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18. Dezember 2025

Fußballfans gegen Innenminister 1:0

Die Innenministerkonferenz hatte geplant, die Überwachungs­maßnahmen im deutschen Fußball zu verschärfen. Fanproteste konnten diesen Vorstoß im Dienste der Finanzialisierung noch einmal abwehren. Aber es wird nicht der letzte Angriff gewesen sein.

Fans protestieren gegen die Vorhaben der Innenministerkonferenz bei einem Bundesliga-Spiel zwischen Bayer 04 Leverkusen und Borussia Dortmund, 29. November 2025.

Fans protestieren gegen die Vorhaben der Innenministerkonferenz bei einem Bundesliga-Spiel zwischen Bayer 04 Leverkusen und Borussia Dortmund, 29. November 2025.

IMAGO / STEINSIEK.CH

Fußball ist Fußball und Politik ist Politik. Diese Ansicht gilt in den meisten deutschen Kurven. Doch ganz so einfach ist es manchmal nicht. Wie im November bekannt wurde, planten die Innenminister der Länder bei der Innenministerkonferenz (IMK) vom 3. bis 5. Dezember eine weitreichende Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen rund um den deutschen Fußball.

Es war die Rede von personalisierten Tickets, KI-gestützten Überwachungssystemen, Gesichts-Scannern und einer nationalen Kommission, die auch präventiv Stadionverbote aussprechen könnte. Dabei handelt es sich um einen Versuch, die Fanszenen zu zähmen, deren Widerstand gegen die Finanzialisierung ihres Sports einer noch höheren Profitabilität des Fußballgeschäfts im Wege steht – und wohl auch um einen Testballon für stärkere Überwachung in der gesamten Gesellschaft.

In der Sache vereint

Die genannten Maßnahmen wurden bereits in der Vergangenheit von der Fanszene und einem Teil der Vereine abgelehnt. Besonders für die Vereine seien diese zu kostspielig, technisch nicht umsetzbar und nicht verhältnismäßig. Die Fanszenen werten den Vorstoß der Innenminister insgesamt als Angriff auf die Fankultur. Gesichtsscanner und KI-gestützte Sicherheitssysteme verwandeln Stadien in Hochsicherheitstrakte. Personalisierte Tickets fördern nicht nur die Überwachung einzelner Stadionbesucher, sondern verhindern auch den unkomplizierten Austausch von Tickets innerhalb von Fan- und Freundesgruppen.

Stadionverbote werden von den Fanszenen generell abgelehnt. In Deutschland werden solche von lokalen Stadionverbotskommissionen ausgesprochen. Um ein Stadionverbot zu erteilen, braucht es nicht zwingend eine gerichtliche Verurteilung. Die Innenminister hatten geplant, die Situation zu verschärfen. Eine nationale Stadionverbotskommission sollte präventiv Stadionverbote aussprechen können, ohne Verurteilung, ohne Beweise. Es würde schon reichen, zufällig in der Nähe eines Vorfalls gewesen zu sein.

Die Antwort der Fans folgte prompt. Getreu dem Motto »In den Farben getrennt, in der Sache vereint« demonstrierten am 16. November über zwanzigtausend Ultras und Fans von dutzenden, zum Teil seit Jahrzehnten verfeindeten Bundesligavereinen gemeinsam in Leipzig.

»Während sich weltweit die großen nationalen Ligen den Finanzinvestoren geöffnet haben, hat das Finanzkapital in Deutschland, einer der größten Fußballnationen, keinen freien Marktzugang.«

Die Fanszenen verständigten sich auf einen 12-minütigen Stimmungsboykott am Anfang jedes Spieles. Damit sollte deutlich gemacht werden, wie ein Fußball ohne freie Fankultur aussehen würde. Denn genau diese »englischen Verhältnisse« fürchten Fans zu Recht. Der englische Fußball ist das Paradebeispiel für einen Fußball, dessen Fankultur mit staatlicher Repression eingehegt und durch die massive Finanzialisierung aus den Stadien gedrängt wurde. Traditionelle Vereinsstrukturen wurden aufgebrochen, um Investoren den Zugang zum Fußballgeschäft zu erleichtern, was zur umfassenden Finanzialisierung des englischen Fußballs geführt hat.

