29. April 2022
Immoscout24 hat als Marktführer der Immobilienportale enorme Macht – und nutzt sie aus, um Verzweifelten sinnlose Abonnements aufzuschwatzen. Warum wir die Vermittlung von Wohnraum nicht dem Markt überlassen dürfen.
Die Plattform Immoscout24 bevorteilt Vermieter und sorgt bei Wohnungssuchenden für Frust.
Die Frage, ob Immobilienkonzerne Wohnungen überhaupt besitzen und vermieten sollten, wird seit dem Berliner Enteignungsentscheid angeregt diskutiert. Die Frage, wie Vermieter und Mieter zusammenfinden, stellt hingegen kaum jemand. Das mag daran liegen, dass es zurzeit ohnehin nur eine Möglichkeit gibt: Wer in Deutschland eine Wohnung sucht, kommt an Immoscout24 nicht vorbei. Die Politik will bislang nicht regulieren, was dort passiert – und das fordert auch niemand von ihr ein.
Während größere Wohnungsgesellschaften ihre Anzeigen aus Anstand noch auf weniger bekannten Seiten veröffentlichen, findet man die meisten Inserate privater Vermieter ausschließlich auf Immoscout24. Im letzten Jahr nutzten 20 Millionen Menschen die Plattform. Zum Vergleich: Netflix zählte »nur« 9,6 Millionen Nutzer. Um die gesellschaftliche Position eines Plattformunternehmens zu bewerten, ist aber nicht nur die Größe ausschlaggebend. Ebenso entscheidend ist auch, welche Funktion ein Konzern übernimmt und wie weit seine Macht in die Gesellschaft hineinreicht, wie der Technikjournalist Ben Tarnoff argumentiert.
Immoscout24 ist – für deutsche Verhältnisse – ein Konzernriese und machte mit seinen 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzern letztes Jahr einen Umsatz von fast 400 Millionen Euro. Hinter der Plattform steht Scout24, nach Marktkapitalisierung eines der hundert am höchsten bewerteten Unternehmen Deutschlands, das sich mit Thyssenkrupp, Lufthansa oder der Commerzbank misst.
Die Funktion, die Immoscout24 übernimmt, ist dabei alles andere als nebensächlich. Denn wie knapper Wohnraum verteilt wird, ist eine zentrale Frage. Die Macht, die eine Plattform ausüben kann, auf der eben diese Frage verhandelt wird, ist entsprechend erheblich.
2018 führte das Unternehmen ein Mitgliedschaftsmodell ein. Für knapp 60 Euro erhält man seitdem zwei Monate lang vermeintliche Vorteile gegenüber anderen potenziellen Mieterinnen und Mietern: Man sehe Angebote 48 Stunden vor anderen Interessenten, lande ganz oben im Postfach der Vermieter und könne mit einem aufwendig gestalteten Profil mehr Eindruck schinden, so das Verkaufsversprechen. In der Praxis sieht das anders aus. Wer in einer Großstadt eine Wohnung sucht, ist aufgrund der extremen Wohnungsknappheit quasi gezwungen, ein solches Abo abzuschließen. Wenn 200 »Plus-Mitglieder« ganz oben im Postfach des Vermieters angezeigt werden, ist schwerlich von »Vorteilen« gegenüber anderen Bewerberinnen und Bewerbern zu sprechen und wer gar nichts bezahlt hat, ist von Anfang an chancenlos. Die Macht der Plattform ist so enorm, dass sie einen Beitrag von 30 Euro pro Monat für eine völlig sinnlose Funktion verlangen kann.
Wir müssen uns fragen: Wollen wir etwas so Wichtiges wie die Verteilung des ohnehin schon knappen Wohnraums dem Markt überlassen? Das Ziel eines Unternehmens ist es schließlich nicht, eine möglichst faire Plattform bereitzustellen, sondern einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Besonders problematisch ist das, da zwischen den Nutzerinnen und Nutzern der Plattform bereits ein enormes Machtgefälle besteht. Vermieterinnen bekommen auf der Plattform alles, was sie möchten (möglichst kaufkräftige Mieter), aber denjenigen, die auf Wohnungssuche sind, bietet die Plattform vor allem Frustration. Auf dutzende Nachrichten höchstens eine Einladung zu einer Massenbesichtigung zu bekommen, ist in Großstädten die Regel. Die Plattform ist ganz nach den Bedürfnissen derjenigen designt, die sowieso schon am Hebel sitzen. So wirbt das Unternehmen auch unverhohlen für sein neues Produkt, vermietet.de, das ein » Rundum-sorglos-Paket für Vermieter:innen« sei. Die Interessen von Mieterinnen sind dabei zweitrangig – und solange sich das Unternehmen in privater Hand befindet, wird sich daran auch nichts ändern.
Wie also sähe die Alternative aus? Das Einfachste wäre, die Möglichkeiten zur Regulierung zu nutzen. Mehr als eine Schadensbegrenzung sollte man sich davon allerdings nicht erhoffen, schließlich brodelt unter der Oberfläche der Probleme weiterhin der grundlegende Interessenkonflikt zwischen Privatunternehmen und der breiten Gesellschaft. Während wir eine Plattform brauchen, die alle Mietinteressenten gleichbehandelt, Vermietern nicht die ganze Macht überlässt und allen die Chance gibt, an eine bezahlbare Wohnung zu kommen, will das Unternehmen vor allen Dingen Gewinne erwirtschaften – und die versprechen sich die mehrheitlich ausländischen Investorengruppen nicht von einer faireren Plattform. Vielmehr soll es darum gehen, mehr und mehr Menschen auf die eigene Plattform zu drängen. Durch eine weitere Digitalisierung des Wohnungsmarktes, etwa durch digitale Mietverträge und Plattformen zur vollständigen Wohnungsverwaltung auch nach Abschluss des Mietvertrags, wollen sie die Möglichkeit, Wohnungen abseits der eigenen Plattform zu suchen oder anzubieten, weiter beschränken.
