31. Oktober 2022
Der Bericht der Gaskommission steht – und die Gaspreisbremse weist nach wie vor Lücken auf. Viele davon hat die Ampel selbst zu verantworten.
Sind jetzt gefragt: Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck bei der Übergabe des Berichts der Gaskommission im Kanzleramt, Berlin 31.10.2022
IMAGO / Emmanuele ContiniEs ist soweit. Die Kommission Gas und Wärme hat ihren Endbericht vorgelegt. Dabei war schon der Zwischenbericht von halbgaren Kompromissen geprägt. Dem Bericht zufolge empfiehlt die Kommission, die Gaspreisbremse für Haushalte erst für März oder April einzuführen. Allen ist aber klar, dass die Heizsaison dann bereits vorüber ist. Gleichzeitig sollte im Winter nur eine Abschlagszahlung übernommen werden, und zwar im Dezember.
An diesen beiden großen Fehlern der Gaspreisbremse ist letztendlich die Politik schuld. Sie hat die Kommission viel zu spät eingesetzt, wodurch der Zeitdruck entsprechend hoch war. So scheiterte zum Beispiel eine gerechtere Entlastung an fehlenden Daten über Haushaltsmitglieder. Ob es eine Obergrenze geben wird, die etwa Villenbesitzer ausklammert, ist zu diesem Zeitpunkt noch offen. Dass die Gaspreisbremse für Haushalte nicht schon vorher in Kraft tritt, scheitert schlichtweg daran, dass die Versorger technisch nicht dazu in der Lage sind, die Millionen Verträge anzupassen. Auch das war absehbar. Dass keine zweite Abschlagszahlung etwa für die Monate November und Januar empfohlen wurde, dürfte wohl daran liegen, dass es laut der Vorsitzenden der Kommission und Wirtschaftsweisen Veronika Grimm nicht darum gehe, die Summe von über 200 Milliarden Euro vollständig auszugeben.
Die Bundesregierung hat also den zeitlichen wie den haushälterischen Rahmen vollkommen falsch gesetzt. Auch bei der Besetzung der Kommission gibt es etliche Fragezeichen. So war Isabella Weber die einzige wirklich progressive Ökonomin, die mehreren Ökonomen des wirtschaftsliberalen Mainstreams samt der Kommissionsvorsitzenden entgegenstand.
Hinzu kommt, dass den Kommissionsmitgliedern weder eine Aufwandsentschädigung noch ein Budget zu Verfügung standen, um kurzfristige Studien in Auftrag geben zu können. Angesichts der 200 Milliarden Euro, die für die Gaspreisbremse geplant sind, wäre das mehr als angemessen gewesen. Ohne Zweifel wäre es aber auch der Debatte zuträglich gewesen und hätte für ein bessere Kräftegleichgewicht gesorgt. So war in der Kommission etwa auch der Eon-Chef vertreten, der sicherlich Zugriff auf Dutzende wissenschaftliche Mitarbeitende hat. Dass bei der Gaskommission kein großer progressiver Wurf zustande kam, war also von vornherein klar.
Nichtsdestoweniger kommt die Gaspreisbremse. Das ist wichtig, um die Nachfrage zu stabilisieren und eine Wirtschaftskrise zu verhindern. Sie darf nun allerdings nicht so heißen und auch nicht so aussehen, damit sich wirtschaftsliberale Ökonomen keine Niederlage eingestehen müssen. Ihre Sichtweise: Die Entlastung ist eine Pauschalzahlung. Dies begründen sie damit, dass der Rabatt am Ende der Rechnung abgezogen wird und nicht der Preis des Guts verändert wird. Somit greift die Gaspreisbremse nicht in die direkte Preisgestaltung ein und ist in ihren Augen ein linearer Preismechanismus. Die Sichtweise der progressiven Ökonomin Isabella Weber: Da dieser Rabatt auf der Preissenkung des Verbrauchs für einen Vergleichzeitraum basiert, handelt es sich im Kern um einen Eingriff in die Preise – und somit auch um einen nicht-linearen Preismechanismus.
Für die konkrete Entlastung der Menschen ist dieser akademische Streit zwar egal, er zeigt aber, wie sehr auch die Wirtschaftsliberalen den Erfolg auf ihrer Seite verbuchen wollen. Dabei zeigt Isabella Weber eindrucksvoll, wie man sich mit einem Außenseiter-Vorschlag trotz erheblichem Gegenwind durchsetzen kann, wenn die ökonomischen Bedingungen danach verlangen. Die Gaspreisbremse bietet daher eine gute Vorlage, um auch zukünftig politisch für Markteingriffe zu streiten, weil der Beweis, dass dies ökonomisch und politisch sinnvoll sein kann, durch die Maßnahme erbracht wurde.
