02. Juli 2025
Den Kommunisten Hans Beimler, der heute vor 130 Jahren geboren wurde, kennt heute kaum jemand – zu Unrecht. Sein Lebensweg ist das Abbild eines unbeirrbaren Kämpfers gegen den Faschismus.
Gezeichnet von Weltkrieg und der Arbeit in der Industrie, kämpften Funktionärinnen und Funktionäre der Arbeiterbewegung wie Beimler für eine andere Welt.
Johannes »Hans« Beimler wurde am 2. Juli 1895 in München geboren. Seine Mutter, eine Haushälterin, gab den Neugeborenen zu ihrer Familie in die Oberpfalz, da sie selbst finanziell nicht in der Lage war, für ihn zu sorgen. Von seinem Vater, ein Soldat, ist nichts weiter bekannt. In der Oberpfalz nahm ihn sein Großvater in die Obhut. Sein Onkel bildete ihn später, wie es in der Familie üblich war, zum Schlosser aus. Mit sechzehn Jahren verließ er die Familie und ging der finanziellen Not wegen auf Wanderschaft, um Arbeit zu suchen. Er verdingte sich im ganzen Königreich Bayern. Die Armut brachte ihn schließlich wieder zurück nach München
In München wie im gesamten Deutschen Kaiserreich liefen 1913 die Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren, in der Rüstungsindustrie wurden Arbeitskräfte gesucht. Hans Beimler war damals achtzehn Jahre alt. Er fing an, in einer Artilleriewerkstatt zu arbeiten und schloss sich dem Deutschen Metallarbeiterverband an, dem Vorläufer der heutigen IG Metall. Zwei Jahre nach Kriegsausbruch wurde Beimler in die Marine eingezogen, wo er bis zum Ende als Minensucher tätig war und das Eiserne Kreuz II. Klasse erhielt.
Sein Leben in Armut, die Verbindung zum Metallarbeiterverband und der gut organisierten Arbeiterklasse in der Industrie sowie die Kriegsgeschehnisse hatten Hans Beimler zum Revolutionär werden lassen. Als sich im November 1918 die Marinesoldaten gegen die selbstmörderischen Befehle der militaristischen Obrigkeit erhoben und ein Ende des Kriegs forderten, war Hans Beimler vorne mit dabei. Laut eigenen Aussagen gründete Beimler den Spartakusbund in Cuxhaven mit, organisierte von dort aus Unterstützung für die Bremer Räterepublik und Demonstrationen revolutionärer Soldaten.
In Deutschland grassierten Armut, Hunger und Seuchen. Hunderttausende Kriegsversehrte prägten das Straßenbild, Millionen deutscher Arbeiter waren tot. Aus einer militärischen Krise wurde für das deutsche Kaiserreich eine ökonomische und schlussendlich eine politische. Im ganzen Reich brach die alte Ordnung zusammen. Revolutionäre Soldaten und Arbeiterinnen und Arbeiter erhoben sich, zum Teil mit Unterstützung der Bauern, und beseitigten die Privilegien des Adels und den wilhelminischen Staat. Hans Beimler zog es in dieser Zeit zurück nach München.
Als er im Frühjahr 1919 dort eintraf, befand sich Bayern politisch im Chaos. Der erste Versuch in Bayern, eine Räterepublik zu schaffen, scheiterte nach wenigen Monaten. Bayerns erster Ministerpräsident, der Sozialist Kurt Eisner (USPD), wurde von einem völkischen Antisemiten ermordet. Anhänger des Rätesystems und des Parlamentarismus befanden sich miteinander in Konflikt. Die neu gewählte SPD-Landesregierung besaß keinen Rückhalt und musste ins Exil ins fränkische Bamberg fliehen.