Hinter den Vorschlägen der Innenminister stehen vor allem zwei Interessen. Da wären zum einen die Hardliner aus der Politik und den Polizeigewerkschaften. Sie versuchen seit langem, stärkere Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum durchzusetzen. Pilotprojekte für Gesichts-Scanner oder die Einführung von KI-gestützten Sicherheitssystemen scheitern jedoch regelmäßig an der Ablehnung der Gesellschaft, an Datenschützern und an den Gerichten.

Auf einer Pressekonferenz zu den Gesetzesvorhaben von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärte der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Ulrich Kelber: »Immer wieder musste das Bundesverfassungsgericht aufgrund von Klagen aus der Zivilgesellschaft überschießende Überwachungs- und Fahndungsgesetzgebung stoppen. Das Bundesinnenministerium hat daraus nicht gelernt und will erneut gesetzliche Regelungen, die erkennbar gegen Vorgaben der Verfassung, des Datenschutzes und der KI-Regulierung verstoßen.«

Weil die allgemeinen Überwachungsvorhaben der Hardliner bisher an der Haltung der Bevölkerung und dem Rechtsrahmen scheitern, wird nun die Fußballfanszene als Versuchsobjekt herausgegriffen. In Deutschland gibt es drei Gruppierungen, denen der Staat eine gewisse Gefährlichkeit und Unkontrollierbarkeit andichtet: Linksradikale, Flüchtlinge und Fußballfans. Aufgrund der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften ist den drei Gruppen gemein, dass der Staat an ihnen neue Überwachungsmethoden ausprobieren kann, ohne einen großen Aufschrei in der Bevölkerung zu provozieren.

Geldmaschine Fußball

Das zweite Interesse, das im Agieren der Innenminister zum Ausdruck kommt, ist die Vermarktung Der Fußball ist zwar ein »kulturelles Feld«, aber eines, »dass sich unter kapitalistischen Bedingungen reproduziert«, wie es Raphael Molter kürzlich in der Tageszeitung Junge Welt ausgedrückt hat.

Der Staat stellt laut Molter nicht nur den Rechtsrahmen, sondern »erzeugt die Eigentumsordnung, in der der Ligabetrieb als privates Rechtstitelgebilde überhaupt existiert«. Dazu gehört zusätzlich zu den für die Vermarktung zentralen Urheber- und Markenrechten auch die »polizeilich-ordnungsrechtliche Rahmung«. Die Verschärfung der Überwachungsmaßnahmen und die Zunahme der Repression gegen die Fanszene dienen letztendlich auch dazu, die Vermarktungsmöglichkeiten zu stabilisieren und auszubauen.

Während sich weltweit die großen nationalen Ligen den Finanzinvestoren geöffnet haben, hat das Finanzkapital in Deutschland, einer der größten Fußballnationen, keinen freien Marktzugang. Um ihre Profiabteilungen gewinnbringend vermarkten zu können, lagern Vereine diese in eine Kapitalgesellschaft aus, wodurch auch Investoren einen begrenzten Zugang erhalten. Die Investoren versprechen sich Gewinne durch den Verkauf von Markenartikeln oder Fernsehlizenzen. Der Gewinn ist damit an den sportlichen Erfolg gebunden, denn Fußball ist eine Aufmerksamkeitsökonomie. Um diese zu gewährleisten oder zu erhöhen – um Stadionbesucher oder Fernsehpublikum anzuziehen –, stecken die Vereine diese Investitionen in Spieler, Trainer oder Infrastruktur.

Die sogenannte 50+1-Regel der Deutschen Fußball Liga (DFL) begrenzt jedoch die Investitionsmöglichkeiten. Diese Regel besagt nämlich, dass Finanzinvestoren und Kapitalanleger in den Kapitalgesellschaften keine Stimmmehrheit haben dürfen. Das Schlusswort haben die mitgliedergeführten Vereine.

Hier widersprechen sich die Interessen der organisierten Fanszene und der Verbandschefs. Die 50+1-Regel ist ein zentrales Konfliktfeld, bei dem es um die Frage geht, wer im Stadion und im deutschen Fußball allgemein das Sagen hat: die Vereinsmitglieder oder das Finanzkapital. Die Forderung nach der konsequenten Umsetzung oder der Beibehaltung der 50+1-Regel ist in den ersten drei Bundesligen regelmäßig auf Bannern in den Stimmungsblöcken zu lesen. Den Höhepunkt erreichte dieser Konflikt in der Saison 2023/24, als die DFL über die Aufnahme von Gesprächen mit großen Finanzinvestoren abstimmte. Ermöglicht wurde das durch die Verletzung der Vereinsdemokratie bei Hannover 96. Der Geschäftsführer Martin Kind hatte damals entgegen der Absprache im Verein bei der DFL für die Aufnahme von Gesprächen mit Investoren gestimmt und damit der Pro-Investoren-Seite eine Mehrheit verschafft.

