24. Juni 2024
Der Fußball wird von dubiosen Finanzgeschäften gekapert und von fragwürdigen Investoren kontrolliert. Die Fans sind dabei die Leidtragenden. Sie können kaum mitbestimmen und werden vor allem abgezockt.
Fußballfans protestieren gegen Investoren in der DFL, München, 18. Februar 2024.
IMAGO / EibnerVereine sind an der Börse, Spieler sind ein Asset und der Transfermarkt gleicht einem Finanzmarkt. Die Finanzialisierung des Sports ist allgegenwärtig und im Fußball am weitesten vorangeschritten. Im Zuge dieser Entwicklung wurde das grundlegende Prinzip, die sportliche Siegmaximierung, ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste von der finanziellen Gewinnmaximierung abgelöst.
All das geht am Ende zu Lasten des Sports und der Fans. Kern dieses Übels ist die Finanzialisierung, also die »Zunahme der Bedeutung von Finanzmotiven, Finanzmärkten, Finanzakteuren und Finanzinstitutionen für das Funktionieren von Binnen- und Weltwirtschaft«, wie es der Ökonom Gerald A. Epstein nennt.
Wie der Soziologe Florian Schmidt darlegt, war Fußball jahrzehntelang kein allzu lukratives Geschäft, denn es herrschte das Prinzip der sogenannten Siegmaximierung vor. Dadurch nahmen Sportmanager hohe finanzielle Verluste in Kauf, um den größtmöglichen sportlichen Erfolg zu erzielen. Die Vereinseigentümer waren eher fadenscheinige Superreiche – etwa der russische Oligarch Abramovic, dem Anteile von FC Chelsea gehören, oder der US-Sportunternehmer Malcolm Glazer, der den wirtschaftlich instabilen Verein Manchester United übernahm und mit entsprechenden Zinskosten und Renditedruck komplett fremdfinanzierte. Europäische Vereine machten im Jahr 2011 Verluste in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro, so Schmidt.
»Spieler werden im Gegensatz zu normalen Arbeitnehmern als Vermögen des Vereins behandelt.«
2012 wurde die Reform »Financial Fair Play« von der UEFA verabschiedet. Diese Regelung sieht vor, Ausgaben durch Einnahmen zu finanzieren und Defizite über einen Zeitraum von drei Jahren auf 5 Millionen Euro zu deckeln. Daneben wurden Sanktionen für ausbleibende Rückzahlungen sowie verpflichtende Jahresberichte eingeführt. Infolgedessen änderte sich die Profitabilität des Profifußballs, der nun zum als Anlageobjekt für finanzielle Investoren wurde, so Schmidt.
Durch diese neuen Bedingungen schreitet die Finanzialisierung des Fußballs immer weiter voran. Die Männermannschaften des Profifußballs, also dort wo das große Geld zu machen ist, wurden nach und nach in eigene Gesellschaften ausgelagert und für Investoren geöffnet. Die Bandbreite der Modelle in Deutschland erstreckt sich vom Börsengang des BVB bis zum Hertha-Investor Lars Windhorst, gegen den gerade ein Haftbefehl wegen nicht wahrgenommener Mitwirkungspflicht bei einem Insolvenzverfahren angeordnet wurde.
Eigentümer dieser ausgelagerten Gesellschaften sind auf der einen Seite die Fußballvereine, die durch die »50+1 Regelung« immer die Stimmenmehrheit an der neuen Gesellschaft haben. Somit können weiterhin die Mitglieder der Fußballvereine über die groben Linien entscheiden. Dadurch sollte verhindert werden, dass Fußball – wie etwa in England – komplett finanzialisiert wird. Nichtsdestotrotz steht in vielen Fällen ein meinungsstarker Investor mit seinen Interessen mit auf dem Platz.
In manchen Fällen ist es sogar noch krasser: Bei RB Leipzig sind im Fussballverein nur 7 Red-Bull-nahe stimmberechtigte Gründungsmitglieder, was das Bundeskartellamt bereits bemängelte. Das Bundeskartellamt bemängelte allerdings auch die »50+1 Regel« an sich, da sie eine Wettbewerbsverzerrung darstelle. Sollte sie kippen, würde die Finanzialisierung des deutschen Fußballs in eine neue Ära eintreten, wofür sich etliche Investoren schon lange stark machen.
Die Tagesschau titelte kürzlich »Geld schießt Tore«. Das verschleiert aber den Charakter des Geldes an dieser Stelle. Denn Geld wird zu Kapital, wenn es Rendite erwirtschaften soll. Und wenn ein Verein einen Spieler mit Geld erwirbt, geht es dabei primär um die Renditeerwirtschaftung. Das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen – von der Leistung auf dem Spielfeld über das Entwicklungs- und Verkaufspotenzial sowie das Vereinsmarketing.
