23. Januar 2021
Die USA steigen unter Präsident Biden wieder ins Pariser Klimaabkommen ein. Ein Grund zur Hoffnung? Wohl kaum.
Joe Biden unterzeichnet am 19. Januar 2021 das Gesetz, mit dem die USA wieder in das Pariser Klimaabkommen einsteigt.
Als Australien vor einem Jahr mit einer noch nie dagewesenen Waldbrandkatastrophe konfrontiert war und die US-Regierung unter Donald Trump ihre schriftliche Austrittserklärung aus dem Pariser Klimaabkommen einreichte, sah es für die internationale Klimapolitik düster aus. Gleichzeitig gingen weltweit Millionen junger Menschen der Fridays-for-Future-Bewegung auf die Straße und verlangten, dass die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens vereinbarten Ziele endlich umgesetzt werden.
Ein Jahr später haben die Auswirkungen der Klimaerwärmung keineswegs an Intensität verloren. 2020 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Die Temperaturen liegen bereits bei 1,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Zeitalter, und der Verlust an Pflanzen- und Tierarten ist laut dem jüngst veröffentlichten Biodiversitätsbericht der Vereinten Nationen alarmierend. Die Waldbrände und die Hurrikansaison in den USA waren 2020 verheerend. Angesichts dieser Entwicklungen wird Joe Bidens Präsidentschaft als Hoffnungszeichen für die internationale Klimapolitik gehandelt. Aber beginnt mit Biden tatsächlich eine neue Ära, vielleicht sogar eine historische Kehrtwende in der internationalen Klimapolitik, wie einige Beobachterinnen und Beobachter euphorisch verkünden? Wohl eher nicht.
In der Tat, der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen war nicht von langer Dauer – Biden ist dem Abkommen am ersten Tag seines Amtsantritts wieder beigetreten. Die Klimakrise und ihre Folgen waren zum ersten Mal ein zentrales Wahlkampfthema in den USA. Das hinterlässt mittlerweile selbst innerhalb der republikanischen Partei Spuren. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Republikaner in weiten Teilen nach wie vor eine Abneigung gegen den Klimaschutz haben: Ein lautstarker Teil der Partei leugnet den Klimawandel weiterhin, obwohl dieser längst wissenschaftlicher Konsens ist.
Einige zentrale republikanische Figuren, wie der Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, haben inzwischen dennoch Aussagen gemacht, die darauf hindeuten, dass innerparteiliche Kräfte, die den Klimawandel bezweifeln und die Klimawissenschaft in Frage stellen, zunehmend an Einfluss verlieren. Offensichtlich besteht die Befürchtung, dass die republikanische Partei mit einer Politik der Klimawandelleugnung zunehmend Gefahr läuft, die Generation der Millenials zu entfremden. Denn jüngste Umfragen weisen darauf hin, dass die Klimaerwärmung auch für republikanische Wählerinnen und Wähler ein immer wichtigeres Thema wird.
Hinzu kommt die Sorge einiger Republikaner, dass China – als bald größte Volkswirtschaft der Welt – den USA im Bereich der Klimapolitik und den damit verbundenen Zukunftstechnologien den Rang ablaufen wird, wenn die USA nicht selbst auf einen ehrgeizigeren klimapolitischen Kurs einschwenken. Dadurch könnte die ohnehin brüchige Dominanz der USA in der internationalen Politik und Diplomatie insgesamt weiter schwinden.
Auf diese Richtungsänderung deutet auch der Wahlerfolg einiger Republikaner hin, die mit Klimaprogrammen kandidiert und gewonnen haben. Dennoch sollten deren scheinbar progressive Tendenzen auch nicht überschätzt werden – bei den vergangenen parteiübergreifenden Gesetzesentwürfen im Bereich Klimaschutz konnten sich Republikaner und Demokraten bislang lediglich auf eine Emissionsreduktion durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (»Carbon Capture and Storage«, kurz CCS) einigen. Eine Politik, welche die Nutzung fossiler Brennstoffe als Haupttreiber der Klimaerwärmung stark reduziert, ist unter den momentanen Kräfteverhältnissen mit den Republikanern nach wie vor nicht zu haben.
Aber auch in der Klimapolitik der Demokraten ist nicht alles Gold, was glänzt. Es war Bernie Sanders, dem es trotz seiner Niederlage in den Vorwahlen gelang, mit seinem Green New Deal die innerparteiliche Klimadebatte zu prägen. Noch im Sommer 2020 legten die Demokraten sich auf das Ziel fest, die USA bis 2050 klimaneutral zu machen. Davon ausgehend – und im Kontext der Corona-Pandemie – aktualisierte Biden nach seiner Nominierung seinen Klimaplan: Zwei Billionen Dollar sollen in den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien investiert und gleichzeitig Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Der Stromsektor soll bis 2035 klimaneutral sein und Energieeffizienz durch umfassende Gebäudesanierung erreicht werden. Im Sinne der Klimagerechtigkeit sollen 40 Prozent der Mittel für erneuerbare Energie und Infrastrukturen in benachteiligte Gemeinden fließen. Finanziert werden soll das durch eine Erhöhung der Körperschaftssteuer von 21 auf 28 Prozent.
Doch bei näherem Hinsehen erweisen sich Bidens Politikvorschläge als weitaus weniger ehrgeizig und progressiv, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Während Klimapolitik in Sanders Green New Deal auch jenseits marktbasierter Instrumente gedacht wurde und eine Konfrontation mit der fossilen Industrie vorsah, zielen Bidens Pläne vorrangig auf die Förderung »grünen« Wachstums und den Aufbau einer »grünen« Exportindustrie. Auch wenn die Demokraten eine hauchdünne Mehrheit im Senat erringen konnten, lässt das kaum darauf hoffen, dass in den kommenden Jahren eine grundlegende Kehrtwende hin zu einer transformativen Klimapolitik zu erwarten ist. Dafür fehlen nicht zuletzt auch die institutionellen Voraussetzungen, zumal die US-amerikanische Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA) in der Vergangenheit durch ideologische Kämpfe, Personalrochaden und Budgetkürzungen ausgehöhlt wurde. Ein Hoffnungsschimmer ist aber, dass es der US-amerikanischen Klimabewegung in jüngster Zeit vermehrt gelungen ist, Infrastrukturprojekte für den Transport von Öl und Gas durch Straßensperren zu verhindern.
Ohnehin scheint bei der Euphorie über Bidens Präsidentschaft bisweilen in Vergessenheit zu geraten, dass das klimapolitische Schicksal des Planeten nicht alleine vom Wiedereintritt der USA zum Pariser Klimaabkommen abhängt. Auch der Rest der Welt ist weit entfernt von einem klimapolitischen Kurs, der die globale Erwärmung auf 2 oder gar 1,5 Grad begrenzen könnte. Dem aktuellen Emissions Gap Report des UN-Umweltprogramms zufolge ist selbst bei Umsetzung aller derzeitigen nationalen Verpflichtungen im Rahmen des Klimaabkommens ein Temperaturanstieg von 2,4 Grad zu erwarten. Um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, müssten die Emissionen jährlich um 7,6 Prozent sinken. Das ist fünf Mal mehr als der Emissionsrückgang im Corona-Jahr 2020.
Bei ihrem virtuellen Treffen zum fünften Jahrestag des Pariser Klimaabkommens Ende 2020 legten die Staats- und Regierungschefs noch nicht einmal offen, wie sie die zugesagten 100 Milliarden US-Dollar jährlich für den Klimaschutz und die Anpassung vulnerabler Staaten des globalen Südens aufbringen wollen – obwohl diese Mittel bereits letztes Jahr hätten fließen sollen.
Stattdessen wurden auf den ersten Blick ehrgeizige nationale Ziele zur Emissionsminderung präsentiert. Dabei handelt es sich allerdings um so genannte Netto-Null-Ziele zur Erreichung von »Klimaneutralität«, die inzwischen den Mainstream der Klimapolitik prägen. Vergangenes Jahr gab beinahe jede Woche ein Land, eine Bank, ein Energieversorger, ein Tech-Gigant oder sogar ein Ölkonzern das Versprechen ab, in den kommenden Jahrzehnten Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Während Russland und Indien noch mit konkreten Zusagen auf sich warten lassen, hat selbst China angekündigt, bis 2060 klimaneutral zu werden. Die Europäische Union möchte dies bis 2050 erreichen.
Microsoft inszenierte sich medienwirksam gar zum Klimavorreiter und verkündete, nicht nur Netto-Null-Emissionen erreichen zu wollen, sondern den gesamten Kohlenstoff, den das Unternehmen seit seiner Gründung im Jahr 1975 ausgestoßen hat, mithilfe von Negative-Emissionen-Technologien zu entfernen. Diese technologischen Verfahren zielen auf die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, etwa mittels einer Kombination von Bioenergie und Abscheidung von CO2, oder durch Verfahren zur direkten Entnahme und Abscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft.
Das Trügerische an dem Ziel der Klimaneutralität: Emissionen können weiterhin verursacht werden. Treibhausgasemission sollen zwar signifikant reduziert werden, fossile Brennstoffe können aber auch künftig gefördert und verbrannt werden. Die dabei entstehenden Emissionen sollen dann kompensiert werden, indem Kohlenstoff wieder gebunden wird, beispielsweise mithilfe von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) oder durch (Wieder-)Aufforstung.
Der großflächige Einsatz dieser Technologien ist jedoch höchst umstritten. Bislang ist nicht geklärt, welche ökologischen Auswirkungen es hätte, wenn große Kohlenstoffmengen aus unterirdischen Lagerstätten entweichen, oder welche Landnutzungskonflikte mit der Ausweitung von Waldflächen entstehen. Sollten diese technologischen »Lösungen« auf lange Sicht scheitern, ist es womöglich schon zu spät, um zu verhindern, dass das verbleibende Kohlendioxid-Budget überschritten wird. Eine unumkehrbare Destabilisierung des Erdklimas wäre die Folge.
Welche realen klimapolitischen Maßnahmen der Flut an Netto-Null-Zusagen folgen werden, bleibt abzuwarten. Der Blick zurück in die vergangenen Jahrzehnte der Klimapolitik stimmt jedoch pessimistisch – ein zentrales Charakteristikum internationaler Klimapolitik ist seit jeher die Diskrepanz zwischen Zielen und deren Umsetzung. Nach wie vor forcieren fossile Energieunternehmen die Öl- und Gasproduktion. Unterstützt werden sie dabei von vielen Tech-Unternehmen wie Amazon, Google oder Microsoft, die mithilfe von Technologien Lagerstätten fossiler Brennstoffe aufspüren, die gefördert werden können – trotz eigener Netto-Null-Zusagen. Selbst die Fossilindustrie verpflichtet sich zu Netto-Null-Zielen – während sie weiterhin fossile Brennstoffe fördert, kann sie mit der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff zusätzlich ein neues Geschäftsfeld erschließen.
Ein Paradebeispiel dafür, wie klimapolitische Ziele und deren Umsetzung auseinanderfallen, ist auch der European Green Deal (EGD) der EU. Diese »grüne Wachstumsstrategie« soll die EU-Wirtschaft »klimaneutral« machen und den Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum entkoppeln. Hierzu deckt die Strategie eine ganze Bandbreite an Bereichen ab: Sie reicht von Klima- und Energiepolitik, Verkehr, Landwirtschaft und Ernährung, Biodiversität, Industriepolitik bis hin zu Fertigung und Bauwesen. Nicht vorgesehen ist im EGD allerdings ein vollständiger Ausstieg aus den fossilen Energien.
Im Gegenteil: Die EU setzt weiterhin auf die Förderung von fossilem Gas als Brücke zur vollständigen Dekarbonisierung der Energieversorgung. Geplant sind erhebliche Investitionen in Erdgasinfrastrukturen, die eine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen für weitere Jahrzehnte festschreiben, obwohl mittlerweile klar ist, dass ein vollkommener Umstieg auf erneuerbare Energien schnellstmöglich erfolgen muss, damit die internationalen Klimaziele überhaupt noch erreicht werden können. Nicht zuletzt fehlt dem EGD finanzielle Schlagkraft – ein eigenes Budget ist nicht vorgesehen, sondern lediglich die Umschichtung bestehender EU-Fonds und die Mobilisierung privaten Kapitals.
Trotz teils progressiver Rhetorik hat der European Green Deal nicht das Potenzial, den Status quo grundlegend in Frage zu stellen: Wirtschaftswachstum wird weiterhin gefördert, obwohl dessen absolute Entkopplung vom Ressourcenverbrauch ein öko-modernistisches Trugbild bleiben dürfte. Zu erwarten ist eher, dass der »grüne« Wachstumsschub die Nachfrage nach und Ausbeutung von Ressourcen vor allem aus Ländern des globalen Südens eher befördert als reduziert. Auch die Ausrichtung der EU-Agrarpolitik unterläuft die ambitionierte Biodiversitätsstrategie im EGD. An den Regeln des Binnenmarktes – die einer sozial-ökologischen Industriepolitik enge Grenzen setzen – oder am Einsatz von marktbasierten Mechanismen in der EU-Klimapolitik, wie dem EU-Emissionshandel, wird nicht gerüttelt.
Gerade der EU-Emissionshandel ist jedoch ein Beispiel dafür, wie fossile und andere emissionsintensive Industrien seit Jahrzehnten mit Hilfe erfahrener Lobbyfirmen erfolgreich die EU-Klima- und Energiepolitik beeinflussen und verwässern. Trotz mehrerer Reformen gelang es diesen Industrien, genügend Schlupflöcher in die Konstruktion des Emissionshandels einzubauen und so einen signifikanten Rückgang des Treibhausgasausstoßes zu vermeiden. Dennoch spielt das Emissionshandelssystem im EGD eine zentrale Rolle und soll künftig auf Bereiche wie den Straßen- und Seeverkehr ausgedehnt werden.
Obwohl die internationale Klimapolitik im vergangenen Jahr neuen Schwung aufgenommen hat, steuert die Erde ungebrochen auf eine Klimakatastrophe zu. Ein kleiner Lichtblick ist aber, dass Investitionen in fossile Brennstoffe zunehmend als riskant eingestuft werden. Die sogenannte Divestment-Bewegung konnte 2020 sogar Universitäten wie Oxford und Cambridge, religiöse Einrichtungen und zahlreiche Städte dazu drängen, ihr Kapital aus fossilen Unternehmen abzuziehen. Das ist zumindest ein Anzeichen für den Erfolg der klimapolitischen Mobilisierung der letzten beiden Jahre: Auch wenn sie noch nicht ins Wanken geraten sind, so wird doch kräftig an den Fundamenten der Fossilindustrie gerüttelt.
Alina Brad ist Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie forscht zu Internationaler Umwelt- und Ressourcenpolitik, Negative-Emissionen-Technologien, Politischer Ökologie und der sozial-ökologischen Transformation.
Alina Brad ist Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie forscht zu Internationaler Umwelt- und Ressourcenpolitik, Negative-Emissionen-Technologien, Politischer Ökologie und sozial-ökologischen Transformation.