Nach Vorschlag der Kommission sollen Unternehmen das subventionierte Gas weiterverkaufen dürfen – der größte Kritikpunkt der Gaspreisbremse. Wirtschaftsliberale sagen, dass so der Markt die beste Entscheidung über die Gasverwendung treffen könne. So könnten die Unternehmen das Gas verkaufen und die Anlagen abschalten.
Die Ökonomin Isabella Weber hat für diesen Punkt des Weiterverkaufs ein Sondervotum abgegeben, wo sie diesbezüglich zwei große Gefahren beschreibt. So könnte dies zur Destabilisierung der Wirtschaftsstruktur, einer Beschleunigung der Deindustrialisierung und einer Verschärfung der Rezession führen, da beim Weiterverkauf nur die betriebswirtschaftliche und nicht die gesamtwirtschaftliche Optimierung im Vordergrund steht. Wenn Unternehmen ihre Anlagen abschalten, weil sie mehr Gewinn durch den Verkauf des Gases machen, kann das erhebliche Folgeschäden in der weiteren Lieferkette nach sich ziehen. Dadurch könnte sich durch ebensolche Lieferengpässe die Inflation weiter beschleunigen.
Auch die wichtige Obergrenze für Villenbesitzerinnen und das Grundkontingent für Geringverbraucher sind weiterhin nur als Prüfauftrag enthalten. Dabei ist beides von besonderer Relevanz. So schützt das Mindestkontingent vor exzessivem Einspardruck. Andersherum schützt die Obergrenze vor Überentlastungen von Villenbesitzern. Ihr Verbrauch ist nämlich relativ flexibel. So können sie durch das Abstellen der Heizung für Pools oder das nicht Beheizen einer Zweitwohnung ihre Gasrechnung vergleichsweise unproblematisch auf 0 Euro reduzieren. Dies wird möglich, wenn der hohe Verbrauch der Vergleichsperiode ungedeckelt angesetzt wird.
Positiv ist hingegen zu erwähnen, dass eine Besteuerung der Entlastungen ab einem Jahreseinkommen von 72.000 Euro fällig werden soll, um die Entlastung am oberen Ende sozial anzugleichen. Jetzt wäre daher der perfekte Zeitpunkt, um den Reichensteuersatz ab einem Jahreseinkommen von 280.000 Euro deutlich zu erhöhen.
Außerdem wurden Bedingungen an Unternehmen formuliert, die an der Gaspreisbremse teilnehmen wollen. Wenn keine betrieblich anderweitigen Absprachen existieren, müssen etwa für mindestens ein Jahr über die Förderungsdauer hinweg 90 Prozent der Arbeitsplätze erhalten werden. Dieser Schritt ist zentral, um die Industrie in Deutschland zu halten. Allerdings ziehen selbst Politikerinnen und Politiker der Ampel weitere Bedingungen in Betracht, wie zum Beispiel das Verbot von Dividenden oder Boni.
Vieles ist also noch offen und der Ball liegt nun bei der Politik. Das Gute: Die großen Probleme sind lösbar – entweder direkt bei der Gaspreisbremse oder indirekt über andere Maßnahmen. Das gilt für die Lücken beim Weiterverkauf, aber auch für die offenen Fragen bei der Verteilungspolitik. Am wichtigsten wäre es, die Abschlagszahlung für den Winter zu vervielfachen. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die Gaspreisbremse fortlaufend verbessert werden muss – eben weil sie so eine zentrale Maßnahme ist.
Das reicht aber nicht, da uns die Gaspreisbremse nur Zeit verschaffen kann. Jetzt müssen weitere Hebel umgelegt werden, damit wir schnellstmöglich aus dieser Krise kommen können. Dafür hat die herrschende Politik sogar schon das argumentative Fundament gelegt: Sie haben angesichts der etlichen Verrenkungen bei der Schuldenbremse bewiesen, dass Geld nicht knapp ist. Ein Green New Deal, also ein umfassendes Investitions- und Regulierungsprogramm um die Energiewende zu beschleunigen, scheitert also nicht an der Finanzierbarkeit. Gleichzeitig hat die Ampel bei Uniper gezeigt, dass die Vergesellschaftung von Energiekonzernen möglich ist. Eine Ausweitung wäre sowohl im Sinne der Energiewende, im Interesse des Allgemeinwohls und auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen anzuraten. Genau deswegen ist die Gaspreisbremse so wichtig – sie verschafft uns in der Krise die notwendige Zeit, um diese Dinge anzugehen. Wichtig ist es, jetzt die Weichen für das baldige Krisenende zu stellen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.