Indessen übernahmen die Anhänger der im Januar 1919 gegründeten KPD/Spartakusbund die Macht und gründeten eine zweite, kommunistische, Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Zu dieser Zeit schloss sich Beimler der KPD an und übernahm in der Räterepublik eine Funktion in der Beschlagnahmekommission. Im Gegensatz zur ersten Räterepublik wollten die Kommunisten das kapitalistische Privateigentum abschaffen. Reichswehrminister Gustav Noske beschloss am 17. April den Einsatz der Reichswehr zur Niederschlagung der Räterepublik, um die Ordnung wiederherzustellen. In Dachau konnte die »Rote Armee« die anrückenden Truppen noch zurückschlagen. Beimler beteiligte sich dort an den Kämpfen, wenn ihm dies auch später nie nachgewiesen werden konnte.
»Die Putschisten wären fast erfolgreich gewesen – scheiterten aber an der Arbeiterklasse.«
Am 1. Mai 1919 eroberten Reichswehr und Freikorps München. Es folgten viele Monate, in denen die reaktionären Truppen Massaker an vermeintlichen Räterepublikanern verübten und Menschen massenhaft inhaftierten. Hans Beimler verbrachte sieben Wochen in Untersuchungshaft, bis er aufgrund mangelnder Beweise freigelassen wurde. Die KPD wurde in Bayern verboten und ihre Anhänger wurden verfolgt. Der bayerische KPD-Führer Eugen Leviné wurde wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und am 5. Juni desselben Jahres erschossen. Max Levien, eine weitere KPD-Führungsperson, konnte nach Sowjetrussland fliehen, wo er tragischerweise der stalinistischen Säuberung zum Opfer fiel.
Erst im Februar 1920 wurde das KPD-Verbot wieder aufgehoben. Rund einen Monat später verübten Teile des deutschen Militärs um die Generäle Ludendorff, von Lüttwitz und den Verwaltungsbeamten Wolfgang Kapp als Reaktion auf die Versailler-Verträge einen Putsch. Ihr erklärtes Ziel war das Ende der Republik und die Rettung des »altpreußischen Beamtenstaates«. Die Putschisten wären fast erfolgreich gewesen, scheiterten aber an der Arbeiterklasse. Durch einen Generalstreik, der von den drei Arbeiterparteien SPD, USPD und KPD gemeinsam ausgerufen wurde, konnten die Putschisten aufgehalten werden. Hans Beimler wurde kurz vorher 1. Obmann der KPD-Sektion München Oberhausen.
Die junge Weimarer Republik kam nicht zur Ruhe. Die KPD traf in den folgenden Monaten eine fatale Entscheidung. Aufgrund der falschen Annahme, wonach in Deutschland noch eine revolutionäre Situation bestehen würde, wagte die KPD in Mitteldeutschland im März 1921 einen großen Aufstand. Der Aufstand blieb räumlich begrenzt, da zum Beispiel die bayerische KPD kein mobilisierbares Potential sah. Jedoch rief sie die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu auf, keine Truppen und Munition zu transportieren, damit »die bayerischen Truppen unseren kämpfenden Brüdern nicht in den Rücken fallen«.
Die Münchener Polizei verhaftete daraufhin Hans Beimler und siebzehn weitere Kommunisten. Vor Gericht wurde Beimler wegen »Hochverrats« und »einem Verbrechen wider das Sprengstoffgesetz«, trotz fehlender Beweise, zu zwei Jahren und drei Monaten Festungshaft verurteilt. Beimler verbüßte bis zum April 1923 die vollständige Haftzeit. Die KPD wurde infolge des Mitteldeutschen-Aufstandes in Bayern bis zum Oktober 1921 verboten. Nach Beimlers Haftentlassung war es in der Weimarer Republik und auch in Bayern nicht ruhiger geworden. Im Mai 1923 griffen bewaffnete Nationalsozialisten die Maikundgebungen der Arbeiterparteien an. Im Oktober unternahm die KPD in Hamburg einen weiteren, selbstmörderischen, Aufstandsversuch. Am 9. November desselben Jahres ereignete sich der »Hitler-Putsch«. Die KPD blieb in Bayern bis zum Februar 1925 in Bayern verboten.
