01. Dezember 2023
Der kürzlich verstorbene US-Diplomat war für zahlreiche Tote und massenhafte Zerstörung in dem südostasiatischen Land mitverantwortlich. Großartig berührt scheint ihn das nie zu haben.
US-Präsident Richard Nixon trifft im November 1972 in Camp David mit Henry Kissinger (links) und Generalmajor Alexander Haig, dem stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater, zusammen, um die Lage in Vietnam zu besprechen.
Von Mitte der 1960er Jahre bis 1991 litt Kambodscha unter einer Serie verheerender Gewaltexzesse. Dazu gehörten ein Bürgerkrieg, in dem die kambodschanische Regierung gegen kommunistische Aufständische (die Roten Khmer) kämpfte; schwere US-Luftangriffe, bei denen tausende Zivilisten starben und das Land destabilisiert wurde; die genozidale Herrschaft der Roten Khmer (Khmer Rouge), der etwa 1,7 Millionen Menschen (21 Prozent der Bevölkerung) zum Opfer fielen; und eine jahrzehntelange vietnamesische Besatzung, in der es zu ständigen Kämpfen zwischen der von den Vietnamesen eingesetzten Regierung und den Guerillas der Roten Khmer kam (die wiederum von mehreren externen Mächten unterstützt wurden, darunter den USA und China).
In seiner Funktion als nationaler Sicherheitsberater und Außenminister während der Regierungen Nixon und Ford trug Henry Kissinger erhebliche Mitverantwortung für die Zerstörung Kambodschas. Kissinger war es, der die US-Bombenkampagne leitete, die nicht nur tausende Opfer forderte (und selbst heute mit liegengebliebenen Blindgängern noch für Tote sorgt), sondern auch die Roten Khmer an die Macht brachte.
Die Verwüstung Kambodschas stand in engem Zusammenhang mit dem US-Feldzug in Vietnam. Der Führer Kambodschas, Prinz Norodom Sihanouk, war entschlossen, sein Land neutral zu halten, was sich jedoch bald als unmöglich erwies. Als die vietnamesisch-kommunistischen Kräfte Mitte der 1960er Jahre begannen, den Osten Kambodschas als Aufmarschgebiet zu nutzen, um die von den USA unterstützte Regierung in Südvietnam anzugreifen, begannen die Vereinigten Staaten ihrerseits, Kambodscha (zunächst sporadisch) zu bombardieren.
Sihanouk kritisierte die Bombardierungen, obwohl er natürlich ebenfalls gegen die vietnamesische Präsenz in Kambodscha war. Eine Zeit lang sorgte Sihanouks Neutralität dafür, dass Kambodscha vor dem Schlimmsten bewahrt wurde; vor allem im Vergleich zum benachbarten Vietnam. Das änderte sich allerdings 1969, als Richard Nixon ins Amt kam – und mit ihm Henry Kissinger.
Nixon war mit dem Versprechen gewählt worden, den Krieg zu beenden. Seine oberste Priorität war es dabei, die USA aus dem Konflikt herauszulösen, ohne dabei vor der internationalen Gemeinschaft das Gesicht zu verlieren. Daher wollte er nochmals energisch gegen Nordvietnam vorgehen, um Hanoi maximale Zugeständnisse abzuringen. Eine weitere Bombardierung Nordvietnams würde sich allerdings als schwierig erweisen, denn Nixons Vorgänger Lyndon Johnson hatte 1968 im Rahmen der laufenden Friedensgespräche eine Einstellung der Bombenangriffe angeordnet.
Die Lösung für Nixon und Kissinger beinhaltete daher eine illegale, geheime Bombardierungskampagne in Kambodscha, mit der die Nachschubwege der vietnamesischen Kommunisten und ihre dortigen Stützpunkte zerstört werden sollten. Geheimhaltung war bei dieser Aktion von größter Bedeutung – Kambodscha war ein neutrales Land, so dass jede Eskalation dort eine heftige Gegenreaktion in der internationalen Gemeinschaft sowie auch daheim in den USA auslösen könnte. Nicht einmal der US-Kongress sollte davon erfahren –schließlich waren Nixon und Kissinger skeptisch, dass die Abgeordneten eine Bombardierung Kambodschas genehmigen würden (als Nixon sein Amt antrat, hatte sich ein Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit bereits gegen den Krieg gewandt und ein beträchtlicher Teil der Elite war der Ansicht, die Kriegskosten seien die ausbleibenden Erfolge nicht wert).
