30. Mai 2024
Millionen Menschen mussten hohe Heizkosten-Nachzahlungen für 2022 leisten – wegen der Explosion der Gaspreise, aber auch weil Unternehmen die Preise in die Höhe treiben. Nicht nur die große Politik, sondern auch die Arbeit vor Ort kann hier gegensteuern.
Eine hohe Heizkosten-Nachzahlung hat viele deutsche Haushalte getroffen.
Seinen Höhepunkt erreichte der Gaspreisschock Ende August 2022. Mit rund 35 Cent pro Kilowattstunde hatte sich der Börsen-Gaspreis in zwei Jahren verdreißigfacht. Die Angst der Menschen vor unbezahlbaren Heizkosten war greifbar. Annalena Baerbock hatte vor »Volksaufständen« gewarnt, sollte es zu einem Gaslieferstopp aus Russland kommen. Dennoch blieb der geplante linke »heiße Herbst« eher ein laues Lüftchen. Die Mobilisierung gestaltete sich trotz der bedrohlichen Lage extrem schwierig. In der Spitze gingen wenige tausend Menschen auf die Straße. Darunter vor allem das aktivistische, bereits politisierte Milieu.
Zwei Faktoren haben dazu entscheidend beigetragen: Zum einen hat die Bundesregierung durch die Einführung der Energiepreisbremsen das Problem – zumindest psychologisch – entschärft. Dabei kann die Implementierung dieser Maßnahmen wohl auch als Reaktion auf die Angst vor größeren Sozialprotesten verstanden werden. Noch entscheidender dürfte aber sein, dass die gestiegenen Energiekosten für viele Menschen, insbesondere für Mieterinnen und Mieter, erst mit der Jahresabrechnung sichtbar werden.
»Der Kampf für bezahlbares Heizen ist ein Kampf gegen die Ausbeutung durch Energiekonzerne, aber auch für die Akzeptanz der dringend benötigten Wärmewende.«
Diese trudeln oft erst ein Jahr später – in diesem Fall Ende 2023 – ein. Deshalb häufen sich gerade in den letzten Monaten Berichte über horrende Forderungen für Heizkosten-Nachzahlungen. Beträge von 2.000 Euro, 4.000 Euro oder gar 8.000 Euro sind dabei keine Seltenheit. Das ist dramatisch: Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland 6,5 Millionen Menschen aus Kostengründen ihre Wohnungen nicht angemessen heizen können. Betroffen sind vor allem Haushalte, die entweder direkt mit Gas heizen oder deren Fernwärme zu großen Teilen aus der Verbrennung von Gas erzeugt wird.
Nur: Die Proteste gegen die hohen Heizkosten sind verebbt. Politisch ist das Thema aktuell eine Randnotiz. Viele Betroffene beißen in den sauren Apfel und bezahlen lieber, als sich zu wehren. Dabei zeigt die politische Praxis, dass die Heizkostenabrechnungen in vielen Fällen falsch sind und Widerstand Erfolg haben kann, denn nicht nur die gestiegenen Gaspreise führen zu den hohen Nachzahlungen. Häufig werden die Preise durch Intransparenz, Spekulation und Profitgier der Energie- und Immobilienkonzerne erst richtig in die Höhe getrieben. Dabei wirkt die Gaskrise wie ein Brennglas auf die Probleme der deutschen Energiepolitik. Der Kampf für bezahlbares Heizen ist ein Kampf gegen die Ausbeutung durch Energiekonzerne, aber auch für die Akzeptanz der dringend benötigten Wärmewende.
Fernwärme ist eine der zentralen Technologien der Wärmewende. Dabei wird Wärme in zentralen Kraftwerken produziert und über gedämmte Leitungen zu den Wohnhäusern transportiert. Stand heute werden dazu noch immer größtenteils Gas, Kohle oder Müll verbrannt. Durch den Umstieg auf Geothermie, Großwärmepumpen, Industrieabwärme oder Biomasse lässt sich die Fernwärme aber vergleichsweise einfach klimaneutral umbauen. Der Anteil von Fernwärme soll deswegen von 17 Prozent auf 40 Prozent steigen. Das ist klimapolitisch richtig, hat aber für die Verbraucherinnen und Verbraucher einen großen Haken. Bei der Fernwärme besteht in der Regel ein natürliches Monopol. Man ist also dauerhaft an einen Anbieter gebunden.
