27. August 2025
Arbeiten bei über 30 Grad, ohne Klimaanlage und steigendem Arbeitspensum: Immer mehr Beschäftigte in Deutschland sind den Folgen der Klimakrise ausgeliefert. Verbindliche Vorgaben für Hitzeschutz? Gibt es nicht.
Paketzustellung bei Hitze ist ein Knochenjob: Beschäftigte berichten von Temperaturen um die 60 Grad in den Lieferwägen.
Die Straßen sind leergefegt, die Luft flirrt über dem Asphalt. Nur vereinzelt schleppen sich Menschen an diesem frühen Mittwochnachmittag durch die Hitze auf der sonst so belebten Karl-Heine Straße im Leipziger Westen. Wer kann, bleibt drinnen. An der Ecke des Häuserblocks hämmert der Presslufthammer einer Straßenbaustelle.
Vor der Kreuzung steht ein gelber DHL-Transporter im Halteverbot. Ein Mann Mitte dreißig, kurzgeschorene blonde Haare in rot-gelber Montur schiebt einen Wagen mit einem Paketstapel so hoch wie er selbst zum nahegelegenen Hauseingang. Sein Hemd ist schweißnass. Auf die Frage nach seinen Arbeitsbedingungen bei dieser Hitze zögert er und schüttelt den Kopf: »Es ist stressig«, sagt er knapp. Das Paketaufkommen ist fast so wie an Weihnachten – »nur schlimmer«. Die meisten Fahrzeuge hätten keine Klimaanlage, erzählt er. Hinten im Laderaum habe ein Kollege in der letzten Hitzewelle Temperaturen um 60 bis 70 Grad gemessen. »Ihr dürft das Fenster einen Spalt öffnen, damit Luft reinkommt« – das sei die Antwort auf seine Nachfragen nach Hitzeschutz gewesen. Er lacht bitter und eilt weiter.
Es ist Mitte August und die zweite kurze Hitzewelle dieses Sommers. Während Südeuropa brennt, sind die deutschen Sommermonate bis auf kurze Unterbrechungen kalt und nass. Traurige Regen-Memes füllen im Juli und August die Social-Media-Kommentarspalten. Was für einen Teil der Bevölkerung großen Frust bedeutet, ist für viele Beschäftigte eine Erleichterung. Denn wer in Deutschland draußen arbeitet, ist den Folgen der eskalierenden Klimakrise oft schutzlos ausgeliefert.
Verbindliche Vorgaben für wirksamen Hitzeschutz am Arbeitsplatz fehlen: Zwar existieren Empfehlungen für Raumtemperaturen – so sollen Innenräume möglichst nicht über 26 Grad warm werden, ab 30 Grad müssen Maßnahmen ergriffen werden und ab 35 Grad ohne Gegenmaßnahmen darf nicht mehr gearbeitet werden – ein einklagbares Recht auf Hitzefrei oder verkürzte Arbeitszeiten ergibt sich daraus jedoch nicht. Für den Außenbereich gilt: bei über 25 Grad im Schatten sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, Beschäftigte über die UV-Strahlung zu informieren und Schutzmittel, wie UV-beständige, luftdurchlässige Kleidung, Kopfbedeckungen, UV-Schutzbrillen und Sonnencreme bereitzustellen.
»Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ist die Zahl der hitzebedingten Todesfälle am Arbeitsplatz in der EU seit 2000 um 42 Prozent gestiegen.«
Die Belastung ist nachweislich hoch: Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ist die Zahl der hitzebedingten Todesfälle am Arbeitsplatz in der EU seit 2000 um 42 Prozent gestiegen. Das Risiko für Arbeitsunfälle nimmt bei Temperaturen über 30 Grad um bis zu 7 Prozent zu. In der EU sind 23 Prozent der Arbeitnehmer mindestens ein Viertel der Zeit hohen Temperaturen ausgesetzt, 36 Prozent in der Landwirtschaft und Industrie und 38 Prozent im Baugewerbe. Nach Einschätzung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sind sie besonders gefährdet. Durch Arbeit unter freiem Himmel, wie in der Logistik, oder körperlich schwere Tätigkeiten oder das Tragen von Schutzkleidung, wie beispielsweise am Bau, steigt die Belastung deutlich.
Schwindel, Kopfschmerzen und Muskelkrämpfe sind die ersten Symptome von Hitzestress. Diese Anzeichen können dann zu Erbrechen, Bewusstlosigkeit und sogar zum Tod führen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Mehrere hitzebedingte Todesfälle, in Spanien, Italien und Griechenland, haben erneut die Dringlichkeit von Arbeitsschutzmaßnahmen bei Hitzewellen ins Bewusstsein gerückt. Hohe Temperaturen verschlimmern auch eine Reihe von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.
Laut einer Umfrage der Deutschen Angestellten-Krankenkasse empfindet knapp ein Viertel der Beschäftigten die Hitze am Arbeitsplatz als starke Belastung. Im Jahr 2023 erreichte die Zahl der krankheitsbedingten Ausfälle durch Hitzefolgen mit rund 92.700 Tagen einen neuen Höchststand.
