28. Oktober 2021
Eine Kamerafrau kommt während der Dreharbeiten durch den Schuss einer Waffe ums Leben. Das liegt nicht nur daran, dass Alec Baldwin versehentlich den Abzug drückte – sondern vor allem an den Arbeitsbedingungen beim Film.
Mahnwache für Halyna Hutchins, 23. Oktober 2021.
Am Donnerstag, dem 21. Oktober, kam die Kamerafrau Halyna Hutchins am Set des Films Rust ums Leben, als sich eine Requisitenpistole, die der Schauspieler und Produzent Alec Baldwin in der Hand hielt, versehentlich entlud. Hutchins wurde getötet und der Regisseur des Films, Joel Souza, verletzt.
Schon vor dem tödlichen Vorfall gab es Probleme am Set; die Produktionsfirma wollte ihr niedriges Budget und den 21-tägigen Drehplan einhalten und sparte deshalb an allen Ecken. Sechs Mitglieder der Kameracrew, die der International Alliance of Theatrical Stage Employees (der Film-Gewerkschaft IATSE) angehören, hatten den Drehort verlassen, nachdem niemand auf ihre Bedenken bezüglich der Sicherheit und Arbeitsbedingungen am Set reagiert hatte. Sie kündigten nur sechs Stunden bevor sich der tödliche Schusswechsel ereignete und wurden durch Crewmitglieder ersetzt, die keiner Gewerkschaft angehören. Ein Produzent drohte, den Sicherheitsdienst zu rufen, wenn die gewerkschaftlich organisierten Crewmitglieder das Gelände nicht freiwillig verlassen würden.
Wie die Los Angeles Times berichtet, bemängelten diese organisierten Crew-Mitglieder »die Arbeitsbedingungen des Low-Budget-Films und beschwerten sich unter anderem über lange Arbeitszeiten, lange Anfahrtswege und Zahlungsverzug bei den Löhnen«. Unter einem Facebook-Post, den Alec Baldwin verfasst hatte, um seine Solidarität mit der IATSE auszudrücken, die neue Dreijahresverträge für 60. 0000 Mitarbeiter aushandelt, hinterließ Lane Luper – Kameramann bei Rust – Kommentare, die nahelegen, dass bei der Produktion ein straffer Zeitplan und niedrige Lohnkosten wichtiger waren, als die Sicherheit der Crewmitglieder.
»Die Produzenten des Films behandeln die Crew wie Dreck«, schrieb Luper und fügte hinzu, dass einige Crew-Mitglieder keine ordentlichen Gehaltsschecks und keine Unterkunft in der Nähe des Drehorts erhalten hätten. Ein Mitglied, so Luper, habe in seinem Auto geschlafen, weil die Produktion ihm eine Unterkunft verwehrt hatte und er »zu müde war, um eine ganze Stunde nach Hause zu fahren«. »Niemand sollte bei einer Produktion in der Kälte in seinem Auto schlafen müssen, um nicht auf dem Heimweg zu sterben«, schrieb Luper.
Hutchins selbst setzte sich laut Los Angeles Times bereits vor dem Vorfall für bessere Arbeitsbedingungen am Set ein und habe »Tränen in den Augen« gehabt, als das Kamerateam am Donnerstagmorgen abreiste. Nur zwei Tage vor den Dreharbeiten postete Hutchins ein Foto der Crew auf Facebook mit der Überschrift »Our IATSE solidarity on RUST«. Sie war Mitglied der Ortsgruppe 600, die nun eine GoFundMe-Seite eingerichtet hat, um den Ehemann und den neunjährigen Sohn, die sie hinterlässt, zu unterstützen.
Die Dreharbeiten zum Film fanden auf der Bonanza Creek Ranch außerhalb von Santa Fe in New Mexico statt – einem beliebten Ort für Filmproduktionen. Den Ermittlungen des Sheriffs von Santa Fe zufolge wusste Baldwin nicht, dass die Waffe geladen war (auch die Handlung des Films beruht auf einer versehentlichen Tötung). Dave Halls, der Regieassistent des Films, hatte Baldwin die Waffe kurz vor den Dreharbeiten mit den Worten überreicht, dass es sich um eine »Cold Gun« handele, also eine ungeladene Schusswaffe. Auch wenn Regieassistenten in vielen Fällen die Sicherheit am Set verantworten, bleibt dennoch unklar, warum es Halls war, der Baldwin die Waffe übergab, und nicht die zuständige Waffenmeisterin, die solche Aufgaben am Set üblicherweise übernimmt.
