27. Mai 2022
Die britische Regierung plant eine Übergewinnsteuer von 25 Prozent für Energiekonzerne: Ein kleiner, aber notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Finanzminister Lindner stellt sich hingegen weiter schützend vor die Profite der Energieunternehmen.
Shell-Raffinerie im niederländischen Pernis
Im ersten Moment klingt es wie ein absurder Wunschtraum: Nach der technokratischen Einheitsregierung von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi führt nun auch das rechtskonservativ regierte Großbritannien eine Übergewinnsteuer von 25 Prozent für Energiekonzerne ein. Das ist zwar ein Erfolg für die britische Linke, kann aber nur ein erster Schritt sein.
Eine solche Steuer stellt eine dringend notwendige Ausgleichsmaßnahme dar, denn die Konzerne sind zum Großteil daran Schuld, dass die Bevölkerung unter hohen Energiepreisen ächzt. Das ist schlecht für die Menschen, da sie ihren Konsum einschränken müssen und gleichzeitig schlecht für die Wirtschaft, da die Nachfrage für andere Waren und Dienstleistungen einbricht. Zusätzlich steigen auch in anderen Sektoren die Preise, da die Bäckerin oder der Handwerker ebenfalls höhere Energiekosten schultern müssen. Die Energiekonzerne profitieren derzeit also auf Kosten der ganzen Gesellschaft. Dies bewegt Länder wie Italien und Großbritannien nun dazu, Übergewinnsteuern im Energiesektor einzuführen, während Bundesfinanzminister Lindner ein solches Vorhaben weiter blockiert.
Allerdings wird beim Blick auf der Details des britischen Vorschlags schnell klar, dass der Anspruch eines umfassenden sozialen Ausgleichs auch in Großbritannien unerfüllt bleiben wird. Das Vorhaben weicht in wichtigen Punkten von dem der italienischen Regierung ab. Ihre Definitionen von »Übergewinnen«, und damit ihre Bemessungsgrundlagen, unterscheiden sich grundlegend.
Trotz großer Unterschiede bei der Ausgestaltung gibt es allerdings in beiden Ländern die grundlegende Bereitschaft, die sprunghaft gestiegenen Gewinne in der Energiebranche nicht unangetastet zu lassen. Lindner begründet seine Ablehnung einer solchen Steuer hingegen mit der Behauptung, Übergewinne seien überhaupt nicht definierbar. Doch die italienischen und britischen Beispiele zeigen, das dieses Argument nur vorgeschoben ist. Italien identifiziert Übergewinne anhand des Umsatzes von Energieunternehmen, Großbritannien anhand des Gewinns.
Die italienische Ausgestaltung sieht ein Verfahren vor, bei dem ein Umsatzüberschuss aus Einzahlungen minus Auszahlungen ermittelt wird. Falls dieser den Wert des Vorjahreszeitraums um 5 Millionen Euro oder 10 Prozent überschreitet, liegt ein Übergewinn vor, der dann mit einem Steuersatz von 25 Prozent besteuert wird. Rein technisch gesehen handelt es sich also eher um eine Überumsatzsteuer, was zu Folge hat, dass einige Aspekte wie zum Beispiel Abschreibungen nicht mitbetrachtet werden. Ganz praktisch bedeutet das: Wenn ein Energieunternehmen sein Russland-Geschäft abschreibt und damit einen Verlust macht, hat das keinen Einfluss auf die Übergewinnsteuer. Italien hofft, durch die so ausgestaltete Steuer rund zehn Milliarden Euro einzunehmen.
Die britische Steuer orientiert sich hingegen an den Gewinnen von Energiekonzernen, für die in Großbritannien ohnehin eine gesonderte Definition gilt: Die sogenannten »ring fence profits«, die einer Zusatzsteuer unterliegen. Daneben genießt die Branche bei der Gewinnberechnung aber auch einige Privilegien. So dürfen zum Beispiel Kreditkosten aus dem Reingewinn herausgerechnet werden und es gelten Freigrenzen für Investitionen. Die britische Variante der Steuer soll fast fünf Milliarden Pfund (etwa sechs Milliarden Euro) einnehmen.
Die britischen und italienischen Pläne unterscheiden sich auch dahingehend, welche Unternehmen überhaupt besteuert werden – dem jeweiligen Steuersubjekt. Während in Italien der Großteil des Energiesektors betroffen ist, sind es in Großbritannien nur Unternehmen der Öl- und Gasbranche. Stromversorger sind ausgenommen.
