26. Juli 2022
Während der Euro schwächelt und die EZB den Leitzins erhöht, durchfluten Warnungen vor einem Euro-Crash die Presse. Warum das Panikmache ist und was den Euro tatsächlich stabilisieren würde, erklärt Heiner Flassbeck im JACOBIN-Interview.
Der Eurokurs ist im Juli abgesunken. Ein Crash ist dennoch nicht zu erwarten.
Der Euro hat Probleme – allerdings andere als jene, die wirtschaftsliberale Ökonomen oder Crash-Propheten voraussagen. Was sie als Lösung erachten, hat diese Probleme erst verursacht – von der Austeritätspolitik für die europäischen Südländer, über den deutschen Exportwahn bis hin zum künstlichen Risiko der Zahlungsunfähigkeit von Mitgliedstaaten. Deutschland könnte seinen Einfluss nutzen, um Fortschritt voranzutreiben, allerdings wird das kaum gelingen, solange Christian Lindner Bundesfinanzminister ist.
Einer, der versuchte, diesen Wandel in Europa aus dem deutschen Finanzministerium heraus zu befördern, ist Heiner Flassbeck. Er war Staatssekretär des Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine sowie Chefvolkswirt der UNCTAD und ist Professor für Volkswirtschaftslehre. Wie man die Probleme des Euros angehen könnte, erklärt er im Gespräch mit JACOBIN.
Steht der Euro vor dem Crash, wie viele Crash-Propheten gerade behaupten?
Nein, der Euro steht nicht vor dem Crash. Das ist wirklich Blödsinn. Es ist ungeheuerlich, was zu diesem Thema in der Öffentlichkeit geäußert wird. Kürzlich stand in einer großen deutschen Zeitung, der Euro wird zur Lira und die EZB wird zur Bad Bank. Noch verrückter kann man es überhaupt nicht mehr formulieren. Der Euro ist schwach. Das liegt daran, dass die US-Notenbank die Zinsen ein bisschen erhöht hat. Und deswegen geht der Euro ein bisschen runter. Das ist völlig unproblematisch.
Im Kern der Eurokrise steckt immer noch Deutschland mit seinem Beharren auf der Schuldenbremse und dem gleichzeitigen Leistungsbilanzüberschuss. Jetzt müsste man staatliche Schulden machen. Irgendeiner muss es tun. Das haben wir leider in Deutschland immer noch nicht begriffen und wir werden es wahrscheinlich in tausend Jahren nicht begreifen.
Also ist die Euro-Dollar-Parität kein Problem?
Nein, wie gesagt: Das passiert immer, wenn die Zinsdifferenz sich in diese Richtung entwickelt. Dann wird die europäische Währung schwach und der Dollar wird stark. Ich sage deswegen europäische Währung, weil wir das in den 1980er Jahren schon einmal mit der D-Mark erlebt haben. Da war die D-Mark plötzlich wahnsinnig schwach. Da hat sich komischerweise niemand aufgeregt, alle haben sich gefreut. Heute hingegen wird gleich der Untergang des Euros heraufbeschworen. Das ist genauso unsinnig wie damals bei der Schwäche der D-Mark.
Wirtschaftsliberale machen oft die Geldmenge für die Euro-Dollar-Parität verantwortlich.
Ja, das ist einfach dummes Zeug. Diese Geldmengen-Theorie ist keine Theorie, sondern eine völlig nichtssagende Gleichung. Aber man hält immer noch daran fest, obwohl diese »Theorie« weder empirisch noch theoretisch belegbar ist. Friederike Spiecker und ich haben gerade einen Artikel veröffentlicht, wo wir gezeigt haben, dass die Schweiz hinsichtlich der Geldmenge das »unsolideste« Land der Welt ist. Und die Schweiz hat erstaunlicherweise jetzt gerade die niedrigste Inflationsrate. Das Land mit dem zweithöchsten Anstieg der Geldmenge ist Japan. Dort ist die Inflationsrate im Moment sogar noch geringer.
