28. Dezember 2023
Für Linke ist das Grunderbe ein Irrweg. Sozialistische Politik hat dafür zu sorgen, dass man nicht erben muss, um ein gutes Leben zu haben.
Das Grunderbe ist verführerisch, bringt aber viele Probleme mit sich.
Nicht alles, was sich nach einer guten Idee anhört, ist auch eine gute Idee. So zum Beispiel das Grunderbe, das zuletzt einige Aufmerksamkeit erhielt, nachdem die Jusos sich auf ihrem Bundeskongress im November dafür ausgesprochen hatten. Zu Weihnachten hat nun auch der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan für ein Grunderbe plädiert.
Das Konzept ist nicht ganz neu. Ähnliche Töne gibt es aus der SPD schon länger, etwa von der ehemaligen Sozialministerin Andrea Nahles, dem derzeitigen Ostbeauftragten Carsten Schneider und sogar vom 2017er Kanzlerkandidaten Martin Schulz mit seinem »Chancenkonto«. Selbst aus der Union hört man einzelne Stimmen, die eine Art Grunderbe fordern. Und mit Thomas Piketty und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gibt es auch namhafte Unterstützung aus der Wissenschaft.
»Das Grunderbe droht, den Sozialstaat, der eine öffentliche Daseinsvorsorge bereitstellt, in einen Almosenstaat zu verwandeln, der seinen Bürgerinnen und Bürgern einfach nur Geld auszahlt.«
Die Grundidee ist dabei immer gleich: Jungen Erwachsenen soll gegeben werden. Im Konkreten unterscheiden sich die Konzepte dann aber doch voneinander. Die Jusos und die Linke wollen beide Milliarden-Erbschaften steuerlich heranziehen, schlagen aber verschiedene Modelle vor: Die Jusos wollen 90 Prozent ab 10 Millionen Euro ohne Stundungs- und Tilgungsmöglichkeiten besteuern, die Linke 60 Prozent ab 26 Millionen Euro mit Stundungs- und Tilgungsmöglichkeiten. Das Juso-Konzept brächte erhebliche Staatseinnahmen. Das ist auch nötig, da ihr Vorhaben rund 45 Milliarden Euro kosten würde. Wie die Linke mit Vorschlägen, die laut Wahlprogramm 8–10 Milliarden Euro bringen, eine ähnlich hohes Grunderbe finanzieren will, ist eher fraglich.
Bei der SPD ist es etwas vager. Sie will eine höhere Erbschaftssteuer durch den Abbau von Privilegien für die großen Milliarden-Erbschaften in Form von Betriebsvermögen. Ähnliches wollte temporär auch die CDU – dafür allerdings den Steuersatz auf 10 Prozent senken. Das DIW will eine Vermögensabgabe von 30 Prozent in dreißig gleichen Teilzahlungen über dreißig Jahre. Insbesondere die Vermögensabgabe würde bei einer tatsächlichen Umsetzung einige Vorteile aufweisen.
Auch die Höhe des Grunderbes variiert. Piketty fordert 120.000 Euro, die Jusos 60.000, die Linke 50.000, das DIW und die SPD 20.000 und die CDU 10.000. Entscheidend ist dabei außerdem, wofür das Geld eingesetzt werden kann. Das DIW will die Nutzung auf »Ausbildungsfinanzierung, Erwerb von Wohneigentum, Selbstständigkeit und Unternehmensgründungen, Weiterbildung oder für Einkommenseinbußen bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit« beschränken. Die SPD sieht Weiterbildung, Qualifizierung und Gründungen vor. Die CDU will es auch für die Altersvorsorge nutzbar machen. Bei Jusos und Linken hingegen ist die Verwendung offen.
»Nachhaltiger wäre den Menschen geholfen, würde man dafür sorgen, dass auch die Arbeit an der Kasse ein gutes Leben samt Reisen ermöglicht.«
Die Modellrechnungen des DIW für das Grunderbe und eine Vermögensabgabe auf dreißig Jahre sind durchaus bemerkenswert. Die Nettovermögen der unteren Hälfte steigen dabei um 59–94 Prozent, die Vermögen der oberen 0,1 Prozent sinken um 18–21 Prozent und der Gini-Koeffizient, der Ungleichheit bemisst, geht um 5–7 Prozent zurück. Damit rückt die Debatte lobenswerterweise die Vermögensungleichheit ins Zentrum. Das Problem ist jedoch, dass das Grunderbe das Individuum und nicht die Gesellschaft fokussiert. Es droht, den Sozialstaat, der eine öffentliche Daseinsvorsorge bereitstellt, in einen Almosenstaat zu verwandeln, der seinen Bürgerinnen und Bürgern einfach nur Geld auszahlt und sie ansonsten dem Markt überlässt. Anstatt mit einer gesellschaftlichen Anstrengung die Bedingungen zu verbessern, unter denen Menschen leben und arbeiten, sollen sie (vorübergehend) in Kleinbürger verwandelt werden.
