28. September 2025
Die GKN-Besetzung bei Florenz hat mit ihrer Vision einer demokratischen und ökologischen Konversion einer stillgelegten Autofabrik weit über Italien hinaus Arbeiter und Linke inspiriert. Jetzt haben die Beschäftigten einen wichtigen Etappensieg errungen.
Beschäftigte und Unterstützer des besetzten GKN-Werks demonstrieren in Florenz.
»Occupiamola, fino a che ce ne sarà« – besetzen wir sie, solange es sie gibt. Seit mehr als vier Jahren werden diese Worte auf jeder Demonstration und jeder Versammlung rund um das Collettivo di Fabbrica GKN bei Florenz gesungen. Sie sind der gesamten radikalen Linken Italiens – und darüber hinaus – vertraut und entspringen der mittlerweile längsten Fabrikbesetzung der italienischen Geschichte.
Am 9. Juli 2021 wurden 422 Arbeiterinnen und Arbeiter, die im GKN-Werk Achswellen für PKW und Nutzfahrzeuge herstellten (größtenteils im Auftrag von Stellantis), per E-Mail entlassen. Zwei Monate später wurden die Entlassungen vom Gericht in Florenz für rechtswidrig erklärt, weil sie die Informations- und Konsultationspflichten gegenüber den Gewerkschaftsvertretern verletzten. Seither besetzen die Arbeiterinnen und Arbeiter das Werk.
In 8-Stunden-Schichten bewachen sie die Fabrik Tag und Nacht. Dabei geht es ihnen aber nicht nur um den Schutz ihrer eigenen Jobs. Sie kämpfen für die Aufrechterhaltung hochwertiger Arbeitsplätze mit einem hohen Maß an Rechten – in einer Region, die zunehmend von Schließungen und Verlagerungen in Länder mit niedrigeren Löhnen und sehr niedrigen Rechtsstandards betroffen ist. Und sie kämpfen für eine alternative ökologische Produktion.
Der Fall hat europaweit Aufmerksamkeit erregt, da die Arbeiter zeigten, dass demokratische Konversion – eine ökologische Umstellung der Produktion durch die Belegschaft selbst – nicht nur in ökomarxistischen Theorien, sondern auch praktisch durchführbar ist. Zahlreiche gewerkschaftliche Delegationen, Klimaaktivisten und Kulturschaffende reisten nach Campi Bisenzio, um sich für die Abwehrkämpfe in ihren eigenen Regionen inspirieren zu lassen. Der Kampf von GKN stellt einen absoluten Ausnahmefall dar. In ganz Europa stimmen Gewerkschaften derzeit meist mit mehr oder weniger guten Konditionen der Abwicklung ihrer Werke oder Arbeitsplatzabbau zu oder nehmen eine Konversion in Richtung militärischer Produktion hin.
»Der inzwischen vier Jahre andauernde selbstorganisierte Prozess hat eine Annäherung zwischen dem Fabrikkollektiv und anderen Teilen der Arbeiterbewegung und der italienischen Umweltbewegung befördert.«
Im Oktober 2023 versuchte der Eigentümer, Melrose Investmentfonds, erneut, die Beschäftigten zu entlassen. Wieder hob das Gericht von Florenz die Kündigungen auf. Zum 1. April 2025 wurden jedoch wirksame Kündigungen für die verbliebenen 120 Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesprochen. Diese besetzen das Werk jedoch trotz anderthalb Jahren unbezahlter Löhne und der Androhung einer Grundstücksräumung aufgrund des Insolvenzverfahrens des Eigentümers QF bis heute. Viele der Dabeigebliebenen haben einen anderen – meist prekären – Job angefangen, andere leben vonArbeitslosengeld und ihren Ersparnissen und absolvieren parallel Schichten in der besetzten Fabrik.
Das Fabrikkollektiv hofft weiterhin, dass es die Arbeit in der Fabrik bald wieder aufnehmen kann – in Form einer Genossenschaft. Die Unternehmerseite setzt aber nach wie vor darauf, sie loszuwerden.
Das Eigentum ist bis dato auf drei Unternehmen aufgeteilt: QF, der tatsächliche Eigentümer des Unternehmens, und zwei von ihm kontrollierte Unternehmen, auf die das Werk übertragen wurde. Alle drei Unternehmen sind auf Francesco Borgomeo, einen Berater vom Finanzfonds Melrose, zurückzuführen. Nachdem der britische Fonds gemäß seinem Motto »buy, improve, sell« (kaufen, verbessern, verkaufen) die Schließung des italienischen Werks beschlossen hatte, übertrug er es im Dezember 2021 an Borgomeo selbst, und zwar zu einem nie bekannt gewordenen Preis.