Gleichzeitig haben die Länder, die die Geldmenge viel weniger erhöht haben als der Euroraum oder die USA, viel höhere Inflationsraten. Das können einem die Geldmengen-Theoretiker nicht erklären. Das ist ein solches Versagen der sogenannten Wirtschaftswissenschaften. Es ist einfach unfassbar, dass das alles laufen gelassen wird. Das Schlimmste ist ja, dass wir in der Politik niemanden haben, der auch nur annähernd in der Lage wäre, da mal ein klares Wort zu reden.
Nun fordern einige höhere Zinsen, um den Wechselkurs zu stabilisieren.
Das ist völlig unsinnig. Was soll das? Wir haben kein System fester Wechselkurse und es gibt keinen Grund, jetzt den Euro zu stabilisieren. Wenn die Amerikaner keinen so starken Dollar wollen, dann könnten sie einfach die Zinsen senken. Also warum sollte sich Europa jetzt verrückt machen?
Aber die EZB hat ja tatsächlich die Zinsen erhöht, was meines Erachtens auf deutschen Druck passiert ist. Der neue deutsche Bundesbankpräsident hat sich auch als Super-Falke erwiesen und redet immer davon, die Geldpolitik müsse jetzt reagieren. Aber warum eigentlich? Und warum erhöhen sie jetzt die Zinsen? Das ist vollkommen sinnlos. Denn das Einzige, das die Geldpolitik mit höheren Zinsen erreicht, ist Folgendes: Sie kann die Konjunktur noch weiter abwürgen.
Was hat das für Folgen?
Die Hoffnung ist, dass das Druck auf die Löhne ausübt und sich durch den geringeren Lohnanstieg die Preise normalisieren. Aber wir haben überhaupt keinen Lohnanstieg. Die IG Metall fordert jetzt 8 Prozent für zwei Jahre. Das ist lächerlich wenig, da kommen am Ende 3 Prozent raus. Daran ist überhaupt nichts inflationsgefährdend. Die Forderung von der IG Metall ist gleichwohl angesichts der aktuellen Lage sehr vernünftig. In meinen Augen hätten sie schon ein bisschen mehr fordern können, aber gut.
Festzuhalten ist jedenfalls, dass davon kein Inflationsdruck ausgeht. Und in anderen Euroländern gibt es auch keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale. Und deswegen ist diese Bewegung bei der EZB vollkommen sinnfrei. Ich bin fest überzeugt: Die EZB wird das wieder zurücknehmen müssen, weil es unsinnig ist.
Wieso?
Die Inflation wird sich normalisieren. Viele Rohstoffpreise gehen jetzt schon wieder runter. Die Spekulation ist schon weitgehend beendet. Die Inflation wird also deutlich nachlassen, vielleicht sogar negativ werden. Im nächsten Jahr ist alles möglich. Wenn sich die Rohstoffpreise halbwegs normalisieren, ist die Inflation im nächsten Jahr eine Deflation. Da werden sich viele wundern. Ich bin mal gespannt. Ich hoffe, dass alle Geldmengen-Theoretiker dann erst einmal auf absehbare Zeit die Klappe halten, weil sie einfach komplett danebengelegen haben.
Andererseits gibt es aber ja tatsächlich einige Problem in der Eurozone, wie die Renditeunterschiede (Spreads) auf europäischen Staatsanleihen, die im Falle von Italien mit einem Risikoaufschlag begründet werden.
Auch die EZB hat gemerkt, dass es eine große Unsicherheit an den Märkten gibt. Und jetzt wissen sie nicht, was sie tun sollen. Die Deutschen sagen dann: Nein, ihr dürft überhaupt nichts an den Spreads machen. Jeden Tag schreibt irgendein deutscher Ökonom, dass das die größte Sünde überhaupt sei, weil die Märkte mit ihren Preiseinschätzungen ja immer richtig liegen würden. Die Notenbanken, so das Argument, dürfen daher nie etwas dagegen tun.
