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14. August 2025

Die Hitze trifft nicht alle gleich

Während die einen im eigenen Garten Schatten finden, schwitzen die anderen in heißen Betonvierteln: Hitzewellen offenbaren die soziale Ungleichheit des Klimawandels. Die Klimabewegung muss das nutzen.

Plattenbauten heizen sich im Sommer besonders stark auf.

Plattenbauten heizen sich im Sommer besonders stark auf.

IMAGO / photothek

Hitze ist gefährlich. Vor allem für Menschen, die schon vulnerabel sind: Kranke, Ältere, Schwangere, kleine Kinder, Obdachlose und alle, die draußen körperlich schwer arbeiten. In der ersten Hitzewelle des Jahres Ende Juni starben in Frankreich drei Menschen direkt durch die Hitze, 300 mussten notversorgt werden. Unter den drei Toten war auch ein Arbeiter, der beim Bau an einem Fußballstadion sein Leben verlor.

Eine Studie des Klimanetzwerks GSCC schätzt, dass während der letzten Hitzewelle in zwölf europäischen Großstädten innerhalb von zehn Tagen etwa 2.300 Menschen hitzebedingt gestorben sind. Daran zeigt sich, dass das Risiko zu sterben, bei Hitzewellen für bestimmte Gruppen höher war als bei normalen Temperaturen.

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Hitzetage deutlich zu. Laut Prognosen wird es bis 2050 doppelt so viele heiße Tage geben wie noch im Zeitraum zwischen 1971–2000. In Berlin sollen es zukünftig zwanzig statt sieben Hitzetage werden, in Städten wie Wiesbaden oder Freiburg statt dreißig bis zu achtzig.

Diese Hitzewellen entstehen, weil der Ausstoß von CO2 die durchschnittlichen Temperaturen steigen lässt. Bis 2050 werden etwa 2 Grad mehr erwartet. Denkt man an einen Tag mit wohligen 23 Grad, dann klingen 2 Grad Unterschied erst einmal unerheblich. Doch erinnert man sich an die Panik der Eltern, wenn das Fieberthermometer von 37 auf 39 Grad steigt, so weiß man: Für Menschen können wenige Grad an Körpertemperatur den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.

Bedrohlich ist Hitze vor allem dann, wenn sie mehrere Tage anhält. Auch das passiert durch den Klimawandel immer häufiger. Die Meeresoberflächentemperatur steigt und deswegen speichert das Meer die Wärme schlechter. Das führt dazu, dass sie in der Luft bleibt. Diese wärmere Luft wiederum speichert mehr Energie und Feuchtigkeit. Die Hochdruckgebiete, die Hitzewellen verursachen, halten sich über Tage und Wochen und verhindern, dass kühle Luft zuströmt. Diese Hitzewellen sind ein Symptom des Klimawandels, der bereits jetzt sehr konkrete, unmittelbare Auswirkungen auf Menschen in Europa hat. Das bietet Ansatzpunkte für politische Arbeit im Hier und Jetzt.

Mit der Hitze arbeiten 

Was können wir angesichts dieser düsteren Prognosen also tun? Könnten die Hitzewellen Mobilisierungspunkte für die Klimabewegung sein? Dafür spricht, dass die Hitzewellen direkt bei uns vor Ort spürbar sind. Sie sind nicht zu ignorieren. Das macht es schwieriger für rechte Kräfte, die versuchen mit der Verharmlosung oder Leugnung der Krise Zustimmung zu gewinnen. Das Argument, man solle sich doch über die Wärme freuen und Schwimmen gehen, verliert an Überzeugungskraft, weil Menschen die negativen Konsequenzen der Hitze am eigenen Körper merken.

Doch nur weil der Klimawandel deutlich spürbar ist, heißt das noch lange nicht, dass man plötzlich Massen für radikale Klimaschutzmaßnahmen mobilisieren kann. Die Klimabewegung hat an Vertrauen eingebüßt. Der Eindruck, dass Klimaschutz im Zweifel auf eine neoliberale Art durchgesetzt wird, wie es im Falle der Ampel-Politik auch tatsächlich geschah, lässt sich nicht einfach aus dem Gedächtnis streichen.

