21. Juni 2025
Vor 50 Jahren veröffentlichte der Metallarbeiter und Intellektuelle Harry Braverman seine Studie über die Degradierung der Arbeit im entwickelten Kapitalismus. Der 100.000-fach verkaufte Klassiker hat viele Aspekte der heutigen Arbeitswelt vorhergesehen.
Harry Braverman, Aufnahme von 1949. Im Hintergrund die Cover-Grafik der englischen Erstausgabe von »Labor and Monopoly Capital«.
Es fällt schwer, Harry Braverman nicht romantisch zu verklären. Der zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise geborene Metallarbeiter und überzeugte Sozialist veröffentlichte 1974, zwei Jahre vor seinem zu frühen Tod, eines der bis heute einflussreichsten Werke, in dem Karl Marx’ Theorie des Kapitals auf die amerikanische Geschichte angewandt wird. Ist er damit nicht der Archetyp von Antonio Gramscis »organischem Intellektuellen«: einem Arbeiter, der durch Studium und Kampf ein Bewusstsein entwickelt hat?
Um zu verstehen, wie der Kapitalismus funktioniert, muss man sich in die »verborgenen Stätten der Produktion« begeben, schrieb Marx. Dies sei der Ort, an dem die menschliche Arbeitskraft verbraucht wird. Braverman nahm diese Idee ernst. In Die Arbeit im modernen Produktionsprozess untersuchte er in zwanzig Kapiteln akribisch den Prozess, durch den Kapitalisten Wert von ihren Arbeiterinnen und Arbeitern abschöpfen: Diese Ausbeutung spalte den Menschen. Der Körper werde vom Geist getrennt, Bewegungen würden mechanisch, Wissen in Chefetagen gehortet. Hier fand die »Degradierung der Arbeit im 20. Jahrhundert« statt, wie es im Untertitel der englischen Ausgabe heißt.
Doch neben dieser Abwertung und Entwürdigung gab es noch einen zweiten Prozess: Während die Arbeiter aus der industriellen Produktion verdrängt wurden, drang das Kapital in andere Bereiche des Lebens vor. Fabriken wichen Büros, der Kupferschmied dem Angestellten und dann der postindustriellen Dienstleistungs- und Pflegewirtschaft. Das Geniale an Die Arbeit im modernen Produktionsprozess ist, dass das Werk beide diese Entwicklungen beschreibt: Das Kapital formiere sich in einem endlosen Kreislauf immer wieder neu und habe dabei neue Arbeitswelten geschaffen sowie eine zusammenschmelzende Arbeiterklasse.
»Von 1937 bis 1953 war Braverman als einfacher Arbeiter tätig. Er machte eine Lehre als Kupferschmied in den Brooklyn Naval Yards und reparierte im Hafen die Asbestrohre auf Schiffen (was wahrscheinlich zu seinem frühen Tod beitrug).«
Ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen ist Die Arbeit im modernen Produktionsprozess immer noch ein Klassiker. Es wurde über 100.000 Mal verkauft und ist nach wie vor eine wichtige Quelle für Studien über Kapital, Arbeit und Klasse. Doch es wurde auch oftmals in Teilen oder in Gänze falsch verstanden. Viele haben Braverman auf die »Deskilling«- oder »Dequalifizierungsthese« reduziert – die Vorstellung, dass der Kapitalismus die Arbeiterinnen und Arbeiter in einer linearen Entwicklung zu immer einfacheren und niedereren Tätigkeiten zwingt. Tatsächlich hat Braverman selbst betont, dies sei eine allzu vereinfachende These. Andere haben ihm eine wehmütige Nostalgie für handwerkliche Arbeit vorgeworfen. Braverman hat diesen Einwand hingegen bereits in der Einleitung zu seinem Buch zurückgewiesen (auf diesen Punkt werden wir später noch zurückkommen).
Am schlimmsten ist jedoch, dass Die Arbeit im modernen Produktionsprozess trotz seiner beeindruckenden Reichweite in radikalen Kreisen von Mainstream-Kapitalismushistorikern ignoriert sowie von vielen Arbeitssoziologen ablehnend aufgenommen wurde. (Wenn auch mit einigen bedeutenden Ausnahmen, zum Beispiel dem Arbeitshistoriker David Montgomery und vielen seiner Anhänger.) Die Abneigung beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit. Braverman, der selbst kein Akademiker war, kritisierte seine Widersacher an den Universitäten scharf.
