28. Februar 2025
Die Grünen sind bei der Bundestagswahl abgestürzt. Doch Debatten um das Agieren von Ex-Spitzenkandidat Robert Habeck verdecken, dass ihre Krise tiefer reicht.
Der Grund für die Misere der Grünen ist nur zum Teil Habeck selbst zuzuschreiben.
Robert Habecks Strategie ist gescheitert. Sein Ziel war es, die Partei weiter nach rechts zu rücken und der CDU Stimmen abzunehmen, um anschließend mit ihr zu koalieren. Stattdessen sind 460.000 Wählerinnen und Wähler im Zuge der Bundestagswahl von den Grünen zur Union abgewandert und 700.000 zur Linkspartei. Insgesamt hat die Partei nicht nur links und rechts Federn gelassen, sondern auch mehr als 3 Prozentpunkte verloren.
Doch der Grund für die Misere der Grünen ist nur zum Teil Habeck selbst zuzuschreiben. Tatsächlich leidet die Partei an Problemen, die direkt an ihrer Wurzel nagen. Dementsprechend existenziell ist ihre Krise
Zunächst zum scheidenden Parteichef. Unter Habeck wurde die Partei personell restlos »ausrealoisiert« – auch mit Blick auf den Nachwuchs. Eine personelle Kehrtwende wird mit diesem Parteiapparat kaum mehr möglich sein, das zeigen auch die Debatten darum, wer Habecks Nachfolge antreten soll. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Wahl auf Annalena Baerbock fällt. Eine inhaltliche Trendwende wäre diese Personalie nicht.
Die jüngere Geschichte der Grünen ist eine von der Niederlage des parteilinken Flügels. Dieser Niedergang lässt sich unter anderem damit begründen, dass die Grünen schon immer eine Art Katalysatorfunktion haben, die einstmals Linke in den Zentrismus überführt. Diese Funktion gehört zur DNA der Partei – sie aufzugeben, ja umzukehren, ist praktisch unmöglich. Es wundert daher nicht, dass das parteiinterne Kräfteverhältnis langfristig in diese Richtung kippen würde.
Diese Katalysatorfunktion greift jedoch nicht nur auf personeller, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. So hat es die Partei im Laufe der Jahrzehnte geschafft, die Klimafrage vom radikalen Rand der Ökobewegung ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte zu überführen. Dort wurden ihr die Kanten abgeschliffen, bis sie rund war wie ein Handschmeichler.
»Während Marktliberale und Konservative ihre klimapolitischen Berührungsängste abgelegt haben, haben die Grünen mehr oder weniger geräuschlos ihr Alleinstellungsmerkmal verloren.«
Heute berufen sich selbst Hedgefondsmanager auf CO2-Bilanzen oder die Pariser Klimaziele. Für grüne Parteirealos mag dies ein historischer Sieg und Verdienst ihrer Partei sein, doch während Marktliberale und Konservative ihre klimapolitischen Berührungsängste abgelegt haben, haben die Grünen mehr oder weniger geräuschlos ihr Alleinstellungsmerkmal verloren.
Und dieses Problem wiegt deutlich schwerer als ein Spitzenkandidat mit dem falschen strategischen Ansatz. Denn ein Comeback der Grünen über die Klimafrage ist damit in Zukunft kaum noch möglich.
Bei der Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen mit 14,8 Prozent noch ihr Rekordergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt – und das, obwohl die Plagiatsvorwürfe gegen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock kurz vor der Wahl viele Stimmen gekostet hatten. Die Flutkatastrophe im Ahrtal, die Demonstrationen zum Erhalt des Dorfes Lützerath oder die Protestwelle von Fridays for Future hatten die Partei getragen. Man hätte glauben können, dass sich die Konjunktur der Klimafrage und die Zustimmungswerte der Partei ebenso exponentiell entwickeln würden, wie so manche Kennziffer der Klimafolgenforscher.
Doch das Ahrtal geriet in Vergessenheit, die Protestbewegungen versandeten – und der marktbasierte Umbau von Energiewirtschaft und Industrie, für den die Grünen fortan kämpften, findet sich seither auch in den Parteiprogrammen von Union, SPD oder FDP. Heute ist die Erkenntnis, dass der Grüne Höhenflug 2021 eher eine Ausnahme von der Regel war.
Es ist nicht so, als hätte die Partei im Laufe der Jahre nicht darauf reagiert, dass ihre Fähigkeit, die Dividende der Klimakrise in Form von Wahlstimmen abzuschöpfen, abgenommen hat. Heute rächt sich allerdings, dass sie auf die falschen Themen gesetzt hat, um das daraus folgende Ungleichgewicht im Parteiprofil auszubalancieren.
So hat sich die Partei zwar ein sehr ambitioniertes außen- und verteidigungspolitisches Profil erarbeitet und fordert bisweilen höhere Rüstungsausgaben als etwa die Union. Doch die Sozialpolitik hat sie bis zuletzt sträflich vernachlässigt. »Wir haben die Tendenz, die soziale Frage erst an zweiter Stelle mitzudenken«, hatte Ricarda Lang im Interview mit Surplus gesagt – ihren Job als Bundesvorsitzende der Partei war sie zu dem Zeitpunkt schon los.
»Am wahrscheinlichsten ist es, dass der Habecksche Weg fortgesetzt und 2029 ein zweiter Anlauf genommen wird, um die SPD von ihrem Posten als Juniorpartner der Union zu verdrängen.«
Im Zuge von Preisschocks, Teuerungen und Rezession ist diese strategische Leerstelle der Partei zum Verhängnis geworden. Auch die Versuche einiger Grünenpolitiker, auf den letzten Metern vor der Wahl mehr schlecht als recht vor der Linkspartei zu warnen, halfen nicht dabei, dies zu kaschieren.
Nachdem die Partei also langsam aber sicher nach und nach ins Zentrum gedriftet ist und die Ökologiefrage ihr subversives Antlitz verloren hat, befindet sie sich nun in einer Sackgasse. Davon zeugen auch die enormen Wählerwanderungen in Richtung der CDU als auch der Linken. Was soll aus so einer so widersprüchlichen Erkenntnis folgen?
Am wahrscheinlichsten ist es, dass der Habecksche Weg fortgesetzt und 2029 ein zweiter Anlauf genommen wird, um die SPD von ihrem Posten als Juniorpartner der Union zu verdrängen. Dass die stark geschwächte Parteilinke das Machtzentrum noch einmal besetzt und die Grünen ihren Fokus auf die Sozialpolitik verlegen, um Wählerinnen und Wähler von der Linken zurückzuerobern, ist unwahrscheinlich. Denn dazu bedürfte es einer personellen Revolution im Parteiapparat, der derzeit jede Basis fehlt.
Beiden Szenarien ist jedoch die existenzielle Frage vorgelagert, ob sich über eine marktbasierte Klimapolitik künftig überhaupt noch Massen mobilisieren lassen, die größer sind, als das urban-akademische Kernklientel der Grünen. Und was von der Partei übrig bleibt, wenn dem nicht so ist.