03. Juni 2025
Die Grünen geben sich in der Opposition auf einmal wieder kritisch. Aber das ist nur taktisches Kalkül, schreibt Ole Nymoen.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, ganz erhaben.
Es ist schon bemerkenswert: Seit Annalena Baerbock, Robert Habeck & Co. nicht mehr auf der Regierungsbank sitzen, erheben die Grünen auf einmal wieder die Stimme für das Menschen- und Völkerrecht und setzen sich gegen die Verächtlichmachung armer Leute ein.Was ist da los? Hat die einstige Friedens- und Öko-Partei etwa zurückgefunden zu ihren Wurzeln? Nicht wirklich, eigentlich folgt das Ganze einer kalten machtpolitischen Logik.
Sehen wir uns einen Fall an, bei dem die Grünen zuletzt besonders stark die Nase über die neue Große Koalition rümpften. Bei der Aussprache zur Regierungserklärung vor zwei Wochen ging es um das europäische Lieferkettengesetz. Die Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Katharina Dröge, las Friedrich Merz die Leviten und bemängelte, dass er vorgeschlagen habe, »dass die europäische Ebene das gerade erst beschlossene Lieferkettengesetz abschaffen soll. […] Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Was war das für ein Signal an Europa? Was war das für ein Signal an die Welt, dass ein deutscher Bundeskanzler sagt: Die Verletzung von Menschenrechten, Kinderarbeit, die Ausbeutung von Menschen, das ist Deutschland jetzt egal?«.
Das klingt nun erst einmal sympathisch: Dröge hielt Merz vor, er würde mit seiner Politik besonders schlimme Formen von Ausbeutung hinnehmen. Aber wie hat sich eigentlich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck während seiner Amtszeit zu Lieferkettengesetzen verhalten? Nun ja: Im Juni 2024 setzte er sich für eine Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes ein, im Oktober erklärte er dann, er wolle »die Kettensäge anwerfen und das ganze Ding wegbolzen«. Als Grund nannte er die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
Der Fairness halber muss man sagen: Das war ehrlich. In einer Welt konkurrierender kapitalistischer Nationen ist es in der Tat ein Nachteil, wenn man dem eigenen Standort vorschreibt, dass er keine Kinderarbeit in der Lieferkette zulassen darf. Das sagt dann aber schon eine Menge aus über dieses Wirtschaftssystem und seine immanente Gewalt. Genau solche Unappetitlichkeiten, wie sie Merz derzeit in Angriff nimmt, gehören zu einem kapitalistischen Staat. Wer einen Standort erfolgreich regieren will, der muss zu einer solchen Politik bereit sein.
»Sollten die Grünen in ein paar Jahren wieder in Regierungsverantwortung kommen, dann können wir davon ausgehen, dass sie die heute gescholtene Politik zu ihrem eigenen Programm machen.«
Um nicht missverstanden zu werden: Friedrich Merz darf und sollte man auch moralisch angreifen. Aber so wie es die Grünen tun, leugnen sie die systemischen Gründe für Merz’ kaltherzige Politik und tun so, als handele es sich bloß um eine moralische Verfehlung des neuen Kanzlers. Dabei täten sie wahrscheinlich dasselbe, wenn sie eines Tages wieder an den Schalthebeln der Macht säßen. Sollten die Grünen in ein paar Jahren wieder in Regierungsverantwortung kommen, dann können wir davon ausgehen, dass sie die heute gescholtene Politik zu ihrem eigenen Programm machen.
Die moralischen Angriffe dienen also vor allem dazu, bei einer linken Wählerklientel zu punkten. Und genau so sind auch die sonstigen Abweichungen der Grünen vom vorherigen Regierungskurs zu verstehen. Nachdem man Israel im Gaza-Krieg über fast anderthalb Jahre selbst mit Waffen beliefert hat, stellt man sich nun als frisch gebackene Oppositionspartei an den Spielfeldrand und schimpft, dass es so nun wirklich nicht weitergehen könne. Gleichzeitig fordert man weitere Waffenlieferungen nach Israel, aber eben mit Augenmaß.
So kann sich ein jeder die Grünen aussuchen, die ihm gefallen. Von den außenpolitischen Falken bis zu den Friedensbewegten, von den Menschenrechtlern bis zu den »Realpolitikern« sollen sich wieder all diejenigen bei den Grünen daheim fühlen, die in den letzten Jahren zu konkurrierenden Parteien gewechselt sind. Das können wir neben der Partei auch in der Jugendorganisation der Grünen sehen: Dort spielt Jakob Blasel den staatstragenden, braven Jungen. Jette Nietzard hingegen soll dazu dienen, die jungen Wilden einzufangen und mimt dabei auch einmal die Linksradikale – was natürlich gleich die innerparteilichen konservativen Mitstreiter auf den Plan ruft, die laut widersprechen, allen voran Cem Özdemir und Winfried Kretschmann.
Die Grünen haben also nicht auf einmal ihr verlorenes Gewissen wiedergefunden. Stattdessen wird in alle Richtungen geblinkt in der Hoffnung, damit bald wieder Wahlerfolge zu landen. Und wenn die nur groß genug sind, dann wird in der nächsten Regierung alles ganz anders laufen! So zumindest wollen es uns die Grünen weismachen.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.