Gerade in den letzten Jahren sind die Fernwärmepreise vielerorts explodiert. Nicht nur bei privaten Konzernen, sondern auch bei kommunalen Unternehmen, wie Beispiele aus Weimar, Wuppertal oder München zeigen. So stiegen in Weimar die Arbeitskosten der Stadtwerke Weimar für die Thüringer Stahl- und Maschinenbaubetrieb Weimar-Werk GmbH im Jahr 2022 innerhalb von zwei Jahren um das sechzehnfache, von 3,3 Cent pro Kilowattstunde auf 51,9 Cent pro Kilowattstunde. Der Stahlbauer verweigerte daraufhin die Zahlung der Rechnung, um die Insolvenz zu vermeiden. Der Fall liegt nun vor Gericht.
Die Stadtwerke München wollten in einem ähnlichen Zeitraum die Preise um das siebenfache erhöhen. Verhindert wurde das nur durch politischen Druck der Linken Stadtratsfraktion vor Ort. Gegen den Eon-Konzern laufen derzeit wegen überzogener Heizkosten in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Sammelklagen von mehr als 800 Betroffenen.
»Durch kollektives Handeln lässt sich der Druck auf den Vermieter maximal erhöhen.«
Die genannten Beispiele sind wenige von vielen. Gemeinsam ist allen, dass sie das Ergebnis einer abenteuerlichen Preisgestaltung sind. So ist es den Fernwärmeanbietern erlaubt, unabhängig von den realen Beschaffungskosten ihre Preise an verschiedene Preisindizes zu knüpfen – im Fall von Gas unter anderem an die Börsenindizes der Leipziger Energiebörse (EEX). Obwohl diese beim realen Gaseinkauf nur eine unbedeutende Rolle spielen, werden sie in den Preisformeln der Fernwärmeanbieter häufig genutzt. In der Energiekrise 2022 schlugen aber gerade diese Börsenindizes massiv nach oben aus.
Fernwärmeanbieter können also durch eine geschickte Auswahl von Indizes den Arbeitspreis der Fernwärme ganz legal in die Höhe treiben und satte Übergewinne kassieren. 2023 haben die Preisbremsen die Kosten für Fernwärme auf 9,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Die Menschen wurden also durch den Bundeshaushalt entlastet. Eine aktuelle Auswertung zeigt, dass die Preise für 2024 in vielen Fällen wieder weit darüber liegen werden. Das Ausnutzen der Monopolstellung bei der Fernwärme schadet so auch der Wärmewende. Die hohen Preise zerstören vielerorts die Zustimmung für den notwendigen Fernwärmeausbau.
Noch vor der Fernwärme haben Gasheizungen mit 40 Prozent den größten Anteil an der deutschen Wärmeversorgung. Gerade in größeren Wohnblöcken findet man dabei häufig Gas-Zentralheizungen, die alle Wohnungen in einem Haus gleichzeitig mit Wärme versorgen. Für den Vertragsabschluss mit dem Gasanbieter und die Heizkostenabrechnung ist dann allein der Hauseigentümer verantwortlich. In der Praxis führt das dazu, dass hohe Nachzahlungen nicht selten das Resultat nachteiliger Gasverträge oder falscher Abrechnungen sind.
Insbesondere große Immobilienkonzerne wie Vonovia fallen durch systematische Fehler auf, wie Beispiele aus Berlin und München zeigen. So hat Vonovia in München in einem Fall über 400 Mieter über ein ganzes Jahr hinweg über die sogenannte Ersatzversorgung der Stadtwerke beliefern lassen. Diese ist häufig besonders teuer und eigentlich dafür da, Zeiträume von bis zu drei Monaten zu überbrücken, wenn der alte Anbieter nicht mehr liefern kann.
Nicht so in diesem Fall. Das Ergebnis: hohe vierstellige Nachzahlungen. Erst nachdem sich die Mieterinnen und Mieter, unterstützt von der Linken, auf die Hinterbeine stellten, eine Mietergemeinschaft gründeten und öffentlichen Druck ausübten, lenkte der Konzern ein. Die Betroffenen erhalten nun mehrere tausend Euro Rückzahlung. In Summe haben sie sich mehr als eine halbe Million Euro zurück erkämpft.
Aber nicht nur private Konzerne, auch kommunale Unternehmen bitten die Menschen gern zur Kasse. So schloss Münchens städtische Wohnungsgesellschaft im November 2021, bei bereits steigenden Gaspreisen, einen neuen, hochspekulativen Vertrag mit den Stadtwerken München ab. Statt dauerhaft stabile Preise zu garantieren, koppelt sich der neue Vertrag quartalsweise an den Gaspreis der Leipziger Energiebörse. Die Einkommen von über 30.000 Mieterinnen und Mietern werden so gegen deren Willen auf dem Gasmarkt verspekuliert.