Normen Schulz kennt die Zustände. Er ist Landesfachbereichsleiter für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bei Verdi im Bereich Postdienste, Spedition und Logistik. Seit vielen Jahren ist er im engen Austausch mit Betriebsräten und Beschäftigten. Und ja, die Ladeflächen in den Zusteller Autos sind in der Hitzewelle kaum begehbar: »Also 70 Grad kann ich jetzt so nicht bestätigen«, sagt Schulz. »Aber 60 Grad habe ich öfter schon gesagt bekommen. Es ist schweineheiß, das kann ich definitiv bestätigen.«
Die Zusteller hätten meist keine Klimaanlage, Fenster und Türen müssen verschlossen bleiben. Dazu kommt Personalmangel: Bis Jahresende streicht die Post 8.000 Stellen. »Wir haben eine Situation, dass neben der Hitze, die gerade draußen ist, wir durch den Personalmangel einfach eine körperliche Belastung haben, weil die Autos einfach komplett voll sind morgens.« Manche Beschäftigte greifen zur sogenannten Überlastungsanzeige – ein formales Signal an den Arbeitgeber, dass es so nicht weitergeht. »Das bringt nicht so viel, aber ich signalisiere meinem Arbeitgeber ganz klar, dass ich überarbeitet bin und mit der Art der Arbeit gerade nicht mehr klarkomme. Das hat auch viel mit Temperaturen zu tun.«
»Die Zusteller hätten meist keine Klimaanlage. Fenster und Türen müssen verschlossen bleiben.«
Allerdings muss man sich das erstmal trauen: Insbesondere Beschäftigte mit befristeten Verträgen arbeiten aus Angst davor, nicht übernommen zu werden, über die vorgegebene Zeit und machen auch bei extremer Hitze Überstunden, um das Paketaufkommen überhaupt zu bewältigen.
Eigentlich wären die Fürsorgemaßnahmen des Arbeitgebers das Mindeste, meint Schulz. Doch das sei selten. In wenigen Fällen würden Führungskräfte mal einen Kasten Wasser hinstellen, sehr wenige auch mal Sonnencreme mitgeben. Deswegen würde die Gewerkschaft jetzt Sonnencreme verteilen, obwohl das eigentlich in der Verantwortung der Arbeitgeber liegt.
Die Folgen sind längst spürbar, sagt Schulz. Leistung und Qualität leiden, auch das körperliche Wohlbefinden verschlechtert sich deutlich. »Alle Parameter gehen nach unten«, erklärt er. Viele Beschäftigte seien zunehmend unzufrieden mit ihrem Arbeitgeber, weil sie das Gefühl hätten, dass ihre Gesundheit keine Rolle spielt. »Du bist irgendwann kein Kollege mit Namen mehr, sondern nur noch eine Nummer.«
Wie aber lässt sich Abhilfe schaffen? Schulz berichtet von ersten Gesprächen mit Betriebsräten. Der fordert an heißen Tagen eine Zwei-Mann-Zustellung. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt will einen verbindlichen Arbeitsstopp im Freien, ab 33 Grad Celsius. Stattdessen sollen die Beschäftigten ein Klima-Kurzarbeitergeld ausgezahlt bekommen, das wie das Schlechtwettergeld im Winter ganzjährig greift.
Die Linkspartei fordert in einem Aktionspapier Hitzefrei am Arbeitsplatz. Schon ab 26 Grad sollte die tägliche Arbeitszeit um ein Viertel verkürzt werden, heißt es in dem Aktionspapier »Hitzeschutz ist Arbeitsschutz«. Ab 30 Grad soll demnach nur noch halb so viel gearbeitet werden und jede halbe Stunde eine zehnminütige Pause eingelegt werden.
Der Europäische Gewerkschaftsbund schlägt ebenfalls die Festlegung von Höchsttemperaturen für verschiedene Tätigkeitsbereichen vor. Einige Mitgliedstaaten haben bereits Grenzwerte definiert: In Portugal und Spanien etwa sind gesetzliche Höchsttemperaturen für Arbeitsräume festgelegt worden, in Spanien können Beschäftigte Verstöße sogar melden. Zwar verfügen viele EU-Staaten inzwischen über sogenannte »Hitzeaktionspläne« zum Schutz der Bevölkerung, doch konkrete Regelungen speziell für Menschen, die im Freien arbeiten, bleiben nach wie vor die Ausnahme. Allgemeine europäische Rechtsvorschriften zur Festlegung maximaler sicherer Arbeitstemperaturen fehlen.
Die Klimakrise ist schon immer eine soziale Krise. Mehr und mehr wird das auch hierzulande spürbar. Die direkten Folgen der eskalierenden Klimakatastrophe wie Hitze und andere Extremwetter ebenso wie die Folgen knapper werdender Ressourcen treffen die unteren Schichten und prekär Beschäftigte am härtesten. Die sozialgerechte Bewältigung der klimatischen Zuspitzung ist daher in erster Linie in ihrem Interesse.
Ronja Morgenthaler ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin mit dem Fokus auf sozial-ökologische Transformation, Klima und Ostdeutschland.