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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

24. August 2025

Gaza entlarvt den Bankrott des westlichen Liberalismus

Gilbert Achcar prangert an: Mit seinen Waffen für Israel macht der Westen das Völkerrecht zu einer Farce. Im Gespräch erklärt der Sozialwissenschaftler, warum der Genozid als Schlüsselmoment im Zerfall des Liberalismus in Erinnerung bleiben wird.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstrieren ihre Einigkeit während Steinmeiers Staatsbesuchs, 13. Mai 2025.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstrieren ihre Einigkeit während Steinmeiers Staatsbesuchs, 13. Mai 2025.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

In seinem neuen Buch Gaza Catastrophe: The Genocide in World-Historical Perspective analysiert der französisch-libanesische Sozialwissenschaftler Gilbert Achcar die Hintergründe, Dynamiken und globalen Folgen des israelischen Kriegs gegen den Gazastreifen seit dem 7. Oktober 2023. Im Gespräch mit Jacobin spricht er über die politische Radikalisierung der israelischen Gesellschaft, die strategischen Fehleinschätzungen der Hamas und die offene Komplizenschaft westlicher Regierungen beim Genozid in Gaza. Er betont, dass der Krieg die sogenannte liberale Weltordnung offenbart hat – und den globalen Aufstieg neofaschistischer Kräfte weiter beschleunigt.

In Ihrem Buch verurteilen Sie nicht nur den Hamas-Angriff vom 7. Oktober, sondern ordnen ihn auch in einen größeren historischen Kontext ein und kritisieren Versuche, das Massaker zu rechtfertigen oder zu rationalisieren. Wie schätzen Sie die langfristigen Folgen dieses Ereignisses für Gaza und die Zukunft Israels und Palästinas ein?

Die Operation der Hamas am 7. Oktober – ungeachtet ihrer Natur und der an diesem Tag begangenen Gräueltaten – war nach Darstellung ihrer Organisatoren als erster Schritt zur Befreiung Palästinas gedacht. Gemessen an diesem Ziel endete sie in einer völligen Katastrophe. Das palästinensische Volk sieht sich heute einer größeren Bedrohung ausgesetzt als je zuvor. Wir erleben einen genozidalen Krieg Israels, der bereits eine enorme Zahl an Menschenleben gefordert hat.

Wir kennen die offiziellen Zahlen derjenigen, die direkt durch Bomben getötet wurden. Doch wenn man die indirekten Todesfälle hinzuzählt – verursacht durch die Blockade, die Einstellung humanitärer Hilfe, die absichtliche Herbeiführung von Hunger, die Unterbrechung der Wasserversorgung und die Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur durch Israel –, dann liegt die tatsächliche Zahl mit Sicherheit weit über den offiziell genannten 60.000. Sie könnte durchaus 200.000 überschreiten. Das ist eine erschütternde Bilanz.

Darauf folgte ein umfassender israelischer Angriff, der politisch ohne den Vorwand des 7. Oktober nicht möglich gewesen wäre – so wie auch die Anschläge vom 11. September der Bush-Regierung als Vorwand für die Invasionen in Afghanistan und im Irak dienten. In Gaza haben wir etwas Ähnliches erlebt. Eine rechtsextreme Regierung – die rechteste in der Geschichte Israels – griff den Angriff vom 7. Oktober als Vorwand auf. Für sie bot er eine goldene Gelegenheit, den Gazastreifen erneut zu besetzen. Alle heutigen Regierungsmitglieder hatten sich gegen den Rückzug aus Gaza im Jahr 2005 gestellt. Benjamin Netanjahu trat sogar aus Protest aus der Regierung Ariel Sharons aus. Nun hat Netanjahu die Gelegenheit genutzt, nicht nur Gaza erneut zu besetzen, sondern noch viel weiter zu gehen: nämlich die Bevölkerung zu vertreiben.

»Was wir derzeit erleben, ist eindeutig die ethnische Säuberung eines großen Teils des Gazastreifens, indem Palästinenser in eine Ecke des Gebiets gedrängt werden. Der nächste Schritt wird wahrscheinlich der Versuch sein, die Migration der Bewohner Gazas zu organisieren.«

Darauf folgte ein umfassender israelischer Angriff, der politisch ohne den Vorwand des 7. Oktober nicht möglich gewesen wäre – so wie auch die Anschläge vom 11. September der Bush-Regierung als Vorwand für die Invasionen in Afghanistan und im Irak dienten. In Gaza haben wir etwas Ähnliches erlebt. Eine rechtsextreme Regierung – die rechteste in der Geschichte Israels – griff den Angriff vom 7. Oktober als Vorwand auf. Für sie bot er eine goldene Gelegenheit, den Gazastreifen erneut zu besetzen. Alle heutigen Regierungsmitglieder hatten sich gegen den Rückzug aus Gaza im Jahr 2005 gestellt. Benjamin Netanjahu trat sogar aus Protest aus der Regierung Ariel Sharons aus. Nun hat Netanjahu die Gelegenheit genutzt, nicht nur Gaza erneut zu besetzen, sondern noch viel weiter zu gehen: nämlich die Bevölkerung zu vertreiben.