Mittlerweile haben sich die Befürchtungen der Belegschaft vielfach bestätigt: Der römische Unternehmer, der sicherlich nicht für seine industriellen Erfolge bekannt ist, fungierte lediglich als Vermittler, um die Verlagerung zu vollenden. Sein mehrfach versprochener Industrieplan ist nie gekommen. Auch die Umbenennung des Unternehmens in Quattro F (Vier F, die so viel wie »Vertrauen in die Zukunft der Fabrik in Florenz« bedeuten sollen) wurde nie durch etwas Konkretes untermauert. Bis heute sind die einzigen Industriepläne, die es gibt, diejenigen, die von den Arbeitern gemeinsam mit solidarischen Ingenieurinnen, Juristen und Ökonominnen ausgearbeitet wurden.
Der erste Plan, der den Aufbau eines öffentlichen Zentrums für nachhaltige Mobilität zusammen mit anderen Unternehmen vorsah, und in dem das Werk in Florenz hauptsächlich Achsen für Wasserstoffbusse produzieren sollte, wurde aufgrund des Unwillens der italienischen Regierung aufgegeben. Er basierte nämlich auf einer immensen öffentlichen Investition in das Werk. Der Plan, der derzeit umgesetzt werden soll, umfasst sowohl die Herstellung von Photovoltaikmodulen als auch das Recycling ausgedienter Module sowie eine Produktionslinie für Lastenfahrräder (die in Italien noch wenig verbreitet sind) für eine kollektive Mobilität und eine nachhaltige Logistik der letzten Meile. Er wurde Anfang 2023 entwickelt und würde über 100 Menschen beschäftigen, wobei die Bedingungen des Tarifvertrags für Metallarbeiter, die sie vor ihrer Entlassung genossen, weiterhin gelten würden.
Die Pläne entsprangen den Ideen der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst sowie ihrem Wissen über sinnvolle Produktionsalternativen in ihrem Werk und ihrer Region. Solidarische Wissenschaftler konkretisierten die Ideen in stetigem Austausch mit dem Fabrikkollektiv durch ihre ökonomischen, ingenieurtechnischen oder historischen Kenntnisse.
»Was heute widerlegt werden muss, ist die tief verwurzelte Überzeugung, dass die öffentliche Politik die wirtschaftlichen Prozesse innerhalb der nationalen und regionalen Grenzen nicht beeinflussen kann oder darf.«
Der inzwischen vier Jahre andauernde selbstorganisierte Prozess demokratischer Konversion hat darüber hinaus eine Annäherung zwischen dem Fabrikkollektiv und anderen Teilen der Arbeiterbewegung und der italienischen Umweltbewegung befördert. Insbesondere mit Fridays For Future Italia wurden wirkmächtige gemeinsame Aktionen organisiert, zum Beispiel eine Demonstration 2022 in Florenz, an der 30.000 Menschen teilnahmen.
Die geplante ökologische Reindustrialisierung würde durch die von den Arbeiterinnen und Arbeitern gegründete Genossenschaft GFF (GKN For Future) angeleitet werden. Das notwendige Kapital für einen Start der Produktion stünde dem Fabrikkollektiv voraussichtlich zur Verfügung: Gemeinnützige Banken und andere größere Organisationen wollen das Projekt finanziell unterstützen. Zudem wurden im Rahmen einer Shareholder-Kampagne 1,5 Millionen Euro in Form von Interessenbekundungen für Genossenschaftsanteile in der italienischen Bevölkerung und darüber hinaus gesammelt. Mehr als 100.000 Euro kommen dabei von deutschen Unterstützern. Es bleibt jedoch das Problem des Werks, das für die Genossenschaft aufgrund seiner Kosten, seiner Größe und seiner Eigentumsverhältnisse bis auf weiteres unzugänglich ist.
Auch um dieses Problem zu lösen, wandte sich das Fabrikkollektiv an solidarische Expertinnen. Gemeinsam mit Juristen, Lokalpolitikern und Verwaltungspersonal wurde ein regionales Gesetz geschrieben, das die Gründung öffentlicher Konsortien zum Zweck industrieller Entwicklung regelt. Das Gesetz wurde im Dezember 2024 vom Regionalparlament der Toskana nach intensiven Mobilisierungen der Arbeiterschaft beschlossen. Demonstrationen und sogar ein Hungerstreik von drei Arbeitern im Juni 2024 drängten das Regionalparlament dazu, den Gesetzesentwurf zu diskutieren.