Hans Beimler wurde wegen mehrerer kleinen Delikte immer wieder zu kleineren Geld- und Haftstrafen verurteilt. Nach seiner Haft fing Beimler an, in der Münchener Metallindustrie zu arbeiten und dort gewerkschaftlich tätig zu werden. Friedbert Mühldorfer hielt in seinen biographischen Skizzen fest, dass seine Fähigkeit »sich klar und glaubhaft auszudrücken«, ihm viel Ansehen verschaffte. Im März 1924 wurde er zum Vorsitzenden des Betriebsrats der Firma Krauß gewählt und in der KPD 1925 zum Verantwortlichen für Betriebsarbeit im Bezirk Südbayern. So führten ihn seine Wege auch das erste Mal in die junge Sowjetunion. Die von der KPD einberufene Betriebsräteversammlung in München, an der Vertreter aller Arbeiterparteien teilnahmen, wählte ihn als einen Delegierten für die erste deutsche Arbeiterdelegation nach Russland. Ziel war es, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Sowjetrusslands kennenzulernen und in Deutschland darüber zu berichten. Letzteres verhinderte die bayerische Polizei mehrfach, trotz der Teilnahme von Delegierten der SPD.
Da Beimler bei der Betriebsarbeit besonders hervorstach, machte ihn die KPD Südbayern zum Leiter für Gewerkschaftsarbeit. In der KPD tobte damals der Konflikt zwischen einem revolutionären und einem eher realpolitisch orientierten Flügel. Beimler gehörte vermutlich keiner der Fraktionen an, kannte jedoch durch seine praktische Parteiarbeit den »Widerspruch zwischen den Erfordernissen einer revolutionären Partei, die noch immer auf die Massenmobilisierung für die Revolution setzte, und der Wirklichkeit in den Betriebs- Orts- und Wohngebietsgruppen«, so die Schlussfolgerung von Friedbert Mühldorfer. Dennoch ging er den Weg der Revolutionären Gewerkschaftsopposition mit, mit dem die KPD versuchte, in Widerspruch zum Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund eine eigene gewerkschaftliche Organisation zu schaffen. Der Erfolg blieb jedoch aus und die KPD hatte sich damit zum Teil von der Arbeiterklasse entfremdet.
Am 16. März 1928 brachte sich Hans Beimlers Frau Magdalena um. Die beiden hatten am 1. Juli 1919 geheiratet, nachdem Beimler sie zum Umzug nach München überreden konnte. Im September 1919 bekamen sie ihr erstes Kind. Das zweite Kind kam im April 1921 zur Welt, als Beimler in Untersuchungshaft saß. Die Ehe der beiden galt als »zerrüttet«, Beimler hatte zum Zeitpunkt von Magdalenas Selbstmord schon fast ein Jahr lang eine Affäre mit der »18-jährigen Parteiangestellten« Centa Dengler. Seine Frau fühlte sich mit der Kindererziehung überfordert, der Lohn ihres Mannes war »karg«, reichte gerade so zum Leben. Hans Beimler hatte sie faktisch mit den Kindern allein gelassen, sein Leben galt nur der Partei.
Der Selbstmord seiner Frau wurde zum politischen Skandal. Es wurden Forderungen nach dem Ausschluss Beimlers aus der Partei laut. Die Parteikommission untersuchte die Umstände. Beimler betrieb Schuldabwehr und behauptete, seine Frau habe ihn selbst fast in den Selbstmord getrieben. Er erhielt eine »verschärfte Rüge«, wurde aus seinen Ämtern entlassen, durfte nicht zur anstehenden Landtagswahl antreten, wurde nach Augsburg versetzt, aber wurde nicht aus der Partei ausgeschlossen – vermutlich war seine Rolle als Funktionär zu zentral. Das Thema galt damit als beendet.