Wir sollten nicht davon ausgehen, dass Immoscout24 bei Wohnungsinseraten haltmacht. Vorstellbar sind etwa auch Bewertungen von Mietern und exklusive Einblicke in die Zahlungsfähigkeit von Mieterinnen. Mit der SCHUFA kooperiert die Plattform zur Ausstellung von Bonitätsbescheinigungen schon jetzt – und gibt zu, dass die Idee direkt aus einer Befragung von Maklern und Vermieterinnen hervorging.
Kartellrechtliche Regulierungen sind dabei trotz der marktbeherrschenden Stellung der Plattform schwierig. Schließlich funktioniert das Angebot vorrangig dank der (Teil-)Monopolstellung – so wie es bei Plattformen aufgrund des Netzwerkeffekts üblich ist. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer klappern nicht alle möglichen Angebotsseiten ab, sondern besuchen diejenige mit den meisten Angeboten. Es gibt also eine natürliche Tendenz zum Monopol.
Regulierungen haben zudem immer das Problem, nur auf Entwicklungen reagieren zu können, anstatt diese mitzugestalten. Anstatt die schlimmsten Ideen der Tech-Manager und Investoren lediglich zu beschränken, sollten wir Größeres fordern: Immoscout24 muss enteignet werden. Schließlich sollte die Verteilung des verfügbaren Wohnraums eine öffentliche Aufgabe darstellen, über deren Bedingungen wir demokratisch entscheiden können. Stattdessen wird das Geschäft mit der Wohnraumverteilung derzeit von einem Unternehmen besetzt, das eine Monopolstellung genießt – und diese auch auszunutzen weiß. So sagte Arndt Kwiatkowski, einer der Plattform-Gründer: »Ein funktionierender Marktplatz strebt zum Monopol. Wer groß ist, wird immer größer, die Leute nutzen nun mal zuerst den bestbesuchten Platz. Wenn die Nummer eins erreicht ist, wächst sie wie von selbst weiter, bei Anbietern und Nachfragern.«
Gerade dieses Monopol macht die Plattform zu einem heißen Kandidaten für die staatliche Übernahme. Nur so könnten wir die Möglichkeiten der neuen Technologien für die breite Mehrheit und nicht für den Zugriff auf noch mehr Profite nutzbar machen. Das Unternehmen investierte in letzter Zeit beispielsweise enorme Ressourcen in das Abwehren von sogenannten Webcrawlern, die Daten von Webseiten automatisch abrufen. Das ist lukrativ: Schließlich sind die Daten wertvoller, wenn Scout24 sie exklusiv besitzt und geheim hält. Wären diese Daten jedoch in öffentlicher Hand, könnte ihre Nutzung demokratisch kontrolliert werden. Man könnte mit diesen Datensätzen etwa die regelmäßigen Verstöße gegen die Mietpreisbremse algorithmisch erfassen und damit die Arbeit nicht auf die betroffenen Mieterinnen und Mieter abzuwälzen, wie es bislang geschieht.
Eine öffentliche Plattform könnte den gesamten Vermittlungsprozess außerdem gerechter gestalten: Statt des gängigen Anschreibens inklusive Profilbild würden dem Anbieter nur die nötigsten Informationen angezeigt werden. Auch ist es zwar verboten, von potenziellen Mietern sofort sensible Dokumente wie einen Einkommens- oder sogar einen Identitätsnachweis zu verlangen. De facto wissen Mieterinnen jedoch, dass sie keine Chance haben, wenn sie diese Dokumente nicht in der ersten Anfrage mitsenden. Eine öffentliche Plattform könnte sicherstellen, dass sensiblen Daten nur dann eingefordert werden können, wenn auch ein berechtigter Anlass dazu besteht.
Wohnungen sollten nicht nach persönlicher Sympathie oder Profitinteresse vergeben werden, sondern nach Bedarf. Eine Plattform kann dabei helfen, diesen Bedarf anhand verschiedener Kriterien zu bewerten und so denjenigen einen Vorteil zu verschaffen, die dringend eine Wohnung brauchen. Auch solche Kriterien würden sich algorithmisch implementieren und demokratisch nutzen lassen.
Bei Facebook und Google kritisieren Linke oftmals, dass diese Plattformen global agieren, aber nur national kontrolliert werden können. Dieses Problem stellt sich bei Immoscout24 nicht: Eine Übernahme und Kontrolle der Plattform in Deutschland wäre demokratisch, weil so diejenigen über die Ausrichtung der Plattform bestimmen können, die auch von ihr betroffen sind. Wir haben hier eine Plattform, die stark finanzialisiert ist, nur national agiert, eine enorm wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt, eine Monopolstellung innehat und diese Monopolstellung auch gegen die Interessen der Gesellschaft auszunutzen weiß. Höchste Zeit, sie in die Schranken zu weisen.
Nils Schniederjann betreibt den YouTube-Kanal Feine Welt, auf dem er Politische Theorie vorstellt und diskutiert.
Nils Schniederjann ist Journalist in Berlin.