29. April 2024
Benziner und Diesel verschwinden. Wasserstoff und E-Fuels sind keine Alternativen. Global setzen alle großen PKW-Konzerne auf Elektromobilität. Sahra Wagenknechts Vision eines deutschen Verbrenner-Hotspots hat nichts mit der Realität zu tun.
Sahra Wagenknecht steigt aus einem Auto am 23. Februar 2024.
Ab 2035 kommen Neuwagen mit Benzin- oder Diesel-Motor nicht mehr auf den Automarkt der Europäischen Union. Der CO2-Ausstoß neu zugelassener PKW soll auf null sinken. Auch wenn die EU ihre klimapolitischen Vorgaben für den Transportsektor noch nicht abschließend festgelegt hat, scheint das Verbrenner-Aus klar zu sein. Auf Druck der Bundesregierung wird auf europäischer Ebene noch geprüft, ob es für industriell synthetisierte Treibstoffe, die als klimaneutral gelten, Ausnahmen geben sollte.
Das Ende des Verbrenners ab 2035 kommt »zu früh« oder »eher zu früh«, meint Mitte April eine Mehrheit von 67 Prozent der Befragten laut Meinungsforschungsinstitut Civey. Diese Skepsis ist eine gute Nachricht für die Leugner der Klimakrise (AfD), für die Freunde des Porsche-Sounds (FDP) und für die vermeintlichen Retter der Verbrenner-Jobs (BSW).
Sahra Wagenknecht sieht sich bestätigt und meint: »Mit der dauerhaften Produktion von spritsparenden Autos könnten die heimische Industrie mit ihrem einzigartigen Knowhow und Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze geschützt werden. Deutschland sollte zum Hotspot einer neuen Verbrenner-Generation werden, die alle Effizienzrekorde bricht.«
Ist Elektromobilität also doch nicht die Zukunft? Haben Verbrenner eine längerfristige Perspektive? Sind Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe realistische Optionen? Oder sind diese Fragen längst erledigt?
Deutschlands Autofirmen waren lange Jahre sehr erfolgreich. Mercedes, BMW, Audi und Porsche galten als Synonym für Zuverlässigkeit, Verarbeitungsqualität und PS-Power. Bei den Verbrennern sind sie weiterhin Spitze. Aber die beiden Trendsetter in Richtung Elektromobilität sind unerbittlich. Sie heißen Klima und China. Was die EU-Klimapolitik verkündet, ist für die globale Autoindustrie längst ein Faktum der Produktionsplanung: mit großem Tempo weg vom Verbrenner und hin zu E-Mobilen.
Die Maßstäbe setzt China. Das Land ist nicht nur der größte Absatzmarkt, sondern mittlerweile auch der größte und innovativste Produktionsstandort mit einem nicht mehr hinterfragten Fokus auf batterie-elektrische Fahrzeuge. Für die Konzernchefs in Stuttgart, München, Ingolstadt und Wolfsburg ist das keine angenehme Herausforderung. Denn sie wissen: Nur wer in China eine relevante Marke ist, bleibt global im Rennen.
»Auto-Konzerne sind keine PR-Agenturen, sondern langfristig planende Unternehmen, die sich mit ihren Investitionen auf bestimmte Technologien festlegen.«
Getrieben von Klima und China verabschieden sich weltweit alle großen Hersteller vom Verbrenner. Nur die Zeitpunkte des anvisierten endgültigen Abschieds variieren. Opel will ab 2028 in Europa nur noch batterieelektrische Fahrzeuge anbieten. Opels Mutterkonzern Stellantis, zu dem auch Fiat, Alfa Romeo, Lancia, Maserati, Citroën, Peugeot, Jeep und Chrysler gehören, hat 100 Prozent Elektromobilität im Blick: in Europa bis 2030 und in den USA bis 2035. Ähnlich ambitioniert sind General Motors, Ford und der südkoreanische Hyundai-Konzern, zu dem auch Kia und Ioniq gehören.
In den europäischen Werken von Volkswagen sollen 2033 die letzten Verbrenner vom Band laufen. Die achte Generation des Golf wird die letzte mit Auspuff sein. Auch teure Marken wie Jaguar, Porsche, Lamborghini, Maserati und Rolls-Royce werden zunehmend elektrisch. Japans Auto-Konzerne sind vergleichsweise umbauträge und nennen Ausstiegsdaten zwischen 2030 (Toyota-Tochter Lexus) und 2050 (Mazda).
All diese Zieldaten sind Willensbekundungen, die man selbstverständlich ändern oder aufgeben kann. Aber Auto-Konzerne sind keine PR-Agenturen, sondern langfristig planende Unternehmen, die sich mit ihren Investitionen auf bestimmte Technologien festlegen. Laut Internationaler Energie-Agentur (IEA) summieren sich die angekündigten Investitionen in neue Fertigungslinien für E-Autos und Batterien auf weltweit knapp 500 Milliarden US-Dollar.