Kissinger war das »Mastermind« hinter diesen Bombenangriffen auf Kambodscha. Der Historiker Greg Grandin erklärt, wie die Geheimoperationen abliefen:
»Sitton [Oberst Ray Sitton, ein Experte für B52-Bomber] arbeitete auf der Grundlage von Empfehlungen, die er von General Creighton Abrams, dem militärischen Befehlshaber in Vietnam, erhalten hatte, eine Reihe von Zielen in Kambodscha aus, die angegriffen werden sollten. Dann legte er sie Kissinger und Haig [Colonel Alexander Haig, Kissingers militärischer Berater] im Weißen Haus zur Genehmigung vor. Kissinger war überaus aktiv involviert und überarbeitete einige von Sittons Entwürfen. ›Ich weiß nicht, was die Gründe für seine Änderungen waren,‹ erinnerte sich Sitton später. ›Schlagen Sie hier in diesem Gebiet zu‹, sagte Kissinger zu ihm, ›oder hier in diesem anderen Bereich‹. Sobald Kissinger mit dem vorgeschlagenen Ziel zufrieden war, schickte Sitton die Koordinaten verschlüsselt und über inoffizielle Kanäle nach Saigon, von wo aus ein Kurier sie an die entsprechenden Radarstationen weiterleitete, wo ein US-Offizier dann in letzter Minute die Änderungen an den geplanten Flugrouten vornahm. Der B-52 würde von seinem ›Scheinziel‹ in Südvietnam nach Kambodscha umgeleitet, wo dann die Bomben auf das ausgemachte Ziel abgeworfen wurden. Nach Abschluss des Fluges verbrannte der mit der Täuschung beauftragte Offizier alle Dokumente – Karten, Computerausdrucke, Radarberichte, Meldungen usw. –, die Aufschluss über den tatsächlich erfolgten Flug geben könnten. Dann stellte er falsche ›Post-Strike‹-Papiere aus, aus denen hervorging, dass der Einsatz wie geplant in Südvietnam geflogen worden sei. So erhielten der Kongress und die Verwaltung im Pentagon gefälschte ›Zielkoordinaten‹ und andere gefälschte Informationen. Diese waren auch notwendig, um die tatsächlichen Ausgaben für Treibstoff, Bomben und Ersatzteile abrechnen zu können, ohne dass die Bombardierung Kambodschas dabei jemals bekannt würde.«
Die Bombardierung Kambodschas dauerte bis 1973 an, als sie schließlich vom Kongress gestoppt wurde.
»Die Tote und die Zerstörung, die Kissinger in Kambodscha mitzuverantworten hat, haben ihn scheinbar nie belastet. Seine öffentlichen Äußerungen über den Krieg strotzten vielmehr von Ausreden, Rechtfertigungen und Relativierung.«
Zwischen 1965 und 1973 wurden über 500.000 Tonnen Bomben auf Kambodscha abgeworfen, fast ausschließlich während der Amtszeit von Nixon (und Kissinger). Nach Kissingers Worten sollten die Teppichbombardements »mit allem, was fliegt, auf alles, was sich bewegt« durchgeführt werden. Laut dem Historiker Ben Kiernan, dem Gründungsdirektor des Genocide Studies Program der Universität Yale und einem Experten für die US-Bombardierung Kambodschas und den Völkermord der Roten Khmer, forderten die Luftangriffe schätzungsweise 50.000 bis 150.000 zivile Opfer. Er gehe jedoch davon aus, »dass die tatsächliche Zahl eher an der oberen Grenze dieser Spanne liegt«.
Zur gleichen Zeit wurde auch das nördlich von Kambodscha gelegene Laos von den Vereinigten Staaten stark bombardiert, um die Nachschublinien der vietnamesischen Kommunisten entlang des Ho-Chi-Minh-Pfads zu unterbrechen. Damals hörte Fred Branfman, ein laotisch sprechender US-Hilfsarbeiter im Land, erstmals Berichte über Geflüchtete, die aus dem nördlichen Teil des Landes in die Hauptstadt Vientiane strömten. Als er nachforschte, warum die Menschen flohen, musste er mit Entsetzen feststellen, dass intensive US-Luftangriffe ganze Dörfer ausgelöscht hatten, tausende Menschen getötet wurden und andere sich gezwungen sahen, aus Angst vor den Bomben in Höhlen zu hausen. Seine Sammlung von Zeugenaussagen in Voices from the Plain of Jars: Life under an Air War ist eine der besten Dokumentationen der Lage in ganz Indochina angesichts der massiven US-Luftangriffe.