Einige bestätigen Halls’ Kompetenzen – ein Filmemacher, der mit ihm zusammengearbeitet hat, sagte der Los Angeles Times, er sei ein »guter Manager«. Andere hingegen widersprechen: Ein Crewmitglied, das mit Halls zusammengearbeitet hat und angesichts des heiklen Vorfalls anonym bleiben möchte, sagte, Halls sei zwar »kein schlechter Typ«, doch mindestens mindestens einer seiner Kollegen habe Halls den Spitznamen »Safety Last« (Sicherheit kommt zum Schluss) verpasst.
»Er hat nie eine Untersuchung der Waffen durchgeführt, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, und er machte Witze darüber, wie sinnlos es sei, sie doppelt zu überprüfen«, sagte das Crewmitglied. Diese Beschreibung deckt sich mit den Aussagen, die ein anderer ehemaliger Mitarbeiter von Halls gegenüber NBC News machte. Berichte, denen zufolge die Sitzungen für die Sicherheit am Set von Rust gestrichen wurden, legen Ähnliches nahe.
Regieassistenten mit Sicherheitsaufgaben zu betrauen, birgt besondere Risiken, da sie den Produzenten gegenüber verpflichtet sind. Das macht es ihnen schwerer, Sicherheitsbedenken anzusprechen, selbst wenn sie wollten.
»Wenn die Assistenten zu oft Widerrede leisten, könnten sie gefeuert werden«, so das Crewmitglied, das mit Halls arbeitete. »Die Produzenten bevorzugen Assistenten, die mit dem Strom schwimmen und die Dinge einfach geschehen lassen.«
Die Waffenmeisterin – also die Person, die am Set für die Überwachung der Waffen zuständig ist –, war Hannah Gutierrez, eine 24-jährige, die gerade ihren ersten Job als Waffenmeisterin beim Film The Old Way hinter sich hatte. Gutierrez ist die Tochter von Thell Reed, einem Experten für Schusswaffen, der seit vielen Jahren die Filmindustrie berät. In einem Podcast sagte Gutierrez letzten Monat über ihre Erfahrungen bei The Old Way: »Ich war erstmal ziemlich nervös und hätte den Job fast nicht angenommen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich schon bereit dafür bin, aber als ich dann loslegte, lief es reibungslos.«
Diese Unerfahrenheit ist ein Teil der Geschichte, und das nicht nur im Sinne der Schuld. »Die Tatsache, dass die Waffenmeisterin jung ist, spielt insofern eine Rolle, als dass man auch weniger Möglichkeiten hat, sich zu äußern, wenn man jung oder neu ist [ohne gefeuert zu werden]«, sagt Leah Caddigan, eine unabhängige Filmemacherin und ehemalige Produktionsassistentin. Sogenannte Corona-Beauftragte, die seit Ausbruch der Pandemie landesweit bei Produktionen eingesetzt werden und größtenteils nicht gewerkschaftlich organisiert sind, würden derzeit »ständig« gefeuert, fügt Caddigan hinzu. »Corona-Beauftragte werden entlassen, weil sie die Regeln nicht zugunsten der Produzenten auslegen«, sagt sie.
Viele in der Branche sehen den Vorfall bei Rust als tragische Folge der Einsparungen bei den Lohnkosten, um die straffen Budgetpläne einzuhalten. In einem Facebook-Post über Hutchins’ Tod erwähnte einer der Beleuchter bei Rust zwar die Unerfahrenheit von Gutierrez, doch er betonte vor allen Dingen das fahrlässige Verhalten der Produktionsfirma, die für niedrige Personalkosten bereit war, die Sicherheit der Angestellten aufs Spiel zu setzen.
»Um jeden Cent zu sparen, stellt man manchmal Leute ein, die für die komplizierte und gefährliche Arbeit nicht richtig qualifiziert sind. Man riskiert damit das Leben der anderen Leute, aber auch das eigene«, schrieb der Beleuchter und fügte hinzu: »Es stimmt, dass die Profis manchmal mehr kosten und etwas anspruchsvoller sein können, aber das ist es wert. Kein gesparter Penny rechtfertigt den Verlust des LEBENS eines Menschen!«
Bei Low-Budget-Filmen wie Rust zeigen sich die Risiken, die auftreten, wenn bei der Arbeitssicherheit Abstriche gemacht werden, besonders deutlich.
