01. November 2022
Der Heavy Metal war die größte Subkultur der DDR. Doch als mit der Wende der Ausverkauf des Ostens erfolgte, machte der auch vor der Metal-Szene keinen Halt.
DDR-Metal Band Blackout aus Berlin-Biesdorf.
Als die Metaller vor die SED-Funktionäre traten und brachial Slayers »Raining Blood« anstimmten, war das ein Kulturschock für beide Seiten. Während die Metaller mit langen Haaren eine möglichst sanfte Interpretation des Metal-Klassikers anstimmten, wurden die Funktionäre der Kulturkommission in ihren grauen und braunen Anzügen blass im Gesicht.
In der DDR sollte Musik optimistisch sein, harmonisch und beruhigend. Die DDR förderte zudem die »Hochkultur«. Bands, die öffentlich auftreten wollten, mussten vor »Kulturkommissionen« spielen und ihre Musik genehmigen lassen.
Mit seiner Wut, seinem Fatalismus und teils offenen Zynismus passte der Heavy Metal zum kleinbürgerlichen real existierenden Sozialismus wie das Koks zur Schlagermusik – oberflächlich unvorstellbar und insgeheim selbstverständlich. Genau dieses Spannungsverhältnis beschreibt Nikolai Okunew in Red Metal – die Heavy Metal-Subkultur in der DDR.
»Mit der Monotonie des yeah yeah yeah sollte man doch Schluss machen« – dieser Satz, mit dem der DDR-Staatspräsident Walter Ulbricht die Beatmusik in feinstem Sächsisch lächerlich machte, ist legendär geworden. Sowohl die SED als auch die Stasi »tendierten dazu Feinde zu kreieren, wo keine waren« schreibt Okunew. Das galt erst Recht für die Musik. Ende der 1970er und Anfang der 80er schwappte der Metal mit Bands wie Judas Priest, Motörhead, AC/DC und Iron Maiden in den Ostblock. Da die DDR schon mit den Beatles und dem Jazz Probleme hatte, sah es für Metalfans düster aus. Die SED war völlig überfordert als sich immer wieder hunderte Langhaarige in Lederkluft zu Konzerten aufmachten – und das auch noch vor aller Augen in den billigen Zügen des Öffentlichen Nahverkehrs. Leder, Nieten und Patronengurte passten nicht zum Selbstbild des friedlichen Kleinbürgerstaats DDR.
Anders als im Westen gab es keine Metal-Fanzines wie EMP oder den Metal Hammer, keine Platten und kein Fan-Merchandise. Alles mussten die »Heavys«, wie sie sich nannten, selber machen. Lange Haare, Lederjacken oder Kutten gehörten genauso selbstverständlich dazu, wie die Musik. Der »Metaller« will erkannt werden, auch wenn er damit – wie damals in der DDR – gesellschaftliche Ächtung auf sich zieht.
»Der Look und die Platten waren teuer und so mussten die Heavys notgedrungen auch hart malochen gehen.«
Die »Heavys« in der DDR liefen mit selbstgemachten Shirts und Kutten zu den Konzerten, auf denen in mühevoller Kleinarbeit Patches gepinselt oder gestickt wurden. Noch viel schwieriger war es, an die Musik selbst zu kommen. Glücklich war, wer seine Westverwandten in Plattenläden schicken konnte. Denn der staatliche Schallplattenhersteller der DDR, Amiga, veröffentliche gar keine Metalplatten. Während Deutschrock-Bands wie die Puhdys, Karat oder Silly auch in der DDR im Studio aufnahmen, kam der Metal entweder von einer Westplatte oder einem Kassettenmitschnitt aus dem Radio. Lediglich die bekannteste Ost-Metal-Band Formel 1 durfte eine Live-Platte von einem ihrer Konzerte mitschneiden und pressen lassen. Live gab es die Lieblingsbands aus dem Westen im Ostblock nicht zu sehen.
Weil die Musik nicht in die DDR kam, spielten die DDR-Metaller die Musik ihrer Idole nach. Ein Gutteil des Repertoires der DDR-Metalbands bestand daher aus Covern ihrer westlichen Vorbilder. Das lief den staatlichen Vorgaben natürlich zuwider. Demzufolge musste mindestens die Hälfte der Lieder auf deutsch sein und mehrheitlich aus dem Ostblock kommen.
Natürlich tricksten die Metaller vor den Kommissionen, wo sie konnten, um an die ersehnte Genehmigung zu kommen. So bekam die Thüringer Metalband Macbeth anfangs eine gute Einstufung, weil der Bandname an Shakespeare angelehnt und damit als besonders fördernswert galt. Gerne wurde auch bekannte Lieder von Iron Maiden ungarischen Bands untergeschoben. Weit schwieriger war es, den geforderten Soll bei den deutschsprachigen Texten zu erbringen. Die Berliner Band Formel 1 machten aus der Not eine Tugend und sang deswegen im Berliner Akzent.
Um die Beobachtung der Stasi und der Kulturkommissionen zu umgehen, traten die Metalbands in regionalen Jugendclubs oder in Gaststätten in der Provinz auf. Dadurch fuhren Metalbands und ihre Fans Wochenende für Wochenende durch die ganze DDR. Die Stasi schrieb daher regelmäßig von »völlig zugelöteten Heavy-Metal-Fans in den Zügen«.