Eigentlich sollte Hans Beimler nur kurzzeitig in Augsburg verbleiben, doch es kam anders. Die Partei in Augsburg war schlecht organisiert, zerstritten. Im Verhältnis zur Bedeutung Augsburgs als einer der drei größten Industriestädte Bayerns war die Mitgliederzahl zu niedrig. Seine in München gesammelten Erfahrungen nutzte Beimler in Augsburg geschickt. Er organisierte die KPD straffer, stärkte die Straßenagitation und die Betriebsarbeit in der Metall- und Textilwarenindustrie. Im Dezember 1929 konnte die KPD mit vier Mandaten in den Stadtrat einziehen. Beimler wurde Fraktionsvorsitzender und nutzte den Stadtrat gemäß der Parteistrategie als »Propagandatribüne«. Doch auch Realpolitik stand bei ihm auf der Tagesordnung. Die Wirtschaftskrise kostete vielen die Anstellung und das Einkommen. Die KPD setzte sich zum Beispiel mithilfe von Stadtratsanträgen für eine »Winterbeihilfe« und »Miet- und Heizungszulagen für Arme und Arbeitslose« sowie auch für eine praktische Unterstützung der betroffenen Arbeiterfamilien ein.
Hans Beimler um 1930 mit seiner Frau Centa Dengler und seinem Genossen Innozenz Rehm, der 1937 im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde. Foto: VVN-BdA München
Hans Beimler war ohne Centa Dengler nach Augsburg gegangen. Immer wieder versuchte er, teilweise unterstützt durch Augsburger Genossen, sie mit emotionaler Erpressung zum Umzug zu bewegen. Doch Dengler hatte andere Pläne. »Sie war von ihrem beengten Zuhause in München noch nie weggekommen«, schreibt Friedbert Mühldorfer. Die damals 20-Jährige wollte hinaus in die Welt. Sie hielt Beimlers Druck stand und ging zurück in ihre Heimatstadt Hamburg, wo Beimler ihr über die Partei Arbeit vermittelt hatte. Immer vehementer drang Beimler Dengler zum Umzug. Ende 1929 holte er sie nach Augsburg und zwang sie, zu bleiben. Sieben Monate später heirateten die beiden.
Da Beimlers Popularität zunahm, beschloss die KPD ihn 1932 für die Landtagswahlen aufzustellen. Am 24. April erhielt die KPD 6,6 Prozent der Stimmen. Beimler wurde Abgeordneter und zog mit seiner Familie zurück nach München, wo sie bei seinem Parteifreund Fritz Dressel unterkamen. Die NSDAP erhielt über 32 Prozent der Stimmen. Bis zur Machtübertragung an die Nazis und den Notstandsgesetzen, die das Ende der Weimarer Republik und den Beginn des Dritten Reichs bedeuteten, dauerte es kein Jahr mehr.
Die anhaltende Wirtschaftskrise hatte in der Weimarer Republik zu turbulenten und instabilen politischen Verhältnissen geführt. Immer wieder wurden Landtage und der Reichstag gewählt und wieder aufgelöst. Beimler zog am 31. Juli 1932 in den Reichstag ein und erlebte dort Hermann Göring als Reichstagspräsidenten. Der Reichstag wurde keine zwei Wochen nach der Konstituierung wieder aufgelöst und neugewählt. Beimler zog im November abermals in den Reichstag ein, der dann am 30. Januar 1933 nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler wieder aufgelöst wurde.
»Schon im Juni 1932 bezeichnete Beimler ›die nationalsozialistische Bewegung als einen Arm der Bourgeoisie‹, die ›den Auftrag hat, mit Hilfe des Terrors die Maßnahmen der Regierung durchzusetzen‹.«
Schon im Juni 1932 bezeichnete Beimler »die nationalsozialistische Bewegung als einen Arm der Bourgeoisie«, die »den Auftrag hat, mit Hilfe des Terrors die Maßnahmen der Regierung durchzusetzen«. Die KPD schaffte es nicht, wirksam gegen den Faschismus zu agitieren, trotz einer sehr offensiven Agitation. Aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche und der fehlenden Verankerung in den »Betrieben und Wohngebieten«, die nur durch eine revolutionäre Realpolitik hätte hergestellt werden können, fehlte der KPD die Massenbasis. Die späten Versuche der SPD und KPD, sich im antifaschistischen Kampf anzunähern, kamen laut Friedbert Mühldorfer zu spät: »Die Gräben zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten konnten nicht mehr zugeschüttet werden.«
Beimler begann bereits 1932 die bayerische KPD auf eine kommende Illegalität vorzubereiten. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten ahnten die Kommunisten bereits, was auf sie zukommt. Doch auch sie unterschätzten die Brutalität und Totalität des NS-Regimes. Fast schon die Realität verweigernd, wollte deren Vorsitzender Ernst Thälmann bei einer illegalen Funktionärsversammlung der KPD »keine Depressionsstimmung« in Deutschland wahrnehmen, sondern »wachsende Kampfstimmung«. Ganz anders sah das Alfred Andersch, damals Funktionär des Kommunistischen Jugendverbands. In seinem Bericht Die Kirschen der Freiheit von 1969 schrieb er, »der Schatten, den die Flügel der Niederlage warfen«, hatte sie schon erreicht.
