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18. Juli 2025

Francesca Albanese: Brecht die Beziehungen zu Israel ab

Anfang dieser Woche erklärte die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese, warum alle Länder der Welt ihre Beziehungen zu Israel aussetzen müssen. Jacobin veröffentlicht ihre Rede hier.

Francesca Albanese spricht zur Lage in Palästina auf der Dringlichkeitskonferenz der Haager Gruppe von Staaten in Bogotá, Kolumbien, 15. Juli 2025.

Francesca Albanese spricht zur Lage in Palästina auf der Dringlichkeitskonferenz der Haager Gruppe von Staaten in Bogotá, Kolumbien, 15. Juli 2025.

IMAGO / Anadolu Agency

Am 15. und 16. Juli trafen sich Delegierte aus dreißig Ländern in Bogotá, Kolumbien, zu einer Konferenz mit dem Ziel, den israelischen Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen, der nun schon seit 21 Monaten andauert, zu stoppen.

In ihrer Rede auf der Konferenz am 15. Juli erläuterte Francesca Albanese, die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete – die in der vergangenen Woche von der Trump-Administration als Vergeltung für ihre entschiedene pro-palästinensische Haltung sanktioniert wurde –, warum Staaten alle Beziehungen zu Israel kappen sollten.

Das besetzte palästinensische Gebiet ist heute eine Höllenlandschaft. Im Gazastreifen hat Israel sogar die letzte Funktion der Vereinten Nationen – die humanitäre Hilfe – demontiert, um eine Bevölkerung, die es zur Eliminierung bestimmt hat, absichtlich auszuhungern, immer wieder zu vertreiben oder zu töten. Im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, schreitet die ethnische Säuberung durch rechtswidrige Belagerung, Massenvertreibung, außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen und weitverbreitete Folter voran.

In allen Gebieten unter israelischer Herrschaft leben die Palästinenserinnen und Palästinenser unter dem Terror der Vernichtung, der in Echtzeit in die Welt hinausgetragen wird. Die wenigen Israelis, die sich gegen Völkermord, Besatzung und Apartheid stellen, während die Mehrheit offen jubelt und nach mehr ruft, erinnern uns daran, dass auch die israelische Befreiung untrennbar mit der palästinensischen Freiheit verbunden ist.

Die Gräueltaten der letzten 21 Monate sind keine plötzliche Verirrung; sie sind der Höhepunkt einer jahrzehntelangen Politik der Vertreibung und Ersetzung des palästinensischen Volkes.

Vor diesem Hintergrund ist es unvorstellbar, dass auf politischen Foren von Brüssel bis New York immer noch über die Anerkennung des Staates Palästina debattiert wird – nicht, weil sie unwichtig wäre, sondern weil die Staaten 35 Jahre lang gezögert und die Anerkennung verweigert haben, indem sie vorgaben, »in die Palästinensische Autonomiebehörde zu investieren«, während sie das palästinensische Volk den unerbittlichen, räuberischen territorialen Ambitionen Israels und seinen unsäglichen Verbrechen überließen.

In der Zwischenzeit hat der politische Diskurs Palästina zu einer humanitären Krise reduziert, die es auf Dauer zu bewältigen gilt, und nicht zu einer politischen Frage, die eine prinzipielle und entschlossene Lösung erfordert: die Beendigung der ständigen Besetzung, der Apartheid und heute des Völkermords. Und es ist nicht das Gesetz, das versagt hat, es ist der politische Wille, der aufgegeben hat.

Aber heute sind wir auch Zeugen einer Zäsur. Das unermessliche Leid Palästinas hat die Möglichkeit einer Transformation eröffnet. Auch wenn sich dies (noch) nicht vollständig in der politischen Agenda niederschlägt, ist ein revolutionärer Wandel im Gange – einer, der, wenn er anhält, als ein Moment in Erinnerung bleiben wird, in dem die Geschichte ihren Kurs geändert hat.