Zwar gab es hin- und wieder etwas Randale bei den Konzerten – vor allem wenn das Bier plötzlich alle war –, dennoch waren dieMetaller bei privaten Gaststätten beliebte Kunden. Zu einem Auftritt kamen meist über hundert Fans und diese tranken laut einem Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit im Durchschnitt pro Nase je »3-4 Bier und 8 doppelte Schnaps«. Das lief zwar dem staatlichen Gebot zuwider, den Alkoholkonsum zu senken, half den Gaststätten aber gleichzeitig, die staatlichen Planvorgaben für den Umsatz zu erfüllen.
Zwar taten die Heavys alles, um der Zensur zu entkommen, doch nicht immer gelang das auch. Bei den Konzerten waren oft Mitglieder der Kulturkommissionen oder teils der Staatssicherheit anwesend. Traten die Bands zu provokativ auf oder hatten Pech mit peniblen oder übellaunigen lokalen Mitarbeitern, setzte es Auftrittsverbote. Einige Metalbands wurden sogar von der Staatssicherheit aufgelöst und nicht wenige trennten sich wegen den Schikanen freiwillig und wanderten in den Westen ab. Legte es die Stasi drauf an, drehten sie den Bands einen Strick aus der manchmal illegalen Besorgung der Technik. So musste der Macbeth-Sänger für kurze Zeit ins Gefängnis, weil er sich einen Verstärker bei einem Dealer verschafft hatte.
»Der Westen blieb ein Sehnsuchtsort für die Metaller im Osten. Als der Westen dann mit der Wende endlich kam, brach alles zusammen.«
Heavy Metal in der DDR war stets ein Spiel zwischen Freiraum und staatlicher Repression. Wirklich gewalttätig wurde es zwischen Staat und Heavys aber nur selten. Lediglich die Polizei in Sachsen war bekannt dafür, rigoros gegen Störungen im öffentlichen Raum vorzugehen. So endete die Entwendung eines Polizeiknüppels bei einer Zugkontrolle darin, dass massenhaft Heavys von der Polizei verprügelt wurden. Der Regelfall war das allerdings nicht.
Das Verhältnis der DDR und den Heavy-Metal-Fans blieb zwar bis zum Schluss angespannt, lockerte sich aber nach und nach – entweder durch Gewöhnung oder durch das politische Tauwetter der Perestroika. Um an ihre geliebte Musik zu kommen, bombardierten die Metalfans das DDR-Jugendradio DT 64 mit Briefen. Sie forderten darin massenhaft das Abspielen ihrer Musik. Die Moderatoren der beliebten Sendung »Beatkiste«, beugten sich der Flut an Leserbriefen und spielten zum Ende der Sendung immer mehr Metalstücke. Die Metaller bekamen schließlich sogar eine eigene Sendung, die »Tendenz hart und heavy«.
Die DDR war im Zwiespalt: Einerseits hielt sie die Musik für kulturell und politisch wenig unterstützenswert, andrerseits wollte sie die Unzufriedenheit der großen Subkultur der Metaller etwas abmildern. Nicht zuletzt hatte der Metal ein proletarisches Selbstbild, auch wenn nicht nur Proletarier Metal hörten – »harte Arbeit und harte Musik«. Der Look und die Platten waren teuer und so mussten die Heavys notgedrungen auch hart malochen gehen. Diesem Ethos konnte sich ein selbst ernannter Arbeiterstaat natürlich nicht völlig entziehen.
Anders als andere Jugendkulturen war der Heavy Metal eigentlich unpolitisch – nur war das eine unmögliche Haltung in der DDR. So war »Heavy Metal eine Rebellion durch Unterlassung«, wie Okunew schreibt. Er passte mit seinen musikalischen Themen und dem Auftritt der Heavys nicht zum Selbstbild des Staates. Für die Heavys war ihre Musik vorrangig ein Ausbruch aus dem Alltag, der in der DDR von der SED politisch gemacht wurde. Dadurch war der Heavy Metal auch ein »Dropping out of Socialism«, wie es Okunew treffend beschreibt. Die Bands und ihre Fans kultivierten daher ihre Ausgrenzung. »Wir Heavys gegen den Rest der Welt« war das Motto vieler Bühnenansagen.
So oder so blieben der Westen und viel mehr noch die Westbands ein Sehnsuchtsort für die Metaller im Osten. Als der Westen dann mit der Wende endlich kam, brach alles zusammen. Okunew schildert sehr eindrücklich, wie die Heavy-Metal-Kultur der DDR kollabierte. Für die Ostbands interessierte sich von heute auf morgen niemand mehr. Wer wollte schon die Cover hören, wenn er nun das Original sehen konnte. Statt Merchandise aufwendig selber zu produzieren und Kassetten zu bespielen, gab es nun alles einfach zu kaufen.
Die Bands und die lokalen Heavy-Gruppen lösten sich in kürzester Zeit auf, weil ihre Mitglieder in den Westen verschwanden. Die privaten Gaststätten machten dicht. Von den 130 Jugendclubs in Leipzig blieben nach dem großen Ausverkauf der DDR nur vier übrig. Nur die Westplattenverlage, Konzertveranstalter und Bands witterten wie andere Teile der Westwirtschaft das schnelle, große Geld. So ging die Heavy-Metal-Kultur der DDR mit ihr unter. Der »Red Metal« in der DDR war – anders als es der Buchtitel vermuten lässt – wenig rot oder sozialistisch. Der buchstäbliche Ausverkauf der DDR machte aber auch vor kritischen Subkulturen nicht halt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Beitrags hieß es fälschlich, es habe in der DDR keine Zeitschriften wie den »Rockhammer« gegeben. Dies wurde korrigiert.