Mit dem Eintreten des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 entfaltete sich der Massenterror der Nationalsozialisten. Anfang März hatte es bereits hunderte Hausdurchsuchungen bei Funktionären und Strukturen der KPD und der Roten Hilfe in München gegeben. Nachdem sie ein Wachtmeister der Feldmochinger Ortspolizei vorgewarnt hatte, verließen Beimler und Dengler mit den Kindern ihre Wohnung und kamen in einem vorher vorbereiteten illegalen Versteck unter.
Am 11. April wurde Hans Beimler nach einem Treffen mit Genossen festgenommen. Vermutlich wurde die Gruppe verraten. Nur einen Tag vorher gab der bayerische Innenminister Adolf Wagner den Befehl aus, dass »sofort alle kommunistischen und Reichsbannerfunktionäre […] in Haft genommen werden müssen«. Hans Beimler und hunderttausende Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter wurden ab da an zur Zielscheibe eines bis dahin unvorstellbaren Terrors.
Das Polizeipräsidium in der Münchener Ettstraße war vielen Kommunisten schon aus den Jahren der »Ordnungszelle« Bayern bekannt. Hans Beimler kannte die Prozedur. Doch dieses Mal wurde er nicht wie üblich in eine Gefängniszelle, sondern in ein neu eingerichtetes Schlaflager für Mitglieder von SA und Stahlhelm geführt. Ein SS-Mann zwang ihn, sich auszuziehen und nackt auf den Tisch zu legen. Wiederholt wurde Beimler von einem Folterer mit einem Gummiknüppel bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt. Jeder der Gefangenen musste diese Folter durchleben. Nach zwei Wochen Haft wurden er und gut ein Dutzend weiterer Gefangener in das neu geschaffene Konzentrationslager Dachau überstellt.
In Dachau hingen die SA-Männer Beimler ein Schild mit der Aufschrift »Herzlich Willkommen« um den Hals und steckten ihn, isoliert von anderen, in ein zur »Arrestzelle« umfunktioniertes Klohäuschen. Schon am ersten Tag begann die Folter. SS-Männer schlugen in der Zelle mit Ochsenfiesel, getrockneten Bullenpenisen, die als Schlagwaffen benutzt wurden, auf ihn ein. Noch am selben Tag kam der KZ-Verwalter Vogel zu ihm, übergab ihm einen Strick und forderte Beimler auf, diesen aufzuhängen und von ihm Gebrauch zu machen, sollte er »irgendwelche Zweifel bekommen«. Hans Beimler wusste schon vorher: »Das Urteil über mich war schon gefallen, als ich noch gar nicht in Dachau […] war.«
In einer der Zellen neben ihm war sein Genosse Joseph Götz eingesperrt, der ihn warnte, dass ihm das Schlimmste erst noch bevorstünde. Die Nazis gingen nachts Zelle für Zelle durch und folterten die Gefangenen in viel härterem Ausmaß als tagsüber. Sie holten Jüdinnen und Juden aus den Baracken und folterten sie jeweils einzeln in leeren Zellen. Die Nazis versetzten sich in einen regelrechten Blutrausch. Die Folter wurde begleitet von Schmährufen gegen den Bolschewismus, Thälmann und die Revolution. Die Gefangenen bekamen tagelang weder zu trinken noch zu essen.