Was wir derzeit erleben, ist eindeutig die ethnische Säuberung eines großen Teils des Gazastreifens, indem Palästinenser in eine Ecke des Gebiets gedrängt werden. Der nächste Schritt wird wahrscheinlich der Versuch sein, die Migration der Bewohner Gazas zu organisieren. Gleichzeitig hat die israelische Regierung den Siedlern im Westjordanland – unterstützt von der israelischen Armee – freie Hand gegeben, die lokale Bevölkerung anzugreifen. Damit erleben wir nun auch im Westjordanland eine fortgesetzte ethnische Säuberung. Die Palästinenser befinden sich in der schlimmsten Situation, der sie seit sehr, sehr langer Zeit ausgesetzt waren.

Sie beschreiben die schwerwiegende Fehleinschätzung der Hamas, die unterschätzt hat, dass Israel von einer rechtsextremen Regierung geführt wird, die offen für die Vertreibung der Palästinenser eintritt und bereit ist, einen genozidalen Krieg zu führen. Wie hat dieser Kontext die Folgen des Angriffs vom 7. Oktober geprägt – und warum hat die Hamas das nicht berücksichtigt?

Wir sprechen hier von der extremsten Fraktion der israelischen Politik: Die gesamte israelische Regierung heute ist rechtsradikal. Schon vor dem 7. Oktober beschrieb der Holocaust-Historiker Daniel Blatman in der Ha’aretz Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich als Neonazis. Manche sind extremer als andere, aber letztlich teilen sie alle dasselbe Ziel: die Beseitigung der Palästinenser und die Errichtung eines Israel, das palästinenserfrei oder araberfrei vom Fluss bis zum Meer ist. Es ist zutiefst schockierend, dass Menschen, die sich auf das Vermächtnis der Holocaust-Opfer – der Opfer der nationalsozialistischen Bestrebung nach einem judenfreien Deutschland – berufen, nun das Ziel eines araberfreien Landes verfolgen.

Die Hamas ging vermutlich davon aus, dass die israelische Regierung angesichts der Massenproteste im Zusammenhang mit Netanjahus Korruptionsprozess schwach sei, und zählte auf die Unterstützung Irans. Sie erwartete, dass der Angriff einen breiteren palästinensischen Aufstand und einen regionalen Krieg mit der Hisbollah, Syrien und dem Iran auslösen würde. Doch dies war eine völlige Fehleinschätzung. Statt die israelische Gesellschaft zu spalten, einte der Angriff sie um ein einziges Ziel: die Vernichtung der Hamas. Das Ergebnis war ein überwältigender Konsens unter jüdischen Israelis für den Gaza-Krieg und die Wiederbesetzung des Gazastreifens. Aktuelle Umfragen zeigen sogar, dass die Mehrheit der jüdischen Israelis nun die Vertreibung der Bevölkerung aus Gaza befürwortet, wenn nicht sogar die Vertreibung der Palästinenser aus Palästina.

Wer dies nicht erkennt – und stattdessen behauptet, der Hamas-Angriff habe die »palästinensische Frage wieder auf den Tisch gebracht« – liegt schlicht falsch. Die palästinensische Frage ist in der Tat wieder präsent, doch nicht, um palästinensische Rechte zu bekräftigen. Sie ist wieder präsent, um einen Konsens darüber zu erzielen, wie die palästinensische Sache am besten liquidiert werden kann. Das ist kein Fortschritt für den palästinensischen Kampf – es ist ein massiver Rückschritt, eine ernsthafte Niederlage. Israel ist heute triumphaler denn je, seine regionale Macht größer denn je, und all dies mit voller Unterstützung der Vereinigten Staaten – einer Unterstützung, die von Joe Biden bis Donald Trump nicht nachgelassen, sondern sich nur verstärkt hat.

Sie erwähnten Daniel Blatmans Charakterisierung der israelischen Regierung und deren Beziehung zu faschistischen oder sogar neonazistischen Regimen. Können Sie erklären, warum Sie diesen Vergleich für zutreffend halten?

Nun, Liberale und Linke haben kein Problem damit, die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich als Neonazis zu bezeichnen. Im Vergleich zu Ben-Gvir und Smotrich wirken diese Parteien geradezu moderat.

Ben-Gvir und Smotrich bezeichnen die Palästinenser offen als Untermenschen – fast wörtlich. Sie fordern ausdrücklich ihre Vertreibung. Das entspricht dem Konzept von judenfrei: ein Land, Eretz Israel, wie sie es nennen, frei von Palästinensern. Sie wollen sie vertreiben. Sie sind offen rassistisch und glauben an Gewalt – an Machtpolitik, daran, ihre Ansichten mit Macht durchzusetzen.