Bravermans Text ist auch heute ein erstaunlich nützlicher Denkanstoßgeber. Natürlich wirken einige seiner Annahmen etwas veraltet. So wird zum Beispiel kein Wort über die Globalisierung verloren und Braverman sah die immense Kraft des Neoliberalismus nicht vorher. Trotzdem wirkt vieles im Buch seiner Zeit weit voraus. Mit seiner Betonung von Dienstleistungen und Pflegearbeit als zukünftige Investitionsobjekte des Kapitals war Die Arbeit im modernen Produktionsprozess visionär. Braverman hat richtig vorhergesehen, dass der Produktivitätsboom Mitte des vergangenen Jahrhunderts einzigartig und nicht wiederholbar war. Er hat eine Verschmelzung von Management und Technologie ausgemacht, die sich im Plattformkapitalismus und der Gig Economy zu seinen bisher repressivsten Formen weiterentwickelt hat. In all diesen Punkten behielt Braverman mit seinen Argumenten Recht und sagte die aktuelle Situation vorher. In diesem Sinne ist sein Text nach wie vor eine Bereicherung und Hilfe.
Wir wollen drei Aspekte von Die Arbeit im modernen Produktionsprozess hervorheben, die uns heute besonders relevant erscheinen. Der erste ist Bravermans Treue zu und Festhalten an Marx – vor allem an dessen Verständnis von Kapital als einem endlosen Prozess der Wertsteigerung, der aber auch eine emanzipatorische Zukunft ermöglicht. Der zweite ist sein Verständnis der Dienstleistungsökonomie, das leider zu oft seiner Analyse des Taylorismus und der industriellen Produktion untergeordnet wird. Für Braverman ist der Aufstieg der Dienstleistungen nicht einfach nur eine Wiederholung der Kapitalakkumulation in einer neuen Branche. Vielmehr bedrohe sie die emanzipatorische Eröffnung der Zukunft, wie er sie von Marx übernommen hatte. Mit anderen Worten: Dieser zweite Aspekt des Buches steht im Spannungsverhältnis zum ersten. Das Ergebnis ist ein ambivalenter Ansatz mit einer gewissen Nostalgie sowie Temporalität in Bravermans Antikapitalismus (der dritte Aspekt). Eine solche Ambivalenz ist für unsere Zeit aber mindestens genauso relevant wie für seine.
Braverman kam schon früh zum Marxismus. Er wurde 1920 in eine Arbeiterfamilie in Brooklyn geboren und trat als Teenager der trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP) bei, wo er aktives Mitglied blieb, bis er 1953 wegen zunehmender interner Konflikte ausgeschlossen wurde. Die SWP war 1938, auf dem Höhepunkt politischer Umwälzungen und der »großen Ära des [amerikanischen Gewerkschaftsbunds] CIO«, gegründet worden. Sie war kommunistisch, aber antistalinistisch, skeptisch gegenüber breiten Koalitionen mit Liberalen und sah sich einer von der Arbeiterschaft angeführten Revolution verpflichtet. Obwohl Braverman die Partei oft kritisierte, war sie fünfzehn Jahre lang seine politische Heimat. Sie passte gut zu seinem Radikalismus und bot einen Platz für revolutionäre Politik sowie für Kritik – eine seltene Mischung aus dem, was Ernst Bloch als »Wärme-« und »Kälteströme« des marxistischen Denkens bezeichnete.
Von 1937 bis 1953 war Braverman als einfacher Arbeiter tätig. Er machte eine Lehre als Kupferschmied in den Brooklyn Naval Yards und reparierte im Hafen die Asbestrohre auf Schiffen (was wahrscheinlich zu seinem frühen Tod beitrug). 1946 folgte er seiner Frau Miriam – ebenfalls Mitglied der SWP – nach Youngstown in Ohio, wo er sich als Stahlarbeiter verdingte. In seinen Schriften erwähnt Braverman diese Erfahrungen nur selten. Und doch reflektiert er sie in gewisser Weise hier und da. »Ich hatte während jener Jahre Gelegenheit, aus erster Quelle nicht nur die Transformation industrieller Prozesse mitzuerleben, sondern auch zu sehen, wie diese Prozesse neu organisiert wurden«, schreibt er beispielsweise in der Einleitung zu Die Arbeit im modernen Produktionsprozess. Dabei habe er beobachten können, »wie der Arbeiter, systematisch seines handwerklichen Erbes beraubt, wenig oder nichts erhält, was er an dessen Stelle setzen kann«.