»Die Menschen zittern vor dem Winter, die Konzerne freuen sich über geschenkte Profite.«
Wieder gilt: Die genannten Beispiele sind einzelne unter vielen. Aber nur ein Bruchteil der Betroffenen setzt sich wirklich zur Wehr. Das Problem fängt häufig schon bei undurchsichtigen Abrechnungen an. Dabei gibt es gerade hier mächtige Mittel, sich zu wehren. Das Rezept heißt: Belegeinsicht und Zurückbehaltungsrecht. So haben Mieterinnen und Mieter das Recht, sich sämtliche Verträge, Rechnungen, Tätigkeits- und Zahlungsnachweise der Nebenkostenabrechnung belegen zu lassen. Bis zur vollständigen Belegeinsicht können die Nachzahlungen und sogar Vorauszahlungen für die Heiz- und Betriebskosten zurückbehalten werden. Dies verschafft vielen Menschen Zeit. Oft bleiben die Unterlagen unvollständig oder es werden Fehler deutlich, die zu einer Reduzierung der Nachzahlungen führen.
Die Praxis zeigt, dass man sich dafür am besten mit anderen Betroffenen zusammenschließt. Durch kollektives Handeln lässt sich der Druck auf den Vermieter maximal erhöhen. Die Mietergewerkschaft bietet für dieses Vorgehen einen sehr guten Leitfaden.
Zugang zu bezahlbarer Energie ist existenziell – gerade für Menschen mit kleinem Geldbeutel. Allein deswegen ist Energiepolitik zentraler Schauplatz linker Politik. Es braucht aber auch eine Wärmewende, denn 40 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland entfallen auf den Bereich Wohnen und Bauen. Eine Wärmewende kann aber nur gelingen, wenn Menschen für den Klimaschutz nicht in ihren Wohnungen frieren müssen. Tragischerweise sieht gerade bei der Fernwärme die Realität anders aus. Die Menschen zittern vor dem Winter, die Konzerne freuen sich über geschenkte Profite.
Die politische Kernforderung ist klar: Energie ist Teil der Daseinsvorsorge und gehört in die öffentliche Hand. Nur ohne Profitzwang kann Energie günstig und verlässlich bereitgestellt werden. Dass die abstrakte Forderung nach Vergesellschaftung aber nicht ausreicht, zeigen die vielen Beispiele, in denen kommunale Unternehmen selbst Teil des Problems sind. Hier hilft nur Transparenz und demokratische Kontrolle.
Heute können in vielen Fällen selbst Stadtratsmitglieder die Geschäftspraktiken von Stadtwerken kaum nachprüfen, weil Informationen nicht öffentlich gemacht werden. Spekulation, Unfähigkeit und Vetternwirtschaft lassen sich aber nur durch eine kritische Öffentlichkeit verhindern. Wie bei vielen Themen gilt auch bei der Energiepolitik: Die kommunalpolitische Arbeit ist eine zentrale Säule. Egal, ob bei der parlamentarischen Kontrolle von Stadtwerken oder der Organisation von Mieterinnen und Mieter. Die Abzocke mit den Heizkosten endet dann, wenn es vor Ort ein wehrhaftes Gegengewicht gibt.
Auf Bundesebene braucht es außerdem weiteren Druck, um die Belastung durch die Energiekosten gerade für kleine Einkommen zu verringern. Die einfachste Maßnahme dafür sind die Absenkung der Mehrwertsteuer beim Heizen. Gerade die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent für Gas und Fernwärme ist ein politisches Fiasko. Ähnliches gilt für die weitere Erhöhung der CO2-Steuer. Beide Steuern treffen vor allem diejenigen, die jetzt schon Probleme mit den Heizkosten haben und nicht zu Unrecht wütend auf die Regierung sind.
Weitergehend ist die Forderung nach verbrauchsgestaffelten Heizkosten. Ein Grundkontingent macht dabei geringe Heizmengen günstig. Verschwendung – in der Regel von Menschen mit großen Einkommen und Wohnungen – wird dann zusätzlich belastet. Solche Konzepte treffsicher zu entwickeln, ist eine große Herausforderung. Sie sind aber notwendig. Denn bezahlbares Heizen ist eine zentrale Säule einer sozial gerechten Klimapolitik.
Theo Glauch ist promovierter Physiker und Mitglied im Landesvorstand der bayerischen Linken. Seine Schwerpunkte liegen in der Mieten-, Wirtschafts- und Klimapolitik. Von 2020 bis 2022 saß er für Die Linke im Münchener Bezirksausschuss Schwabing-West.
Christian Schwarzenberger ist stellvertretender Sprecher der Linken in München und aktiv in der Münchner Mieterbewegung #ausspekuliert.