»Aus Hitzewellen können sich nur wenige herauskaufen – wie man sie durchlebt, ist eine Klassenfrage.«

Vor dem Antritt der Ampel konnte man noch viele junge Menschen gegen eine ignorante GroKo mobilisieren, mit Ausblick auf Veränderung, auch durch eine Regierungsbeteiligung der Grünen. Dieser Traum ist geplatzt. Um vor dem Hintergrund dieser Desillusionierung effektive Schritte hin zu einer Klimapolitik als Klassenpolitik zu beschreiten, bietet sich das Thema Hitze besonders an.

Wer hat Gärten und Parks vor seiner Haustür, wer wohnt in dicht bebauten Betonvierteln? Wer hat Klimaanlagen und wer arbeitet bei großer Hitze unter schlechten Bedingungen draußen? Aus Hitzewellen können sich nur wenige herauskaufen – wie man sie durchlebt, ist eine Klassenfrage.

Wir können Forderungen formulieren, die auf diese soziale Schieflage aufmerksam machen. Wir können mehr öffentliches Eigentum einfordern und den Konflikt mit den Arbeitgebern suchen, statt nur an die Regierung zu appellieren, endlich auf die Wissenschaft zu hören. Die Forderungen liegen auf der Hand: Hitzefrei, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, bessere Begrünung der Städte, mehr kühle, öffentlich zugängliche Begegnungsräume, Trinkbrunnen in der Stadt. Die Liste ist lang. Den Nerv mit sozialen und populären Forderungen zu treffen, ist allemal besser als technokratisches Gehabe. Aber allein einen Katalog an guten Ideen aufzustellen, hat uns in den letzten Jahren auch nicht weit gebracht.

Nachbarschaftshilfe in der Hitzewelle

Aus dieser Erfahrung heraus vollzog sich innerhalb der politischen Linken eine Suchbewegung nach neuen Politik-Formen, Menschen zu aktivieren, die bisher noch nicht politisch tätig sind. Die Bedeutung von direkter Arbeit vor Ort, etwa politischer Stadtteilarbeit, ist zu Recht gewachsen.

»Lokale Arbeit lohnt sich und schafft Glaubwürdigkeit in einen Klimaschutz, der nicht nur daraus besteht, dass alles teurer wird.«

Das, was uns fehlt, ist die Verbindung zu den Menschen, mit denen wir gemeinsam die Gesellschaft verändern können. In den Städten kennen wir unsere Nachbarn kaum, träumen aber davon, große Veränderungen durch Bewegungen von unten durchzusetzen. Hier beim Thema Hitze können wir praktisch tätig werden, um diesem Ziel näherzukommen.

Also: Holt das Wassereis aus dem Gefrierfach, packt die Sonnensegel aus und spannt sie an öffentlichen Orten auf. Gebt kostenlos Wasser an die, die es brauchen. Erkundigt euch bei euren Nachbarn und fragt, wo der Schuh drückt, vor allem bei den Risikogruppen. Die Hitze ist ein guter Anlass, gerade in den großen Städten, das eigene Umfeld kennenzulernen und gemeinsam füreinander zu sorgen. Das schafft Verbindung und Handlungsfähigkeit in Zeiten der Klimakrise.

Diese Energie kann Grundlage für langfristige gemeinsame politische Aktivität sein. Einmal in Fahrt gekommen, findet man sicher die nächsten Projekte, die man als Nachbarschaft anpacken will.

Diejenigen, die versuchen, die Dringlichkeit des Handelns gegen die Klimakrise herunterzuspielen, haben angesichts der Hitze wenig Hilfreiches anzubieten. Dafür müssten sie die Krise, in der wir uns befinden, ja anerkennen. Und für uns, die sich für ambitionierten Klimaschutz einsetzen wollen, bleibt die Herausforderung, dass das Wort Klimakrise sofort an ein riesiges, kaum greifbares Problem denken lässt. Das stimmt ja auch – diese Krise verlangt eine globale Änderung der kompletten Wirtschaftsweise. Aber wir brauchen konkrete Ansatzpunkte, um der politischen Lähmung zu entkommen. Lokale Arbeit lohnt sich und schafft Glaubwürdigkeit in einen Ansatz von Klimaschutz, der nicht nur daraus besteht, dass alles teurer wird, ohne dass sich etwas zum Positiven ändert.

Sarah-Lee Heinrich ist ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend und Aktivistin für soziale Gerechtigkeit.