»Handwerkliches Wissen (ein wesentlicher Faktor für die Macht der Arbeiterschaft) wurde entwertet und die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Sinne degradiert, herabgesetzt ›beinahe auf das Niveau der Arbeit in ihrer tierischen Form‹.«
Braverman verbrachte viel Zeit mit Schreiben: Buchrezensionen, Essays, harsche Tiraden in aktuellen inner-trotzkistischen Fehden. Doch erst nach seinem Ausschluss aus der SWP widmete er sich voll und ganz der kritischen Analyse, zunächst als Herausgeber (zusammen mit Bert Cochran) einer kurzlebigen, aber durchaus einflussreichen Zeitschrift namens American Socialist – ein Versuch, die »alte« Linke von ihren abgenutzten Parolen zu befreien und die Nachkriegslage mit frischem Blick zu analysieren – dann bei Grove Press und schließlich bei Monthly Review Press. In Essays, die er im und gegen das von sich selbst berauschte »goldene Zeitalter des Kapitalismus« der 1950er und frühen 1960er Jahre schrieb, konzentrierte er sich auf die beiden Themen, die sich auch in Die Arbeit im modernen Produktionsprozess deutlich zeigen: Erstens die Anwendung von Marx’ Kritik der politischen Ökonomie auf die aktuelle Gesellschaft; zweitens das Verständnis des Prozesses, durch den das Kapital die amerikanische Arbeiterklasse formt.
Das waren ihm dringende und miteinander verknüpft erscheinende Aufgaben. Das Kapital schien sich in jeden Winkel des Lebens auszubreiten und immer mehr gesellschaftliche Funktionen seiner Logik einer Verelendung der proletarischen Arbeiterschaft zu unterwerfen. Gleichzeitig, so schrieb Braverman 1959, werde das schwere Leben der Arbeiterklasse »immer weniger beschrieben desto weiter verbreitet es ist«. Die Sozialisten hätten Marx’ »Kritik der kapitalistischen Produktionsweise« zugunsten einer »Kritik des Kapitalismus als Verteilungsmechanismus« aufgegeben (ein Problem, das bis heute fortbesteht). Was würde es also bedeuten, »marxistische ökonomische Perspektiven wiederzubeleben« und sie auf »die Welt um uns herum, wie sie ist, nicht wie sie einmal war« anzuwenden? Genau das wollte Braverman mit Die Arbeit im modernen Produktionsprozess tun.
Braverman verstand Arbeit und die Arbeiterklasse als soziale Prozesse, die ständig Geschichte schaffen und ebenso von der Geschichte geprägt werden. Er lehnte die widersprüchliche und ahistorische Analyse der zeitgenössischen Sozialwissenschaften ab: die Fixierung auf die besser ausgebildete »neue Arbeiterklasse«, die Hinnahme von Entfremdung als »unvermeidbar« und die Messung des Arbeiterbewusstseins anhand von statistischen Momentaufnahmen. Stattdessen kehrte Braverman zu den Grundbausteinen des kapitalistischen Arbeitsprozesses zurück.
Die Arbeit im modernen Produktionsprozess beginnt entsprechend mit den Konzepten der Arbeitskraft und der Arbeitsteilung in der Produktion. Ersteres wirft das Problem der kapitalistischen Betriebsführung auf (sprich: die Notwendigkeit, den Arbeitern innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens eine gewisse Arbeitsleistung abzuverlangen) und löst es teilweise (zum Beispiel durch Vereinfachung der Aufgaben und einer Zusammenlegung der Arbeiterschaft unter einem Dach). Beides waren demnach Vorläufer der nächsten Stufe der kapitalistischen Kontrolle über Arbeit – und ein echtes Ärgernis für Braverman: die Entstehung der verwissenschaftlichten Betriebsführung nach Frederick Taylor, der »ausdrücklichen Formulierung der kapitalistischen Produktionsweise«.
Diese »wissenschaftliche« Art der Betriebsführung war jedoch etwas anders als tatsächliche Wissenschaft, da sie keine neuen Werkzeuge oder Technologien erfand. Stattdessen war es ihr Ziel, die Kontrolle des Kapitals über die Arbeit zu perfektionieren, indem ersteres das Wissen über den Arbeitsprozess an sich allein riss. Durch diese Art der Führung wurde die Planung/Konzeption der Aufgaben vom tatsächlichen Ausführen der Arbeit getrennt, wobei sich die Betriebsleitung die wissenschaftlichen Kenntnisse aneignete und der Arbeiterschaft jegliche Möglichkeit zur eigenständigen Planung nahm. So wurde handwerkliches Wissen (ein wesentlicher Faktor für die Macht der Arbeiterschaft) entwertet und die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Sinne degradiert, herabgesetzt »beinahe auf das Niveau der Arbeit in ihrer tierischen Form«. Bravermans Fokus auf diese spezielle Form der Entfremdung ist vermutlich auf seine eigenen Erfahrungen als handwerklich tätiger Arbeiter zurückzuführen.
