08. November 2022
Damit die Verursacher und nicht die Betroffenen für Klimaschäden zahlen, braucht es Verbindlichkeit und keine Freiwilligkeit. Ob es bei der Klimakonferenz COP27 dazu kommt, ist fraglich. Denn die größten Verschmutzer arbeiten an den Beschlüssen mit.
Wer zahlt die Kosten für Klimaschäden? Auch auf der diesjährigen UN-Klimakonferenz ist das eine der zentralen Streitfragen.
IMAGO / ZUMA WireNoch voraussichtlich bis zum 18. November findet die 27. Internationale UN-Klimakonferenz statt. Gastgeber ist Ägypten, das in Scharm asch-Schaich zu den Verhandlungen einlädt. In diesem Jahr jährt sich die Verabschiedung der Klimarahmenkonvention, die 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde, zum dreißigsten Mal: Mit ihr begann die globale Klimapolitik, wie wir sie heute kennen. Seither findet fast jährlich eine Folgekonferenz statt.
Die Treffen sollten ursprünglich zu Regelungen führen, um eine gefährliche Klimaerwärmung zu verhindern. Inzwischen ist klar, dass wir bereits mit katastrophalen Folgen der Klimakrise zu kämpfen haben, die früheres, entschlosseneres Handeln verhindert hätte. Bei der diesjährigen Konferenz geht es deshalb nicht nur darum, wie Schlimmeres abgewendet werden kann, sondern auch um die Anpassung an veränderte Verhältnisse und den Umgang mit den Folgen der Destabilisierung des Weltklimas. Loss and Damage, wie das Handlungsfeld zum Umgang mit durch die Klimakrise verursachten Schäden und Verlusten in der internationalen Klimapolitik genannt wird, ist seit Jahren ein strittiges Thema bei den UN-Konferenzen. Während ärmere Staaten auf eine Finanzierung von Klimafolgeschäden durch die Verursacher der Klimakrise drängen, weigern sich letztere, verbindliche Zusagen zu machen.
Dass diese Frage dringend geklärt werden muss, liegt nicht nur daran, dass die Folgen der Klimakrise inzwischen spürbar geworden sind und Extremwetterereignisse mit katastrophalen Auswirkungen immer häufiger auftreten. Die Regelung der Haftung für Klimaschäden ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber jenen, die sie nur geringfügig oder gar nicht mitverursacht haben. In reichen, überwiegend westlichen, kapitalistischen Staaten wurden bereits seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert große Mengen an klimaschädlichen Emissionen ausgestoßen. Gleichzeitig wurde durch koloniale Ausbeutung zusätzlicher Reichtum angehäuft. Von der ökologischen Destabilisierung des Planeten und der Plünderung von Kolonien profitierte die Klasse der Kapitalbesitzer, vor allem in den Metropolen westlicher Kolonialmächte.
Die Anhäufung von Kapital in den westlichen Staaten bestimmt bis heute die Dynamik des globalen Kapitalismus. Reiche Länder verfügen aktuell noch über die notwendigen Ressourcen, um die Folgen der Klimakrise zu bewältigen. Durch technologische Lösungen streben sie eine Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen an. In den Staaten, in denen es eine solche Aneignung von Reichtum nicht gab, fehlen dagegen heute die Mittel, um Folgen der Klimakrise abzuwenden oder zu bewältigen. Diejenigen, die kaum etwas zur Verursachung der Krise beigetragen haben, leiden deshalb bereits jetzt am stärksten unter ihr. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Pakistan.
Pakistan gehört zu den Ländern, die besonders vulnerabel gegenüber Extremwetterereignissen sind. Am meisten leidet darunter die arbeitende Klasse, wie bei der Flutkatastrophe in diesem Jahr, die ein Drittel des Landes überschwemmte. Der Beitrag des Landes zur Verursachung der Klimakrise ist bescheiden: Pakistan gehört zu den größten »Undershooters«, also den Ländern, die in der Vergangenheit am wenigsten Emissionen ausgestoßen haben. Der Klimaminister des Landes forderte deshalb Entschädigungen von den Verursacherstaaten.