Martin Schirdewan sagte etwa, das Grunderbe solle unter anderem »eine längere Reise« ermöglichen, »um etwas von der Welt gesehen zu haben, ehe man den Rest seines Lebens in seiner Heimatstadt an der Supermarktkasse verbringt.« Nachhaltiger wäre den Menschen geholfen, würde man dafür sorgen, dass auch die Arbeit an der Kasse ein gutes Leben samt Reisen ermöglicht.
Das verwendungsoffene Grunderbe spielt einen kleinen Teil der Gesellschaft gegen die übergroße Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung aus. Denn anstatt alle besser zu stellen, wird mit sehr viel Geld der kleinen Minderheit der gegenwärtig Achtzehnjährigen die Chance auf eine Auszeit gegeben. Wenn man genug Geld für mehrere Jahre auf der hohen Kante hat, macht man nach der Schule vielleicht erstmal lange Pause. Das muss nicht in jedem Fall oder auch nur in den meisten Fällen zutreffen, wird aber von der Mehrheit wahrscheinlich so wahrgenommen und von der politischen Gegenseite garantiert so dargestellt werden.
Tatsächlich steht zu erwarten, dass durch die Einführung eines Grunderbes weniger Menschen nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Pfleger oder zur Mechatronikerin beginnen würden. Denn ein wichtiger Grund, sich auf solche Ausbildungsberufe zu bewerben, ist oftmals die Aussicht auf ein baldiges stabiles Einkommen. Diese kann aber durch ein hohes Grunderbe leicht verstellt werden.
Abseits vom neoliberalen Arbeitsethos, der durchaus zu kritisieren ist, hat das konkrete volkswirtschaftliche Folgen. Wir haben ein Demografie- und ein Klimaproblem, und wenn nicht jede Person mit anpackt, wird es für die hart arbeitende Bevölkerung noch viel schwieriger, sie zu bewältigen. Eine Gesellschaft, die überleben will, muss diese essenziellen Arbeiten fördern, indem sie gute Löhne und Arbeitsbedingungen sicherstellt.
Um erstmal an das Geld zu kommen, will man die Reichen besteuern – und zwar hart, denn die nötigen Summen sind beträchtlich. Allerdings tut sich hier ein Problem auf. Die Superreichen haben nicht so viel Geld, wie sie Vermögen haben. Denn ihr Vermögen besteht in erster Linie aus Betriebsvermögen, das heißt aus Produktionsmitteln. Wenn man nun Erbschaften hart besteuert, haben die Erbinnen und Erben hauptsächlich zwei Möglichkeiten, an das Geld zu kommen: Sie können einen Kredit aufnehmen oder Anteile verkaufen.
In beiden Fällen entsteht neues Geld – auch beim Superreichen, der einen Kredit aufnimmt, um den anderen Superreichen die Anteile abzukaufen. Dann ist zwar die Ungleichheit minimal zurückgegangen (das Nettovermögen hat sich verringert, indem das Bruttovermögen mit mehr Schulden verrechnet wird), an den Klassenverhältnissen hat sich aber nicht wirklich etwas verändert. Die Produktionsmittel hat nun ein anderer Superreicher. Das ist allerdings bei jeder Maßnahme so, die wie die Erbschaftssteuer immer nur einige Superreiche ins Visier nimmt, und nicht alle gleichzeitig, wie es bei einer Vermögensabgabe der Fall wäre.
»Das Grunderbe verringert zwar die Ungleichheit an Vermögen, aber nicht die Ungleichheit im Eigentum an Produktionsmitteln – und ändert damit auch nichts am Klassenverhältnis.«
Ebenso trügt die Wirkung bei der Ungleichheit, wenn das Grunderbe ausgezahlt wird. Es verringert zwar die Ungleichheit an Vermögen, aber nicht die Ungleichheit im Eigentum an Produktionsmitteln – und ändert damit auch nichts am Klassenverhältnis. Der Titel des Juso-Beschlusses »Grunderbe – weil alle erben sollten, was heute wenigen gehört« ist also allemal verfehlt, denn das Eigentum an Produktionsmitteln wandert gar nicht zu den vielen.
Besonders bei den Konzepten der Jusos und der Linken sind die Dimensionen absurd: 40–45 Milliarden Euro würde das Grunderbe jährlich kosten, bei rund einer Million Begünstigten im Jahr. Nur zum Vergleich: Eine ordentliche Kindergrundsicherung würde 101,8 Milliarden Euro Kosten für 17,6 Millionen Kinder.