Dieser historische Prozess der Abwertung begann mit der immer kleinteiligeren Arbeitsteilung in der frühen Fertigung, wurde im späten 19. Jahrhundert durch den Taylorismus perfektioniert und im Laufe des 20. Jahrhunderts durch technologische Fortschritte wie die Computerisierung noch verstärkt. Diese letzte Phase, die »wissenschaftlich-technische Revolution«, markierte einen qualitativen Wandel im Arbeitsprozess. Anstatt sich das Wissen der Arbeiter zu eigen zu machen und zu nutzen, hat die Betriebsführung inzwischen ihr eigenes Wissen entwickelt, sodass die Arbeiterschaft in »Unwissenheit, Unfähigkeit« und damit in größerer »Tauglichkeit für die Maschinenknechtschaft« bleibe, wie Braverman schreibt. Die Wissenschaft selbst wurde somit zu Kapital, zu einem Instrument, das eher auf Kontrolle und Produktion als auf menschliches Wohlergehen ausgerichtet ist. Zum Beispiel habe die Einführung der »numerischen Steuerung« – wobei vorprogrammierte Software die Arbeitswerkzeuge automatisch bewegt – die Arbeit von Maschinisten zerstückelt und vereinfacht. Dadurch wurden die frühere Kontrolle und das Wissen über die Maschine abgewertet; die neue Aufgabe war nur noch das bloße Bedienen dieser Maschine.
Der ständige Fortschritt der »Maschinerie« hatte einen doppelten Effekt: die Kontrolle durch die Betriebsführung wurde erhöht und die Produktivität gesteigert, wodurch die Arbeitskraft besser genutzt und gleichzeitig überflüssig gemacht wurde. Wie wir weiter unten zeigen, erkannte Braverman die Mechanisierung als eine Realität, die die Berufsstruktur der Arbeiterklasse verändern würde. Er versuchte, diese neue Struktur zu verstehen, betonte dabei aber bereits, dass eine Mechanisierung unter den besonderen sozialen Verhältnissen der wissenschaftlichen Betriebsführung eine spezielle (und besonders schreckliche) Form annehmen würde.
»Mit der Weiterentwicklung der Maschinen wurde der Niedergang der manuellen Arbeit in der Produktion ermöglicht. Braverman beklagte dies nicht; er tappte nicht in die Industrie-Nostalgie-Falle, in der die Linke zum Teil auch heute noch steckt.«
So würden befreiende Potenziale der Maschinerie »systematisch durchkreuzt« von der Obsession der Kapitalseite mit einer Trennung von Kontrolle und Arbeitsausführung. Diese Trennung sei »am besten geeignet für die Beherrschung sowohl des Hand- als auch des Geistesarbeiters, am besten geeignet für die Profitabilität, am besten geeignet für alles außer den Bedürfnissen der Menschen«.
Braverman hat diese Prozesse – also wie den Arbeitern Wissen genommen und dann neues Wissen geschaffen wurde, von dem die Arbeiter von Anfang an ausgeschlossen waren, und schließlich die Herrschaft der »toten« Arbeit über die lebendige – beschrieben und dabei praktisch den ersten Band von Das Kapital auf die US-amerikanische Erfahrung übertragen. (Paul Sweezy, Redakteur der Zeitschrift Monthly Review, war gar der Ansicht, man müsse die beiden Texte nebeneinander lesen.) Bravermans Treue zu Marx’ Hauptwerk ist tatsächlich bemerkenswert. Die Arbeit im modernen Produktionsprozess könnte sogar als frühe, amerikanisierte Auslegung des Wertform-Marxismus gelesen werden, der damals in Deutschland aufkam und heute in marxistischen Kreisen en vogue ist.