»Ob sie es wollen oder nicht, die Fans haben hier nicht nur einen Sieg für ihre eigene Kultur, sondern für die Freiheitsrechte der ganzen Gesellschaft errungen.«

Der Verein Unsere Kurve, dem Fangruppierungen aus 24 Fußballvereinen angehören, schrieb zur Gefahr des Investoreneinstiegs: »Diese sind jedoch nicht als Mäzen engagiert, sondern sehen ihr Engagement als scharf kalkuliertes Investment, der Club verkommt zum Spekulationsobjekt für (internationale) Finanzjongleure – ohne dass Fans und Vereinsmitglieder noch irgendeinen Einfluss ausüben könnten. Weitere Folgen sind eine hohe Verschuldung der Clubs und unbezahlbare Eintrittspreise.«

Der ersten Abstimmung folgten monatelange Proteste in den Stadien. Es verging kaum eine Partie ohne Spielunterbrechungen. Ferngesteuerte Spielzeugautos fuhren über den Rasen, als Scheichs verkleidete Ultras warfen Tennisbälle und Schokotaler, beim Spiel des 1. FC Nürnberg gegen den 1. FC Kaiserslautern besetzten Fans sogar den Innenraum des Stadions. Die Proteste waren wirkungsvoll, erste Investoren zogen sich zurück und die DFL brach die Verhandlungen ab.

Alle, die an der Finanzialisierung des Fußballs interessiert sind, haben begriffen, dass die 50+1-Regel und die Ultras-Szene als deren hartnäckigster und bestorganisierter Verteidiger die größten Hürden für einen Investoreneinstieg sind. Und die Innenminister haben den Hilferuf des Kapitals erhört. Die Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen sollte dabei helfen, die organisierte Fanszene zu schwächen.

Angriff abgewehrt

Doch auch dieser Vorstoß ist vorerst an den Protesten der Fans gescheitert. Noch vor der IMK Anfang Dezember erklärten mehrere Innenminister, dass die geplanten Vorhaben angeblich nie auf der Tagesordnung gestanden hätten.

Sichtlich enttäuscht darüber, dass die Politik nicht noch mehr bei der Durchsetzung der Kapitalinteressen half, polemisierte der wegen Steuerhinterziehung verurteilte Ehrenpräsident des 1. FC Bayern, Uli Hoeneß, kürzlich in einem Podcast gegen die 50+1-Regel und die deutsche Ultras-Szene. Je mehr Einfluss die Fans hätten, desto erfolgloser seien die Vereine, so Hoeneß. Er brachte damit noch einmal auf den Punkt, wie sehr die Fanszenen und ihre Verteidigung der Vereinsdemokratie den Kapitalinteressen schaden.

Ob sie es wollen oder nicht, die Fans haben hier nicht nur einen Sieg für ihre eigene Kultur, sondern für die Freiheitsrechte der ganzen Gesellschaft errungen. Der Kampf gegen den Ausbau autoritärer Sicherheitsmaßnahmen fällt mit dem Kampf gegen den Zugriff des Kapitals auf immer mehr Lebensbereiche zusammen. Wir sehen aktuell, dass der Staat zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals zu immer autoritäreren Mitteln greift. Das ist der tatsächliche Rechtsruck.

Möglicherweise werden die Fans sich in Zukunft Partner in der Gesellschaft suchen müssen, um die stärker werdenden Angriffe abzuwehren. Ein zukünftiges Bündnis mit linken Kräften gilt zwar als unwahrscheinlich. Linke sollten aber dennoch ein Auge darauf haben, was im deutschen Fußball passiert, denn als Volkssport ist der Fußball eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit.

Sven Ulfig ist Nürnberger, Kommunist und aktiv in der Partei Die Linke. Er schreibt und übersetzt Texte zur Geschichte der Arbeiterbewegung.