31. Juli 2023
Deutschlands Wirtschaft schrumpft nicht mehr – jetzt stagniert sie. Um die Krise zu überwinden, bräuchte es beherzte Industriepolitik. Stattdessen folgt das grüne Wirtschaftsministerium marktliberalen Konzepten und riskiert damit eine Deindustrialisieung.
Robert Habeck will nun die Strompreise runtersubventionieren, die aufgrund der eigenen Wirtschafts- und Energiepolitik in die Höhe geschossen sind.
IMAGO / Metodi PopowDie deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Das ist nicht mehr schönzureden. Nachdem die Wirtschaft in den beiden Quartalen zuvor schrumpfte – also eine »technische« Rezession erlebte – ist sie den vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge in den vergangenen drei Monaten stagniert. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat kürzlich seine neueste Konjunkturprognose veröffentlicht: Für das Jahr 2023 attestiert er Deutschland als einzigem Land der G20 ein Schrumpfen der Wirtschaft. Mit diesem Ausblick ist der IWF nicht allein. So hat in den letzten Wochen eine Reihe von Wirtschaftsforschungsinstituten ihre noch recht optimistischen Frühjahrsprognosen deutlich nach unten korrigiert. Für das Jahr 2023 gehen sie mittlerweile von einem Wirtschaftseinbruch aus. Das aktuelle Prognosespektrum liegt zwischen -0,5 und -0,2 Prozent.
Die Liste der Gründe ist lang: Sie beginnt mit der Corona-Pandemie und den gestörten Lieferketten. Dazu kam im Frühjahr 2022 der Ausbruch des Ukrainekriegs, der zu preistreibenden Spekulationen auf den Energiemärkten führte. In Reaktion auf die Invasion eröffnete der Westen gegen Russland einen Wirtschaftskrieg – ein gängiger Begriff für Auseinandersetzungen zwischen Staaten, die mithilfe von Wirtschaftssanktionen geführt werden, der in diesem Zusammenhang auch von Ökonomen wie Adam Tooze oder von Wirtschaftsminister Robert Habeck gebraucht wird. Laut Außenministerin Annalena Baerbock sollten die Maßnahmen »Russland ruinieren«.
Doch die westlichen Sanktionen schaden nicht nur Russland, dessen Wirtschaft sich als äußerst robust erweist. Sie ziehen insbesondere Europa und hier vor allem Deutschland in Mitleidenschaft. Denn die Sanktionen riefen Gegenmaßnahmen hervor: Russland drosselte massiv die Gaszufuhr, von der die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt wie kaum ein zweites Land abhängig war. Die Energiepreise explodierten – auch befeuert dadurch, dass die Bundesregierung im Jahr 2022 zu Mondpreisen überall auf der Welt Flüssiggas einkaufen ließ. Dadurch konnte zwar eine Gasmangellage in Deutschland verhindert werden, doch wurde diese dank des rücksichtslosen Aufkaufens der verfügbaren LNG-Mengen gewissermaßen in den Globalen Süden exportiert, etwa nach Pakistan und Bangladesch.
Unterdessen schoss die Inflation in Deutschland durch die Decke und erreichte zeitweise über 10 Prozent. Das Resultat: Im Jahr 2022 erlitten die Haushalte einen historischen Reallohnverlust von 4,7 Prozent. Die Menschen müssen ihre Groschen beisammenhalten. Das hat selbstverständlich auch Einfluss auf die private Nachfrage, deren merkliche Verringerung – neben den (unsinnigen) Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank und der schwächelnden Weltwirtschaft – nun als einer der Hauptgründe für die ausbleibende wirtschaftliche Erholung gilt.
Wenn Ökonominnen und Ökonomen bemängeln, die »Konsumlaune« der Privathaushalte sei zurückgegangen, dann bedeutet das eigentlich: Die Menschen konsumieren weniger, weil sie spürbar ärmer geworden sind. Stand Mai 2023 gilt mehr als jeder Fünfte in Deutschland als von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet, das betrifft gut 17,3 Millionen Menschen. Im letzten Jahr verzeichneten die Tafeln in Deutschland einen um das Anderthalbfache höheren Zulauf als im Jahr zuvor. Viele Menschen, bis tief in die Mittelschicht hinein, haben keine oder kaum noch Rücklagen, auf die sie im Ernstfall zurückgreifen können.