Ein 13-jähriger Laote berichtet darin:
»Mein Dorf lag am Rande der Straße von Xieng Khouang hin zur Ebene der Steinkrüge. Neben der Straße gab es Reisfelder. Zuerst bombardierten die Flugzeuge die Straße, aber nicht das Dorf. Zu dieser Zeit war mein Leben noch von großem Glück erfüllt, denn die Berge und Wälder waren wunderschön: Land, Wasser und Klima waren für uns ideal. Es gab so viele Häuser in unserem kleinen Dorf. Aber das hielt nicht lange an, denn die Flugzeuge kamen und bombardierten die Reisfelder, bis die Bombenkrater die Ernte unmöglich machten. Auch das Dorf wurde getroffen und es brannte. Einige Verwandte, die auf den Feldern arbeiteten, kamen über die Straße ins Dorf gelaufen, aber die Leute in den Flugzeugen sahen sie und schossen. Sie töteten diese Bauern auf grausame Weise. Wir hörten ihre Schreie, konnten ihnen aber nicht zu Hilfe kommen. Als die Flugzeuge weg waren, gingen wir hinaus, um ihnen zu helfen. Aber sie waren bereits tot.«
Neben den verheerenden direkten Folgen für die kambodschanische Bevölkerung hatten die Angriffe einen weiteren Effekt: Sie förderten den Aufstieg der Roten Khmer. 1969 zählten die Truppen der Roten Khmer weniger als 10.000 Mann, aber 1973 waren es bereits 200.000. Wie Kiernan argumentiert, hätten die Roten Khmer »ohne die wirtschaftliche und militärische Destabilisierung Kambodschas durch die USA, die [...] in den Jahren 1969-73 mit der Bombardierung der kambodschanischen Gebiete durch US-amerikanische B-52-Bomber ihren Höhepunkt erreichte, nicht die Macht erlangt. Das war wahrscheinlich der wichtigste Einzelfaktor für den Aufstieg [des Führers der Roten Khmer] Pol Pot.«
Die Bombardements hätten demnach vor allem die Bäuerinnen und Bauern dazu bewogen, sich am Aufstand der Roten Khmer zu beteiligen. »Die Menschen waren wütend auf die Vereinigten Staaten, und deshalb schlossen sich so viele von ihnen den Roten Khmer an,« berichtet auch ein kambodschanischer Zeitzeuge. Das Directorate of Operations der CIA stellte seinerseits 1973 fest, dass die Roten Khmer erfolgreich »Schäden und Verluste durch B-52-Angriffe als Hauptthema für ihre Propaganda verwenden«.
Die durch die Bombardierung verursachte Destabilisierung wurde durch den von den USA unterstützten Putsch von 1970, mit dem Sihanouk gestürzt wurde, noch verstärkt. Die Vereinigten Staaten erkannten sofort die vom rechtsgerichteten Offizier Lon Nol geführte neue Regierung Kambodschas an. Dies wiederum hatte zur Folge, dass Sihanouk und seine Anhänger im ganzen Land in das Lager der Roten Khmer wechselten. Nordvietnam und die vietnamesischen kommunistischen Kräfte, die zuvor Sihanouk als rechtmäßigen Herrscher Kambodschas akzeptiert hatten, verbündeten sich nun ebenfalls vollständig mit den Roten Khmer. Die Neutralität, die Kambodscha bis dahin bewahrt hatte, war dahin.
Der Krieg in Kambodscha endete im April 1975, als die Roten Khmer die Kontrolle über Phnom Penh übernahmen. Bald darauf begannen sie mit der Entvölkerung der Städte und starteten ihren Völkermord. Kissingers Engagement in Indochina war indes noch lange nicht vorbei.
Im November 1975 erklärte Kissinger gegenüber dem thailändischen Außenminister, auch dieser solle »den Kambodschanern vermitteln, dass wir mit ihnen befreundet sein wollen. Sie sind zwar mordende Verbrecher, aber davon dürfen wir uns nicht abhalten lassen. Wir sind bereit, die Beziehungen zu ihnen zu verbessern.« Mit dem endgültigen Ende des Vietnamkriegs wurde das geopolitische Schachbrett neu geordnet.
Kissinger wollte Kambodscha als Gegengewicht zu den siegreichen (und mit der Sowjetunion verbündeten) Nordvietnamesen nutzen. Gleichzeitig verbündete sich auch China mit den Roten Khmer gegen seinen historischen Feind Vietnam. Mit der Verbesserung der Beziehungen zwischen China und den USA einerseits und der Verschlechterung der Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und China andererseits entstand eine ungewöhnliche Allianz: Sowohl die USA als auch China versuchten, die Roten Khmer gegen Vietnam (und damit auch gegen die Sowjetunion) zu unterstützen.