Dennoch oder gerade deshalb wird das Grunderbe bemerkenswerte Zustimmungswerte haben – allerdings bei nicht wahlberechtigten Kindern und Jugendlichen, ab Beginn des neunzehnten Lebensjahrs stark abfallend. Für Jugendorganisationen mag die Forderung vielleicht politisch Sinn ergeben, aber in der Gesamtbevölkerung, die die Parteien natürlicherweise erreichen wollen, dürfte sie wohl eher Kopfschütteln auslösen.
Und es lauern noch weitere Umsetzungsprobleme, will man, wie die Linke und die Jusos, das Grunderbe mit der Erbschaftssteuer finanzieren. Die Ertragskompetenz der Erbschaftsteuer liegt nämlich bei den Ländern. Somit muss ein dementsprechender Gesetzentwurf auch durch den Bundesrat. Da dieser selbst bei einem politischen Kurswechsel erfahrungsgemäß Jahre hinterherhinkt, sind Mehrheiten dort mehr als unsicher.
Zudem hängen die Gelder im Westen fest. Denn große Erbschaften gibt es vor allem dort. Das Geld zu den Grunderbe-Empfängerinnen und Empfängern im Osten zu schaffen, ist keineswegs trivial. Es bedarf zum Beispiel einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, um das Grundgesetz zu ändern und die Ertragskompetenz auf den Bund zu übertragen. Hier entschied sich das DIW für den schlaueren Weg: die Vermögensabgabe, die dem Bund zugutekommt und deswegen nur von ihm beschlossen werden kann. Das geht allerdings zulasten der Erzählung »Großerben zahlen, Kleinerben bekommen«.
»Warum der jüngere Bruder auf einmal 60.000 Euro mehr haben soll als die ältere Schwester, ist kaum zu legitimieren.«
Aber mal angenommen, das politische Wünsch-dir-was mit der Erbschaftsteuer ginge auf: Wie könnte eine Einführung aussehen? Auch hier gibt es durch das große Volumen einen riesigen Zielkonflikt. Einerseits kann man keine harte Abbruchkante machen, sodass es ab einem gewissen Jahr das volle Grunderbe gibt. Warum der jüngere Bruder auf einmal 60.000 Euro mehr haben soll als die ältere Schwester, ist kaum zu legitimieren. Selbst bei einer Einführung zu gleichen Teilen über zehn Jahre gäbe es einen enormen Anreiz für Paare, das Kinderkriegen um Jahre aufzuschieben, wenn die Kinder dann Zehntausende Euro mehr bekommen. Die Anreizwirkungen sowie die Ungerechtigkeiten wären mindestens fragwürdig.
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied – dieses neoliberale Dogma verkörpert das Grunderbe wunderbar. Denn wenn Achtzehnjährige ein Grunderbe bekommen, wofür braucht es dann noch finanzielle Unterstützung beim Studium, bei der Jobsuche oder gar beim Überleben? Man hatte ja 60.000 Euro, die man offensichtlich nicht gut genutzt hat – eine schöne Erzählung für Wirtschaftsliberale, weshalb auch Teile der CDU das Grunderbe unterstützen. Gäbe es die Umverteilungskomponente durch die Erbschaftsteuer nicht, würden sicherlich auch einige FDPler das Grunderbe unterstützen, um anschließend die Daseinsvorsorge anzugreifen.
Linken Konzepten hingegen geht es natürlich nicht darum, den Sozialstaat abzubauen, sondern im Gegenteil um soziale Gerechtigkeit. Dennoch muss man die Frage stellen, warum man auf pauschale Lösungen für Einzelne setzt statt auf individuelle Lösungen für alle. Denn was von den 60.000 Euro nach dem Studium übrig bleibt, dürfte sich in Halle und München wohl etwas unterscheiden.
Je mehr man ins Detail geht, desto mehr Probleme findet man. Das Grunderbe eignet sich gut, um Medienaufmerksamkeit zu erzeugen und im besten Fall die Ungleichheit wieder ins Gespräch zu bringen. Die gesellschaftlichen Probleme lassen sich aber nicht lösen mit einem linksliberalen Wohlfühl-Individualismus, der obendrein zulasten der hart arbeitenden Menschen ausfällt.
Was es statt dieser Form eines bedingungslosen Einkommens braucht, ist bedingungslose Daseinsvorsorge. Der Staat soll den Menschen nicht ein paar Almosen geben und sich dann seiner Verpflichtung entziehen. Er soll ermöglichen, dass sie eine ordentliche Aus- oder Weiterbildung machen – egal, ob in Halle oder München. Er soll die Konzerne der Superreichen vergesellschaften, nicht ein paar symbolische Steuern erheben. Er soll bezahlbare Mieten schaffen, anstatt eine Illusion von Eigentum für die Massen zu erzeugen. Er soll jedem einen Job geben, der etwas beitragen möchte. Kurz: Es braucht einen sozialistischen Staat, der die Probleme angeht und sie nicht auf die Menschen abschiebt.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.