Vorausschauend beginnt bereits der Abschied von Benzin und Diesel. Der letzte Verbrennungsmotor hat im November 2023 das Münchner BMW-Stammwerk verlassen. Volvo, seit 2010 Tochter des chinesischen Geely-Konzerns, produzierte im Februar 2024 den letzten Dieselmotor. Mercedes beginnt, alle neuen Fahrzeugarchitekturen für den reinen Elektroantrieb auszulegen. Das 2023 vorgestellte, neue Modell der E-Klasse wird das letzte auf einer reinen Verbrenner-Plattform sein. Audi hat angekündigt, ab 2026 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zu entwickeln.
Einige Konzerne wie beispielsweise VW und BMW erforschen weiterhin das Potenzial von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, die, weil mit Strom produziert, auch E-Fuels genannt werden. Aber niemand bindet sich mit Investitionen nennenswerter Größenordnung. Man kennt eben die Marktdaten. Im vergangenen Jahr kamen weltweit 14 Millionen Neuwagen mit Hybrid- oder reinem Elektro-Antrieb und gerade mal 8.000 Autos mit Brennstoffzelle (Wasserstoff) auf die Straße.
In China, dem globalen Leitmarkt, ist der Marktanteil der sogenannten »New Energy Vehicles« (überwiegend batterie-elektrische Fahrzeuge) innerhalb von zehn Jahren von nahe null auf fast 50 Prozent gestiegen. Über Wasserstoff-Autos wird seit zwanzig Jahren gesprochen, aber praktisch niemand kauft sie, denn sie sind zu teuer, es gibt keine Infrastruktur für sie und es sind nur drei PKW-Modelle verfügbar. Dagegen gibt es aktuell bereits 590 Varianten von E-Mobilen.
»Die jungen Leute in China kaufen E-Autos von nationalen Anbietern. Westware ist nicht mehr cool und modern, sondern veraltet und teuer.«
Noch zweifelhafter ist die Perspektive von synthetischen Kraftstoffen, falls sie überhaupt jemals auf den Markt kommen. Es macht einfach keinen Sinn, mit viel Aufwand und hohen Kosten den aus Pflanzen gewonnenen oder gar der Atmosphäre entnommenen Kohlenstoff mittels Strom in Treibstoffe zu verwandeln, wenn man den Strom auch direkt und damit wesentlich effizienter, billiger und ökologischer nutzen kann.
Nahezu alle Daten der Automobilwirtschaft zeigen: Die Schlacht um die richtige, zukunftsweisende Antriebstechnologie ist entschieden. Benziner und Diesel verschwinden. »Hotspot Verbrenner« ist eine Schnapsidee wie einst in Großbritannien der Heizer auf der E-Lok. Wasserstoff und E-Fuels sind keine Alternativen. Deshalb setzen alle großen PKW-Konzerne auf Elektromobilität. Damit das auch in der Gesellschaft ankommt und die Verunsicherung endet, haben die Chefs von VW und Stellantis in diesem Frühjahr ein klares Bekenntnis der Politik zum Verbrenner-Aus ab 2035 verlangt.
Aber wann genau, an welchen Standorten und mit wem in Elektromobilität investieren? Diese Frage stellt sich für deutsche Autofirmen in China, ihrem größten Markt, besonders dringlich. Am 22. April 2024 meldet das Handelsblatt: »Markenerbe wird zur Last – VW, BMW und Mercedes stürzen in China weiter ab«. Deutsche Firmen gelten dort als exzellent, aber eben nur bei einem langsam sterbenden Produkt, dem Verbrenner. Die jungen Leute in China kaufen E-Autos von nationalen Anbietern.
VW, jahrzehntelang Marktführer in China, verkaufte 2023 nur 240.000 Einheiten im Bereich der New Energy Vehicles, während BYD, der neue Marktchampion, in seiner chinesischen Heimat 2,5 Millionen E-Autos auslieferte. Wahrlich eine Zeitenwende: Westware ist nicht mehr cool und modern, sondern veraltet und teuer. Angesichts der eigenen Schwäche ziehen deutsche Autobauer bereits Konsequenzen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären: mit technologisch fortgeschrittenen chinesischen E-Auto-Firmen kooperieren, aber nicht mehr als Senior-Partner, sondern als Junior-Lehrling.
Der Wechsel zur Elektromobilität ist die einzige realistische Chance, den Autoverkehr zu dekarbonisieren. Aber auch E-Mobile fressen Ressourcen und verstopfen städtische Lebensräume. Deshalb bleibt es Aufgabe einer vernünftigen Verkehrspolitik, Bahnstrecken, ÖPNV und Radwege spürbar auszubauen und dadurch den Autobedarf zu senken. Das beste Auto ist das nicht gebaute Auto. Diese ökologische Weisheit ist aktuell aus verständlichen Gründen nicht besonders populär.