15. Juli 2022
Anstatt die Energieversorgung für den Winter vorzuplanen, gibt Robert Habeck der Bevölkerung lieber Spartipps. Das ist ein Ablenkungsmanöver. Denn der Staat wird eingreifen. Fragt sich nur, in wessen Interesse.
Robert Habeck beim Energieeffizienz-Gipfel in Berlin, 10. Juni 2022.
In Krisenzeiten wird es oft pathetisch: »Menschen sollen sich nicht fragen müssen, was sie kriegen, sondern sie sollen es tun, weil sie Bock haben, in diesem Land zu leben, weil sie Stolz und Freude dabei empfinden, für andere etwas zutun.« Der grüne Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck, der alle Nase lang für seine Krisenkommunikation gelobt wird, appelliert hier in bester John-F.-Kennedy-Manier an die Verantwortungsbereitschaft der Bevölkerung – »Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für euer Land tun könnt«. Es ist der absurde Versuch, die Lösung einer systemischen Krise zu individualisieren und so zu tun, als seien die Bürger für den Staat da und nicht umgekehrt. Doch das ist Teil einer zynischen Gesamtstrategie.
Während der technokratische Kanzler Scholz die steigenden Preise und das knapper werdende Gas bisher noch ganz im Stile Angela Merkels auszusitzen scheint, geht der grüne Superminister nach vorn. Er spricht ziemlich offen über die drohende Gasknappheit im Winter, nur zur Frage, wie man diese abwendet, hält sich Habeck auffallend bedeckt. Er weiß genau, dass die Energiesicherheit gewährleistet werden könnte, vorausgesetzt man würde schon jetzt frühzeitig und entschlossen entsprechende Maßnahmen ergreifen. Doch der Minister lenkt lieber ab und gibt Energiespartipps.
Seine Duschzeit habe er noch einmal deutlich verkürzt, sagte er dem Spiegel und sorgte damit für Aufruhr. Empfehlungen dieser Art ist man indessen von Habeck schon gewohnt. Als im letzten Winter angesichts der steigenden Heizkosten Entlastungen für Hartz-IV-Empfangende gefordert wurden, unterstellte Habeck ihnen kurzerhand, sie würden vermutlich noch bei offenem Fenster heizen und sollten stattdessen lieber aufs Sparen achten.
Aussagen dieser Art sind keine einmaligen Ausrutscher, wie sich auch kürzlich wieder zeigte. Als Habeck im ZDF gefragt wurde, ob es nicht finanzieller Anreize zum Sparen bedürfe, hielt Habeck dagegen und antwortete flapsig: »Und wenn dann einer sagt, ich mach’ nur mit, wenn ich 50 Euro kriege, würde ich sagen: Die kriegst du nicht, Alter«.
Habecks Aussagen sind für arme Menschen, die sich schon lange einen Wasser sparenden Duschkopf besorgt haben, der blanke Hohn. Die Preise auf die Bevölkerung abzuwälzen, ohne garantieren zu können, dass die Heizungen im Winter noch laufen werden, ist genau das Gegenteil von sinnvoller Krisenbewältigung. Vielmehr versucht Habeck durch pathetische Worte (»Wir lassen uns nicht zerlegen«) die Leute bei der Stange zu halten, um fehlendes Handeln der Regierung zu vertuschen. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, schiebt die Ampel diese erneut auf die Einzelnen ab.
Für Habeck wäre es derzeit ein Leichtes, mit dem Finger auf Finanzminister Lindner und die FDP zu zeigen. Um zu erklären, warum eine sozialverträgliche Antwort auf die Gaskrise nicht möglich ist, könnte er sich auf die Knauserigkeit der Liberalen berufen. Doch Habeck sucht den Schulterschluss und begibt sich nicht auf Konfrontationskurs mit dem Koalitionspartner.