Unter den barbarischen Umständen erkrankten viele der Gefangenen, so auch Hans Beimler. Der Hilfsarzt, der kam, um ihn zu untersuchen, war Delwin Katz, ein Nürnberger Arzt, Jude und Kommunist. Die Nazis hatten ihn zur Arbeit im Lager verpflichtet. Beimler wurde nach München in ein Krankenhaus gefahren, von wo er, immer noch schwerkrank, nach wenigen Tagen ins Gefängnis Stadelheim überführt wurde. Im Gefangenentransport traf Hans Beimler auf seinen alten Freund Fritz Dressel und andere KPD-Funktionäre. Einige von ihnen wurden im Münchener Gewerkschaftshaus festgehalten und gefoltert. In Dachau kamen Beimler und die anderen Funktionäre wieder in die sogenannten Arrestzellen. Umgehend begann die Folter. Fritz Dressel wurde »von der Fußsohle bis zum Scheitel« mit Schlägen malträtiert.
Dressel, der die Folter nicht länger ertragen konnte, versuchte, sich am 7. Mai 1933 das Leben zu nehmen. Die SA täuschte vor, ihn retten zu wollen, und ließ ihn verbluten. Am Abend feierten sie seinen Tod mit einem Saufgelage. Selbst zu diesem Zeitpunkt hatten manche Gefangene, wie zum Beispiel Joseph Götz, noch die Hoffnung, dass die Situation sich bessern würde. Selbst für die frühen Gefangenen im Konzentrationslager Dachau war kaum vorstellbar, was für eine Barbarei das Regime der Nazis hervorbringen würde. Hans Beimler war klar: »So wie Fritz Dressel wollte ich nicht sterben«. Es blieb nur die Flucht.
Die Nazis befahlen Hans Beimler immer vehementer, sich zu erhängen. Durch eine Ausrede verschob er den Tag, an dem dies von ihm erwartet wurde. Er hatte beschlossen, lieber bei einem Fluchtversuch zu sterben. Durch die Mithilfe des Gefangenen Fritz Kirchner und einer Reihe günstiger Umstände gelang es Beimler in der Nacht, seine Zelle zu verlassen, den elektrisch geladenen Stacheldraht und die Mauer des KZs zu überwinden. Beimler war frei.
Beimlers Flucht in die Sowjetunion wäre ohne die »Abteilung Militärpolitik«, den »geheimen Abwehr- und Nachrichtendienst der Partei« undenkbar gewesen. Das illegale Netzwerk besorgte Beimler einen Unterschlupf, um sich körperlich von der Folter zu erholen. Mithilfe des Netzwerks trat er einen langen Weg von München nach Stuttgart, dann nach Berlin, Prag und Warschau an. Von dort aus gelangte er mit dem Zug in die Sowjetunion.
In der Sowjetunion angekommen, organisierten ihm die Exil-Strukturen vor allem der Roten Hilfe International (RHI) Kuraufenthalte zur Erholung. Dort schrieb er seinen Bericht Im Mörderlager Dachau, in dem er seine Erlebnisse im KZ niederschrieb. Der deutschen Botschaft in Moskau gelang es 1934, eine Ausgabe zu ergattern. An das Auswärtige Amt schrieb die Botschaft damals: »Broschüre ist geeignet, das deutsche Ansehen aufs schwerste [sic] zu schädigen.« Zur Bedeutung der Broschüre schreibt Friedbert Mühldorfer, der die Neuauflage um biographische Skizzen erweiterte – und ohne den auch dieser Text hier nicht möglich gewesen wäre –, dass der Bericht »der erste längere, zusammenhängende Bericht über die Vorgänge in einem deutschen Konzentrationslager« gewesen war.