Gemein haben die beiden Vorhaben hingegen, dass sie von den beiden Regierungschefs mit Verweis auf ein veraltetes ökonomisches Dogma begründet werden: Steuern müssten erhoben werden, um öffentliche Ausgaben zu finanzieren. Das ist falsch. Die Entscheidung, welcher Anteil der Unternehmensgewinne vom Staat eingezogen wird, ist eine politische. Doch gerade deshalb gibt es gute Gründe für eine Übergewinnsteuer. So schreibt Richard Burgon, Abgeordneter im Unterhaus und Generalsekretär der Socialist Campaign Group, einer Vereinigung linker Labour-Parlamentarierinnen: »Diese überschüssigen Gewinne sind nicht das Ergebnis einer großartigen kapitalistischen Innovation oder zusätzlicher Investitionen der Unternehmen. Sie sind ein unverdienter und unerwarteter Glücksfall.«
Burgon ist der Ansicht, dass die von der britischen Regierung geplante Übergewinnsteuer bei weitem nicht ausreiche. Die Öl- und Gaskonzerne hätten 13 Milliarden Pfund Übergewinn erzielt. Würde man hiervon durch die geplante moderate Ausgestaltung der Steuer fünf Milliarden Pfund abschöpfen, blieben immer noch acht Milliarden Pfund leistungslose Übergewinne übrig. Burgons Gegenvorschlag: Ein Steuersatz von 95 Prozent. Dieser hätte ein Aufkommen von 10-12 Milliarden Pfund zur Folge.
Ein Steuersatz von 25 Prozent wäre auch im internationalen wie im historischen Kontext viel zu gering. Die Gewinne aus Öl- und Gasförderung würden in Produktionsländern klassischerweise höher besteuert als andere Industrien. So läge der globale Durchschnitt für Steuern auf Öl- und Gasförderung bei 70 Prozent, Länder wie Norwegen, Mexiko oder Indien überträfen ihn deutlich. Während solche Gewinn in Norwegen mit 22 Prozent Unternehmenssteuer und zusätzlichen 56 Prozent Sondersteuer belegt würden, läge der Steuersatz in Großbritannien nur bei 40 Prozent. Durch die Übergewinnsteuer werde er nun lediglich temporär auf 65 Prozent angehoben.
Burgon plädiert daher für eine dauerhaft höhere Besteuerung von Gewinnen im Energiesektor. Auch im historischen Kontext Großbritanniens ist die Übergewinnsteuer nur ein kleiner Fortschritt. Noch 2014 wurden solche Profite mit 80 Prozent und 2016 immerhin noch mit 75 Prozent besteuert.
Doch der britischen Reform haften noch weitere Probleme an. So gibt es großzügige Investitionszulagen für die betroffene Öl- und Gasindustrie. Laut Berechnungen belaufen sich diese in den nächsten Jahren auf insgesamt 5,7 Milliarden Pfund – also fast so viel wie die Übergewinnsteuer einbringt. Die Neuinvestitionen würden über Jahre Profite abwerfen – auch dann noch, wenn es die Übergewinnsteuer vielleicht gar nicht mehr gibt.
Daher fordert Burgon ein Energieversorgungssystem in öffentlicher Hand, das sich in erster Linie am Wohlbefinden der Menschen und des Planeten orientiert und nicht nach Profitlogik wirtschaftet. Darüber hinaus braucht es seiner Ansicht nach Preisdeckel für Lebensmittel, Mieten und Energie. Dies würde auch die Marktmacht der Unternehmen einschränken und die Wirkung der Übergewinnsteuer erhöhen, indem den Konzernen die Möglichkeit genommen werde, die Preise einfach wieder zu erhöhen. Abgesehen davon gibt es auch noch ganz andere Branchen, die von den gegenwärtigen Krisen profitieren, wie eine neue Studie des Netzwerk Steuergerechtigkeit zeigt. Neben der Energiewirtschaft sind dies vor allem die Pharma-, Digital-, Finanz-, Automobil-, Immobilien- und Rüstungsbranche. Dies spricht für eine allgemeine Übergewinnsteuer für alle Krisenprofiteure.
Nichtsdestotrotz ist die Einführung der Übergewinnsteuer für Burgon ein Erfolg: Die Linke solle Mut aus der Tatsache schöpfen, Finanzminister Sunak durch eine erfolgreiche Kampagne zur Einlenken gezwungen zu haben und weiter für eine wesentliche höhere Besteuerung der Übergewinne von Energieunternehmen kämpfen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.