09. Februar 2021
Prekarität im Universitätsbetrieb ist nichts Neues. Österreichs geplante Uni-Reform soll diese noch verschärfen. Doch Forschende und Studierende wehren sich. Ihre wichtigste Forderung: Entfristung jetzt!
Die IG-LektorInnen beim Aktionstag gegen die geplante Gesetzesneuerung, 12. Januar 2021.
Während in der deutschen universitären Welt das berüchtigte Wissenschaftszeitvertragsgesetz heftig diskutiert wird, steht in Österreich eine ähnliche Regelung erst bevor: Mittels einer Neuerung des Universitätsgesetzes beabsichtigt die seit einem Jahr amtierende konservativ-grüne Regierung die Dauer befristeter Beschäftigungen für Lehrende und Forschende nach dem Doktorat auf insgesamt sechs beziehungsweise acht Jahre zu beschränken. Danach droht an der jeweiligen Institution – sofern diese keinen unbefristeten Vertrag ausstellt – ein Arbeitsverbot, so die berechtigte Befürchtung.
Auch weitere geplante Maßnahmen der Reform stehen in Kritik: Die Studienbedingungen, die sich seit dem Bologna-Prozess bereits drastisch verschlechtert haben, sollen nochmals verschärft werden. Wer in vier Semestern nicht eine bestimmte Anzahl von ECTS-Punkten absolviert hat, soll fortan für zehn Jahre vom gewählten Studiengang ausgeschlossen werden. Außerdem soll das ohnehin schon stark eingeschränkte Mitbestimmungsrecht der wenigen verbliebenen demokratisch besetzten Organe an den Universitäten noch weiter beschnitten werden.
Eine Trendwende, die Universitäten zu Bildungseinrichtungen macht, an denen freies Denken und eine kritische Forschung ermöglicht und befördert wird, ist damit nicht in Sicht. Das für manche einzig Überraschende ist, dass die beabsichtigten Verschlechterungen nun auch von Angehörigen der Grünen Partei verantwortet werden, die bislang für das Gegenteil dessen eintraten, was nun nochmals verschärft werden soll.
Ganze 37 Prozent der Akademikerinnen und Akademiker wählten bei den Nationalratswahlen 2019 grün, so eine Wahlanalyse des SORA Institut. Vor diesem Hintergrund mag man sich fragen, warum die österreichischen Grünen nicht einmal fähig sind, die Interessen ihrer eigenen Klientel durchzusetzen. Eine Antwort darauf lieferte Marcel Andreu von der Jungen Linken – der Nachfolgeorganisation der Jungen Grünen, die 2017 von ihrer eigenen Partei hinausgeworfen wurden, und deren Engagement es zu verdanken ist, dass sich 2016 der grüne Präsidentschaftskandidat Alexander van der Bellen knapp gegen den rechtsextremen Bewerber von der FPÖ durchsetzte. Die Jungen Linken kennen somit die grüne Partei aus einer Innenperspektive; laut Andreu handle es sich bei dieser um eine »weitgehend interesselose Partei« von NGO-Angehörigen und Staatsdienern mit einem idealistischen Politikverständnis, das im Gegensatz zu Konservativen und zur Sozialdemokratie die staatlichen Institutionen nicht als Werkzeug zur Durchsetzung eigener Forderungen betrachte, sondern als Zweck an sich zur Erzielung vernünftiger Lösungen. Die materiellen Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler müssten demgegenüber hintanstehen.
Enttäuschung, Proteste und Demonstrationen (unter Einhaltung der pandemiebedingten Auflagen) sind nun die Folge. Auf der Homepage des österreichischen Parlaments wurden mehr als 500 Stellungnahmen eingebracht, von denen viele auch die beabsichtigte Neuerung bei den befristeten Arbeitsverhältnissen der Lehrenden und Forschenden kritisieren.
