19. Juli 2023
Hindu-Nationalisten behaupten, in Indien habe es schon vor Jahrhunderten Genforschung und Atomtechnologie gegeben. Mit diesem Mythos behindert die indische Regierung echte Forschung.
Im alten Indien wurden Sandsteinskulpturen wie diese angefertigt – und Raketen gebaut?
Der jährliche Indian Science Congress mit tausenden teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Lehrern ist normalerweise eine eher langweilige Veranstaltung. Die Teilnehmenden genießen den von der Regierung finanzierten Ausflug, hören Vorträge über die Errungenschaften der staatlich geführten Forschungsinstitute und nutzen so viel Zeit wie möglich zum Socializing.
Seit einigen Jahren passieren jedoch immer mehr »interessante« Dinge auf dem Kongress. Bei der jüngsten Versammlung behauptete der pensionierte Luftfahrtexperte Kapitän Anand J. Bodas beispielsweise, der altindische Weise Bharadwaj habe bereit eine Abhandlung über die Luftfahrt geschrieben. Dieses Dokument beweise, dass Hyperschalltransport im antiken Indien bereits Wirklichkeit war. Die Abhandlung sei verschollen gewesen, wurde in den 1920er-Jahren jedoch von einem Wissenschaftler per »Channeling« ins eigene Gehirn heruntergeladen.
Auch einige Mitglieder der indischen Regierung leisteten sich in den vergangenen Jahren bizarre Aussagen. Rekha Arya, die damalige Viehwirtschaftsministerin des Bundesstaates Uttarakhand, behauptete 2018, dass Kühe – die bekanntermaßen eine Hauptquelle des Treibhausgases Methan sind – in Wirklichkeit die einzige Spezies seien, die Sauerstoff ausatmet. Außerdem erklärte Dr. Harsh Vardhan, Minister für Wissenschaft und Technologie, der legendäre Physiker Stephen Hawking sei ein großer Fan der alten indischen religiösen Texte der Veden gewesen – natürlich nicht wegen ihres spirituellen Gehalts, sondern wegen der enthaltenen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Selbst Premierminister Narendra Modi soll der Auffassung sein, dass Genforschung, Stammzellentherapie und sogar plastische Chirurgie zu Zeiten des altindischen Epos Mahabharata im Land weit verbreitet waren.
Solche Aussagen könnten als irrlichternd und harmlos abgetan werden, wenn es sich nur um die privaten Ansichten von Einzelpersonen handelte. Es ist bekannt, dass in Indien nahezu das gesamte politische Personal und sogar einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest an Astrologie und ähnlichen Hokuspokus glauben. Wichtige Ereignisse des politischen Kalenders wie die Vereidigungszeremonien von Präsidenten werden auf passende Konstellationen am Sternenhimmel abgestimmt. Selbst dem Start von Raketen in den Weltraum gehen in der Regel Rituale und Tempelbesuche der am Projekt Beteiligten voraus. Wenn aber Menschen, die für die Politik des gesamten Landes verantwortlich sind, öffentlich solche Aussagen machen, gibt das Anlass zur Besorgnis.
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Shobhit Mahajan ist Professor am Institut für Physik und Astrophysik der Universität Delhi.