Hans Beimler blieb nicht in der Sowjetunion. Er wurde nach Paris geschickt, wo er der RHI helfen sollte, über die Gräueltaten in Nazi-Deutschland zu berichten und praktische Solidarität zu organisieren. Seine Arbeit für die Rote Hilfe war stets illegal, auch später in Prag, wo er als Grenzstellenleiter die praktische Unterstützung von KPD-Strukturen vorantrieb und Fluchtwege aus Deutschland ermöglichte.
Während seiner Zeit in Prag war es Hans Beimler möglich, seine beiden Kinder Rosi und Hans wiederzutreffen. Genossinnen und Genossen aus Bayern und der Schweiz schafften die Kinder nach Prag. Für die beiden ging es von Prag aus weiter in die Sowjetunion, wo sie auch zur Schule gingen, beziehungsweise arbeiteten. Sein Sohn entkam nur durch Glück dem stalinistischen Terror, der sich auch gegen deutsche Immigranten richtete. Beimler selbst ging derweilen in die Schweiz, wo er weiterhin illegal praktische Solidarität organisierte, allen voran die finanzielle Unterstützung von Familien politischer Häftlinge in Deutschland und die Unterbringung und Verpflegung deutscher Flüchtlinge. Seine Frau Centa und ihre Schwester wurden von den Nazis im Konzentrationslager Moringen interniert. Internationale Kampagnen zu ihrer Freilassung verblieben leider erfolglos.
Im Mai 1936 erlitten die illegalen Strukturen der KPD und der RHI eine herbe Niederlage. Wie sich herausstellte, waren die Strukturen in Südbayern vom Gestapo-Spitzel Max Troll, Deckname Theo, unterwandert worden. Der Spitzel Theo war an die Spitze der illegalen Strukturen gerückt und hat das Netzwerk sukzessive ausgebaut. Mit Aufdeckung des Netzwerks wurden nicht nur viele Aktivisten verhaftet, sondern die illegalen Strukturen der deutschen Kommunisten faktisch ausgeschaltet. Hans Beimler wurde persönlich dafür verantwortlich gemacht, da dieser mit der Betreuung und Einsetzung der Leitung betraut war. Er wurde von seiner Funktion enthoben und musste sich in Paris einer Anhörung der Exilleitung der KPD stellen.
Die KPD ließ ihn im Ungewissen, wie er weiter eingesetzt werden würde. Schließlich beschloss man, Hans Beimler zur Betreuung deutscher Immigranten zur Arbeiterolympiade nach Barcelona zu entsenden, einer Gegenveranstaltung zur Olympiade in Berlin 1936. Vor seiner Abreise aus Paris putschte der faschistische General Franco am 17. Juli 1936 gegen die Zweite Spanische Republik. Sofort begannen Arbeitermilizen, Gegenwehr zu leisten. Die internationale Arbeiterbewegung hoffte, in Spanien dem Vormarsch der faschistischen Kräfte in Europa Einhalt zu gebieten. Zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter schlossen sich den Internationalen Brigaden zur Verteidigung der Republik an.
In Barcelona beschäftigte sich Hans Beimler vor allem mit der Rekrutierung, hauptsächlich deutscher Genossen, für die Centuria Thälmann. Er kam im Hauptquartier der Partit Socialista Unificat de Catalunya (PSUC) unter. Für die KPD wurde er gleichsam der Kontaktmann zu Kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Die Centuria kam das erste Mal an der Aragonfront in Huseca zum Einsatz. Für Hans Beimler war die Sache klar, in Spanien würde die Volksfront über die Faschisten siegen, ab da an hieße es, »siegen oder sterben«.