Folgerichtig werden die Spieler im Gegensatz zu normalen Arbeitnehmern als Vermögen des Vereins behandelt, wie Schmidt beschreibt. Neben einigen technischen Voraussetzungen muss auch der monetäre Wert des Spielers verschriftlicht werden. Die Spieler werden monetär durch Finanzmotive bewertet, die auch auf dem Börsenparkett zu finden sind. Zum einen werden die Attribute der Spieler mit anderen Spielern in ihren Preisen verglichen und damit ihr Wert bestimmt. Zum anderen wird auf Basis von Daten und Modellen der Wert der Spieler ermittelt. Dafür ist vor allem die sportliche Leistung auf dem Platz oder das Werbepotenzial der einzelnen Spieler ausschlaggebend. Auch Aktien werden mit ihren jeweiligen Konkurrenzunternehmen oder ihren Wirtschaftskennzahlen, wie dem Gewinn, bewertet.
Genau wie an der Börse kommen diese Methoden auch bei der Spielerbewertung an ihre Grenzen. Beim Vergleich mit anderen Spielern steht nicht mehr der Spieler an sich im Mittelpunkt der Bewertung, sondern der Vergleichsspieler. Es werden also Bewertungen über Bewertungen gebildet. Wenn diese informationelle Autorität einbricht, brechen auch die Spielerpreise ein, wie etwa in der Coronakrise, so Schmidt. Die Analyse der individuellen Eigenschaften des Spielers auf Basis von Daten und Modellen hat also das gleiche Problem wie auf dem Finanzmarkt. Auch hier werden Unternehmen auf Basis von Daten und Modellen bewertet. Das Problem sind unvollständige Daten bei ungewisser Zukunft, wodurch eine fiktionalen Zukunftserwartung erzeugt wird.
Somit sind komparative und fundamentale Bewertung, wie beim normalen Finanzmarkt, einem strukturellen Risiko ausgeliefert. Um dieses abzumildern, gibt es in der Grundform Derivate, wo auf einer Seite auf Wertsteigerung und auf der anderen Seite auf Wertverlust spekuliert wird. Auch auf dem Transfermarkt setzt sich das mehr und mehr durch. So werden die Spieler-Leihgaben – die es an sich schon seit Jahrzehnten im Vereinssport gibt, um Kapazitätsüberschüsse und Defizite etwa im Fall von Verletzungen auszugleichen – finanzialisiert. Denn die Kaufoption wird immer häufiger bei der Leihgabe ergänzt. Schmidt verweist auf Kylian Mbappé, den der Verein PSG erst geliehen und dann für 180 Millionen übernommen hatte. Kurze Zeit später war er weit mehr wert. Der Leihgabe mit Kaufoption kommt somit eine spekulative Rolle zu, die einem Derivat vom Finanzmarkt gleicht.
Ebenso gibt es wie am Finanzmarkt vermehrt Tauschvereinbarungen, die sogenannten Swaps. Dabei werden Spieler samt ihrer Einkommensströme, Verbindlichkeiten und Risiken getauscht. Die Finanzialisierung ist offensichtlich. Schmidt beschreibt den Handel mit Spielern als wichtigste Aufgabe der Vereine.
Das zeigt sich auch an der zunehmenden Finanzialisierung der Gehälter bei Fußballspielern. Dass sie Millioneneinkommen haben, ist lange bekannt. Aber in den letzten Jahren hat insbesondere die saudische Liga besonders hohe Gehälter gezahlt, um ihren Standort zu promoten. Die 200 Millionen Euro, die Cristiano Ronaldo beim FC al-Nassr erhält, sollen wohl dafür sorgen, dass Bedenken über die menschenrechtlichen als auch sportlichen Widrigkeiten in der Region ausgeblendet werden. In Europa liegen die Top-Gehälter von Profi-Spielern gerade mal bei einem Fünftel von Ronaldos Gehalt.
Die Finanzialisierung macht auch vor den Fans keinen Halt. Am offensichtlichsten zeigt sich das bei den Sportwetten. Dabei wird nicht weniger als das Konsumerlebnis sowie das Sportereignis an sich finanzialisiert. Ein Eckball kann direkte finanzielle Folgen haben. In manchen Fällen wird dies wiederum über Verschuldung finanziert, wodurch der Finanzialisierungsgrad nochmal potenziert wird.