So gibt es jetzt einen Rechtsrahmen für die Gründung öffentlicher Konsortien, deren Ziel es ist, Reindustrialisierung zu fördern und zu begleiten. An den Industriekonsortien können neben der Region selbst auch Gemeinden, Provinzen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, Handelskammern und andere öffentliche Einrichtungen und Körperschaften beteiligt sein. Ihre Hauptaufgabe, insbesondere im Fall von GKN, besteht darin, die Reindustrialisierung des Standorts wirtschaftlich tragfähig zu machen, indem sie das Werk erwerben und es in verschiedenen verfügbaren Rechtsformen der Arbeitnehmergenossenschaft (aber auch anderen interessierten privaten Akteuren) zur Verfügung stellen.
Dabei könnten auch die Immobilienspekulationsprojekte eingedämmt werden, die offensichtlich auf dem Industriestandort stattfinden und seit langem vom Fabrikkollektiv angeprangert werden. Bei dem Gelände handelt sich nämlich um 80.000 Quadratmeter in unmittelbarer Nähe der A1, der Autobahn, die Mailand über Florenz und Rom mit Neapel verbindet und vor allem für die Logistikbranche attraktiv ist. Die Konsortien können die auf dem Gebiet zu errichtenden Anlagen für »öffentlich nutzbar« erklären und zu diesem Zweck den zuständigen Behörden Enteignungsmaßnahmen vorschlagen. Dass diese Befugnisse dann auch konkret ausgeübt werden können, steht wohlaußer Frage. »Mit dem neuen Regionalgesetz ist es Zeit zu handeln, wir sind auch bereit zu enteignen«, erklärte Lorenzo Tagliaferri, Bürgermeister von Campi Bisenzio, der Gemeinde, in der sich das Werk befindet, bereits am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 2024.
Dieses Gesetz ist etwas Besonderes: ein Rechtsinstrument, das aus einem Arbeitskampf hervorgegangen ist, aber auch für zukünftige Industriekrisen zur Verfügung steht – und zudem ein Beispiel für andere Regionen sein kann. Man denke nur an Turin – den ehemaligen Sitz von Fiat, das »Wolfsburg Italiens« –, das von Deindustrialisierung und den Herausforderungen des ökologischen Wandels betroffen ist.
Matteo Amatori und Benedetta Celati, zwei der an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligten Wissenschaftler, schrieben bezüglich der Tragweite dieses Projekts: »Was heute widerlegt werden muss, ist die tief verwurzelte Überzeugung, dass die öffentliche Politik die wirtschaftlichen Prozesse innerhalb der nationalen und regionalen Grenzen nicht beeinflussen kann oder darf. In den letzten Jahren haben wir hilflos miterlebt, wie sich die institutionelle Politik zunehmend aus der Verantwortung für Industriekrisen, Standortverlagerungen und Spekulationen mit Produktionsstätten im Inland zurückgezogen hat. … Die zahlreichen und großzügigen wirtschaftlichen Hilfen, die den Unternehmen in den letzten dreißig Jahren gewährt wurden, waren völlig planlos: Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie keinen Einfluss auf die Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen (Lohn, Verträge, Organisation), den sozialen Nutzen und die ökologische Verträglichkeit der Produkte hatten. Vor allem fehlte es in diesen Jahren an einer umfassenden und ganzheitlichen Vision in Bezug auf die Planung, die in der Lage gewesen wäre, industrielle Krisen vorherzusehen oder zumindest wirksam darauf zu reagieren.«
»Angesichts der Krise verschiedener Industriezweige, allen voran der Automobilindustrie, verfolgen nationale Regierungen und die EU heute das Projekt, die überschüssigen Produktionskapazitäten für die Rüstungsindustrie zu nutzen.«
Das lang ersehnte Konsortium wurde am 28. Juli 2025 offiziell gegründet. An ihm beteiligt sind die Region Toskana (mit 70 Prozent der Anteile), die Stadt Florenz (10 Prozent) und die Gemeinden Sesto Fiorentino, Campi Bisenzio und Calenzano (mit zusammen 20 Prozent). Das Anfangskapital beträgt 315.000 Euro. »In einer Welt von Finanzfonds und Immobilienrenditen ermöglicht das öffentliche Industriekonsortium den lokalen Institutionen, in ehemaligen Industriegebieten zu intervenieren, sie zu schützen und sie mit einer Vision der öffentlichen Industriepolitik wiederzubeleben«, kommentierte das Fabrikkollektiv.
Zugleich fordert es jedoch die Institutionen auf, das Tempo zu erhöhen, da die Arbeiter, die derzeit noch Arbeitslosengeld nach ihrer Entlassung beziehen, zunehmend erschöpft sind. Vor allem besteht die Befürchtung, dass das Konsortium selbst und die Möglichkeit, es zu finanzieren und zu unterstützen, in den Wahlkampf für die Regionalwahlen im Oktober hineingezogen werden, was die Umsetzung des Industrieplans noch weiter verzögern würde. Der Kampf der Arbeiter der ehemaligen GKN befindet sich also auf einem schmalen Grat zwischen Sieg und Niederlage.
