22. September 2024
Um die Folgen von Naturkatastrophen möglichst einzudämmen, muss Infrastruktur modernisiert werden und brauchen vor allem die Kommunen mehr Geld. Dafür gäbe es einfache Lösungen. Doch regierende Politiker greifen lieber zu Schuldenbremse und Gummistiefeln.
Einwohner werden evakuiert, nachdem der Fluss Nysa Klodzka die Stadt Lewin Brzeski im Südwesten Polens überflutet hat, 17. September 2024.
Schon wieder Hochwasser, schon wieder Tote, schon wieder Verletzte, schon wieder Tausende Existenzen, die vom Wasser zerstört wurden. Die Politik ist mal wieder ganz überrascht, dass es passieren kann, dass es nicht gut geht und zu einer Katastrophe führt, wenn Starkregen auf veraltete, überforderte Infrastruktur trifft. Und ja, so leid es mir tut, auch hier müssen wir mal wieder übers Geld sprechen.
Der Bund hat immerhin vor zehn Jahren ein Hochwasserschutzprogramm aufgelegt, mit dem bundesweit Präventionsmaßnahmen finanziert werden sollen, 500 Millionen Euro in der Vergangenheit, zuletzt 100 Millionen Euro jährlich. Aber im Haushalt 2024 und im Haushalt 2025 waren es leider nur noch 50 Millionen jährlich. Halbiert wurde das Ganze!
Warum? Weil der Ampel das Geld fehlt. Besser gesagt: Weil der Ampel die Schuldenbremse wichtiger ist. Dazu kommt: Von den fast 200 Maßnahmen, die im Hochwasserschutzprogramm geplant und finanziert werden sollten, waren bis zum Jahresbeginn 2024 (neuere Daten gibt es nicht) nur sechzehn Maßnahmen bereits in der Bauphase. Nur sechzehn!
Es fehlt also Geld und es fehlt die Bereitschaft, die Maßnahmen umzusetzen. Das liegt auch daran, dass die Gelder häufig nur fließen, wenn Kommunen auch ihren Teil dazu beitragen. Die Kommunen aber haben häufig selbst viel kleinere, viel klammere Haushalte und können das oft nicht leisten. Das Motto dann: Schön, dass es dafür eine Bundesförderung gibt. Aber wenn wir selbst noch Geld beisteuern müssen, das wir nicht haben, bringt uns die Förderung nicht viel.
Oft wird vergessen, dass die Kommunen 41 Prozent aller öffentlichen Investitionen schultern und sogar 59 Prozent aller öffentlichen Bauten. Und dass laut KfW-Kommunalpanel der Investitionsstau in den Kommunen sage und schreibe 186 Milliarden Euro beträgt. Ein treffendes wie trauriges Symbol für den Stau ist die Dresdner Carolabrücke, die eingestürzt in der Elbe liegt.
Was also tun? Vor allem Kommunen mehr Geld geben. Die einfachste Lösung wäre, die Gewerbesteuerumlage zu streichen. Die Gewerbesteuerumlage sorgt nämlich dafür, dass die Kommunen, die die Gewerbesteuer einnehmen, davon einen nicht zu kleinen Teil nach oben an den Bund abdrücken müssen. Das kann man einfach stoppen. Vorteil: Das werden auch die Bundesländer nicht blockieren (anders als bei der Altschuldenlösung), weil es keine Umverteilung zwischen Kommunen oder Ländern gibt, sondern die Kommunen einfach ihre Gewerbesteuereinnahmen behalten. Kommunen mit prosperierender Wirtschaft und vielen ansässigen Firmen haben dann viel davon, Kommunen mit weniger Firmen weniger – aber alle hätten mehr. Das ist nicht perfekt, aber die wohl pragmatischste und politisch realistischste Lösung.
»Wenn die Politik nicht die Gelder für Prävention im Vorfeld, laufende Infrastrukturmodernisierung oder Bevölkerungsschutz im Notfall bereitstellt, dann macht sie sich mitschuldig dafür, dass Existenzen weggeschwemmt werden.«
Eine andere, zweite Lösung steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel: Eine Altschuldenlösung für überforderte und überschuldete Kommunen. Die hat es leider nicht gegeben, weil Christian Lindner zur Bedingung gemacht hat, dass die Kommunen dafür eine eigene Schuldenbremse bekommen. Bisher haben sie die selbst nicht, sondern hängen nur indirekt an der Schuldenbremse in den Länderhaushalten. Da bei der Altschuldenlösung aber Gelder aus Bayern an überschuldete Kommunen in NRW oder Brandenburg gegangen wären, ist das unter den Ländern eine kontroverse Reform. Allen voran Markus Söder blockiert.
Dann könnte man, drittens, den Kommunen größere Anteile der Einkommenssteuer oder der Umsatzsteuer überlassen, wenn man denn wollte. Das Gesetz dazu wäre schnell geschrieben, man müsste nur die Prozentzahlen im bestehenden Gesetz verändern. Aber dann müssen die Länder und der Bund ja auf ebendiese Einnahmen verzichten. Die wiederum haben mit ihren eigenen Haushalten und der Schuldenbremse zu kämpfen. Also gibt es auch da keine Bewegung.
Das Allermindeste, was man erwarten kann, ist, dass genug Geld für Bevölkerungsschutz, für Katastrophenschutz ausgegeben wird. Das Deutsche Rote Kreuz fordert seit Jahren zwei Milliarden pro Jahr aus dem Bundeshaushalt. Eigentlich müsste es längst drei Milliarden fordern, wenn man die Inflation berücksichtigt. Ein Blick in den Haushalt aber verrät: Es gibt nur 570 Millionen, also nur rund ein Viertel dessen, was das Deutsche Rote Kreuz seit Jahren fordert.
Bitter, aber wahr: Wenn die Politik nicht die Gelder für Prävention im Vorfeld, laufende Infrastrukturmodernisierung oder Bevölkerungsschutz im Notfall bereitstellt, dann macht sie sich mitschuldig dafür, dass Existenzen weggeschwemmt werden. Darüber können auch keine inszenierten Bilder von Politikern in Regenmantel, Gummistiefeln und mit betroffenem Blick hinwegtäuschen.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.