»Westliche Regierungen lehnten über mehrere Monate hinweg aktiv Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand ab, und Washington tut dies bis heute. Damit haben sie den Krieg, den sich entfaltenden genozidalen Krieg, faktisch gebilligt.« 

Vergessen wir nicht: Zwischen 1933 und 1941 bedeutete judenfrei für die Nazis Vertreibung. Die Jahre der Vernichtung der europäischen Juden folgten später. Zuerst vertrieben die Nazis die deutschen Juden nach Palästina. Sie schlossen eine Vereinbarung mit der zionistischen Bewegung über die Überführung deutscher Juden dorthin. Palästina war der einzige Ort, an dem die Nazis den Juden, die Deutschland verließen, erlaubten, etwas Kapital mitzunehmen. Sie wollten nicht, dass die deutschen Juden nach Großbritannien oder in die Vereinigten Staaten gingen, wo sie anti-nazistische Lobbyarbeit unterstützt hätten. Sie wollten, dass sie nach Palästina gingen.

Smotrich und andere seinesgleichen – und das ist tragisch – sind Nachkommen von Menschen, die Opfer des Nazi-Genozids waren. Und dennoch können sie dieselben rechtsextremen Ansichten und Verhaltensweisen reproduzieren, die die Nazis auszeichneten. Aber so ist der Lauf der Geschichte. Ein Nachkomme von Opfern zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man ein Freiheitskämpfer wird.

Sie schreiben, dass angesichts der überwältigenden militärischen Überlegenheit Israels die einzig rationale Strategie für die Palästinenser ein massiver gewaltfreier Widerstand sei, wie dies bei der Ersten Intifada der Fall war, die eine tiefgreifende ethische und politische Krise innerhalb der israelischen Gesellschaft auslöste. Was waren Ihrer Ansicht nach die Fehler der Ersten Intifada? Warum hat diese Strategie bislang nicht zu dauerhaftem Erfolg für die Rechte der Palästinenser oder zur Beendigung der Besatzung geführt?

Nun, die Erste Intifada erreichte ihren Höhepunkt 1988, insbesondere in der ersten Hälfte dieses Jahres. Sie war eine basisorientierte Bewegung, organisiert über lokale Volkskomitees – eine echte Massenmobilisierung, an der sich auch Frauen in erheblichem Maße beteiligten. Menschen jeden Alters waren aktiv dabei. Die Bewegung erzeugte eine echte moralische Krise innerhalb der israelischen Gesellschaft und sogar innerhalb der israelischen Armee. Zudem löste sie beträchtliche internationale Sympathien für die palästinensische Sache aus.

Warum scheiterte sie also? Zunächst einmal, weil die israelische Repression extrem stark war. Aber noch wichtiger: Die PLO [Palästinensische Befreiungsorganisation] übernahm die Führung und kappte die Intifada. Yasser Arafat und die PLO schwenkten sie auf ihr eigenes Projekt ein, die Errichtung eines sogenannten palästinensischen Staates, was schließlich zu den Oslo-Abkommen von 1993 führte. Ein entscheidender Wendepunkt war die Verlagerung der Führung von den lokalen Strukturen in den besetzten Gebieten zur PLO-Führung in Tunis. Von dort begann sie, offizielle Erklärungen im Namen der Intifada über das Radio zu verbreiten, und setzte damit die Basisführung effektiv außer Kraft. Das war ein großer Rückschritt für die Autonomie und die Richtung der Bewegung.

Zweitens: Massenkämpfe gewinnen nicht auf Anhieb. Sie verlaufen in Wellen – jede Welle stärkt die Bewegung und schwächt nach und nach den Gegner. Es ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Wenn dein Feind militärisch viel stärker ist und bereit, zu töten, liegt es nicht in deinem Interesse, bewaffnete Angriffe zu starten – erst recht nicht, wenn dein Gegner durch die Vertreibung deines eigenen Volkes auf die Unterstützung der Mehrheit der Einwohner zählen kann. Wenn du es trotzdem tust, werden sie dich zerschlagen.

Aber wenn man sich auf einen Volkswiderstand einlässt, erlangt man moralische Überlegenheit und kann breitere Unterstützung gewinnen. In einem solchen Fall befindet sich der Gegner in einer schwierigeren Lage: Reagiert er, indem er friedliche Demonstranten massakriert, wird er weltweit verurteilt. Er verliert an Legitimität in den Augen der internationalen Öffentlichkeit. Israel ist in besonderem Maße auf die Unterstützung des Westens angewiesen – militärisch, politisch und diplomatisch. Deshalb ist die öffentliche Meinung im Westen für Israel relevant.

Zum Vergleich: Nehmen wir die schwarze Bevölkerung in den Vereinigten Staaten und in Südafrika. In Südafrika bildeten Schwarze die überwältigende Mehrheit, daher war es strategisch sinnvoll, dass sie neben dem Massenwiderstand auch zu bewaffnetem Widerstand gegen das Apartheid-Regime griffen.

