23. Oktober 2023
Nachdem die Drehbuchautoren in Hollywood Anfang des Monats einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen hatten, schien es zunächst so, als würden bald auch die streikenden Schauspieler einen Deal erzielen. Doch die Studiobosse kämpfen nach wie vor mit harten Bandagen.
Tim Brehmer als Star Wars-Figur verkleidet auf der Streikpostenkette vor dem Walt-Disney-Studio am 17. Juli 2023 in Burbank, Kalifornien.
Als die Schauspieler und Drehbuchautorinnen der US-Unterhaltungsindustrie das letzte Mal zeitgleich streikten (im Jahr 1980), ruhte die Arbeit 95 Tage lang. Der aktuelle Arbeitskampf der Gewerkschaften der Film- und TV-Schauspieler (Screen Actors Guild und American Federation of Television and Radio Artists; SAG-AFTRA) könnte diese Marke übertreffen.
Als die Writers Guild of America (WGA) am 9. Oktober mit 99 Prozent für die Ratifizierung ihres hart erkämpften Vertrags mit der Arbeitgeberseite (der Alliance of Motion Picture and Television Producers, AMPTP) stimmte, bestand die Hoffnung, dass auch die Schauspielerinnen und Schauspieler bald eine Einigung erzielen würden. Dies hätte es der Branche ermöglicht, den Betrieb rechtzeitig für das Herbstprogramm wieder aufzunehmen. Hoffnung hegten nicht nur viele der 160.000 Mitglieder der SAG-AFTRA, sondern auch ihre Kolleginnen und Kollegen in der gesamten Branche – Kameraleute, Elektrikerinnen, LKW-Fahrerinnen, Kostümbildner und Produktionsassistenten. Viele sind ihrerseits Mitglieder der Teamsters und der International Alliance of Theatrical Stage Employees. Sie nahmen monatelange Arbeitslosigkeit hin, während die schauspielernden Kolleginnen und Kollegen für tragfähige Arbeitsverträge kämpften.
Nach dem Streikbeginn der SAG-AFTRA am 14. Juli trafen sich Schauspieler-Vertreter am 2. Oktober erstmals mit den Bossen der Unterhaltungsbranche zu Verhandlungen. Führungskräfte der Studios, darunter Ted Sarandos, Co-CEO von Netflix, Bob Iger, CEO von Disney, David Zaslav, CEO von Warner Bros. Discovery, und Donna Langley, Chief Content Officer von NBCUniversal, nahmen an den Gesprächen teil, die die ganze Woche über andauerten.
Gerüchten zufolge standen die beiden Seiten kurz vor einer vorläufigen Einigung, doch die AMPTP beendete die Gespräche am späten Mittwochabend (11. Oktober). Da die Studios die Verhandlungen abgebrochen haben, ist nun weiterhin kein Ende des Streiks der rund 160.000 betroffenen Personen in Sicht – und die Hoffnung auf eine baldige Lösung des Konflikts passé.
Berichten zufolge sind die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen und die wichtigsten Streitpunkte der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sowie die Schaffung einer neuen, auf Zuschauerzahlen basierenden Vergütung. Mit letzterer soll ausgeglichen werden, dass Streaming-Diensten bisher keine sogenannten Residuals zahlen. [Residuals (dt. in etwa »Tantiemen«) erhalten Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn Filme oder Serien beispielsweise im TV wiederholt werden. Für Streamingdienste gilt diese Regelung bislang nicht.]
Das Thema KI hatte für die Darsteller während der gesamten Verhandlungen Priorität: Auf einer Pressekonferenz, auf der der Beginn des Streiks angekündigt wurde, sagte Duncan Crabtree-Ireland, Teil des Vorstands der SAG-AFTRA sowie Hauptverhandlungsführer, die Studios hätten nahegelegt, »dass unsere Hintergrunddarsteller gescannt werden können, dafür einen Tageslohn erhalten und die Unternehmen dann diesen Scan, dieses Bild – das Abbild dieser Menschen – besitzen und für alle Zeiten für jedes beliebige Projekt ohne Zustimmung und ohne Vergütung verwenden können«. Die Streikenden haben wiederholt auf diese Thematik hingewiesen und betont, man könne nicht wissen, wie sich die Studios in den kommenden Jahren verhalten, wenn die Gewerkschaft nicht schon heute mit schriftlich vereinbarten Regelungen dagegen vorgeht.