Auch wenn die Inflation nun langsam zurückzugehen scheint, hat die Bevölkerung doch deutlich an Wohlstand eingebüßt. Hinzu kommt: Nachdem der Arbeitsmarkt lange Zeit relativ unberührt blieb, macht sich die Rezession nun auch dort bemerkbar. Infolge der zunehmenden Zahl von Firmenpleiten hat sich die Arbeitslosenzahl im Juni 2023 merklich erhöht, Tendenz weiter steigend.
Als wäre das nicht genug, droht sich diese desaströse soziale Lage durch eine sich anbahnende Deindustrialisierung weiter zu verschärfen. Zwar sollte man insbesondere Umfragen und Analysen von arbeitgebernahen Akteuren und Wirtschaftsverbänden mit einem gesunden Maß an Skepsis begegnen – sie instrumentalisieren die Situation, um dafür zu werben, Unternehmenssteuern zu senken und staatliche Regulierung zu reduzieren. Doch klare Anzeichen weisen darauf hin, dass das Risiko einer Deindustrialisierung real ist.
Infolge der extrem hohen Gas- und Strompreise ist die Produktion der energieintensiven Industriezweige im Jahr 2022 um nahezu 20 Prozent eingebrochen. Mittlerweile zeichnen sich zwar erste Stabilisierungstendenzen ab, doch die Wertschöpfung in den energieintensiven Branchen ist noch immer rückläufig. Die hohen Energiepreise zusammen mit einer vernachlässigten und maroden Infrastruktur machen derweil Investitionen in neue Anlagen unattraktiv und gefährden den Industriestandort Deutschland. So bemängelt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), dass Unternehmen zwar noch Geld in den Erhalt bestehender Anlagen steckten, doch neue Investitionen mittlerweile rar seien.
»Die Grünen vergessen bei ihren Konzepten regelmäßig, was diese konkret für ganz normale Leute bedeuten.«
Derweil locken die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) – einem riesigen Subventionsprogramm für die Industrie, das schnelle und saftige Investitionshilfen verspricht. Flankiert wird dieses Angebot von Energiepreisen, die um ein Vielfaches günstiger sind als in Deutschland. In diesem Klima treffen die Unternehmen aktuell ihre Investitionsentscheidungen – und die scheinen zunehmend gegen Deutschland auszufallen. In einer im April veröffentlichten Umfrage unter Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) gaben 16 Prozent an, Teile der Produktion inklusive Arbeitsplätze bereits jetzt ins Ausland zu verlagern. Weitere 30 Prozent denken laut Umfrage ernsthaft darüber nach.
Es gibt erste Beispiele: Gerade hat der Solarmodulhersteller Meyer Burger bekanntgegeben, dass er, angelockt durch Steuergutschriften in Milliardenhöhe, seine Produktion in den USA ausbauen wolle. Ursprünglich war die Produktionserweiterung in Ostdeutschland geplant. Vom IRA verführt, erwägen oder kündigen auch namhafte Konzerne wie Siemens, VW, Linde, Audi, BMW, Evonik oder Aurubis bereits an, ihre Investitionen in den USA auszuweiten, teils sogar mit komplett neuen Produktionsstätten.
Zwar gibt es auch in der EU Fördertöpfe und Subventionen, auf die sie zurückgreifen könnten, doch neben den hohen Energiepreisen besteht noch ein weiterer entscheidender Nachteil: langwierige Verfahren. Brüssels Beihilfe-Mühlen mahlen langsam. Weil in der EU ein knallharter liberaler Binnenmarkt vertraglich verankert ist, müssen Beihilfen immer von der EU-Kommission genehmigt werden. Für eine sinnvolle aktive Wirtschafts- und Industriepolitik, die in Krisen schnell handeln muss, ist das ungünstig. Hinzu kommt, dass der Grüne Industrieplan der EU, der als Antwort auf den IRA gedacht ist, mit diesem schlichtweg nicht mithalten kann.