Adam Richlin, ein ehemaliger Beleuchter, der über zehn Jahre zunächst nicht in einer Gewerkschaft organisiert war, beschreibt einen Vorfall bei einem unabhängigen Low-Budget-Film, für den er arbeitete und der ähnlich wie die Dreharbeiten am Donnerstag hätte enden können, wenn der Chef der Kameracrew nicht in letzter Minute eingeschritten wäre.
»Bei diesem Film gab es keinen Waffenmeister«, sagt Richlin. Stattdessen beauftragten die Produzenten zwei junge Produktionsassistenten mit der Suche nach Requisiten für eine Szene, in der zwei Schauspieler Pistolen in ihren Hosenbünden stecken haben sollten. »Sie kamen mit zwei Schusswaffen zurück, doch es waren echte Pistolen, mit echten Patronen. Erst während der Proben beschloss unser Chef der Kameracrew, den Schauspielern die Pistolen abzunehmen, inspizierte sie und stellte fest, dass sie echte Munition enthielten.«
Daraufhin ging der Kameramann zu den Produzenten und erklärte ihnen, dass die Pistolen nicht verwendet werden könnten. Doch anstatt sich bei dem Crewmitglied zu bedanken, betrachteten die Produzenten ihn als »Unruhestifter«, so Richlin. In der nächsten Woche kehrte die Crew zum Drehort zurück, nur um zu erfahren, dass »die Produzenten und Drehbuchautoren es so amüsant fanden, dass wir die Sache ernst nahmen, dass sie eine Szene einbauten, in der eine Figur eine Harpunenkanone benutzt«, sagt Richlin. Der Chef der Kameracrew nahm auch diese Waffe an sich – und die Szene wurde nie gedreht.
Dieser Fall dreht sich nicht nur um den sicheren Umgang mit Waffen am Set – nach dem Tod von Brandon Lee 1993 bei den Dreharbeiten von The Crow wurden diesbezüglich tatsächlich Verbesserungen vorgenommen. Es geht vor allem darum, dass die Crew-Mitglieder darauf hinweisen, dass dieser Vorfall auf Einsparungen bei den Arbeitskräften zugunsten von Zeitersparnis und Profit zurückzuführen ist. Sie verbinden den Tod von Hutchins mit der Diskussion über Arbeitszeiten und die gesamte Planung am Set, die im Zuge der Verhandlungen der Filmgewerkschaft mit den Studios über neue Verträge einen Höhepunkt erreicht haben.
»Diese Situation endete tödlich, weil eine Waffe im Spiel war, aber die Probleme mit dem Arbeitsschutz gibt es andauernd«, sagt Richlin. »Wir sehen Crew-Mitglieder, die sterben, nachdem sie von der Arbeit an langen Tagen nach Hause fahren. Den Produzenten ist das alles egal. Sie werden dich am nächsten Tag ersetzen und weitermachen. Sie würden ein ganzes Dorf niederbrennen, um ihr Ding durchzuziehen, und es einfach abgebrannt zurücklassen.«
»Es läuft alles darauf hinaus, dass dieses Geschäftsmodell von oben herab eine bestimmte Menge an unhaltbaren Kosten und Praktiken voraussetzt, die zu diesen unmenschlichen Bedingungen führen. Dabei können Menschen ihr Leben verlieren, oder sie haben wegen der langen Arbeitszeiten kein normales Leben mehr«, sagt der mit Hutchins befreundete Kameramann Tim S. Kang. »In Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitspensum müssen sich die Erwartungen ändern, wenn wir die Künstlerinnen und Crew-Mitglieder, die die von den Medienunternehmen verkauften Inhalte produzieren, auch nur ansatzweise fair behandeln wollen. Das Problem sind wirklich diese unrealistischen Erwartungen, die auf einer mittlerweile fehlerhaften, vierzig Jahre alten Praxis beruhen, und die die Zeit und die Arbeit, die notwendig sind, um die Ware Film zu produzieren, nicht ernst nehmen.«
Es bleibt abzuwarten, ob sich der Vorfall auf die Abstimmung der Gewerkschaftsmitglieder zur vorläufigen Vereinbarung mit den Studios auswirken wird. In einem Moment, in dem die Beschäftigten der Branche ohnehin nicht länger bereit sind, Bedingungen zu akzeptieren, die ihre Gesundheit und Sicherheit gefährden, hat der Tod von Hutchins noch einmal auf tragische Weise gezeigt, wie dringlich die Probleme sind, auf die die Gewerkschaftsmitglieder aufmerksam gemacht haben.