Deren Lage ist schon jetzt schlimm genug. Prekarität in den Wissenschaften ist auch in Österreich ein seit mindestens einem Vierteljahrhundert bekanntes und auch erforschtes Problem: Bereits zur Jahrtausendwende legte die 1996 im Zuge eines Universitätsstreiks von Lehrbeauftragten (österreichisch: »Lektorinnen« und »Lektoren«) und Drittmittelbeschäftigten gegründete Interessengemeinschaft LektorInnen und WissensarbeiterInnen (IG LektorInnen) die Studie »Zwischen Autonomie und Ausgrenzung? Zur Bedeutung Externer Lehre und Freier Wissenschaft an österreichischen Universitäten und Hochschulen« vor. In Sammelbänden über die »Working pur« werden mittlerweile nicht nur die Arbeitswelten von Uber-Fahrern oder Flüchtlingsberaterinnen geschildert, sondern auch die einer prekären Pollenforscherin; die ORF-Fernsehdokumentation »Arm trotz Arbeit« von 2015 verdeutlichte am Beispiel des an der Kunstuniversität Linz lehrenden Philosophen Martin Ross, dass es sich bei Prekarität nicht um ein spezifisches Problem von jungen Forschenden handelt, sondern auch viele Forschende jenseits der 50 betrifft.
Seitens der IG LektorInnen wurde in Folge der genannten Studie schon früh betont, dass es zutreffender sei, von einem segmentierten Arbeitsmarkt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sprechen, in dem wenige unbefristet Beschäftigte einer großen Zahl befristeter Beschäftigter gegenüberstehen – gegen die Rede vom »wissenschaftlichen Nachwuchs« plädierte vor ein paar Jahren auch die Mediävistin Karoline Döring.
Die widrige Arbeitssituation in der Wissenschaft führte in vielen Ländern in den letzten Jahren zu einem eigenen literarischen Genre: »Leaving academia« werden jene autobiographischen Berichte genannt, in denen Forscherinnen und Forscher ihren Ausstieg aus der Wissenschaft schildern. Für Österreich sei hier beispielhaft auf die nun als Psychotherapeutin arbeitende Natascha Vittorelli verwiesen, die bis 2015 als Historikerin zur Geschichte der Frauenbewegung in der Habsburgermonarchie forschte und eine Habilitation über die »Figur der Partisanin« im ehemaligen Jugoslawien vorbereitete – bis ihr die Unsicherheiten der Postdoc-Phase zu viel wurden und sie ihren Plan B realisierte. Ihren gleichermaßen reflektierten wie berührenden »Abschied von der Wissenschaft und ihrem Betrieb« veröffentlichte sie bezeichnenderweise im Themenheft »Scheitern« der Zeitschrift Werkstattgeschichte.
Jenseits solcher Einzelschicksale lässt sich die Prekarität auch quantitativ nachweisen: Insgesamt sind knapp 80 Prozent des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an den österreichischen Hochschulen befristet angestellt. An der bei weitem größten Hochschule in Österreich, der Universität Wien – knapp ein Drittel der etwa 280.000 Studierenden der öffentlichen Universitäten in Österreich sind hier eingeschrieben –, sind von den knapp 7000 Angehörigen des wissenschaftlichen Personals bis zu 85 Prozent befristet als Assistentinnen, als Prä- und Postdocs, als Drittmittelbeschäftigte und als Lektorinnen angestellt. Etwa ein Drittel dieser befristet Beschäftigten – um die 1900 Personen – sind als Lehrbeauftragte tätig und bestreiten 40 Prozent der Lehre, in manchen Fächern sogar mehr als 60 Prozent. Nur 60 dieser Lehrbeauftragen sind unbefristet angestellt – und das meist auf niedrigem Niveau, in der Regel für vier Semesterwochenstunden Lehre, alle anderen werden in der Regel von Semester zu Semester neu angestellt.
Im österreichischen Gewerkschaftsuniversum ist die christlich-sozial dominierte Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) für das Universitätspersonal zuständig, auch nach der 2004 erfolgten Ausgliederung der Unis aus der Bundesverwaltung. In den 1990er Jahren weigerte sich die GÖD, die vielen an den Universitäten prekär Beschäftigten als eigene Klientel wahrzunehmen und orientiert sich zum Teil bis heute am Modell des vollzeitbeschäftigten Beamten – obwohl an den Universitäten nun schon seit bald zwanzig Jahren keine Verbeamtungen mehr erfolgen. Dies war mit ein Grund, warum es 1996 zur Gründung der IG LektorInnen kam, die seither das Ziel verfolgt, der Mehrheit der Lehrenden und Forschenden eine Stimme zu geben – ein umfangreicherer Rückblick auf die Tätigkeit dieser IG erschien 2018 in der Prokla.