»Hier geht es nicht nur um Palästina. Es geht um uns alle. Prinzipientreue Staaten müssen sich in diesem Moment erheben.«

Und deshalb kam ich zu diesem Treffen mit dem Gefühl, an einem historischen Wendepunkt zu stehen – diskursiv und politisch. Erstens verschiebt sich das Narrativ: weg von Israels endlos beschworenem »Recht auf Selbstverteidigung« und hin zum lange verleugneten palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung – das seit Jahrzehnten systematisch unsichtbar gemacht, unterdrückt und delegitimiert wird. Der Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs und seine Anwendung auf palästinensische Worte sowie die Erzählungen und die entmenschlichende Verwendung des Terrorismusbegriffs für palästinensische Aktionen (vom bewaffneten Widerstand bis hin zur Arbeit von NGOs, die sich auf internationaler Ebene für Gerechtigkeit einsetzen) haben zu einer globalen politischen Lähmung geführt, die beabsichtigt war. Diese Lähmung muss behoben werden. Die Zeit dafür ist jetzt gekommen.

Zweitens und folgerichtig erleben wir den Aufstieg eines neuen Multilateralismus: prinzipienfest, mutig, zunehmend von der globalen Mehrheit angeführt – und es schmerzt mich, dass noch keine europäischen Länder dazu gehören. Als Europäerin fürchte ich das, was die Region und ihre Institutionen für viele symbolisieren: eine Vereinigung von Staaten, die das Völkerrecht predigen, sich aber mehr von kolonialem Denken als von Prinzipien leiten lassen und als Vasallen des US-Imperiums agieren, selbst wenn dieses uns von Krieg zu Krieg, von Elend zu Elend und, wenn es um Palästina geht, von Schweigen zu Mittäterschaft zieht.

Die Anwesenheit der europäischen Länder bei diesem Treffen zeigt jedoch, dass ein anderer Weg möglich ist. Ihnen sage ich: Die Haager Gruppe hat das Potenzial, nicht nur eine Koalition, sondern ein neues moralisches Zentrum in der Weltpolitik zu signalisieren. Bitte, stehen Sie ihnen bei.

Millionen von Menschen schauen zu und hoffen auf einen Wegweiser, der eine neue globale Ordnung schaffen kann, die auf Gerechtigkeit, Menschlichkeit und kollektiver Befreiung beruht. Hier geht es nicht nur um Palästina. Es geht um uns alle. Prinzipientreue Staaten müssen sich in diesem Moment erheben. Sie brauchen keine politische Zugehörigkeit, keine Farbe, keine Parteiflagge und keine Ideologie: Sie müssen sich an grundlegende menschliche Werte halten. Jene, die Israel seit nunmehr 21 Monaten gnadenlos unterdrückt.

Gleichzeitig begrüße ich die Einberufung dieser Dringlichkeitskonferenz in Bogotá, die sich mit der anhaltenden Zerstörung in Gaza befassen soll. Hierauf muss der Fokus gerichtet werden. Die im Januar von der Haager Gruppe beschlossenen Maßnahmen waren symbolträchtig. Sie waren das Signal für den notwendigen diskursiven und politischen Wandel.

Aber sie sind das absolute Minimum. Ich bitte Sie inständig, Ihr Engagement auszuweiten. Und setzen Sie diese Verpflichtung in konkrete Maßnahmen um, sowohl auf gesetzgeberischer als auch auf gerichtlicher Ebene in jedem Ihrer Rechtsgebiete. Und überlegen Sie zuallererst, was wir tun müssen, um den völkermörderischen Ansturm zu stoppen. Für die Palästinenserinnen und Palästinenser, insbesondere für die Menschen in Gaza, ist diese Frage existenziell. Aber sie gilt eigentlich für die Menschlichkeit von uns allen.

In diesem Zusammenhang ist es meine Aufgabe, Ihnen kompromisslos und unvoreingenommen zu empfehlen, die Ursache zu beseitigen. Wir sind fertig damit, uns mit den Symptomen zu befassen, wie es heutzutage zu viele aus Bequemlichkeit tun. Und meine Worte werden zeigen, dass das, wozu sich die Haager Gruppe verpflichtet hat und auszuweiten in Erwägung zieht, ein kleines Engagement für das ist, was gerecht und fällig ist, basierend auf Ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Verpflichtungen, nicht Mitleid, nicht Wohltätigkeit.

