07. Juni 2023
Liberale und Konservative, die den Klimaschutz ganz dem Markt überlassen wollen, suchen nur einen Vorwand fürs Nichtstun.
FDP-Staatssekretär Florian Toncar zeigt Robert Habeck seine gelbe Mappe. Dieser ist wenig begeistert.
IMAGO / Political-MomentsIn der Debatte um den anstehenden Ausbau der erneuerbaren Wärmeversorgung zeigt sich die ganze Plumpheit und Engstirnigkeit der neoliberalen Klimapolitik auf exemplarische Weise. Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) aus der Feder des Wirtschaftsministeriums rief gewaltige Entrüstung hervor. Wäre der Zustand unserer politischen Debattenkultur nicht dermaßen besorgniserregend, wäre dieser Sturm der medialen Aufregung vor allem eins: unheimlich langweilig. Von allen Seiten wird wieder einmal mit den altbekannten Buzzwords um sich geworfen.
»Der Bund will Planwirtschaft bei der Wärmewende«, kräht Hubert Aiwanger, stellvertretender bayerischer Ministerpräsident. Von einem »gefährliche[n] Flirt mit der Staatswirtschaft« spricht der Wirtschaftsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Johannes C. Bockenheimer. »Staatliche Heizungsspionage« nennt die CSU die Pläne zur kommunalen Wärmeplanung und vom »Angriff auf das Eigentum« und »planwirtschaftlicher Regelungswut« handelt ein Dringlichkeitsantrag der FDP, der von dreißig ihrer Bundestagsabgeordneten mitgetragen wurde.
Die CDU ließ es sich nicht nehmen, mit ihrer Kampagne »Fair Heizen statt Verheizen« die soziale Kälte des GEG anzukreiden und sich als die Retterin von Geringverdienern aufzuspielen. »Die Menschen wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen«, beklagte Jens Spahn. Natürlich ist es schlichtweg dreist, dass ausgerechnet die Union plötzlich ihre Sorge um Menschen mit Geldsorgen entdeckt.
Hinzu kommt, dass sich ihre Forderungen für eine erfolgreiche Wärmewende wie das ABC des Neoliberalismus lesen: »Anreize statt Verbote«, »Technologieoffenheit«, »Emissionshandel«. Bei der an der Regierung beteiligten FDP ist es die gleiche Leier. Sie will den Emissionshandel für den Gebäudesektor von 2026 auf 2024 vorziehen, blockiert aber derweil die parlamentarische Bearbeitung des GEG.
Angefeuert werden Konservative und FDP dabei von der nie um einen Rat verlegenen wirtschaftsliberalen Ökonominnenzunft. Ottmar Edenhofer, Klimaökonom beim Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, fordert, anstelle der Verbots- und Gebotspolitik den nationalen Emissionshandel wirken zu lassen. Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm springt auf diesen Zug auf.
Trotz der vielfätigen heterodoxen Forschungsbeiträge, die in den letzten Jahren zu Fragen der Klimagerechtigkeit und möglichen Transformationspfaden geleistet wurden, scheinen wir realpolitisch nicht weiter zu sein als 2006, als Nicholas Stern, einstiger Weltbank-Chefökonom, seinen berühmt gewordenen Report veröffentlichte und die Bepreisung von Kohlendioxid als das zentrale Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels bezeichnete. Die Mainstream-Ökonomie und damit auch das politische Zentrum bewegen sich im Wesentlichen immer noch in dem von Stern abgesteckten ideologischen Rahmen.
Neoliberale Ökonominnen und Ökonomen haben etwas von abgehalfterten Schlagerstars, die vor Jahrzehnten einen Hit gelandet haben und seither auf jeder Bühne dasselbe Lied zum Besten geben. Die Umwelt- und Klimaökonomik geht in ihrer neoklassischen Form auf Arthur Pigou zurück, wurde jedoch in den 1960er Jahren von den Chicago-Boys Ronald Coase und George Stigler, die wie Friedrich Hayek und Milton Friedman der Mont Pèlerin Society angehörten, neoliberal umgedeutet. Diese Strömung begreift die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen als Marktversagen und setzt folglich die Integration der außerhalb des Marktes liegenden Externalitäten in den Preismechanismus als einzig geeignete Lösungsstrategie: »Getting the prices right« wird zum ökologischen Allheilmittel.