Die Deindustrialisierung vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Aber es sind die Investitionsentscheidungen von heute, die darüber entscheiden, wie die hiesige Industriestruktur von morgen aussieht. Es droht ein böses Erwachen schon in wenigen Jahren, vielleicht sogar Monaten, wenn jetzt nicht schleunigst entgegengesteuert wird.
In meinem Wahlkreis Duisburg haben die vielen in der Stahlindustrie Beschäftigten und ihre Familien genau davor Angst. Zwar will der Stahlkonzern Thyssenkrupp einen von vier Hochöfen auf eine klimafreundlichere Technologie umbauen, die Zukunft hat. Allerdings werden die anderen drei Hochöfen aufgrund der hohen Energiepreise erst einmal nicht angepackt. Was soll mit ihnen geschehen?
In Fachkreisen und in der Politik – allen voran bei den Grünen – wird zunehmend diskutiert, ob es nicht tatsächlich sinnvoller wäre, die energieintensive Grundstoffindustrie, also unter anderem die Stahlerzeugung, dorthin abwandern zu lassen, wo die Energie grüner und günstiger ist, und sich hierzulande auf die Weiterverarbeitung zu konzentrieren. Dahinter steht auch die Idee, die besonders »schmutzigen« Sektoren der Industrie loszuwerden und in Deutschland Branchen zu fördern, die eher nach dem Geschmack der Grünen sind. Wie etwa die Solarindustrie. Das hört sich stark nach einer Politik der Rosinenpickerei an, nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.
Die Solarindustrie zurückzuholen und zu fördern, ist zweifellos eine gute Idee, doch der Rest des Grünen-Ansatzes ist bei näherem Hinsehen ein riskantes, geradezu naives Spiel mit dem Feuer. Wer einen Verlust der energieintensiven Industriezweige einfach so in Kauf nimmt, verkennt, dass diese Industrien nicht nur hochinnovativ und forschungsintensiv sind – sie erwirtschaften auch über 20 Prozent der industriellen Wertschöpfung. Mit ihnen würden auch über Jahrzehnte aufgebaute Kernkompetenzen verloren gehen.
Hinzu kommt, dass die Erzeugnisse dieser Industrien für fast alle Wertschöpfungsketten essenziell sind und allen voran in der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft benötigt werden. Kein Windrad, kein Zug, keine Schiene kommt ohne sie aus. Wenn uns die letzten Jahre eines gezeigt haben, dann dass man sich in bestimmten Branchen seine Autonomie erhalten muss. Insbesondere im sich verstärkenden Konflikt zwischen den USA und China ist Deutschland gut beraten, strategisch wichtige Grundstoffindustrien zu bewahren und zu transformieren, anstatt neue Abhängigkeiten zu schaffen.
Die ganze Naivität der Industrie- und Energiepolitik der Grünen zeigt sich darin, dass sie zwar auf vermeintlich sauberere Industrien wie die Solar- und Windkraft setzen, gleichzeitig aber eine harte Gangart – auch wirtschaftspolitisch – gegen Länder wie Russland und China wünschen. Das Problem dabei ist, dass viele der für die Energiewende benötigten Rohstoffe (unter anderem seltene Erden) aus diesen beiden Ländern kommen oder der globale Handel mit jenen Rohstoffen von China kontrolliert wird.
»Die umgesetzten Energiesanktionen schaden hauptsächlich Europa, nicht Russland, helfen der Ukraine nicht und nützen vor allem der US-Fracking-Industrie und allen Energiekonzernen, die wegen der gestiegenen Preise kräftig abgesahnt haben.«
Auch ist nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen es auf die restliche Wertschöpfungskette hätte, wenn die energieintensiven Grundstoffindustrien abwandern würden. In Anbetracht ihrer Verkettung in Produktionsnetzwerken ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihr langfristig eine Reihe anderer Industriezweige folgen würden. In einer Art Dominoeffekt könnten weitere Wertschöpfungsketten wegbrechen und das industrielle »Ökosystem« in Deutschland massiv ins Wanken geraten. Ist der Stein erst einmal ins Rollen gebracht, wird eine Umkehrung dieses Prozesses enorm schwierig. Das hätte gravierende Folgen für die betroffenen Regionen.
