Laufe der 1980er Jahre aber immer weniger interessiert an Waren aus Osteuropa, stattdessen bevorzugte sie Westdevisen. In den letzten beiden Jahren der Sowjetunion bepreiste sie ihre Energieexporte an den Ostblock sogar in US-Dollar.

Der sowjetische Kurs verstärkte die Abhängigkeit des Ostblocks von westlichen Kreditgebern nur. Ein ungünstiger Effekt des Volcker-Schocks war jedoch gewesen, dass Kredite aus dem Westen teurer geworden waren. Und weil im kapitalistischen Westen niemand Ostwaren importieren wollte, blieb dem Ostblock nur die Kreditaufnahme übrig, um an westliche Devisen zu gelangen. Das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Ostblockstaaten war in den 1980er Jahren aber geschwunden: 1989 hatte der Ostblock bei westlichen Banken und Staaten insgesamt 90 Milliarden Dollar Schulden angehäuft – er war so gut wie pleite.

Im Grunde war der Zerfall des sowjetischen Imperiums in den späten 1980er Jahren nicht mehr aufzuhalten. Moskau hätte diesen vielleicht nochmal aufschieben können, wenn der Kreml weitere großzügige Devisen- und Energiehilfen an den Ostblock bereitgestellt hätte. Ökonomisch war die Sowjetunion aber nicht mehr in der Lage dazu, wie Bartel schreibt. In den letzten Jahren des Kalten Krieges hätte die Sowjetunion ihren Verbündeten nur helfen können, wenn sie bereit gewesen wäre, ihrer eigenen Bevölkerung zu schaden und sich selbst zu destabilisieren. Sie steckte also in einem Dilemma.

Politisch priorisierte Gorbatschow dann die nationalen Interessen der Sowjetunion gegen die des Ostblocks. Mit dieser Priorisierung ließ er seinen Verbündeten im Ostblock aber keine Wahl mehr: Sie mussten ökonomische Disziplin durchsetzen. Konkret bedeutete dies, dass die Regierungen den Lebensstandard ihrer Bevölkerungen im Ostblock wieder absenkten – indem sie die Preise für Konsumgüter erhöhten, Staatsbetriebe schlossen, Angestellte entließen und Löhne deckelten. In anderen Worten: Sie erhöhten die ökonomische Ungleichheit im Land.

1980 hatte die Erhöhung von Lebensmittelpreisen in Polen aber bereits zur Gründung der Gewerkschaft Solidarność geführt. Das politische Versprechen, die Lebensmittelpreise niedrig zu halten, schien ein geradezu essenzielles Versprechen für die politische Legitimation der Einparteienherrschaft zu sein. Und genau wie 1981, als die polnische Regierung das Kriegsrecht zur Niederschlagung der gewerkschaftlichen Streikbewegung ausrief, hätte die Regierung in den späten 1980er Jahren wohl wieder staatliche Gewalt gebrauchen müssen, um rigorose Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Der Siegeszug von TINA

Davor schreckten Regierungen in den späten 1980er Jahren jedoch zurück. Ohnehin hätte der Einsatz staatlicher Gewalt ihre Probleme auch nicht gelöst, zeigt Bartel. Das friedliche Ende des Kalten Krieges kam schließlich zustande, weil die Machthaber im Zuge immer stärker werdender Proteste ihren Machtverlust hinnahmen und ihre Herrschaft willentlich beendeten. Sie sahen ein, wie Bartel schreibt, dass sie die politischen Aufgaben und Probleme, mit welchen sie konfrontiert waren, nicht mehr gelöst werden konnten. Deshalb überließen sie die Aufgaben lieber ihren Nachfolgern, anstatt ihre Herrschaft mit Gewalt zu verteidigen.

Der anschließende Triumph der Demokratie hatte jedoch etwas Tragisches: Folgt man der historischen Darstellung von Bartel, haben die osteuropäischen Völker ihre demokratische Souveränität in dem Moment wieder verloren, als sie sie gewonnen haben. Der anschließende Demokratisierungsprozess bewahrte sie nicht vor den Maßnahmen, gegen welche sie sich im Staatssozialismus aufgelehnt und gewehrt hatten. Im Gegenteil: Mit der Demokratisierung kam auch die Einführung der Marktwirtschaft – und zwar per Schocktherapie. Auf diese Weise sollte schließlich doch noch durchgesetzt werden, was Regierungen im Staatssozialismus lange verhindern wollten, um ihre Herrschaft zu sichern: ökonomische Disziplin. Insbesondere aus Sicht der Verlierer war das Ende des Kalten Krieges deshalb, so kann man mit Bartel sagen, ein Triumph »gebrochener Versprechen« oder: ein Triumph von TINA.

Otmar Tibes ist Gründer und Herausgeber vom Politik & Ökonomie Blog.