»Wenn dank digitaler Nachbildungen künftig weniger Darsteller in einer Produktion eingesetzt werden sollten, würde auch weniger Bedarf an Kostümdesignern, Haarstylisten und Maskenbildnerinnen sowie den unzähligen anderen Tätigkeiten bestehen, die bisher die Existenz realer Menschen an einem Set erforderten.«
Zwar dürften Schauspielerinnen und Schauspieler am unmittelbarsten von der Technologie bedroht sein, doch der Einsatz KI ist nicht nur ihnen ein Dorn im Auge. So hat die Autorengewerkschaft WGA ebenfalls Regelungen für den Einsatz von KI beim Schreiben von Drehbüchern ausgehandelt. Dies war eine Priorität für die Autorinnen und Autoren, denen es (verständlicherweise) davor graut, als »Rohstofflieferanten« für dann schlecht geschriebene und zusammengeschusterte Algorithmus-Drehbücher herhalten zu müssen. Auch die anderen Gewerkschaften der Branche hegen Bedenken hinsichtlich des KI-Einsatzes: Denn wenn dank digitaler Nachbildungen künftig weniger Darsteller in einer Produktion eingesetzt werden sollten, würde auch weniger Bedarf an Kostümdesignern, Haarstylisten und Maskenbildnerinnen sowie den unzähligen anderen Tätigkeiten bestehen, die bisher die Existenz realer Menschen an einem Set erforderten.
In Bezug auf die Streaming-Residuals hatte die SAG-AFTRA ursprünglich eine Art Gebühr gefordert, mit der Darsteller für erfolgreiche Projekte mit vielen Zuschauern belohnt würden. Da die Streaminganbieter und Studios ihre Zuschauerzahlen aber nicht offenlegen wollen – und lachhafterweise behaupten, diese Daten seien urheberrechtlich geschützt – und die Arbeiterinnen und Arbeiter somit im Unklaren darüber lassen, wie viele Menschen ihre Arbeit tatsächlich sehen, hat die Gewerkschaft inzwischen vorgeschlagen, Drittquellen zu nutzen, um diese Zahlen zu ermitteln. Am Tag, an dem die Studiobosse den Verhandlungstisch verließen, hatte die Gewerkschaft noch eine weitere Alternative vorgeschlagen: eine »Bonuszahlung« an die Schauspieler pro Streamingdienst-Abonnent. Die Studios lehnten erneut ab. Kurz darauf bezeichnete Ted Sarandos von Netflix den Vorschlag als eine »Abgabe«, also eine Art »Streaming-Steuer«.
Laut Duncan Crabtree-Ireland war das Verhandlungsteam der Gewerkschaft eigentlich der Ansicht, die Gespräche am vergangenen Mittwoch seien produktiv verlaufen, und obwohl die Sitzung etwas früher als üblich endete, wurde bereits für den nächsten Tag eine Fortführung der Verhandlungen angesetzt. Erst später habe ihn die AMPTP angerufen, um mitzuteilen, dass es keine weiteren Gespräche geben würde.
»Ich bin sehr enttäuscht und frustriert, dass sie die Verhandlungen einseitig abgebrochen haben. Denn egal, wie man zu den Angeboten, Gegenangeboten oder Vorschlägen eines anderen steht: der einzige Weg, wirklich voranzukommen, ist Dialog und Kommunikation,« kritisierte Crabtree-Ireland gegenüber Rolling Stone.