Jeder Staat sollte sofort alle Beziehungen zu Israel überprüfen und aussetzen: seine militärischen, strategischen, politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen – sowohl Importe als auch Exporte –, und sicherstellen, dass sein Privatsektor, seine Versicherungen, Banken, Pensionsfonds, Universitäten und andere Anbieter von Waren und Dienstleistungen in den Lieferketten dasselbe tun.

Die Besatzung als »business as usual« zu behandeln, bedeutet, die rechtswidrige Präsenz Israels in den besetzten Gebieten zu unterstützen oder ihr Hilfe zu leisten. Diese Verbindungen müssen dringend abgebrochen werden. Ich werde Gelegenheit haben, die technischen Einzelheiten und Auswirkungen in unseren weiteren Sitzungen zu erläutern, aber um es klar zu sagen: Ich meine den Abbruch der Beziehungen zu Israel als Ganzes. Ein Abbruch der Beziehungen nur zu den »Teilen« des Landes in den besetzten Gebieten ist keine Option.

»Mit Israel darüber zu verhandeln, wie das, was von Gaza und dem Westjordanland noch übrig ist, verwaltet werden soll, ob in Brüssel oder anderswo, ist eine absolute Schande für das Völkerrecht.«

Dies steht im Einklang mit der Verpflichtung aller Staaten, die sich aus dem Gutachten vom Juli 2024 ergibt, in dem die Unrechtmäßigkeit der andauernden israelischen Besatzung bestätigt wird, die einer Rassentrennung und Apartheid gleichkommt. Die Generalversammlung hat dieses Gutachten angenommen. Diese Feststellungen sind mehr als ausreichend, um Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem ist es der Staat Israel, dem Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vorgeworfen werden, also ist es auch der Staat, der für sein Fehlverhalten verantwortlich sein muss.

Wie ich in meinem letzten Bericht an den Menschenrechtsrat dargelegt habe, ist die israelische Wirtschaft so strukturiert, dass sie die Besatzung aufrechterhält, und sie ist nun völkermörderisch geworden. Es ist unmöglich, Israels Politik und Wirtschaft von seiner langjährigen Politik und Wirtschaft der Besatzung zu trennen. Sie sind seit Jahrzehnten untrennbar miteinander verbunden. Je länger Staaten und andere sich engagieren, desto mehr wird diese Illegalität im Kern legitimiert. Das ist die Komplizenschaft. Jetzt, da diese Wirtschaft eine völkermörderische Wendung genommen hat, gibt es kein »gutes« Israel gegenüber einem »schlechten« Israel.

Stellen Sie sich vor, wir säßen hier in den 1990er Jahren und diskutierten den Fall des südafrikanischen Apartheidsystems. Hätten Sie selektive Sanktionen gegen Südafrika für sein Verhalten in einzelnen Bantustans vorgeschlagen? Oder hätten Sie das kriminelle System des Staates als Ganzes anerkannt? Und hier ist das, was Israel tut, noch schlimmer. Dieser Vergleich ist eine rechtliche und faktische Bewertung, die durch internationale Gerichtsverfahren gestützt wird, an denen viele in diesem Saal beteiligt sind.

Das ist es, was konkrete Maßnahmen bedeuten. Mit Israel darüber zu verhandeln, wie das, was von Gaza und dem Westjordanland noch übrig ist, verwaltet werden soll, ob in Brüssel oder anderswo, ist eine absolute Schande für das Völkerrecht.

Und den Palästinenserinnen und Palästinensern und den Menschen aus allen Teilen der Welt, die ihnen – oft unter großen Kosten und Opfern – beistehen, sage ich: Was auch immer geschieht, Palästina wird dieses turbulente Kapitel geschrieben haben – nicht als Fußnote in den Chroniken von Möchtegern-Eroberern, sondern als neueste Strophe in einer jahrhundertelangen Saga von Völkern, die sich gegen Ungerechtigkeit, Kolonialismus und heute mehr denn je gegen neoliberale Tyrannei erhoben haben.

Diese Rede wurde im Interesse der Verständlichkeit und Leserlichkeit bearbeitet.

Francesca Albanese ist Gastwissenschaftlerin am Institute for the Study of International Migration der Georgetown University und Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zur Menschenrechtssituation in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten.