15. April 2022
Die Energiewende im Globalen Norden könnte einen neuen Raubbau im Globalen Süden nach sich ziehen. Die Politikwissenschaftlerin Thea Riofrancos und der Humangeograph Matt Huber erklären, wie eine internationalistische Antwort auf die Klimakrise aussieht.
Die Idee eines Green New Deal prägt seit Jahren die linke Klimapolitik in Europa und Nordamerika. Denn er vereint Klimaschutz mit einer Sicherung und Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse. Damit beantwortet er gleich zwei drängende Fragen unserer Zeit – zumindest theoretisch: Jeremy Corbyn und Bernie Sanders machten den Green New Deal zum Herzstück ihrer Kampagnen, Wahlsiege blieben jedoch aus. Die EU beschloss unterdessen einen Green Deal neoliberaler Machart, der die ökologische Transformation den Finanzmärkten schmackhaft machen soll.
Die Wechselstimmung im Globalen Norden könnte allerdings zu einem neuen Raubbau am Süden führen. Die Politikwissenschaftlerin Thea Riofrancos erforscht, welche Folgen der Abbau von Lithium – einer für Elektromobilität und Energiespeicherung zentralen Ressource – für die Gesellschaften vor Ort hat. Sie betont, dass eine globale Transformation nicht auf dem Rücken der Menschen in rohstoffproduzierenden Ländern stattfinden darf.
Der Humangeograf Matt Huber untersucht, wie gewerkschaftliche Kämpfe enger mit der Klimabewegung verzahnt werden können: Ein Umbau der Wirtschaft, insbesondere des Energiesystems, sei nur mit den Beschäftigten und nicht gegen ihren Willen möglich. Beide befürworten den Green New Deal – und haben doch eigene Kritikpunkte an seiner bisherigen Ausgestaltung.
Wie seht ihr die bisherige Bilanz des Green New Deal?
TR: Das Konzept des Green New Deal hat die Debatte über Klimapolitik ohne Zweifel nachhaltig verändert. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass Klimapolitik mehr sein könnte, als an technokratischen Stellschrauben zu drehen.
Die zentrale Einsicht ist, dass die Klimakrise und die soziale Krise ein und dieselbe sind. Sie haben die gleichen Ursachen – und Maßnahmen gegen die eine helfen auch gegen die andere. Wenn wir den Klimawandel wirklich ernsthaft angehen, lösen wir auch das Problem der Ungleichheit, und umgekehrt.
Woran hakt es?
TR: Die Sackgasse, in der wir stecken, hat weniger mit den Beschränktheiten des Green New Deal zu tun als mit dem allgemeinen Zustand der Linken in den ehemaligen industriellen Kernländern, vor allem im angloamerikanischen Raum. Hier ist die Linke größtenteils sehr schwach, was sich auf Entwicklungen in den 1970er Jahren zurückführen lässt: den Neoliberalismus, die Deindustrialisierung, die Zerschlagung der Gewerkschaften und die Repression radikaler Bewegungen. Das hat zur Folge, dass die Linke heute Schwierigkeiten hat, auf die Klimakrise und nun auch auf die Pandemie zu reagieren, wie gut ihre Ideen und Strategien auch sein mögen.
Die herrschende Klasse hat die Linke erfolgreich geschwächt. Aber die Linke hat auch selbst Fehler gemacht. Die Frage sollte nicht sein, was für oder gegen den Green New Deal spricht, sondern wie das Konzept mit unseren politischen Systemen, dem globalen Kapitalismus und der Situation der Linken interagiert.
MH: Das sehe ich auch so. In der optimistischen Periode von 2018 bis 2020 hat es sich tatsächlich so angefühlt, als würde die Klimapolitik von ihrem Fokus auf technokratische Maßnahmen und die gebildete Mittelschicht abrücken. Man versuchte, eingängige Forderungen zu formulieren, die den Menschen materiell zugutekommen würden, und so eine Basis für populäre Klimapolitik zu schaffen.
Das Konzept des Green New Deal ist darauf angewiesen, dass die Linke an der Staatsmacht ist. Dann kann sie durch ihre Klimapolitik das Leben der Menschen verbessern. Nur sofern sie liefert, lassen sich Mehrheiten für eine solche Politik aufbauen. Aber gegenwärtig liefern wir nicht.
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