17. November 2022
Alles ist politisch geworden, aber nichts hat sich politisch verändert. Warum das so ist, diskutieren wir in unserem neuen Politik-Podcast.
Alles ist politisch, nichts ändert sich: Wir leben im Zeitalter der Hyperpolitik. Keine Serie kommt ohne Signal aus, dass sie verstanden hat, wie Diskriminierung, der Klimawandel und der Kapitalismus funktionieren. Denn nichts und niemand kann sich dem Anspruch entziehen, zu den Grabenkämpfen der Gegenwart eine Meinung zu vertreten. Alles ist politisch geworden.
Seltsam, dass einem Feld dieser Prozess bislang erspart bleibt: der Politik selbst. Denn während jeder noch so belanglose Bereich des Alltags mit politisch aufgeladenen Kulturkämpfen überzogen wird, steckt die Politik selbst im Modus der Alternativlosigkeit fest.
Der Theoretiker Anton Jäger bezeichnete dieses Phänomen in einem Essay für JACOBIN Anfang 2022 als »Hyperpolitik«. Er grenzt unsere Zeit damit von der Welt ab, die der Politikwissenschaftler Colin Crouch noch 2008 zu Zeiten der Finanzkrise mit dem Begriff »Postpolitik« beschrieben hat. Damals schienen Technokraten das politische Geschäft zu übernehmen, die große Masse blieb außen vor. Jetzt ist plötzlich alles politisch, doch Veränderung lässt sich nirgends erkennen. Jägers Hyperpolitik bringt dieses Dilemma auf den Punkt.
Denn es fehlen heute Organisationsformen, die das diffuse Unbehagen in reale politische Macht und Mitbestimmung übersetzen. Wer sich über einen Finanzminister aufregt, der Investitionen blockiert, kann zwar – wenn er etwas Glück hat und in einer Großstadt wohnt – bei einem Protest gegen ihn mitlaufen. Einen Ort, an dem er diese Wut in langfristige politische Arbeit übersetzen kann, wird er dort jedoch nicht finden.
In Hyperpolitik sprechen wir ab sofort alle zwei Wochen über die politischen Debatten in Deutschland. Wir wollen herausfinden, wo sich Konflikte eigentlich lohnen und wo wir nur Scheindebatten führen, die von Klassenkämpfen und Interessen ablenken. Wir können die Politik des 20. Jahrhunderts nicht einfach wiederbeleben, doch wir können jenseits von moralischer Empörung die politischen Auseinandersetzungen führen, die es zu kämpfen lohnt.
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Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.
Nils Schniederjann betreibt den YouTube-Kanal Feine Welt, auf dem er Politische Theorie vorstellt und diskutiert.