Im Gegensatz dazu hatte die schwarze Bevölkerung in den Vereinigten Staaten als Minderheit keine Chance, mit Gewalt zu gewinnen. Die Bürgerrechtsbewegung, mit Persönlichkeiten wie Martin Luther King Jr., erzielte Erfolge durch gewaltlosen Massenwiderstand, der die Brutalität des Systems aufdeckte. Das spielte zweifellos eine viel größere Rolle für den Fortschritt des antirassistischen Kampfes als der bewaffnete Widerstand von Bewegungen wie den Black Panthers. Dieser Weg brachte wenig, weil er in eine Sackgasse führte. Man kann nicht mit Waffen gegen einen Gegner kämpfen, der einem weit überlegen ist. Das liefert dem Gegner nur einen Vorwand – eine Rechtfertigung – um mit exzessiver Gewalt zu reagieren. Dabei werden weitaus mehr Menschen getötet, als wenn man ausschließlich auf friedlichen Protest setzt.

»Dieser Moment markierte den letzten Nagel im Sarg der sogenannten regelbasierten liberalen Weltordnung. Diese Ordnung war schon immer eine Fiktion, doch niemals wurde diese Fiktion so offensichtlich entblößt wie jetzt.«

Es ist eine Frage der Strategie. Man muss seine Methoden den eigenen Möglichkeiten anpassen. Die Mittel, die man einsetzt, hängen von der eigenen Stärke und vom generellen Kräfteverhältnis ab. Der Glaube der Hamas, dass bewaffnete Gewalt Palästina befreien würde, war völlig illusionär. Und hier stehen wir nun. Egal, wie man es dreht und wendet, es ist eindeutig eine Katastrophe. Das Ergebnis dieser Ereignisse ist ein völliges Desaster. Dabei bedeutet die Anerkennung der katastrophalen Folgen des 7. Oktober in keiner Weise eine Rechtfertigung für den seither von Israel geführten völkermörderischen Krieg.

Im ersten Jahr des Völkermords taten die meisten westlichen Regierungen nicht einmal so, als würden sie Israels sogenanntes Recht auf Selbstverteidigung infrage stellen. Ich sage »sogenanntes«, weil es höchst fraglich ist, ob ein Besatzer ein Recht auf Selbstverteidigung gegen das legitime Recht der Besetzten hat, sich der Besatzung zu widersetzen. Die Zahl der Palästinenser, die durch Israel getötet wurden, überstieg sehr bald die Zahl der Israelis, die am 7. Oktober getötet wurden.

Aber sie gingen noch weiter: Westliche Regierungen – nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch die europäischen Mächte – lehnten über mehrere Monate hinweg aktiv Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand ab, und Washington tut dies bis heute. Damit haben sie den Krieg, den sich entfaltenden genozidalen Krieg, faktisch gebilligt. Wer einem Waffenstillstand widerspricht, befürwortet, dass der Krieg weitergeht. Das war ihre Position. Es ist eine beschämende historische Haltung.

Wie ich in meinem Buch darlege, markierte dieser Moment den letzten Nagel im Sarg der sogenannten regelbasierten liberalen Weltordnung. Diese Ordnung war schon immer eine Fiktion, doch niemals wurde diese Fiktion so offensichtlich entblößt wie jetzt. Die Doppelstandards sind offenkundig, was sich besonders deutlich im krassen Gegensatz zwischen der Reaktion westlicher Regierungen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine und ihrer Reaktion auf Israels Krieg gegen Gaza zeigt.

All dies hat enorme historische Auswirkungen. Es ebnete den Weg für den fortschreitenden Aufstieg des Neofaschismus weltweit. Die Haltung der Biden-Administration spielte eine wichtige Rolle bei der Niederlage der Demokraten und bereitete den Boden für Trumps Rückkehr ins Weiße Haus – diesmal mit einer noch deutlich klareren neofaschistischen Agenda.

Dies hat den Aufstieg der extremen Rechten weltweit weiter beflügelt, von Deutschland über Frankreich bis Spanien und darüber hinaus. Wir leben nun, wie ich vor einigen Monaten in einem Artikel schrieb, in dem, was ich das Zeitalter des Neofaschismus nenne. All dies hängt eng mit dem totalen Vertrauensverlust in den Liberalismus zusammen.

Deshalb wird der Genozid in Gaza und die Haltung der westlichen Regierungen dazu als historischer Wendepunkt in Erinnerung bleiben: als ein zentrales Ereignis, das den Zusammenbruch des westlichen beziehungsweise atlantischen Liberalismus offengelegt und vollendet hat.

Sie beschreiben den Zionismus als ein koloniales Projekt mit »genozidalen Tendenzen«. Gleichzeitig argumentieren Sie, dass die Freiheit der Palästinenser die Einbeziehung der jüdischen Israelis und eine Transformation der israelischen Gesellschaft erfordert. Wie soll diese Transformation angesichts der aktuellen politischen Realitäten stattfinden und welche konkreten Schritte wären notwendig, um Freiheit sowohl für Palästinenser als auch für Israelis zu erreichen?