Noch schwerwiegender ist aber, dass etliche Fußballclubs eigene Kryptowährungen haben, wie zum Beispiel FC Barcelona, Manchester City oder Paris Saint-Germain. Durch den Erwerb dieser Kryptowährungen können Fans über Slogans auf Trikots mitentscheiden oder Zugang zu exklusiven Fanartikeln erhalten. Warum diese Form der Mitbestimmung und Fanbindung ausgerechnet über Kryptowährungen erfolgt, womit Fans zu Investoren werden, liegt auf der Hand: Es bringt den Vereinen ordentlich Kohle. Laut UEFA konnten die Vereine so in einer finanziellen Durststrecke während der Pandemie 9 Milliarden Euro einnehmen. Etliche internationale Fußballvereine wie Manchester City oder Juventus haben auch NFTs. Bei dem Verein Borussia Dortmund ist die Einführung 2022 durch Fanproteste gescheitert.
»Cristiano Ronaldo veröffentlichte eine Werbekooperation mit Binance, der ehemals größten Kryptobörse, deren Chef mittlerweile wegen Veruntreuung von Anlegergeldern im Gefängnis sitzt.«
Aber auch auf ganz traditionellem Wege werden die Fans finanzialisiert: 2012 wurde das »Alleinwerbeverbot« eingeführt, das den Verkauf der Senderechte an unterschiedliche Anbieter vorsah. Folglich mussten die Zuschauerinnen und Zuschauer gleich mehrere Abonnements bei Streaminganbietern abschließen, um Spiele verfolgen zu können – quasi eine mehrfache Dauerfinanzialisierung. Dieses Verbot wurde Anfang 2024 zwar gekippt, aber nur weil ein Anbieter alle Rechte erhält, heißt das noch lange nicht, dass es für die Fans günstiger wird. Schließlich erwirbt dieser Anbieter dann ein Monopol.
Ein anderer Fall der Finanzialisierung sind die umstrittenen Lootboxen bei den FIFA-Spielen. Sie sind die moderne, kommerzialisierte Form der Sammelhefte mit Stickern mit dem Unterschied, dass die Spieler beim Spielen noch einen praktischen Nutzen erfüllen. Somit steigt allerdings auch der Druck zum Kaufen, um eine Chance auf die besten Spieler zu haben. Sie gleichen einer Packung mit Glückslosen, die mit Echtgeld bezahlt werden. Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass sie nach der Saison praktisch wertlos sind. Der Electronic Arts Konzern erzielt mit diesem Modell mit rund 1,6 Milliarden Dollar ein Drittel seines Umsatzes. Diese Form der Finanzialisierung ist nicht nur politisch sehr umstritten, auch juristisch gibt es immer wieder Gerichtsverfahren, die den Spielehersteller EA stärken oder Lootboxen als Glücksspiel klassifizieren, wie kürzlich in Österreich.
Nachdem Fan, Spieler und Vereine finanzialisiert wurden, geht es mit der Liga weiter. 2023 sollte es bei der DFL einen Investoreneinstieg in Form einer Gewinnbeteiligung mit zeitlicher Befristung geben. Die Fans skandierten »Der Fußball gehört uns«, und befürchteten zu Recht eine weitere Finanzialisierung.
Doch auch die Werbeindustrie rückt immer näher an den Finanzsektor. Bei der EM 2024 ist mit Betano erstmals ein Wettanbieter offizieller Sponsor. Die Trikots von etlichen Mannschaften sind mit den Logos von unterschiedlichen Banken bestickt. Einzelne Spieler haben unterdessen nochmal absurdere Finanzialisierungsdeals: Cristiano Ronaldo etwa veröffentlichte eine Werbekooperation mit Binance, der ehemals größten Kryptobörse. Deren Chef sitzt mittlerweile wegen Veruntreuung von Anlegergeldern im US-Gefängnis. Auch deshalb läuft gegen Cristiano Ronaldo in den USA gerade eine Sammelklage in Höhe von 1 Milliarde Dollar, da Ronaldo als Werbepartner zu sehr risikoreichen Investitionen verleitet haben soll.
All das zeigt, wie weit die Finanzialisierung in manchen Bereichen des Fußballs vorangeschritten ist und stetig weiter voranschreitet – stets mit dem Ziel, weitere Finanzprofite für die jeweiligen Akteure zu erschließen. Dieser Prozess muss auch beim Fußball dringend zurückgedrängt werden, sodass sich sportliche Leistung und nicht das Kapital durchsetzen kann. Um das zu erreichen, sollten zuerst die Senderechte vergesellschaftet werden, damit Fußball wieder bei öffentlich-rechtlichen Sendern zu sehen ist. Ein striktes Werbeverbot für dubiose Finanzkonzerne im Fußball ist ebenso dringend. Und zuletzt sollten die Investoren aus den Vereinen geschmissen werden, sodass die Fans irgendwann wirklich sagen können: »Der Fußball gehört uns«.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.