Nirgendwo wird dies deutlicher als in Bravermans Beharren darauf, dass nicht die Arbeit, sondern das Kapital das universelle Subjekt der modernen Gesellschaft sei. Das war keine einfache oder selbstverständliche Feststellung im Jahr 1974, als der von Moishe Postone als »traditioneller Marxismus« bezeichnete Ansatz mit seiner Betonung der Arbeiterklasse als einzigartiger Triebkraft revolutionärer Veränderungen vorherrschend war. Zwar behielt Braverman eine gewisse Hoffnung auf die Selbstverwirklichung des Proletariats (»Ich habe volles Vertrauen in das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklassen«, schrieb er 1975 – man beachte den Plural), doch blieb dieser Aspekt in Die Arbeit im modernen Produktionsprozess auffällig unangetastet.
Das Hauptthema des Buches ist in jeder Hinsicht das Kapital. Es wird als ein endloser Prozess beschrieben, der der Arbeit im Laufe der Zeit ihre konkrete Spezifität nimmt und sie zunehmend austauschbar und abstrakt macht. Bravermans radikale Mitstreiter warfen ihm oft vor, den Arbeiterinnen und Arbeitern in seinem Text keinerlei Handlungsfähigkeit zuzugestehen. Zweifellos hatte dies etwas mit der schwindenden Macht der organisierten Arbeiterbewegung in genau diesem historischen Moment zu tun, aber es beruhte auch auf einer sorgfältigen Lektüre der späteren Werke von Marx.
Konsequent war in dieser Hinsicht auch Bravermans Überzeugung, dass der vom Kapital angerichtete Schaden nichts damit zu tun habe, ob die Arbeiter immer weniger Geld bekommen (was zu seiner Zeit auch gar nicht der Fall war) oder ob es Vermögensungleichheiten gibt. Das eigentliche Problem sei, dass es im Kapitalismus für den Kapitalisten »grundlegend wichtig [ist], dass die Kontrolle über den Arbeitsprozess von den Händen des Arbeiters in seine eigenen übergeht«. Die Grausamkeit dieser Entwicklung liege im Abhandenkommen von Kontrolle. So würden arbeitenden Menschen in »ein Instrument des Kapitals« umgewandelt. Dieser Zustand sei »für die Opfer widerwärtig – gleichgültig, ob ihre Bezahlung hoch oder niedrig ist – denn er tut den menschlichen Arbeitsbedingungen Gewalt an«. Der Verweis auf Marx’ Verelendungstheorie in Das Kapital — »im Maße, wie Kapital akkumuliert wird, [muss sich] die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, verschlechtern« — ist unverkennbar.
Doch neben der Abwertung der Arbeit gibt es auch einen ironischen Lichtblick (oder, je nach Sichtweise, eine fortdauernde Tragödie): Das Kapital schafft durch die Entwicklung potenziell emanzipatorischer Technologien die Möglichkeit seiner eigenen Überwindung. Auch hier bezieht sich Braverman direkt auf Das Kapital. Er argumentiert aber weiter, im Kapitalismus werde »die bemerkenswerte Entwicklung der Maschine für die Mehrheit der Arbeitsbevölkerung nicht zur Quelle der Freiheit, sondern der Versklavung, nicht der Meisterschaft, sondern der Hilflosigkeit, und nicht der Erweiterung des Horizonts der Arbeiter, sondern des Hineinzwingens des Arbeiters in einen Kreislauf knechtischer Pflichten«. Man vergleiche dies mit Marx’ Anmerkung zu Maschinen in Kapitel 13 von Band 1, dass die »Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert […] an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert.«
Braverman folgt nicht nur Marx’ Inhalten, sondern auch seinem Stil: dem rhythmischen Wechselspiel einer potenziellen Freiheit, die sich abzuzeichnen scheint, sich aber zeitgleich in ihr Gegenteil verkehrt. Indem das Kapital die Möglichkeit einer neuen sozialen Welt schafft, aber gleichzeitig verhindert, dass diese Welt tatsächlich verwirklicht wird, schafft es die Grundlage, auf der wir es kritisieren können. Sprich: Wir können die Gegenwart aus der Perspektive einer immanenten (wenn auch nicht unbedingt unmittelbar bevorstehenden) Zukunft kritisieren, anstatt aus der Perspektive einer transzendentalen Norm oder einer untergegangenen Vergangenheit.