»Die USA mögen ihre außenpolitischen Ziele stets als ›edle Initiativen zur Verbesserung der menschlichen Spezies‹ darstellen, aber wenn das tatsächliche Ergebnis unermessliches Leid ist, waren Persönlichkeiten wie Kissinger sofort zur Stelle, um dieses Leid herunterzuspielen.«
Kissingers Wunsch nach engeren Beziehungen zu den Roten Khmer war ein Vorbote der Politik der Regierungen Carter und Reagan. Vietnam marschierte Ende 1978 in Kambodscha ein und vertrieb die Roten Khmer als Reaktion auf deren wiederholten Übergriffe auf vietnamesisches Gebiet. Die Roten Khmer gingen daraufhin zum Guerillakampf gegen die von Vietnam eingesetzte Regierung in Phnom Penh über.
Die vietnamesische Invasion in Kambodscha ist wahrscheinlich eine der wenigen Interventionen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die tatsächlich humanitäre Folgen hatte – nämlich den Sturz der Roten Khmer. Man kann durchaus vermuten, dass sie im Westen lediglich deswegen nicht als eine »humanitäre Intervention« angesehen wird, weil keine westlichen Mächte an ihr beteiligt waren.
Fest entschlossen, den Einfluss Vietnams in der Region zu schwächen, entschieden sich die Vereinigten Staaten, China und zahlreiche andere ausländische Mächte dafür, die Roten Khmer als rechtmäßige Regierung Kambodschas anzuerkennen und förderten sie auf unterschiedliche Weise.
Zbigniew Brzezinski (Jimmy Carters nationaler Sicherheitsberater) rief beispielsweise China auf, Pol Pot zu unterstützen. Alle Versuche, die Taten der Roten Khmer als Völkermord zu bezeichnen, wurden von US-Beamten bis 1989 als »kontraproduktiv« angesehen, und erst 1997 gaben die Vereinigten Staaten grünes Licht für die Festnahme und strafrechtliche Verfolgung Pol Pots. Das war zu spät: der Anführer der Roten Khmer starb ein Jahr später und wurde nie vor Gericht gestellt.
Abgesehen von seiner Politik, die den Aufstieg und das brutale Vorgehen der Roten Khmer begünstigte, bleibt Kissingers Vermächtnis in Kambodscha auch auf andere Weise erschreckend: Seit 1979 sind 64.000 Menschen in Kambodscha durch Blindgänger getötet oder verletzt worden. Bei einigen dieser militärischen Überbleibsel handelt es sich um Landminen, die von den Roten Khmer und anderen Gruppierungen im Laufe des jahrzehntelangen Krieges gelegt wurden, doch für den Großteil der Blindgänger sind die USA verantwortlich. Sogar das US-Außenministerium räumt ein: »Die östlichen und nordöstlichen Gebiete Kambodschas sind stark mit nicht explodierten Sprengkörpern belastet, die größtenteils aus US-Luft- und Artillerieangriffen während des Vietnamkriegs stammen.«
Wie es scheint, haben Tod und Zerstörung, die Kissinger in Kambodscha mitzuverantworten hat, ihn nie belastet. Seine öffentlichen Äußerungen über den Krieg strotzten vielmehr von Ausreden, Rechtfertigungen und Relativierung. So behauptete er beispielsweise 2014, dass »es in Kambodscha weniger zivile Opfer [durch die US-Bombardierung] gab als durch alle amerikanische Drohnenangriffe« (eine Berechnung, die nicht annähernd korrekt ist, egal wie man die Messung versucht).
Die USA mögen ihre außenpolitischen Ziele stets als »edle Initiativen zur Verbesserung der menschlichen Spezies« darstellen, aber wenn das tatsächliche Ergebnis unermessliches Leid ist (wie in Kambodscha), waren Persönlichkeiten wie Kissinger sofort zur Stelle, um dieses Leid herunterzuspielen. Washingtons Ziele in Kambodscha, die Herrschaft Sihanouks zu untergraben sowie das Land zu bombardieren, um die vietnamesisch-kommunistischen Kräfte zu schwächen und Nordvietnam maximale Zugeständnisse abzuverlangen – all dies, um international das Gesicht zu wahren – waren für Kissinger offenbar wichtiger als die Millionen Menschen, die als Folge seines Handelns zu leiden hatten.
Dieser Text stammt aus dem neuen JACOBIN-Sammelband, Only the Good Die Young: The Verdict against Henry Kissinger.
Brett S. Morris ist freiberuflicher Journalist und Autor des Buchs 21 Lies They Tell You About American Foreign Policy (2014).