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck möchte die energieintensive (Grundstoff)-Industrie mithilfe eines Industriestrompreises erhalten. Dafür will er mit rund 30 Milliarden Euro die Strompreise, die aufgrund der eigenen Wirtschafts- und Energiepolitik in die Höhe geschossen sind, für große Konzerne über mehrere Jahre hinweg runtersubventionieren. Doch selbst wenn es Habeck letztendlich trotz aller Widerstände seitens des Finanzministers oder der EU-Kommission gelingen sollte, den Industriestrompreis durchzusetzen, so stehen andere Wirtschaftszweige, allen voran der Mittelstand, noch immer im Regen.
So notwendig ein Industriestrompreis in der aktuellen Situation auch ist, besser wäre es, an den Ursachen für die hohen Energiepreise anzusetzen – etwa der Art und Weise, wie der Strompreis überhaupt entsteht. Auch könnte man die Bezugsquellen für Energie doch noch einmal überprüfen. Kürzlich musste Habeck die Hoffnung zugeben, dass noch über viele Jahre russisches Gas über die Pipeline durch die Ukraine nach Osteuropa fließen wird. Anderenfalls müsste Deutschland den EU-Nachbarn Gas abgeben, was gegebenenfalls zur Folge hätte, dass hierzulande die Industrie stillgelegt werden müsste.
An diesem Beispiel wird der ganze Unsinn der Energiesanktionen gegen Russland deutlich: Wenn viele unserer osteuropäischen Nachbarn noch über Jahre russisches Gas kaufen dürfen oder sogar sollen, warum eigentlich nicht auch wir? Das russische Gas ist schließlich immer klimafreundlicher und vor allem preiswerter gewesen als das jetzt in großen Mengen gekaufte US-Flüssiggas, das hauptsächlich mit der umweltschädlichen Fracking-Methode gewonnen wird. Das Ganze wird noch absurder, wenn man bedenkt, dass die Ukraine selbst massiv aus russischem Öl hergestellte Treibstoffe in Bulgarien, Ungarn und der Türkei kauft, und einige europäische Länder nun sogar mehr Flüssiggas aus Russland importieren als vor der Invasion.
Im heutigen medialen Klima löst eine solche Argumentation vielfach Kopfschütteln aus, denn uns wird erzählt, dass man den Krieg in der Ukraine finanziere, wenn man Gas aus Russland kauft. Das ist jedoch nicht korrekt, denn Russland benötigt die Einnahmen aus dem Energieexport gar nicht, um beispielsweise seine Streitkräfte zu bezahlen, wie das SPD-nahe IPG-Journal schon im März 2022 richtigstellte. Außerdem nahm Russland 2022 ganze 28 Prozent mehr mit Energieexporten ein als im Jahr zuvor. Der Grund hierfür ist vor allem, dass wegen der westlichen Sanktionen und den Folgehandlungen die Energiepreise massiv gestiegen sind.
Für 2023 werden die russischen Einnahmen zwar geringer ausfallen, aber dass deshalb ernsthafte finanzielle Probleme auf das Land zukommen, ist unwahrscheinlich. Niemand hat etwas dagegen, Deutschlands Energiebezug zu diversifizieren. Aber die umgesetzten Energiesanktionen schaden hauptsächlich Europa (den Menschen und der Wirtschaft), nicht Russland, helfen der Ukraine nicht und nützen vor allem der US-Fracking-Industrie und allen Energiekonzernen, die wegen der gestiegenen Preise kräftig abgesahnt haben.
