21. Juli 2021
Der Erfolg des Rechtspopulismus wird häufig als Gegenreaktion auf den Neoliberalismus gedeutet. Eine Spurensuche entlang seiner ideologischen Wurzeln beweist jedoch das Gegenteil.
Eher xenophobe Libertäre als Populisten: Die Fraktionsvorsitzenden der AfD Alice Weidel und Alexander Gauland.
Über das letzte halbe Jahrzehnt hat sich hartnäckig das Narrativ gehalten, im Rechtspopulismus zeige sich eine Art Widerstand der Bevölkerung gegen den Neoliberalismus. Letzterer wird oft als Marktfundamentalismus umschrieben oder auch als der Glaube, dass alles auf dem Planeten ein Preisschild hat; dass Grenzen obsolet sind; dass die Weltwirtschaft die Nationalstaaten ersetzen sollte; und dass das menschliche Leben auf einen Zyklus von Geld verdienen, ausgeben, leihen und sterben reduzierbar ist.
Die »neue« Rechte bringt dagegen den Glauben an »das Volk«, die nationale Souveränität und die Bedeutung der Kultur in Stellung. Während die etablierten Parteien nun Wählerstimmen verlieren, scheinen die Eliten, die den Neoliberalismus aus Eigeninteresse gefördert haben, nun die Früchte der Ungleichheit und demokratischen Entmachtung zu ernten, die sie selbst gesät haben.
Aber diese Geschichte ist falsch. Bei genauerem Hinsehen können wir erkennen, dass zentrale Fraktionen der aufstrebenden Rechten in Wirklichkeit mutierte Spielarten des Neoliberalismus sind. Schließlich haben die Parteien, die als »rechtspopulistisch« bezeichnet werden, nie als Racheengel agiert, die ausgesandt wurden, um die wirtschaftliche Globalisierung zu zerschlagen. Sie haben keine Pläne zur Zügelung des Finanzwesens, zur Wiederherstellung eines goldenen Zeitalters der Arbeitsplatzsicherheit oder zur Beendigung des Welthandels. Die Forderungen der Rechtspopulisten nach Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkungen ähneln im Großen und Ganzen denen, die führende Politikerinnen und Politiker weltweit in den letzten dreißig Jahren propagiert haben.
Es ist sowohl unpräzise als auch irreführend, den Neoliberalismus lediglich als eine apokalyptische Hyper-Kommerzialisierung von allem zu verstehen. Wie viele Geschichtsdarstellungen zeigen, wurde die Vision eines Kapitalismus ohne Staaten nicht von den Neoliberalen, die sich um die von Friedrich August Hayek gegründete Mont Pelerin Society versammelten (der den Begriff »Neoliberalismus« bis in die 1950er Jahre als Selbstbezeichnung verwendete), heraufbeschworen. Stattdessen haben sie fast ein Jahrhundert lang darüber gegrübelt, wie der Staat neu gedacht werden muss, um die Demokratie einzuschränken, ohne sie zu beseitigen, und wie nationale und supranationale Institutionen zum Schutz von Wettbewerb und Austausch eingesetzt werden können.
Wenn wir den Neoliberalismus als ein Projekt begreifen, das den Staat umgestalten soll, um den Kapitalismus zu retten, dann beginnt sich seine vorgebliche Opposition zum Populismus der Rechten aufzulösen. Sowohl Neoliberale als auch die neue Rechte verachten den Egalitarismus, die globale wirtschaftliche Gleichheit und die Solidarität jenseits der Nation. Beide sehen den Kapitalismus als unvermeidlich an und beurteilen Bürgerinnen und Bürger nach den Maßstäben von Produktivität und Effizienz. Am auffälligsten ist vielleicht, dass sich beide auf dieselben Theoretiker beziehen. Ein Beispiel dafür ist Hayek selbst, der sowohl unter Neoliberalen als auch Rechtspopulisten eine Ikone geworden ist.
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Quinn Slobodian ist Professor für Geschichte am Wellesley College. Seine jüngste Veröffentlichung auf Deutsch ist »Globalisten: Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus« (Suhrkamp, 2019).