Dafür hat er seine ganz eigenen Gründe: Ein beherztes Eingreifen in den Markt, etwa in der Form von Energiepreisdeckeln für Endverbraucher, wäre zwar absolut sinnvoll, wird bis weit ins linksliberale Lager des Establishments aber strikt abgelehnt. Die Gründe dafür liegen in der jüngsten Vergangenheit.
Während der Coronapandemie entschieden sich Staaten und Zentralbanken dazu, die Wirtschaft um jeden Preis zu stützen – die zweite Iteration von »Whatever it takes« innerhalb von zehn Jahren. Vom linksliberalen bis zum rechtskonservativen Flügel befürchtet die herrschende Klasse, dass der neue Interventionismus zum Dauerzustand werden könnte, was wiederum neue politische Erwartungen wecken und die Machtverhältnisse zwischen den Klassen tatsächlich verschieben könnte. Aus Sicht der Oberschicht muss das auf jeden Fall vermieden werden.
Anhand der Gaskrise möchte man – zumindest vorübergehend – ein Exempel statuieren: Der Markt, nicht der Staat regelt. Nur: Das ist ein offensichtlicher Bluff, und die Linke sollte die Ampel und das ganze Establishment damit auflaufen lassen.
Habeck weiß genauso gut wie Scholz, Lindner und die deutsche Industrie, dass nur eine planende Intervention der Staates Chaos und Versorgungslücken im Winter verhindern kann. Und genau in solchen Fällen, in denen eine systemische Intervention notwendig ist, um die Klasseninteressen des Kapitals zu schützen, ist der deutsche Staat auch stets zur Stelle: Davon zeugen Abwrackprämien und Kurzarbeit ebenso wie die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung während der Pandemie. So war es in der Eurokrise, so war es während der Pandemie, und so wird es auch in der Energiekrise letztlich geschehen.
Die Ökonomin Daniela Gabor sprach vor Kurzem davon, Deutschland könnte »in die Dekarbonisierung per Schockterapie schlafwandeln«. Das ist allerdings eher eine theoretische Möglichkeit als eine reale politische Option. Der deutsche Staat leistet sich zwar viele ökonomische Fehler und Irrationalitäten, eine versehentliche Deindustrialisierung wird aber nicht dazu gehören. Deutschland ist nicht Großbritannien, Olaf Scholz ist nicht Margaret Thatcher und 2022 ist nicht 1982. Auch in dieser Krise wird der Staat die Interessen der Unternehmen und ihrer Besitzerinnen wieder wahren – wie er es immer getan hat. In der Zwischenzeit möchte man noch das politische Möglichkeitsfenster nutzen, dass die Energiekrise aufgestoßen hat.
Die Arbeitslosigkeit stieg in Deutschland im Juni im Vergleich zum Vormonat um 0,3 Prozentpunkte an und erreichte 5,2 Prozent – gleichzeitig waren etwa eine Viertelmillion Menschen weniger arbeitssuchend gemeldet als letztes Jahr zu selben Zeit. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, führt den Anstieg hauptsächlich darauf zurück, dass Geflüchtete aus der Ukraine nun zunehmend in den Jobcentern statistisch erfasst werden und nun in der Arbeitslosenstatistik sichtbar werden. »Der Arbeitsmarkt insgesamt ist weiterhin stabil«, betont Scheele.
Zwar ist fraglich, wie lange dieser Zustand anhalten wird, dennoch haben Lohnabhängige bei der derzeitigen Lage auf dem Jobmarkt keine schlechten Karten. So konnten etwa Beschäftigte in der Stahlindustrie einen Tarifabschluss aushandeln, der die aufgrund externer Faktoren stark gestiegenen Lebenshaltungskosten zumindest teilweise ausgleichen konnte. Angesichts einer Inflationsdynamik, die nicht in erster Linie von Lohnsteigerungen, sondern durch das Logistikchaos nach den Corona-Lockdowns, Krisenprofite und Krieg angeheizt wird, kann dies bereits als Erfolg verbucht werden.
