18. Januar 2023
Russische Trollfabriken, so ein geläufiges Argument, haben den Sieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl von 2016 entscheidend begünstigt. Eine neue Studie der New York University widerlegt diese Erzählung.
Hillary Clinton bei ihrer Rede nach der Wahlniederlage, 09. November 2016, Washington.
IMAGO / ZUMA WireInmitten des allgemeinen medialen Zusammenbruchs infolge von Donald Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 rückte das Schreckgespenst der »russischen Bots« schnell ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine von Russland ausgehende Social-Media-Kampagne, so hieß es, habe Seiten wie Twitter mit Fake-Accounts überschwemmt und so dazu beigetragen, die Wahl zugunsten Donald Trumps zu entscheiden. Unter Liberalen in den USA hat diese Erzählung ein Eigenleben entwickelt. Seither spielt sie eine herausragende Rolle in der Berichterstattung der Mainstream-Medien über die Präsidentschaftswahl von 2016, war Gegenstand von vielbeachteten Kongressanhörungen und überschattete den internationalen Diskurs über Fake News.
Niemand bestreitet, dass die russische Regierung Donald Trump gegenüber Hillary Clinton bevorzugte und dass mit Russland in Verbindung stehende Akteure im Zusammenhang der Wahl digitale Operationen ausführten. Ein Großteil der Mainstream-Debatte über russische Bots basierte jedoch auf nicht belegten Annahmen über das Ausmaß und die Wirksamkeit dieser Bemühungen. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass mächtige Staaten, inklusive der USA, Online-Propaganda betreiben und für ihre Kampagnen auch Fake-Accounts nutzen. Ob sie einen nennenswerten Einfluss auf das reale Geschehen haben, sei es bei Wahlen oder anderweitig, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Eine kürzlich veröffentlichte Analyse des Center for Social Media and Politics der New York University fand nun keinerlei Beweise dafür, dass die von Russland ausgehende Twitter-Desinformationskampagne von 2016 irgendeinen bedeutenden Einfluss auf das Wahlverhalten ausübte. Anstelle der immer wieder beschworenen, furchterregenden Bot-Armee stießen die Forscherinnen und Forscher lediglich auf eine Operation mit geringer Reichweite und minimalem Einfluss, die überwiegend auf überzeugte Republikaner abzielte, die ohnehin schon geneigt waren, für Trump zu stimmen.
Nach Schätzung der Studie könnten in den acht Monaten vor der Wahl von 2016 bis zu 32 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger Posts von mit Russland verbündeten Twitter-Profilen »ausgesetzt« gewesen sein. Das mag sich beträchtlich anhören, ist es aber nicht, wenn man die schiere Menge an Beiträgen und Informationen berücksichtigt, die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien täglich konsumieren. Der Bericht drückt es wie folgt aus:
»Während die Befragten im letzten Monat des Wahlkampfs pro Tag durchschnittlich vier Beiträgen von russischen Einflussnahme-Accounts ausgesetzt waren, erreichten sie im Durchschnitt täglich 106 Beiträge von nationalen Nachrichtenmedien und 35 Beiträge von US-Politikerinnen und -Politikern. Mit anderen Worten: Die Befragten waren 25-mal mehr Beiträgen von nationalen Nachrichtenmedien und 9-mal mehr Beiträgen von Politikerinnen und Politikern ausgesetzt als Beiträgen von russischen Einflussnahme-Accounts.«
Hinzu kommt, dass es nicht gleich bedeutet, dass man von diesen Beiträgen beeinflusst wird, bloß weil man ihnen ausgesetzt ist. Wie jede Art von Werbung können auch politische Botschaften zu bloßem Hintergrundrauschen verkommen, wenn sie bestimmte Zielgruppen nicht erreichen oder auf die Erreichten keinen Einfluss ausüben. In beiderlei Hinsicht ist die Studie ziemlich eindeutig: Nicht nur wurden die russischen Bemühungen auf Twitter durch Posts von einheimischen Medien und politischen Persönlichkeiten in den Schatten gestellt, auch war vor allem eine Untergruppe konservativer Republikaner diesen Inhalten ausgesetzt.
»Die Ergebnisse […] zeigen, dass das Ausmaß der Aussetzung wesentlich von der Parteizugehörigkeit der Nutzerinnen und Nutzer abhing: Diejenigen, die sich als ›überzeugte Republikaner‹ identifizieren, waren etwa neunmal so vielen Posts von russischen Einflussnahme-Accounts ausgesetzt wie diejenigen, die sich als Demokraten oder Unabhängige identifizieren.«
Und selbst dann war es unwahrscheinlich, dass die Menschen aufgrund der Posts ihre Einstellungen oder ihr Verhalten änderten. Das Forschungsteam kommt zu dem Schluss:
»Wir konnten keinen bedeutenden Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Posts von russischen Einflussnahme-Accounts und Veränderungen der Einstellung der Befragten zu bestimmten Themen, der politischen Polarisierung oder dem Wahlverhalten feststellen.«
Wie die Autorinnen und Autoren der Studie eilig anmerken, hat diese Analyse gewisse Grenzen – etwa bezieht sie sich nur auf Twitter-Posts und klammert andere Medieninhalte und Beiträge in anderen sozialen Medien aus. Dennoch liefert sie überzeugende Beweise dafür, dass das Narrativ über die russischen Bots bei der Präsidentschaftswahl von 2016 stark überzeichnet hat, wie sehr von Russland ausgehende Bemühungen in den sozialen Medien den Wahlausgang beeinflussten. Infolgedessen wurde die Wahl in einer Weise dargestellt, die zum Teil sehr von der Realität entkoppelt war. Eine in Wirklichkeit relativ unwirksame russische Operation löste eine angstgetriebene und affektgeladene Berichterstattung aus.
Dass die Story von den russischen Bots derart an Fahrt aufnehmen konnte, ohne dass es dafür eine empirische Grundlage gab, liegt unter anderem daran, dass sie den traumatisierten Demokraten eine einfache und bequeme Erklärung für einen Wahlausgang bot, den sie für unmöglich gehalten hatten. So ominös die Vorstellung auch sein mag – den Demokraten kam es sehr gelegen, die Schuld bei einer aus dem Ausland gesteuerten Kampagne digitaler Zauberei zu suchen anstatt bei ihren eigenen institutionellen und politischen Versäumnissen, die es Donald Trump ermöglichten, Präsident zu werden.
In einer anderen Welt hätte der Wahlausgang diejenigen, die diese Versäumnisse mitverschuldet hatten, vielleicht zu ernsthafter Selbstreflexion veranlasst. Stattdessen wurden übertriebene und oft fadenscheinige Erzählungen zu den eigenen Gunsten ersponnen. Die Demokraten umschifften so die wirklich drängenden Fragen und ließen den Neoliberalismus à la Clinton ungeschoren davonkommen.
Luke Savage ist fester Autor bei Jacobin.