Das klingt heute utopisch, aber wir müssen die historische Perspektive wahren. Nach der Ersten Intifada, von 1987 bis zur sogenannten Zweiten Intifada im Jahr 2000, verschob sich die öffentliche Meinung in Israel zugunsten von Frieden und einer Einigung mit den Palästinensern. Das war die Zeit der Oslo-Abkommen. Auch wenn diese Abkommen von Anfang an in eine Sackgasse führten, war die Stimmung in der israelischen Gesellschaft damals eine ganz andere.

Unter jüdisch-israelischen Intellektuellen gab es eine post-zionistische Bewegung, die darauf abzielte, den Zionismus zu überwinden und ein friedliches Zusammenleben zu erreichen. Doch ab dem Jahr 2000 kehrte sich dies um, nachdem Ariel Sharon, damals der rechteste der führenden Politiker Israels, die Ereignisse provozierte, die die Zweite Intifada auslösten, bei der die Arafat-Führung in die Falle des bewaffneten Kampfes tappte.

»Die richtige Lehre aus dem Holocaust besteht darin, ständig wachsam gegenüber allen Formen von Rassismus, Unterdrückung und aggressiver Machtpolitik wie Besatzung zu sein. Wichtig ist, dass diese Lehren konsequent und nicht selektiv angewendet werden.«

Die palästinensischen Sicherheitskräfte setzten die Leichtwaffen, die ihnen vom israelischen Staat überlassen worden waren, gegen israelische Truppen ein. Diese Falle ermöglichte es Sharon, die Wahl im Februar 2001 zu gewinnen. Er provozierte also im September 2000 die Auseinandersetzung, gewann die Wahl im Februar 2001 auf der Welle dieser Auseinandersetzung und startete den bis dahin heftigsten Angriff auf das Westjordanland seit 1967. Der heutige Krieg ist weitaus gewaltsamer, doch bereits der Krieg von 2002, den Sharons Regierung führte, war äußerst brutal.

Deshalb sage ich, dass es für die Unterdrückten wichtig ist, eine klare strategische Vision zu haben und Kampfmethoden zu wählen, die angemessen sind, anstatt solche, die in einer Katastrophe enden.

Sie beschreiben, wie extremistische, ultrarechte zionistische Gruppen, die einst marginalisiert und sogar von Israel und westlichen Staaten als terroristisch eingestuft wurden, durch Netanjahu Teil der israelischen Regierung geworden sind. Wie bewerten Sie die anhaltende militärische Unterstützung für eine Regierung, die diese ultrarechten Kräfte einschließt?

Als Trump zum ersten Mal gewählt wurde, brach er mit dem parteiübergreifenden Konsens, der die US-Politik seit 1967 geprägt hatte. Er unterstützte die Annexion der Golanhöhen – was zuvor keine vorherige Administration anerkannt hatte – und tat dasselbe mit Ostjerusalem. Er übernahm die israelische Perspektive vollständig.

Dann kam Biden. Während seines Wahlkampfes versprach er, Trumps Politik rückgängig zu machen. Doch er entpuppte sich als völliger Lügner. Er hat nichts rückgängig gemacht. Und als der 7. Oktober geschah, unterstützte er den genozidalen Krieg voll und ganz. Israel hätte diesen langen Krieg ohne die kontinuierliche Unterstützung der USA nicht führen können – und diese begann unter der Biden-Regierung. Es war Biden, der Israel massive 2.000-Pfund-Bomben zur Verfügung stellte.

Wenn man solche Bomben in einem dicht besiedelten Gebiet wie Gaza abwirft, handelt es sich eindeutig um eine genozidale Waffe. Man wird Tausende von Menschen töten, die meisten von ihnen Zivilisten, darunter Kinder. 40 Prozent der Opfer sind Kinder.

Selbst wenn man glauben würde, dass jedes einzelne männliche Opfer ein Hamas-Mitglied war – was offenkundig nicht der Wahrheit entspricht – bliebe dennoch, dass 70 Prozent der Opfer eindeutig Nichtkämpfer sind: Frauen und Kinder. Ich erwähne Frauen, weil Frauen in Gaza keine Kämpferinnen sind. Die Hamas rekrutiert keine Kämpferinnen. Somit ist nur eine Minderheit der Opfer Kämpfer. Die meisten von ihnen verstecken sich in den Tunneln, die die Hamas gebaut hat. Für Zivilisten gibt es solche Schutzräume nicht; sie bleiben an der Oberfläche, werden bombardiert und getötet, während die Kämpfer sich unterirdisch in Sicherheit bringen können.

Hier wird die enorme strafrechtliche Verantwortung der Biden-Administration deutlich – und sie wird natürlich von der zweiten Trump-Administration fortgeführt. Seit 1945 hat es andere Völkermorde gegeben, vor allem in Afrika. Aber dies ist der erste Völkermord, der von einem industriell hoch entwickelten Staat begangen und vom gesamten westlichen Block unterstützt wird. Deshalb ist dieser Völkermord ein so wichtiger historischer Wendepunkt.