»Anstatt Energiepreise immer teurer zu machen und zugleich den Industriestrompreis zu subventionieren, wäre es sinnvoller, direkt die Umstellung der Industrieanlagen auf klimafreundlichere Produktionstechniken zu subventionieren.«
Natürlich müssen wir alle Kräfte in Bewegung setzen, um die erneuerbaren Energien schnellstmöglich auszubauen und langfristig unabhängiger von Gas zu werden. Aber auch hier versagt die Bundesregierung. Statt der versprochenen vier bis fünf Windkraftanlagen werden gerade mal eineinhalb pro Tag fertiggestellt. Es bräuchte eine enorme Investitionsoffensive. Mit der aktuellen Sparpolitik, die Christian Lindner durchdrückt, ist das nicht zu machen.
Die grüne Wirtschaftspolitik ist derweil geprägt von zwei gefährlichen Glaubenssätzen, die den perfekten Cocktail für eine elitäre, realitätsferne und unsoziale Klima- und Industriepolitik liefern: Erstens muss für sie Energie so teuer wie möglich sein, damit es Anreize gibt, sie zu sparen oder auf (vermeintlich) sauberere Alternativen umzusteigen – auch wenn diese noch gar nicht zur Genüge verfügbar sind. Zweitens setzen die Grünen weitgehend auf den freien Markt und Freihandel und sind sehr zurückhaltend, oft skeptisch, was große staatliche Investitionen angeht. Vielmehr setzt die grüne Industriepolitik darauf, den Rahmen sowie Anreize zu schaffen, um privates Kapital für die Transformation zu mobilisieren, Stichwort »transformatorische Angebotspolitik«.
Diese Strategie reicht schlichtweg nicht aus, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Es bräuchte vielmehr eine planerische Industriepolitik für Klima und Beschäftigung, in der der Staat notwendigerweise eine aktivere Rolle einnehmen muss. So zeigt sich die markliberale Strategie bisher auch außerordentlich erfolglos: Laut einer aktuellen Untersuchung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) fällt Deutschland bei den Investitionen seit Jahren zurück und droht nun Schlusslicht zu werden.
Anstatt Energiepreise immer teurer zu machen (auch durch den Emissionshandel) und zugleich den Industriestrompreis zu subventionieren, wäre es sinnvoller, direkt die Umstellung der Industrieanlagen auf klimafreundlichere Produktionstechniken zu subventionieren. Das Wirtschaftsministerium hat zwar die ersten Förderungen für den Umbau in der Stahlindustrie freigegeben, jedoch wird hier das nächste Manko der grünen Wirtschafts- und Industriepolitik deutlich: Wenn öffentliches Geld fließt, dann oftmals ohne dass die öffentliche Hand an späteren Profiten beteiligt wird, geschweige denn mehr Mitsprache erhält. Stattdessen bräuchte es öffentliche Industriestiftungen mit starken Mitspracherechten für die Beschäftigen und die Regionen.
Man kann es nicht anders sagen: Die Grünen vergessen bei ihren Konzepten regelmäßig, was diese konkret für ganz normale Leute bedeuten. Das zeigt sich nicht nur bei der letztlich gescheiterten Gasumlage oder beim derzeit geplanten unsozialen Heizungsgesetz, sondern eben auch bei der Industriepolitik. Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hängen an den fünf energieintensiven Branchen direkt und indirekt bis zu 2,4 Millionen Arbeitsplätze – hinzu kommen die Familienangehörigen, die auf die Einkommen dieser Beschäftigten angewiesen sind. Ihr Wegfall würde ein enormes Loch aufreißen, das erstmal mit ähnlich gut bezahlten und tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen gestopft werden müsste. Die sind bisher noch nicht in Sicht.
Ein Blick nach Großbritannien, nach Ostdeutschland oder ins Ruhrgebiet genügt, um sich der enormen sozialen Kosten von Prozessen der Deindustrialisierung in ganzen Städten oder Regionen gewahr zu werden. Die Politik trägt die Verantwortung, das Land und die Menschen vor solchem Schaden zu bewahren.
Christian Leye ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.