Das Problem – oder »die Herausforderung«, wie Neoliberale sagen würden – besteht darin, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leicht erpressbar und zugleich schwer organisierbar sind: Ihre Begeisterung für die wissenschaftliche Tätigkeit, ihre Obsession für Forschungsfragen lässt sie die Widrigkeiten des Betriebs und seine Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen, oft ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen.
Gerade in Fächern, in denen individualisiertes Arbeiten die Norm ist und die für Dissertationen und Habilitationen oft jahrelanges, vereinsamtes Arbeiten verlangen, wird solidarisches Handeln dadurch erschwert. Kompetitives Verhalten wird oft verinnerlicht und die nur kurzfristigen Beschäftigungen schwächen die Bindung an die jeweilige Institution – auch zum Schaden der Studierenden.
Trotz dieser schwierigen Ausgangsbedingungen sorgt der Leidensdruck in regelmäßigen Abständen für größere Proteste an den österreichischen Universitäten – zu nennen sind hier die Streiks der Jahre 1987, 1996 sowie zuletzt 2009. Die aktuell in Bezug auf die befristeten Arbeitsverhältnisse erhobenen Forderungen sind dabei durchaus widersprüchlich: Manche der betroffenen Lehrenden und Forschenden etwa bevorzugen eine quasi immerwährende, auf Dauer gestellte Prekarität gegenüber dem drohenden Berufsverbot; andere fordern wiederum die Abschaffung der Sonderregelungen für Befristungen an den Universitäten, wodurch das normale Arbeitsrecht gelten würde – dieses sieht aber teils noch restriktivere Regelungen vor als die gegenwärtig geplante Neuerung.
Die IG LektorInnen fordert zur kurzfristigen Linderung zunächst einmal eine massive Entfristungswelle: Dazu bräuchte es weder Gesetzesänderungen noch mehr finanzielle Mittel, im Gegenteil könnten sich die Universitäten die aufwändige Ausstellung von tausenden Arbeitsverträgen jedes Semester ersparen. Davon könnten potenziell beide Seiten profitieren. Um diese Chance zu ergreifen, müssten jedoch die Universitätsleitungen ihr Vorurteil aufgeben, dass unbefristet Beschäftigte auf der faulen Haut liegen und dem »Nachwuchs« die Jobs wegnehmen würden.
Damit das bestehende Missverhältnis umgedreht wird, und in Zukunft etwa nur mehr 20 Prozent der an den Universitäten tätigen Personen befristet angestellt sind statt der jetzigen 80 Prozent, wird es wohl eine Mischung von Anreizen, Vorgaben und vielleicht auch Verpflichtungen gegenüber den Universitäten brauchen: Schon jetzt wird in Österreich die Auszahlung eines Teils der öffentlichen Gelder an die Hochschulen durch in Leistungsvereinbarungen festgeschriebene Indikatoren geregelt – es ist höchste Zeit, dass die Ministerialbürokratie und Wissenschaftspolitik begreift, dass ein möglichst hoher Anteil unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse als wesentlicher Indikator für qualitative Forschung und Lehre herangezogen werden sollte.
Jenseits dieser kurzfristigen Bemühung um bessere Arbeitsbedingungen bleiben darüber hinausgehende Forderungen nach einer Demokratisierung des Universitätsbetriebs weiter dringlich; dafür braucht es eine Diskussion darüber, wie die Universität der Zukunft gestaltet werden soll und auch darüber, welche Personalmodelle gute Arbeitsbedingungen und damit gute Lehre und Forschung garantieren können. Die vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft für die deutsche Situation entwickelten Alternativen zur prekären Beschäftigung bilden dabei einen wichtigen Ausgangspunkt für diese Diskussion. Es bleibt zu hoffen, dass darauf folgt, was schon längst hätte geschehen müssen: Die Organisierung der Arbeitenden in Forschung und Lehre zur Durchsetzung ihrer Interessen.
Anton Tantner ist habilitierter Historiker und seit einem Jahr entfristeter Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Wenn er nicht bei der IG LektorInnen oder links-wien.at aktiv ist, beschäftigt er sich mit der Geschichte der Hausnummerierung sowie der Wanderdünen und schreibt für die Wiener Straßenzeitung »Augustin«.
Anton Tantner ist habilitierter Historiker und seit einem Jahr entfristeter Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Wenn er nicht bei der IG LektorInnen oder links-wien.at aktiv ist, beschäftigt er sich mit der Geschichte der Hausnummerierung sowie der Wanderdünen und schreibt für die Wiener Straßenzeitung »Augustin«.