Sie beschreiben die westliche bedingungslose Unterstützung Israels nach dem Anschlag vom 7. Oktober als eine Form von »narzisstischem Mitgefühl«, ähnlich der Reaktion des Westens nach dem 11. September, bei der Empathie vor allem gegenüber »Menschen wie uns« gezeigt wird. Wie beeinflusst dieses selektive Mitgefühl die öffentliche Wahrnehmung und die politischen Reaktionen auf das Leid der Palästinenser?

Es besteht eine Identifikation mit den Israelis als einem europäischen Volk, das als Teil des Westens im Orient gesehen wird. Theodor Herzl, der Gründer des modernen politischen Zionismus, schrieb in seinem Manifest Der Judenstaat, dass die Juden »eine Bastion der Zivilisation mitten in der Barbarei« errichten würden. Dies ist ein typischer kolonialer Diskurs – die Vorstellung, dass »wir« zivilisierte Europäer sind und die »anderen« Barbaren.

Diese Identifikation westlicher Staaten mit Israel wird auch dadurch verstärkt, dass Israel sich auf das Erbe des Holocaust beruft. Dies erlaubt es den westlichen Regierungen, Israel nahezu vorbehaltlos zu unterstützen, in der Annahme, dass sie, da sie in unterschiedlichem Maße für den Völkermord an den Juden im Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich waren, eine moralische Verpflichtung hätten, Israel zu unterstützen.

Diese Haltung erreicht ihren Höhepunkt bei der deutschen Regierung. Deutschland war der Haupttäter des Völkermords von 1941 bis 1945, aber die Art und Weise, wie das Land die Lehren aus der NS-Zeit und dem Holocaust interpretiert, ist völlig falsch. Wenn die Lehre lautet: »Weil unsere Vorgänger einen Völkermord an den Juden begangen haben, müssen wir jetzt einen sogenannten jüdischen Staat unterstützen, der einen Völkermord an einem anderen Volk begeht«, dann haben sie eindeutig die falschen Lehren gezogen. Dadurch wird das ideologische Klima der uneingeschränkten Gewalt, das den Nationalsozialismus hervorgebracht hat, wiederbelebt – wenn auch jetzt in einer neuen Form des Neofaschismus auf globaler Ebene.

»Die westliche extreme Rechte ist, trotz ihrer langen Geschichte des Antisemitismus, nun eine starke Unterstützerin Israels geworden, weil sie Israel als Verbündeten in ihrem Kampf gegen denselben Gegner begreift: Muslime.«

Die richtige Lehre aus dem Holocaust – sowohl dem Völkermord an den Juden als auch an anderen Opfern wie Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen und den Sinti und Roma – besteht darin, ständig wachsam gegenüber allen Formen von Rassismus, Unterdrückung und aggressiver Machtpolitik wie Besatzung zu sein. Wichtig ist, dass diese Lehren konsequent und nicht selektiv angewendet werden.

Sie wenden diese Werte gegen Wladimir Putin an wegen seiner Invasion in der Ukraine, doch dieselben Werte wenden sie nicht auf die israelische Regierung und ihre rechtsextreme Führung an. Das ist ein enormer Widerspruch. Über das moralische Problem hinaus, das erheblich ist, handeln die westlichen Regierungen extrem kurzsichtig. Selbst aus der Perspektive ihrer eigenen Interessen agieren sie kurzsichtig, weil sie zur globalen Destabilisierung beitragen. Sie schaffen Gewaltbedingungen, die sich unweigerlich nach Europa und sogar in die Vereinigten Staaten ausbreiten werden.

Schauen Sie sich die Gewalt der 1990er Jahre an – den Irakkrieg, das Embargo gegen den Irak, die anhaltenden Bombardierungen: All diese Gewalt kehrte sich letztlich gegen die westlichen Länder und ihre Verbündeten und gipfelte in Tragödien wie dem 11. September. Wer denkt, dass das, was heute in Gaza passiert, keine ernsthaften zukünftigen Konsequenzen haben wird, irrt sich.

Sie argumentieren, dass das Konzept des »neuen Antisemitismus«, das allgemein Muslimen und deren Verteidigern zugeschrieben wird, dazu dient, die europäische und amerikanische extreme Rechte von ihrem eigenen Antisemitismus freizusprechen, wodurch eine gefährliche Allianz entsteht, die auf Islamophobie basiert. Wie hat diese Dynamik die westlichen Reaktionen auf das palästinensische Leid beeinflusst, und welche weiterreichenden Folgen hat diese von Ihnen beschriebene »rassische Doppelmoral«?

Die extreme Rechte, insbesondere in Europa und den USA, beschuldigt Bewegungen wie Black Lives Matter oft des anti-weißen Rassismus. Dieselbe Logik wenden europäische Regierungen an, wenn sie muslimische Bevölkerungsgruppen per se als antisemitisch brandmarken, nur weil sie die Palästinenser gegen die israelische Regierung unterstützen. Einige mögen antisemitische Ansichten haben, die meisten jedoch nicht.

