14. Dezember 2020
Nach dem Industrie-Shutdown der Wendejahre erscheint jeder Strukturwandel als Bedrohung. Aber es ginge auch anders.
Große ökologische Effekte sind nur dann zu erzielen, wenn man nicht nur auf einzelne grüne Produkte, sondern auch und vor allem auf integrierte grüne Systeme setzt.
»Meine Herren, wir bauen keine Autos mehr.« Das verkündete US-Präsident Franklin D. Roosevelt den ungläubigen Chefs von Ford, Chrysler und General Motors im Dezember 1941. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor brauche Amerika die riesigen Produktionshallen in Detroit für die Massenproduktion von Bombern und Geschützen.
Was damals der Krieg gegen den japanischen und deutschen Faschismus war, ist heute der Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe. »Meine Damen und Herren, wir verbrennen nicht mehr Öl, Gas und Kohle. Mit dem größtmöglichen Tempo steigen wir aus und vervielfachen unsere Investitionen in Wind, Sonne und Speicher, in saubere Verkehrssysteme, in emissionsfreie Gebäude und in Wasserstoff für eine klimaneutrale Industrie.« Diese selbstbewusste Haltung einer imaginären Kanzlerin wäre nötig, wenn das Pariser Klimaabkommen tatsächlich gelten soll. Damit den fossilen Interessen und ihren Finanziers klar wird, was die Stunde geschlagen hat, würde sie ergänzen: »Wir werden so mutig sein wie einst Roosevelt mit seinem New Deal. Mehr Gemeinwirtschaft, die öffentliche Hand als strategischer Investor, Ermutigung für unsere Communities, straffe Regeln für die Banken, Steuersätze für die Superreichen nahe 100 Prozent – all das brauchen wir auch heute.«
Amerikas Realität vergangener Tage klingt wie eine ferne Utopie. Deshalb bleibt einstweilen nur der mühsame Weg, den fossilen Wahnsinn mit Bewegungen und Kampagnen zu attackieren und die Regierungen zur ökologischen Vernunft zu zwingen. Wie wird dabei das gemeine Volk zum Partner der Aktivistinnen und Aktivisten? Dieses Rätsel ist bislang ungelöst. Umbau der Industriegesellschaft heißt auch Wegfall von hunderttausenden Arbeitsplätzen, häufig in regionaler Konzentration. Dass gleichzeitig neue Jobs entstehen, ist für die aufkommende Wut ein schwacher Trost. Wenn dann noch der typische Öko-Talk und die rechthaberische Verzichtslyrik hinzukommen, wird der vermeintliche Aufklärer schnell zum Feind des getretenen Strukturwandel-Opfers. Das zeigt sich nun auch im Westen, in Stuttgart, Wolfsburg und anderswo. Der Osten kennt das schon lange.
Nachdem das morsche DDR-Gebäude im Herbst 1989 zerfallen war, gab es in der aufgewühlten Reform-Republik eine kurze, aber intensive Zeit des Aufbruchs, der Ideen, des individuellen und kollektiven Veränderungswillens. Demokratie, Selbstbestimmung, Eigenständigkeit der Betriebe und Reisefreiheit waren die Zentralthemen, aber die Bewahrung der Natur gehörte auch prominent dazu. Hätte es damals schon den Green New Deal als zusammenfassenden Namen für den reformatorischen Eifer gegeben, er hätte gepasst.
Aber dann kam die ersehnte D-Mark, die sich schnell als Industrie-Guillotine erwies. Die Treuhand verschleuderte an die westlichen Stiefbrüder, was übrigblieb. Der fatale Grundsatz »Rückgabe vor Entschädigung« begünstigte die im Westen sitzenden Alteigentümer, brachte eigentumsrechtliches Chaos und lähmte die Investitionen in Ostdeutschland.
Das Freiheitsversprechen der Einheit war schön und real. Aber der Industrie-Shutdown war auch real, nur leider nicht schön. Im Wochenrhythmus wurden Großbetriebe geschlossen, Leben entwertet. Die mentalen Langzeitfolgen sind immer noch spürbar: Wut, Zynismus, Depression, Sprachlosigkeit zwischen Ost und West. Zeichen des Aufbegehrens wie die Hallenser Eier-Attacke auf Helmut Kohl im Mai 1991 oder zwei Jahre später der Hungerstreik der Kali-Kumpel von Bischofferode blieben leider Episoden. Schnell wieder Jobs, egal welche – das war die Parole. Kein Wunder, denn in manchen Orten lebte die Hälfte der Menschen von Arbeitslosenstütze und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Für Luft, Gewässer, Gesundheit und deutsche Klimabilanz war die Einheit ein großer Gewinn. Massenhaft wurde saniert, dreckige Produktion gestoppt. Die Städte wurden schöner, die Straßen besser und die Züge schneller. Mit viel öffentlichem Geld lockte man die privaten Investitionen. Dresden, Jena, Leipzig und Potsdam robbten sich langsam an westdeutsches Niveau heran.
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