Dass diese Forderungen erfüllt werden, ist unwahrscheinlich. Denn bis heute gibt es keinen internationalen Rechtsrahmen, um die Verursacher der Klimakrise zur Rechenschaft zu ziehen. Zwar gibt es zunehmend Klimaklagen gegen Unternehmen, aber keine internationalen Abkommen, die Entschädigungen regeln. Die Frage einer möglichen finanziellen Kompensation der Folgen des Klimawandels ist deshalb eines der größten Streitthemen bei den internationalen Klimakonferenzen, so auch dieses Jahr.
Schon seit Beginn der 1990er Jahre fordert die Allianz der kleinen Inselstaaten, dass die internationale Klimapolitik eine Lösung zum Umgang mit bereits eingetroffenen Folgen der Klimakrise finden müsse. Denn gerade ärmere und kleine Länder können extreme Klimaereignisse nur schwer bewältigen. Im Pariser Klimaabkommen, das den derzeitigen Rahmen für internationale Klimapolitik bildet, wurde 2015 das Handlungsfeld der klimawandelbedingten Schäden und Verluste aufgenommen. Das übergeordnete Ziel war es, einen Mechanismus zu entwickeln, der die Finanzierung solcher Auswirkungen auf globaler Ebene regeln sollte.
Das Ganze hatte allerdings einen Haken: Die USA, unter Federführung von Präsident Obama, stellten sicher, dass in den Beschlüssen zum Pariser Klimaabkommen ein Paragraf mit aufgenommen wurde, der Kompensationsforderungen an die Verursacher des Klimawandels ausschließt. Die USA machten dies sogar zur Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens.
Die Regelungen zu Loss and Damage sind deshalb bis heute unverbindlich, einem Land wie Pakistan bleibt nichts anderes übrig als auf freiwillige Hilfsgelder zu hoffen, die nicht selten mit wirtschaftlichen Vereinbarungen – und damit neuen Abhängigkeiten – verbunden sind. Häufig sind solche Hilfsgelder an Handelsvereinbarungen geknüpft, die dazu führen, dass die Empfängerländer beispielsweise bestimmte Waren aus dem Geberland importieren. Daraus kann, aber muss keine Abhängigkeit entstehen.
Anders im Falle von Krediten: Während eine Verschuldung wirtschaftlich dominanter Staaten kaum Folgen für ihre globale Vormachtstellung hat, kann eine zu große Verschuldung in ärmeren Staaten zu ihrer internationalen Zahlungsunfähigkeit führen und damit Krisen auslösen. Aktuell sind 42 Prozent der Hilfsgelder, die bereits zur Bewältigung der Klimakrise vergeben werden, wieder als Schulden abzubezahlen. Ein Erlass bereits bestehender Schulden wäre in diesen Fällen für die betroffenen Staaten hilfreicher. Doch selbst wenn Zahlungen erfolgen, ist unwahrscheinlich, dass davon nennenswerte Teile der arbeitenden Klasse oder Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zukommen. Sie bleiben bisher auf den Kosten der Klimakrise sitzen. Die Klimakrise ist damit gleichzeitig Teil des globalen Klassenkampfs.
Der Gedanke hinter der von ärmeren Staaten angestrebten Regelung zum Schadensausgleich ist, dass die Verursacher der Klimakrise auch die Hauptlasten tragen sollten. Schon bei der ersten internationalen Klimakonferenz 1992 wurden Listen von Ländern erstellt, die historisch für die Verursachung des Klimawandels verantwortlich sind. Dass diese Kategorisierung auf nationalstaatlicher Ebene erfolgte, ist vor allem dem politischen Rahmen der Verhandlungen geschuldet, denn Staaten sind als Akteure in der internationalen Klimadiplomatie direkt involviert und damit einfach zu erfassen und zu adressieren. Dass Konzerne für ihren Beitrag zum Klimawandel verantwortlich gemacht werden, steht im Rahmen der Klimakonferenzen bisher nicht zur Debatte.