Wobei es eine komplette Niederlage schon nicht mehr geben kann: Einerseits kann der Reindustrialisierungsplan, sollte seine Umsetzung innerhalb des alten Werks durch das Konsortium nicht möglich sein, immer noch an einem anderen Ort umgesetzt werden. Dadurch wären die Arbeitsplätze der verbliebenen Arbeiterinnen und Arbeiter gesichert und das Projekt einer Produktion für die Verkehrs- und Energiewende könnte weiterverfolgt werden. Dazu kommt das soziale Vermächtnis des Kampfes selbst, der in den letzten vier Jahren tausende Menschen in Italien und darüber hinaus inspiriert und Belegschaften und soziale Bewegungen miteinander in Kontakt gebracht hat. Er hat Instrumente (real-utopische Konversionspläne, radikaldemokratische Volksabstimmungen, Arbeiterliteraturfestivals auf dem Fabrikgelände, ein Konsortiengesetz mit Enteignungsmöglichkeiten und so weiter) hervorgebracht, die weitere Kämpfe für eine demokratische und ökologische Konversion der Produktion inspirieren können.
So haben baskische Gewerkschafter bereits auf Grundlage der Erfahrung des Fabrikkollektivs von GKN Campi Bisenzio Pläne alternativer Produktion für den von der Schließung bedrohten Autozulieferer Mecaner geschrieben. Und auch bei VW Osnabrück wird derzeit von Gewerkschaftern, Klimaaktivisten und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren über eine offensive Mobilisierung für ein nachhaltiges Transformationsprojekt anstelle einer militärischen Produktion im Werk mobilisiert.
Angesichts der Krise verschiedener Industriezweige, allen voran der Automobilindustrie, verfolgen nationale Regierungen und die EU heute das Projekt, die überschüssigen Produktionskapazitäten für die Rüstungsindustrie zu nutzen – wobei Deutschland eine Vorreiterrolle einnimmt. In dieser historischen Phase wäre ein Erfolg des Kampfes der GKN-Arbeiter ein hoffnungsvolles Zeichen. Um deren Ziele zu verallgemeinern, wäre natürlich zumindest die Unterstützung der Gewerkschaftsverbände und der wichtigsten linken Parteien erforderlich – ein Beitrag, der bisher allzu oft schmerzlich gefehlt hat.
Die Militarisierung der Wirtschaft findet auch in der Region des ehemaligen GKN-Werks statt: Kürzlich wurde bekannt, dass eine Fabrik des türkischen multinationalen Konzerns Beko, die in der Provinz Siena in der Toskana Haushaltsgeräte herstellt und deren Schließung für Ende dieses Jahres angekündigt wurde, wahrscheinlich auf Waffenproduktion umgestellt wird.
Das Fabrikkollektiv und seine Verbündeten hatten gehofft, dass dieses Werk einen ähnlichen Weg wie die Arbeiterinnen und Arbeiter von GKN einschlagen würde. Stattdessen gab es die Nachricht, dass Leonardo, der größte italienische Waffenproduzent, an dem der Staat beteiligt ist und das er kontrolliert, den Standort übernehmen könnte. Und zu allem Überfluss wurde diese Nachricht von den wichtigsten Gewerkschaften positiv aufgenommen. Kanonen statt Busse, Munition statt Photovoltaikmodule – das ist die andere, militärische Konversion, die wir bekommen, wenn GKN nicht Schule macht.
Ob GKN for Future tatsächlich in den alten Fabrikhallen zu produzieren beginnt und somit die sozial integrierte Fabrik ein Ort bleibt, an dem sich Gewerkschafter und Klimabewegte treffen können, um ihre Strategien weiterzudiskutieren, oder ob die »Fabrik der Träume« bald nur noch eine schöne Erinnerung darstellt, ist derzeit offen. Das Fabrikkollektiv bleibt noch bei dem Prinzip Hoffnung, das es immer angetrieben hat: »Es schien unmöglich, dass das Konsortium zustande kommen würde, jetzt scheint es unmöglich, dass es rechtzeitig handeln kann. Wir sind hier, um das Unmögliche möglich zu machen.« Und es erklärt sich erneut bereit, zu mobilisieren. »Fino a che ce ne sarà« – solange es noch etwas zu tun gibt.
Giorgio De Girolamo ist Doktorand im Bereich Arbeitsrecht an der Universität Trient. Er ist außerdem Aktivist in sozialen Bewegungen, insbesondere der Klimabewegung, in der Toskana.