Dazu muss man sich auch mal die Schweiz angucken. Warum hat die Schweiz eine so hohe Geldmenge produziert in den letzten Jahren? Weil sie permanent gegen die Märkte gearbeitet hat. Denn die Märkte hätten den Schweizer Franken schon vor zehn Jahren auf die Parität zum Euro gebracht und das wollte die Zentralbank vermeiden. Die Zentralbank hat sich also gegen die Märkte gestellt. Und genau das brauchen wir jetzt in Europa. Die Zentralbank muss sich gegen die Märkte stellen.
Und was ist so schlimm an den Risikoaufschlägen?
Es gibt keinen Grund für Risikoaufschläge. Wir haben ein Regelwerk in Europa, an das müssen die Staaten sich anpassen. Da gibt es keine Notwendigkeit für die Notenbank, irgendwo zu disziplinieren. Es haben aber auch die Märkte nicht zu disziplinieren, sondern die Notenbank hat dann dafür zu sorgen, dass alle Länder den gleichen Zins haben. Kürzlich hat einer vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in der FAZ geschrieben, das sei schwierig, da dann die Notenbank entscheiden würde, wie der Spread von Italien zu Deutschland ist. Aber das stimmt nicht. Die EZB sagt einfach: Es gibt keinen Spread. Die Notenbank braucht da nichts zu entscheiden.
Und alles andere muss politisch entschieden werden. Da muss man sich in Brüssel treffen und sagen, ob Italien mehr Schulden aufnehmen soll oder nicht. Das ist eine ganz andere Frage. Aber es ist völlig absurd, die Märkte jetzt darüber entscheiden zu lassen, ob Italien in der Vergangenheit etwas richtig oder falsch gemacht hat. In Deutschland ist man aber wie besessen von dieser Frage und wird deswegen tatsächlich den Euro ins Wanken bringen.
Also gefährdet vor allem Deutschland den Euro?
Die einzig relevante Frage ist, ob Deutschland Europa für ein paar Jahre blockiert oder nicht. Und das wiederum hängt an der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse muss weg. Das ist ganz eindeutig. Warum? Weil Deutschland mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen dafür sorgt, dass andere Staaten Schulden machen müssen, damit sie Leistungsbilanzüberschüsse haben. Gleichzeitig verbieten sie dann den anderen Ländern, Schulden zu machen. Das ist eine vollkommen unmögliche Konstellation, in der man sich einfach nicht mehr weiterentwickeln kann und die Länder sozusagen gefesselt sind.
Wenn wir das in Deutschland nicht begreifen, wird der Euro früher oder später kaputt gehen. Ich hoffe aber immer noch, dass es in Deutschland irgendwann eine Regierung mit einem kompetenten Ökonomen geben wird, der halbwegs durchblickt und der Öffentlichkeit ein paar Dinge sagt, die die Öffentlichkeit in Deutschland einfach nicht erfahren darf.
Was wäre noch nötig, um den Euro zu stabilisieren.
Wir sind ja in einer extrem schwierigen Konstellation, weil die Geldpolitik gerade nicht weiß, wie sie vorgehen soll und die Wirtschaft einzubrechen droht. In dieser Konstellation müssen wir traditionelle ökonomische Vorurteile hinter uns lassen. Das ist der zentrale Punkt. Die Schuldenbremse muss vollständig abgeschafft werden, weil die Unternehmen in den letzten Jahrzehnten zu Sparern geworden sind. Wenn also die Unternehmen sparen und die privaten Haushalte sparen, kann der Staat nicht auch noch sparen. Das ist vollkommen unmöglich, weil sonst die Wirtschaft sofort zusammenbricht.
Geht das mit der Ampel?
Das geht nicht mit Christian Lindner. Wenn die anderen Parteien das nicht begreifen, dann steuern wir in die Katastrophe. Das steht außer Frage. Man müsste völlig neu denken und ich glaube nicht, dass Lindner das kann. Er hat ja zudem noch seinen Berater Lars Feld zur Seite und der ist der älteste Denker aller Zeiten. Entweder wir begreifen, dass Deutschland Schulden machen muss oder aber es gibt einen ganz großen Crash.