Trotzdem reden sie bei den Verhandlungen der Klimakonferenzen mit. Nicht nur zeigte eine Studie im Jahr 2018 die engen Verbindungen zwischen fossiler Industrie und Politikerinnen in dreizehn europäischen Ländern auf, die Fortschritte in der Klimapolitik verlangsamen. Die fossile Industrie schickt auch eigene Delegationen zu den Klimaverhandlungen. Bei der letzten internationalen Klimakonferenz in Glasgow stellte die fossile Lobby über 500 Delegierte – und damit mehr als das Land mit der größten Delegation. Bei der diesjährigen Konferenz machte vor allem das Sponsoring von Coca Cola Schlagzeilen, denn der Konzern wurde zuletzt von einer Umweltorganisation als weltweit größter Plastikverschmutzer bezeichnet.
Durch ihr Engagement bei den Klimakonferenzen können die Konzerne auf Entscheidungen Einfluss ausüben. Zwar haben sie kein Stimmrecht, doch können sie an Verhandlungen teilnehmen. Dort sorgen sie dafür, dass sie weiterhin ihrem umwelt- und klimaschädlichen Geschäftsmodell nachgehen können und dabei nicht in die Verantwortung gezogen werden.
Die Lösungen, die bei den Verhandlungen zum Schadensausgleich bisher gefunden wurden, konnten an diesen Verhältnissen nichts ändern: In den vergangenen dreißig Jahren erfolgten lediglich Appelle zur Kooperation und zu freiwilligen Zahlungen. Durch das sogenannte Santiago-Netzwerk wurde zwar ein Instrument geschaffen, das die Finanzierung von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten koordinieren soll. Woher das Geld kommen soll, ist bisher aber offen.
Ob es dieses Jahr eine tragfähige Einigung zur Kompensation von Klimaschäden geben wird, wird vor allem daran liegen, ob es gelingt, verbindliche Regelungen zur Finanzierung zu treffen. Denn seit Jahren gibt es immer wieder neue Institutionen, die sich mit dem Thema Schäden und Verluste befassen. Was fehlt, sind die finanziellen Mittel.
Dies liegt vor allem am fehlenden Willen der reicheren Staaten, von ihrer Blockadehaltung abzurücken. Bei den vergangenen Konferenzen bremsten vor allem die USA, Australien und Japan. Ihren Widerstand gegen eine Finanzierung von Kompensationszahlungen begründen sie mit der Angst vor einklagbaren Forderungen. Sie pochen auf freiwilligen Zahlungen und Kooperationen. Dass auf diese kein Verlass ist, zeigt das 2009 von den OECD-Staaten gemachte Versprechen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung in ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Dessen Einlösung wurde inzwischen auf 2023 verschoben.
Die freiwillige und unverbindliche Kompensation von klimawandelbedingten Schäden und Verlusten ist für besonders betroffene Staaten nicht hinnehmbar. Vor allem bei der erwartbaren Verschärfung extremer Klimaereignisse in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ist zu bezweifeln, dass Verursacherstaaten freiwillig und ohne Gegenleistung ihre Mittel erhöhen werden. Ärmere Staaten mit hohen Verlusten drohen daher weiter in Abhängigkeiten zu rutschen – entweder von freiwilliger finanzieller Unterstützung, bilateralen Abkommen oder internationalen Kreditgebern.
Die großen Gewinner sind die Verschmutzer: Konzerne, die maßgeblich für die Verursachung der Klimakrise mitverantwortlich sind, müssen heute keine nennenswerten Konsequenzen fürchten. Die Beschlüsse der internationalen Klimakonferenzen sind für sie nicht gefährlich – und sie beteiligen sich weiterhin eifrig an den Treffen, damit dies auch so bleibt. Auch grundsätzlich stellt die internationale Klimapolitik keine Gefahr für das bestehende Wirtschaftssystem dar. Der Rahmen des politisch Möglichen ist bereits abgesteckt: Lösungen sind nur akzeptabel, wenn sie den Kapitalismus nicht infrage stellen.
Lea Rahman ist Politik- und Sozialwissenschaftlerin. Sie forscht und schreibt zu internationaler Umwelt- und Klimagerechtigkeit.