Die Tatsache ist, dass die heutige extreme Rechte – wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich – alle darin überbietet, pro-israelisch zu sein. Marine Le Pen in Frankreich tut dasselbe. Diese westliche extreme Rechte ist, trotz ihrer langen Geschichte des Antisemitismus, nun eine starke Unterstützerin Israels geworden, weil sie Israel als Verbündeten in ihrem Kampf gegen denselben Gegner begreift: Muslime.

Die gegenwärtige Allianz neofaschistischer Kräfte basiert auf der neuen dominanten Form des Rassismus im Westen: der Islamophobie. Anstatt anzuerkennen, dass Antisemitismus noch immer vor allem innerhalb dieser rechtsextremen Traditionen existiert, ignorieren Israels Unterstützer deren antisemitische Wurzeln. Sie unterdrücken die Palästina-Solidaritätsbewegung hemmungslos.

In Großbritannien, wo ich lebe, hat die Regierung von Keir Starmer beschlossen, eine Gruppe als »terroristisch« zu verbieten, deren jüngste Aktion darin bestand, rote Farbe auf Kampfflugzeuge der Royal Air Force zu werfen. Diese Aktion zielte darauf ab, auf die Rolle Großbritanniens im Krieg gegen Gaza aufmerksam zu machen, indem das Land Israel mit militärischer Ausrüstung versorgt. Es ist empörend, dies als Terrorismus zu bezeichnen. Viele Verteidiger der Bürgerrechte haben gegen diese Entscheidung protestiert, denn wenn man anfängt, alles als Terrorismus zu bezeichnen, wird der Weg zur Zerstörung politischer Freiheiten geebnet.

Wenn die rechtsradikale Partei von Nigel Farage, Reform UK, eine Wahl gewinnen sollte – was inzwischen nicht mehr unmöglich erscheint – könnte sie ein solches Gesetz nutzen, um die politischen Freiheiten weiter einzuschränken. Die sogenannten liberalen westlichen Regierungen spielen also ein sehr gefährliches Spiel, das sich wahrscheinlich sogar gegen sie selbst wenden wird.

Sie haben schon lange vorhergesehen, dass Israel den Iran in eine Konfrontation hineinziehen könnte, die eine gemeinsame US‑israelische Offensive unvermeidlich machen würde, besonders unter Trump. Wie interpretieren Sie die Rolle des Iran in der aktuellen Eskalation, und was sagt Ihre frühere Vorhersage über die strategische Kalkulation von Israel und den Vereinigten Staaten aus?

Das theokratische Regime im Iran hat die Palästina-Frage als zentrales ideologisches Instrument genutzt, um seinen Einfluss in arabischen Ländern auszubauen. Um die Gräben zwischen Persern und Arabern sowie zwischen Schiiten und Sunniten zu überbrücken, stützte es sich stark auf die Palästina-Frage. Sie war von Anfang an eine entscheidende ideologische Karte für das Regime.

Teheran unterstützte daher anti-israelische arabische Kräfte – allen voran die Hisbollah, die einen echten Kampf gegen Israels Besatzung des Libanon führte. Die Hisbollah wurde unter iranischer Schirmherrschaft nach Israels Invasion 1982 gegründet und führte eine lange Kampagne gegen diese Besatzung, wodurch sie den Status eines zentralen Verbündeten Irans erlangte.

Der Iran nutzte die US-Besatzung des Irak. Wie allgemein bekannt ist, war der Iran der Hauptprofiteur der US-Invasion und hat heute mehr Einfluss im Irak als die Vereinigten Staaten. Anschließend intervenierte er in Syrien, um das despotische Regime von Baschar al-Assad gegen den Volksaufstand von 2011 zu unterstützen, und das half ihm, seinen Einfluss weiter auszudehnen.

»Die Vereinigten Staaten lehnen das iranische Regime nicht in erster Linie wegen seiner Ideologie ab, sondern wegen der geopolitischen Bedrohung, die es darstellt.«

Dies ermöglichte es dem Iran, einen Machtkorridor durch die arabische Region zu schaffen, verbunden mit dem Jemen, wo die Huthi 2014 die Kontrolle über den Norden des Landes übernahmen und einen Bürgerkrieg auslösten.

Der Iran hat sich also ein Netz direkter Einflussnahme in der gesamten Region aufgebaut, in der Annahme, dass ihm dies starken Schutz bieten würde. Stattdessen ließ dies Israel den Iran als noch größere Bedrohung ansehen, insbesondere als der Iran begann, sein Atomprogramm zu entwickeln. Dies wurde zu einer Obsession Israels, unterstützt von Washington.

Nachdem Trump 2018 aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen war, steigerte der Iran seine Urananreicherung erheblich auf 60 Prozent. Dieses Niveau geht eindeutig über das hinaus, was für friedliche Zwecke nötig ist, liegt jedoch unter dem, was für militärische Nutzung erforderlich wäre. Irans Behauptung, keine Absicht zum Bau von Atomwaffen zu haben, widersprach also diesem Anreicherungsgrad. Diese widersprüchliche Haltung schlug fehl und war meines Erachtens eine weitere gravierende Fehleinschätzung.