»Neoliberale Ökonomen haben etwas von abgehalfterten Schlagerstars, die vor Jahrzehnten einen Hit gelandet haben und seither auf jeder Bühne dasselbe Lied zum Besten geben.«
Es gibt sicherlich einiges, was rund um die Novelle des GEG kritisiert werden muss. Das dazugehörige Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung aus dem Bauministerium kommt zu spät, was dazu führen kann, dass individuell Entscheidungen getroffen werden, die gesamtheitlich technisch nicht die effizientesten sind. Zum Beispiel ist die Installation einer Wärmepumpe unnötig, wenn das Haus zukünftig ans Fernwärmenetz angeschlossen werden kann. Auch die finanzielle Förderung und der Mieterschutz sind bisher ungenügend ausgestaltet, was den Menschen verständlicherweise Angst bereitet. Unsere energetische Infrastruktur wurde bisher nicht in ausreichendem Maße um- und ausgebaut und wir sind im Handwerk mit einem Fachkräftemangel konfrontiert.
Es ist aber wiederum illusorisch, zu glauben, dass ein ausgeweiteter Emissionshandel diese Probleme für uns lösen würde. Hierbei handelt es sich vor allem um den Versuch, eine soziale und ökologische Krisensituation zu depolitisieren. Anstelle von entschlossenem politischem Handeln wird ein vermeintlich neutraler Mechanismus eingesetzt, der den Menschen angeblich ihre Wahlfreiheit lässt.
Aber von welcher Wahlfreiheit sprechen wir hier? Dass unterschiedliche technische Lösungen in verschiedenen Kontexten angebracht sind, ist nicht gleichbedeutend mit pauschaler »Technologieoffenheit«, die ganz auf den Markt als Entscheidungsmechanismus setzt. Durch eine kommunale Wärmeplanung könnte hingegen ziemlich genau festgestellt werden, welche Art des Heizens für eine Region am sinnvollsten ist.
Auch die fehlende soziale Unterstützung ist ein Problem selbstgesetzter politischer Beschränkungen. Denn natürlich brauchen wir die Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht, um den Menschen Klimaschutzhilfen bereitzustellen. Wie auch beim Sondervermögen für die Bundeswehr wäre das Geld da – es fehlt am politischen Willen. In Wirklichkeit ist die desaströse Sozialpolitik der FDP – und Regierungen aller Couleur zuvor – daran schuld, dass selbst eine moderate Verteuerung von Energie zu finanziellen Verwerfungen bei einem Großteil der Bevölkerung führt.
Doch beim Emissionshandel sind steigende Preise notwendigerweise das Steuerungsinstrument. Ein vollständiger Ausgleich der Mehrkosten wäre nach dieser Logik völlig sinnfrei. Letztendlich sollen die Menschen dazu gezwungen werden, ihre Heizung zu tauschen, weil der Betrieb des alten Modells für sie nicht mehr bezahlbar ist. Wie das die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Technologiewandel beim Heizen erhöhen soll, ist nicht nachvollziehbar.
Die Transformation unserer Wärmeversorgung muss zügig stattfinden, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen. Das Ziel, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, ist laut dem letzten IPCC-Bericht kaum noch zu erreichen. Der notwendige gewaltige Strukturwandel muss initiiert, koordiniert und sozial abgefedert werden. Marktmechanismen sind beim Klimaschutz keine Wunderwaffe – es ist verantwortungslos und brandgefährlich, sie als Vorwand fürs Nichtstun zu missbrauchen.
Sophie-Marie Aß ist Politökonomin und arbeitet als Referentin für Klima-und Energiepolitik im Bundestag.