Eine immanente Kritik der Gegenwart braucht eine klare Analyse der Gegenwart. Deshalb wird in der zweiten Hälfte von Die Arbeit im modernen Produktionsprozess die sich damals gerade verändernde Arbeiterklasse untersucht. Mit der Weiterentwicklung der Maschinen wurde der Niedergang der manuellen Arbeit in der Produktion ermöglicht. Braverman beklagte dies nicht; er tappte nicht in die Industrie-Nostalgie-Falle, in der die Linke zum Teil auch heute noch steckt. Stattdessen verfolgte er die Geschichte der Abwertung der manuellen Arbeit bis zu ihrem überraschenden Finale: dem Aufstieg und der folgenden Abwertung der Dienstleistungen.
Wie immer stützte sich Braverman auf Marx und argumentierte, die kapitalistische Akkumulation beeinflusse die Zusammensetzung der Arbeiterklasse in zweierlei Hinsicht. Erstens setzten die neuen mechanisierten Produktionsmethoden vormalige Industriearbeiter »frei« und schufen somit einen Arbeitskräfteüberschuss, tendenziell vor allem in arbeitsintensiven Berufen. Zweitens war das neu akkumulierte Kapital, das eine Verwendung brauchte, auf der panischen Suche nach neuen Produktionszweigen und schuf dabei neue Berufe. Aus diesen beiden Tendenzen folgte der Aufstieg der Dienstleistung: Das Kapital breitete sich in der gesamten Gesellschaft aus und verwandelte zuvor nicht kommerzialisierte Bereiche (wie Freizeit, Unterhaltung, Sicherheit und Pflegearbeit) in Dienstleistungen, die von Dienstleistungsarbeitern erbracht wurden.
Bravermans Analyse enthält ein eindeutig normatives Argument gegen das Eindringen des Marktes in das Familien- und Gemeinschaftsleben. (Die Frankfurter Schule und die Zeitschrift Monthly Review mögen Braverman zu dieser Denkweise inspiriert haben, wobei sie den Leser auch an Karl Polanyi zu erinnern oder Christopher Lasch vorwegzunehmen scheint.) Die Kommerzialisierung der Freizeit resultiere in einem »Niveau der Mittelmäßigkeit und Gewöhnlichkeit […], das den allgemeinen Geschmack verdirbt«, so Braverman. Das schwindende Gemeinschaftsleben hinterlasse »eine Leere«, die von Institutionen wie Schulen und Gefängnissen »auf höchst barbarische und bedrückende Weise« gefüllt werde.
Braverman räumt zwar ein, dass diese Kommerzialisierung zum Teil durch mehr Effizienz und geringere Kosten entstanden ist, aber er betont auch, sie sei durch Werbung, veränderte Statusvorstellungen und schlechtere Arbeiterqualifikationen und Fähigkeiten verursacht worden. Das heißt, die Kommerzialisierung des Alltagslebens war nicht einfach ein natürlicher Vorgang, bei dem die Technologie mehr Freizeit schuf, sondern ein Prozess, der durch kapitalistische soziale Beziehungen entstanden ist und letztendlich das gesellschaftlich-soziale Leben abgewertet und verschlechtert hat.
»Es ist ironisch, dass sich in einer ›fortgeschrittenen‹ kapitalistischen Wirtschaft die Arbeit am stärksten in den Teilen der Wirtschaft konzentrierte, die noch nicht mechanisiert waren und es möglicherweise nie sein werden.«
Normativität hin oder her – die Kommodifizierung und Kommerzialisierung des Alltags hat die Arbeiterklasse zweifellos verändert. Der Ausbau staatlicher Institutionen, um die besagte gesellschaftliche »Leere« zu füllen, bedeutete mehr Jobs für Gefängniswärter, Polizistinnen, Sozialarbeiter und Lehrerinnen. Gleichzeitig entstand durch die wachsende Gastronomie- und Einzelhandelsbranche »eine gewaltige Schar spezialisierten Personals, dessen Aufgabe lediglich das Saubermachen ist«. Die Zahl der Angestellten in den neu kommodifizierten Dienstleistungsbereichen wuchs viel schneller als die Beschäftigung insgesamt. Es ist irgendwie ironisch, aber auch absolut logisch, dass sich in einer »fortgeschrittenen« kapitalistischen Wirtschaft die Arbeit am stärksten in den Teilen der Wirtschaft konzentrierte, die am wenigsten von der wissenschaftlich-technischen Revolution betroffen waren, also in Berufen, die noch nicht mechanisiert waren und es möglicherweise nie sein werden.