Israel nutzte dann die durch die Ereignisse vom 7. Oktober geschaffene Gelegenheit, um zunächst die Hisbollah zu zerschlagen und anschließend mit US-Unterstützung einen umfassenden Angriff auf den Iran zu starten. Dazwischen brach das Assad-Regime zusammen.

All dies ist also ein schwerer Schlag für den Iran gewesen. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Israel betrachten den Iran als einen Hauptfeind, Israel, weil der Iran sich offen als Israels entschiedenster Gegner erklärt, und die Vereinigten Staaten, weil sie den Iran als Bedrohung für ihre Interessen im Golfraum ansehen.

Beide Male, als Trump gewählt wurde, führte ihn sein erster Auslandsbesuch in die Monarchien des arabischen Golfs, und bei seinem letzten Besuch führte er Gespräche über Multi-Milliarden-Dollar-Geschäfte. Unabhängig davon, was sie sagen – oft heuchlerisch – sind die Golfmonarchien, obwohl sie Israels Angriffe auf den Iran kritisieren, tatsächlich recht zufrieden, weil sie den Iran viel mehr fürchten als Israel.

Das ist der Punkt: Die Vereinigten Staaten lehnen das iranische Regime nicht in erster Linie wegen seiner Ideologie ab – die saudische Monarchie ist noch repressiver –, sondern wegen der geopolitischen Bedrohung, die es darstellt.

Angesichts der aktuellen Situation in Gaza und im Westjordanland und der Tatsache, dass die israelische Regierung das verfolgt, was Sie als Politik der ethnischen Säuberung beschreiben, welche Zukunft bleibt dem palästinensischen Volk?

Der Grund, warum die rechtsextreme israelische Regierung bisher keine vollständige Vertreibung der Palästinenser durchgeführt hatte, lag darin, dass sie wusste, dass dies internationale Verurteilung hervorrufen und vermutlich blockiert werden würde. Der 7. Oktober bot ihnen jedoch eine Gelegenheit, um dieses Vorhaben mit voller Gewalt und extremer Brutalität in Gaza umzusetzen, in Form eines inzwischen genozidalen Krieges.

Sie können die palästinensische Bevölkerung aus Gaza noch nicht vertreiben, weil dies ein grünes Licht der Vereinigten Staaten erfordert. Selbst unter einer Trump-Regierung wäre dies durch Washingtons Beziehungen zu den Golfstaaten kompliziert. Die Golfstaaten fürchten die hochgradig destabilisierende Wirkung einer solchen Vertreibung. Gleichzeitig bleiben sie insbesondere angesichts ihres Ölaufkommens und Reichtums nicht nur geopolitisch, sondern auch für Trumps persönliche und familiäre Geschäftsinteressen von zentraler Bedeutung.

»Natürlich wäre dies keine Befreiung. Es wäre lediglich eine neue Art, das Freiluftgefängnis zu organisieren, in dem die Palästinenser seit 1967 eingesperrt sind.«

Den Palästinensern drohen nun zwei düstere Szenarien: An einem Ende steht die Aussicht auf eine vollständige ethnische Säuberung – ihre massenhafte Vertreibung und die zweite große Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Land seit 1948. Während eine begrenztere Vertreibung aus dem Westjordanland 1967 stattfand, steht nun die Vertreibung der meisten Palästinenser sowohl aus Gaza als auch aus dem Westjordanland auf dem Spiel.

Am anderen Ende – ein zutiefst besorgniserregendes Szenario, das von einigen jedoch als das »geringere Übel« betrachtet wird – steht die Schaffung eines Schein-Palästinenserstaates, bestehend aus isolierten Enklaven im Westjordanland und in Gaza. Der übrige Teil des Landes würde von Israel annektiert und mit Siedlern sowie militärischen Kräften besetzt. Darüber wird bereits diskutiert: Der Trump-Administration und Netanjahu zufolge verhandeln sie angeblich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem saudischen Königreich und Ägypten über ein Abkommen, das vorsieht, dass diese Länder die Bevölkerung Gazas vorübergehend verwalten würden, bis ein palästinensischer Stellvertreter Israels in der Lage ist, sie abzulösen.

Natürlich wäre dies keine Befreiung. Es wäre lediglich eine neue Art, das Freiluftgefängnis zu organisieren, in dem die Palästinenser seit 1967 eingesperrt sind – ein Gefängnis, geprägt von der Besatzung, nun so umgestaltet, dass es wie eine »politische Lösung« aussieht, während die zentralen Strukturen der Unterdrückung verschärft werden.

Eine gekürzte Fassung dieses Interviews erschien zuerst in nd.

Gilbert Achcar ist emeritierter Professor an der SOAS, University of London. Seine jüngsten Bücher sind The New Cold War: The United States, Russia and China from Kosovo to Ukraine und Gaza Catastrophe: The Genocide in World-Historical Perspective.