Catherine Repola, die einzige offizielle Leiterin einer Ortsgruppe der Gewerkschaft, die von der Unterzeichnung der letzten Vereinbarung von 2018 abgeraten hatte, ermutigte ihre Ortsgruppe nun dazu, die aktuelle Vereinbarung zu unterschreiben. In einer Mail, die am Wochenende an die Mitglieder der Local 700 – eine der größten Ortsgruppen, für die der Vertrag gilt – verschickt wurde, schrieb Repola: »Wenn ihr der Meinung seid, dass wir nicht genug bekommen haben, dann könnt ihr mir glauben, dass ich euch zustimme. Doch wir haben das Beste bekommen, was wir bekommen konnten, ohne zu streiken, was unser Ziel war.« Sie schloss mit der Bemerkung: »Letztendlich liegt es an euch, wie ihr abstimmen wollt, und wie auch immer die Mehrheit entscheidet, ich werde weiterhin stolz an eurer Seite zu stehen.« Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Mitglieder die Vereinbarung mit den Studios ablehnen, selbst wenn alle offiziellen Gewerkschaftsvorstände es ihnen empfehlen – die 10.000 streikenden Beschäftigten des Gartenmaschinenherstellers John Deere haben gerade genau das getan. Um das zu erreichen, liegt jedoch noch ein harter Kampf bevor.
Nachdem die Kameraassistentin Sarah Jones – wie Hutchins auch Mitglied der Local 600 – bei den Dreharbeiten zu Midnight Rider im Jahr 2014 in Georgia tödlich von einem Güterzug erfasst wurde, sprachen viele in der Branche von notwendigen Veränderungen. Bei diesem Vorfall wurde Hillary Schwartz, die Produktionsassistentin des Films, wegen Totschlag und Hausfriedensbruch zu zehn Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Allerdings wurde nicht genug getan, um die Produktionsfirmen dazu zu bringen, die Mittel für bessere und sichere Arbeitsbedingungen bereitzustellen: Hutchins ist bereits die vierte Kamerafrau, die in den letzten zehn Jahren in den USA bei Dreharbeiten getötet wurde. Auf einer Mahnwache für Hutchins in Burbank am Sonntagabend sagte der Vater von Sarah Jones: »Das ist einfach eine Nachlässigkeit, die hier stattfindet. Wenn die Verantwortlichen die Menschen respektieren würden, für die sie eigentlich verantwortlich sind, dann verstehe ich nicht, wie sie so rücksichtslos sein können.«
Während die Ermittlungen zu Hutchins' Tod noch andauern, sind viele Beschäftigte in der Branche der Meinung, dass die Produktionsfirma letztlich die Schuld an der Tragödie trägt.
»Das fahrlässige Verhalten der Produktionsfirma trägt die Hauptschuld, unabhängig davon, wie genau der Vorfall abgelaufen ist«, so Kang.
»Das hier ist kein zufälliger, tragischer Unfall«, sagt Caddigan. »Mehrere Sicherheitsvorkehrungen mussten wissentlich ignoriert werden, damit eine Person tödlich angeschossen und eine weitere Person verletzt werden konnte.«
Das Verschulden Alec Baldwins liegt weniger darin, dass er als Schauspieler Hutchins versehentlich erschossen hat, sondern dass er als Produzent die unsicheren Arbeitsbedingungen geschaffen hat, die zu ihrem Tod führten.
»Es gibt Produzenten, die – ob vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit – für das verantwortlich sind, was passiert«, sagt Richlin. »Produzenten verdienen eine Menge Geld, aber sie tragen auch ein großes Risiko. Es gibt einige Produzenten, die diese Rolle ernst nehmen, und andere, die das nicht tun. Wenn Alec Baldwin diese Rolle übernimmt, ist er lange genug in der Filmbranche dabei, um auch die Verantwortung dafür zu übernehmen.«
»[Hutchins] neunjähriger Sohn wird ohne seine Mutter aufwachsen und nie wieder mit ihr sprechen können«, sagt Kang. »Ihr Ehemann muss die Scherben aufsammeln, während internationale Nachrichtenagenturen ihren Namen und ihr Gesicht mit dem Schauspieler und Produzenten dieses Arbeitsplatzes verbinden, der sie getötet hat.«
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.