24. Januar 2024
Die GDL bestreikt erneut die Bahn, fordert kürzere Arbeitszeiten und bessere Löhne. Friedrich Merz dagegen wünscht sich mehr Arbeitseinsatz, weniger Streikrecht und Bahnprivatisierung. Nicht die Streiks, sondern Politiker wie er bedrohen unseren Wohlstand.
Friedrich Merz trinkt einen Schluck Wasser.
Schon wieder streikt die Bahn – und zwar satte sechs Tage lang. Die Reaktionen aus der Bundespolitik sind so erwartbar wie nervtötend: FDP-Verkehrsminister Wissing sagt, er habe »null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung«, und schlägt damit in dieselbe Kerbe wie der Oppositionsführer Friedrich Merz, der schon vor zwei Wochen moserte, dass die »Maximalforderungen« der GDL inakzeptabel seien. Weiter führte er aus: »Dieses Land braucht nicht Arbeitszeitverkürzungen, sondern wir benötigen mehr Anstrengung.« Auch sei es laut Merz nicht akzeptabel, »dass eine Spartengewerkschaft wie die GDL ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn lahmlegt«.
Dieses Statement ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Erstens, weil Merz den Streikenden vorwirft, sie würden ihre Interessen über die des Landes zu stellen. Dabei braucht doch Deutschland jetzt angeblich viel mehr Arbeit. Also sollen die Streikenden gefälligst ihre Interessen zurückstellen und nicht für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation kämpfen.
Da ruft jemand aus dem Privatjet der Erwerbsbevölkerung zu, sie solle mehr fürs Vaterland schuften und buckeln – und niemand findet das lächerlich? Man könnte ja auch fragen: Warum sollten die Bahner eigentlich das Interesse des Landes zu ihrem eigenen machen? Tun das die Bahnchefs, wenn sie sich jedes Jahr neue Rekordboni auszahlen, obwohl es Rekorde sonst nur bei Unpünktlichkeit gibt?
»Während andere Gewerkschaften oftmals schon nach ein oder zwei Streikrunden einknicken und am Verhandlungstisch einer Einigung zustimmen, die niemanden befriedigt, bleibt die GDL hart.«
Die Aussage von Merz ist aber noch aus einer zweiten Perspektive interessant: Er will nämlich Veränderungen des Tarifrechts, damit nicht weiterhin »eine Spartengewerkschaft [...] die Deutsche Bahn lahmlegt«. Heißt: Er möchte das ohnehin schon recht strenge deutsche Streikrecht – Generalstreiks oder politische Streiks sind beispielsweise generell verboten – nun weiter verengen, um dem Arbeitskampf Einhalt zu gebieten.
Es geht hier aber eigentlich um viel mehr als um die GDL: Diese Gewerkschaft ist für Politiker wie Merz vor allem deshalb so gefährlich, weil sie eine besondere Militanz beweist. Während andere Gewerkschaften – und auch ihre Mitglieder – oftmals schon nach ein oder zwei Streikrunden einknicken und am Verhandlungstisch einer Einigung zustimmen, die niemanden befriedigt, bleibt die GDL hart und ist bereit, das gesamte Land lahmzulegen. Vielleicht sind auch deshalb so viele Deutsche sauer auf Claus Weselsky. Nicht nur, dass die Bahn nicht fährt: Sie bekommen außerdem vorgeführt, wie schlecht sie ihr eigenes Interesse gegenüber dem Kapital vertreten.
Noch eine abschließende Bemerkung zu Friedrich Merz: Bereits vor zweieinhalb Jahren, als die GDL streikte, schimpfte Merz im Focus auf die Bahner – und hatte eine besondere Drohung parat. Wenn die GDL sich nicht einsichtig zeige, werde man über neue Organisationsformen der Bahn nachdenken müssen, etwa mit »Schienennetz in öffentlicher Hand und Wettbewerb privater Anbieter auf dem Netz«.
Für Politiker wie Merz sollen also erstens die Streikrechte beschnitten und zweitens Bahnprivatisierungen forciert werden, während die Kosten für die Infrastruktur weiterhin beim Staat liegen. Wer da ernsthaft die GDL für gefährlich hält und nicht etwa Politiker wie Friedrich Merz, die tatsächlich den Wohlstand der allermeisten Menschen bedrohen, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.