Dieser Prozess der Akkumulation von Arbeit hatte auch Gender-Aspekte. Braverman kritisiert die »weit verbreitete Praxis, die Frauenarbeit außer Acht zu lassen«. Diese werde als »irgendwie vorübergehend, nebensächlich und zufällig angesehen […] wo sie eigentlich gerade den Kern aller heutigen Untersuchungen über die Beschäftigung bilden sollte«. Das Geschlecht spielte in der neuen Arbeiterklasse auf mehreren Ebenen eine Rolle. Die Hausarbeit der Frauen – putzen, kochen, Kinder großziehen – war gerade erst zu einer »Ware« geworden und bot dem Kapital neue Felder, von denen profitiert werden konnte. Es waren vor allem Frauen, die diese nun kommodifizierten Jobs annahmen, zum Teil, weil immer weniger Männer für diese Arbeit bereitstanden und zum Teil, weil mehr Geld nötig war, um gerade jene Dienstleistungen zu bezahlen, die früher im Haus selbst erledigt wurden. Und: Es waren hauptsächlich Frauen, die in derartige Jobs mit Löhnen unterhalb des Existenzminimums gedrängt wurden.
Es ist überaus hilfreich, dass Braverman zwar den Aufstieg der Dienstleistungsbranche erklärt, sich aber weigert, diesen Aufstieg zu »naturalisieren« und als etwas Selbstverständliches hinzustellen. Dass Frauen in die Erwerbsarbeitswelt eintraten, war nicht das Ergebnis progressiver Politik. Der Aufstieg der kommerzialisierten Dienstleistung war keine Entwicklung zu einer »höheren« oder zivilisierteren Wirtschaftsform. Die kapitalistische Akkumulation brachte neue Berufsstrukturen hervor, aber diese Berufsstrukturen waren keine unvermeidliche oder endgültige, höchste Form der Arbeit. Im Gegenteil, sie wurden immer weiter abgewertet. Dem musste auf eine Art entgegengestanden werden.
Was in Die Arbeit im modernen Produktionsprozess fehlt, ist eine klare Ausrichtung für dieses Entgegenstehen – eine Alternative zur Abwertung – im Bereich Dienstleistungen. In Bezug auf die klassische Produktion hatte Braverman eine klare Forderung: geistige und manuelle Arbeit, Konzeption und Ausführung sollten wieder zusammengeführt werden, auch in Kombination mit moderner Technik und Wissenschaft. Da aber viele Dienstleistungsberufe vom wissenschaftlichen Fortschritt verschont bleiben, ist ein solches »Zusammenführen« von Konzeption und Ausführung in diesen Bereichen weniger relevant: Das Problem bei der Reinigungsarbeit ist nicht, dass ein Hausmeister die Technik seiner Reinigungsmittel nicht versteht. Das Problem bei der Arbeit im Gefängnis ist nicht, dass die Wärterin nicht genug Raum bekommt, um über ihre Arbeitsprozesse nachzudenken (sondern dass die Arbeitsprozesse selbst sozial destruktiv sind). Es scheint folglich, dass es im Bereich Dienstleistungen eine andere Art von Gegenentwurf zur Abwertung geben muss.
In seiner Analyse des Übergangs von handwerklicher zu industrieller Arbeit betont Braverman, das Kapital schaffe ein bisher unbekanntes Potenzial für menschliche Freiheit, auch wenn es unser Leben im aktuellen Moment verschlechtert. Die Geschichte des Kapitalismus ist somit gleichzeitig Tragödie und Komödie. Die Pflicht, nach den Regeln des Taylorismus zu arbeiten, sei »ein Verbrechen am Menschen und an der Menschheit insgesamt«. Und dennoch sei dies eine Entwicklung, die »für den Fortschritt der Menschheit […] notwendig ist«; eine »nicht nur unvermeidliche«, sondern langfristig gute Entwicklung. 1984 rief Fredric Jameson Marxistinnen und Marxisten auf, »irgendwie […] unseren Geist so zu erweitern, dass wir verstehen, dass der Kapitalismus gleichzeitig das Beste ist, was der Menschheit je passiert ist, und das Schlimmste«. Man müsse ihn »ebenso als Katastrophe wie als Fortschritt« ansehen. Genau das tat Braverman.