Genauso wie schon zuvor, als die WGA späten Änderungsvorschlägen der Studiochefs nicht zustimmen wollte, hat sich die AMPTP nun wieder umgehend an die Presse gewandt, um ihren Standpunkt deutlich zu machen.
»Nach intensiven Gesprächen ist klar, dass die Positionen der AMPTP und der SAG-AFTRA zu weit auseinander liegen. Die Gespräche führen uns derzeit nicht mehr in eine produktive Richtung,« so die Studiovertreter. Weiter hieß es: »Das aktuelle Angebot der SAG-AFTRA enthielt einen sogenannten Zuschauerbonus, der allein mehr als 800 Millionen Dollar pro Jahr kosten würde. Das ist eine untragbare wirtschaftliche Belastung. Die SAG-AFTRA hat, wenn überhaupt, nur wenige Vorschläge zu den zahlreichen noch offenen Punkten gemacht.«
Die Gewerkschaft widerspricht dieser Wahrnehmung. Ihr Residual-Vorschlag würde lediglich 75 Cent pro Abonnenten kosten, »weniger als eine Briefmarke«, wie die Vorsitzende der SAG-AFTRA, Fran Drescher, es ausdrückte.
»Das Entgegenkommen der Studios gegenüber den Forderungen der Drehbuchautoren hat sich noch nicht in der Bereitschaft niedergeschlagen, ebenso auf die Forderungen der Schauspielerinnen und Schauspieler einzugehen.«
Die AMPTP versucht derweil immer wieder, die Führung der SAG-AFTRA ins Abseits zu stellen, indem die eigenen Vorschläge in den Fachzeitschriften der Branche intensiv verbreitet und beworben werden. Viele dieser Publikationen haben während der Streiks in Hollywood als verlängerter Arm der Studios fungiert, indem sie vor allem die Äußerungen und Argumente der Chefs verbreiten. Nach Angaben der Studios beinhalten ihre Vorschläge: eine erstmalige erfolgsabhängige Vergütung für High-Budget SVOD-Produktionen (Streaming Video on Demand); die höchste prozentuale Anhebung des Mindestlohns seit 35 Jahren; beträchtliche Steigerungen bei den Zuzahlungen für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge; das Einholen von vorheriger Zustimmung der Darsteller und Statisten zur Erstellung und Verwendung digitaler Kopien per KI; und die Verpflichtung, dass eine solche digitale Kopie nur mit schriftlicher Zustimmung der dargestellten Person und einer Beschreibung der beabsichtigten Verwendung im jeweiligen Film verwendet werden darf.
Aus Sicht der SAG-AFTRA wird dabei nicht nur die AMPTP-Darstellung der Residualvorschläge verzerrt oder falsch dargestellt, sondern das gesamte vorgeschlagene Paket. In einer Erklärung vom 12. Oktober schreibt das Verhandlungskomitee der Gewerkschaft, das jüngste Angebot der Studios sei »schockierenderweise noch niedriger und noch weniger wert als ihre Vorschläge vor Beginn des Streiks«.
Vorerst sind nun keine weiteren Verhandlungstermine angesetzt. Das Entgegenkommen der Studios gegenüber den Forderungen der Drehbuchautoren hat sich also noch nicht in der Bereitschaft niedergeschlagen, ebenso auf die Forderungen der Schauspielerinnen und Schauspieler einzugehen. Die SAG-AFTRA hat betont, sie sei bereit, die Gespräche fortzuführen. Das würde allerdings voraussetzen, dass die Bosse in der AMPTP sich wieder an den Verhandlungstisch begeben.
Bis dahin werden die Schauspielerinnen und Schauspieler im ganzen Land weiterhin auf den Streikposten bleiben – zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der WGA. Letztere haben zwar ihren eigenen Vertrag abgeschlossen, aber bereits angekündigt, sie werden die Proteste aufrechterhalten, bis auch die Schauspieler einen zufriedenstellenden Deal erkämpft haben.
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.