Innerhalb der politischen Klasse etabliert sich gerade der Konsens, dass man jetzt eben hart bleiben muss. Die Menschen sollen sich nicht daran gewöhnen, dass der Staat ihnen durch jeder Krise hilft. Außerdem soll der Arbeitsmarkt etwas bereinigt werden, damit wieder eine disziplinierende Reservearmee an Arbeitslosen zu Verfügung steht. Hieraus ergibt sich eine Politik, die auf freie Preisbildung am Energiemarkt und staatliche Sparmaßnahmen setzt und einzelne Unternehmenspleiten in Kauf nimmt – zumindest im Moment.
Sollte die Gesamtwirtschaft ins Schlingern geraten und ein massenhafter Zusammenbruch von Industriebetrieben drohen, wir der Staat natürlich mit allen seinen zur Verfügung stehenden Mitteln eingreifen, um dies zu verhindern. Es gibt bereits jetzt konkrete Pläne, mit denen die Verteilung von Erdgas bei einem echten Versorgungsengpass zentral geplant und reguliert werden könnte.
Weder Robert Habeck noch Christian Lindner noch sonst jemand aus Wirtschafts- und Regierungskreisen glaubt tatsächlich daran, dass sich eine solche Versorgungskrise über den Markt regeln lässt. Die Versorgung im Zweifel einfach so zusammenbrechen zu lassen und die industrielle Infrastruktur zu opfern, würde sich eine Regierung hierzulande niemals erlauben.
Was können wir im Winter also erwarten? Das hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: den Gaslieferungen und den Temperaturen. Falls Russland die Lieferungen ganz einstellt und frostige Minusgrade bevorstehen, könnte die Versorgung von Industriebetrieben und Gaskraftwerken stark gedrosselt werden. Die Folgen: Verschärfte Knappheit bei bestimmten Produkten, eine Schwächung deutscher und europäischer Firmen auf dem Weltmarkt und eine beschleunigte Inflation. Je nach Wetterlage ist das kontrollierte Abschalten der Stromversorgung mit Ankündigung für Verbraucherinnen und Verbraucher über mehrere Stunden am Tag denkar. Dass die Stromversorgung vollständig zusammenbricht, ist hingegen so gut wie ausgeschlossen. Erdgaskraftwerke machen nur 12,6 Prozent der Stromerzeugung aus, und es existieren genügend Reservekapazitäten, selbst wenn Wind und Sonne einmal ausbleiben.
Ob es bei den Verbraucherpreisen für Gas zu einer völlig unkontrollierten Explosion kommen wird, darf ebenfalls bezweifelt werden. Aber deutliche Preiserhöhungen wird es geben, und diese sind als Sparanreiz politisch gewollt. Ob die Regierung Verbraucherinnen massenhaft in die Privatinsolvenz treiben will, steht auf einem anderen Blatt.
Die Energieversorgung wird diesen Winter ohne Zweifel zentral geplant und die Preisgestaltung zu einem gewissen Grad politisch gesteuert werden. Gegenteilige Behauptungen sind nichts weiter als eine leere Drohgebärde der herrschenden Klasse. Wir sollten uns davon nicht verunsichern lassen.
Die Linke muss darauf drängen, dass in diesem kommenden Winter der energiepolitischen Planwirtschaft die Einkommen der Arbeiterklasse geschont bleiben und Sparanreize maßvoll und sozial gerecht gesetzt werden, etwa über Grundverbrauchskontingente, die zu den Preisen von 2020 bezogen werden dürfen. Sicherlich werden zahlreiche Industriebetriebe schließen müssen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit werden zunehmen. Wichtig ist, dass diese Betriebsschließungen temporär bleiben und für diese Unternehmen Rettungspakete geschnürt werden, kombiniert mit einem staatlichen Fonds, der mittelfristig ihre Dekarbonisierung finanziert. Denn die steht ohnehin an.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.