Doch der Aufstieg der Dienstleistungsbranchen schien diese »strikte dialektische Notwendigkeit« (um Jameson erneut zu zitieren) an ihre Grenzen zu bringen. Braverman versuchte, ein ähnliches Wechselspiel zu beschreiben, wie er es schon beim Aufstieg der Maschinen in der Industriefertigung beobachtet hatte. »Die gesellschaftlichen Dienstleistungen, die das Leben und die Solidarität der Gesellschaft erleichtern sollten, [haben nun] die umgekehrte Wirkung«, schreibt er. Und weiter: »In dem Maße wie der Fortschritt der modernen Haushalts- und Dienstleistungsindustrien die Arbeit der Familie erleichtern, steigern sie die Sinnlosigkeit des Familienlebens; in dem Maße, wie sie die Bürde persönlicher Beziehungen wegräumen, beseitigen sie auch die Zuneigung unter den Menschen; in dem Maße, wie sie ein verwickeltes gesellschaftliches Leben hervorbringen, berauben sie es jeder Spur von Gemeinschaft und setzen an ihre Stelle den monetären Nexus.«
Hier wiederholt Braverman – allerdings in einem neuen Tonfall – seine akribische Spiegelung der Marxschen Beschreibung der Maschinen im Kapital. Der Kapitalismus schaffe das Potenzial für ein »verwickeltes gesellschaftliches Leben« mit gegenseitigen Abhängigkeiten, allerdings in abgewerteter, verkümmerter Form und mit abwertend-erniedrigenden Zielen. Braverman deutete diese Interpretation der Dienstleistungsökonomie zwar an, doch er schien nicht dazu bereit, sie wirklich zu akzeptieren. Die Kommodifizierung von Pflege und Erziehung, die Unterordnung unserer menschlichsten sozialen Beziehungen unter die Logik des Kapitals – war diese Beschreibung der Entwicklung zu einseitig, zu totalisierend? Braverman hat diese Frage nie explizit angesprochen, aber sie scheint im Unterton seiner Analyse zu schwelen.
Wenn das Kapital nicht mehr über sich selbst hinauswies, könnte eine Lösung darin bestehen, zurückzuschauen. Die Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit hat in Die Arbeit im modernen Produktionsprozess eine geradezu gespenstische Präsenz: Sie ist nie ganz da, aber auch nie ganz abwesend. Braverman schreibt in seiner Einleitung, er sei »stets einer derer [gewesen], die für die Modernisierung eintraten«. Dieser Anmerkung folgt ein Eingeständnis: »Während ich diese Seiten noch einmal überlese, entdecke ich in ihnen nicht nur die Empfindung eines Frevels an der Gesellschaft […] sondern vielleicht auch ein Gefühl persönlicher Kränkung.« Dennoch: »Ich hoffe niemand zieht daraus die Folgerung, meine Ansichten seien von der Sehnsucht nach einer Zeit geprägt, die nicht zurückgeholt werden kann. Viel eher ist meine Meinung über die Arbeit von der Sehnsucht nach einer Zeit beherrscht, die noch nicht angebrochen ist.«
Braverman protestiert und negiert vermutlich zu sehr. Wie eingangs geschrieben, ist es schwer, ihn nicht romantisch zu verklären; aber es ist auch schwer zu leugnen, dass er – gegen seine eigene Absicht – eine Welt der Handwerker und fest verwurzelten Gemeinschaften (die selbst Teil eines frühen Kapitalismus waren) romantisiert. In einem Vortrag kurz vor seinem Tod sagte er: »Ich denke, dass es für die heutige Studentengeneration schwer zu verstehen ist. [...] Als meine Generation aufwuchs, war diese totale Zerstörung einer Lebensweise noch in vollem Gange.« Frevel an der gesamten Gesellschaft, persönliche Kränkung: Der Grat ist schmal.
Fünfzig Jahre später – in einer Zeit, in der das Kapital unsere sozialen Beziehungen weiter aushöhlt und unsere gemeinsame Zukunft aufs Spiel setzt – sind Bravermans Ambivalenzen durchaus lehrreich für die Art von Antikapitalismus, die unsere Zeit braucht. Es geht nicht mehr nur um die Abwertung und Überwindung der Arbeit durch Technologie, sondern um ihre Umverteilung und Abschaffung aus politischem Willen. Vielleicht sollte die soziale Revolution des 21. Jahrhunderts einen Teil ihrer Inspiration, ihrer Poesie aus der Vergangenheit ziehen.
Dieser Artikel wurde zuerst bei New Labor Forum veröffentlicht.
Sophina Clark ist PhD-Studentin der Soziologie an der Princeton University. Sie befasst sich mit der Zukunft der Arbeit – oder auch ihrem Fehlen.
Daniel Judt ist PhD-Student in moderner US-Geschichte an der Yale University. Sein Fokus liegt auf Sozialtheorie und Geschichte des Kapitalismus im späten 20. Jahrhundert.