»Hans Beimler war sicher eine herausragende Figur der Arbeiterbewegung. Sein Lebensweg war jedoch, von der Flucht aus Dachau abgesehen, weniger ungewöhnlich.«
Laut Antonia Stern, einer Freundin Beimlers aus seiner Zeit in Zürich, schrieb er über den Krieg: »Mehr als drei Monate tobt der von den Faschisten in Spanien heraufbeschworene Bürgerkrieg. […] viele tausende Kämpfer der antifaschistischen Miliz fielen als Helden für die Republik. […] Tausende von Funktionären der Gewerkschaften und Parteien wurden von den faschistischen Bluträubern bestialisch ermordet. […] Trotz alledem, der Kampf geht weiter – er wird bis zur endgültigen Vernichtung der Volksverräter weiter gehen.«
Für Hans Beimler endete der Kampf am 1. Dezember 1936 im »roten Madrid«. Die Centuria Thälmann wurde nach Albacete abberufen, zur Gründung der Internationalen Brigaden. Als Teil des berühmten Thälmann-Bataillons gingen die deutschen Internationalisten nach Madrid, das den Angriffen der internationalen faschistischen Allianz Deutschlands, Italiens und der Franco-Putschisten standhielt. Regelmäßig hat Beimler die Milizionäre an der Front besucht, so auch am 1. Dezember. Trotz Warnungen soll er sich recht unvorsichtig an der Frontstellung bewegt haben. Ein Scharfschütze erschoss ihn und seinen Freund Franz Vehlow, Politkommissar des Thälmann-Bataillons.
Tausende in Madrid und über zweihunderttausend in Barcelona verabschiedeten Hans Beimlers Leichnam. Seinem Tod folgten internationale Nachrichtenmeldungen und große Ehrbekundungen. Das republikanische Spanien verabschiedete sich von einem Helden. Durch seine eigene Folter- und Fluchtgeschichte und seinen Einsatz im Kampf zur Verteidigung der Republik war Hans Beimler in der gesamten spanischen Linken populär geworden.
Doch um die genauen Umstände seines Todes herrscht bis heute Unklarheit. Eine Mischung aus Gerüchten und widersprüchlichen Aussagen brachte die Behauptung hervor, Hans Beimler sei vom sowjetischen Geheimdienst NKWD ermordet worden. Insbesondere seine Freundin Antonia Stern war überzeugt, Beimlers angeblich kritische Opposition zur Komintern-Politik hätte ihn das Leben gekostet. Auch eine späte Ermittlung der DDR zum Tod Beimlers brachte keine Fakten hervor, die die »Mordtheorie« stützen würden.
Der Sieg des Faschismus war trotz seiner wohlhabenden Finanziers nicht in Stein gemeißelt. Es waren Fehler der Funktionäre der zwei großen Arbeiterparteien SPD und KPD, die ein entschiedenes Eingreifen in den Verlauf der Geschichte verhinderten. Die Reaktion der Arbeiterbewegung auf den Kapp-Putsch hat gezeigt, dass im Notfall nur eine strategische Einigkeit und die Macht der Arbeiterklasse die Katastrophe hätten verhindern können.
»Was wäre möglich gewesen, hätten sich die Nazigegner damals darauf besonnen, den Streit zurückzustellen und gegen die Bedrohung der elementarsten Menschenrechte gemeinsam zu handeln?«, fragte der Auschwitz-Überlebende und Präsident der Lagergemeinschaft Dachau Max Mannheimer – eine Frage, die auch heute für die strategischen Überlegungen der antifaschistischen Bewegung von Relevanz ist.
Hans Beimler war sicher eine herausragende Figur der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Sein Lebensweg war jedoch, von der Flucht aus Dachau abgesehen, weniger ungewöhnlich. Die Armut, die Arbeit in der Industrie, der Weltkrieg und das revolutionäre Aufbegehren waren prägend für eine ganze Generation von Funktionärinnen und Funktionären der Arbeiterbewegung. Hans Beimler gehört zu denjenigen von ihnen, die Großes geleistet und viel geopfert haben. Dennoch hat sein Andenken nur einen randständigen Platz im historischen Gedächtnis der Bewegung gefunden, obwohl aus den Kämpfen und Fehlern seiner Epoche viel zu lernen ist – das gilt in Anbetracht aufstrebender faschistischer Bewegungen, imperialistischer Aggressionen und Wirtschaftskrisen, mehr denn je.
Sven Ulfig ist Nürnberger, Kommunist und aktiv in der Partei Die Linke. Er schreibt und übersetzt Texte zur Geschichte der Arbeiterbewegung.