28. Juni 2021
Während Millionen Menschen in ärmeren Ländern noch immer auf ihre erste Impfdosis warten, hat die Pharmaindustrie neue Impfstoff-Milliardäre hervorgebracht. Dieser Reichtum zeugt nicht von Innovationsgeist. Er ist ein Resultat künstlicher Verknappung.
Öffentlich finanzierte Forschung ist die Grundlage der privaten Profite.
Durch die Entstehung von Arzneimittel-Monopolen ist der Neoliberalismus auch in eine Sphäre vorgedrungen, in der er wirklich nichts zu suchen hat: in der globalen Gesundheitsversorgung. Die Profite der Pandemie haben eine Reihe neuer Milliardäre hervorgebracht – während anderenorts weiterhin Notstand herrscht. Der global höchst ungleiche Zugang zu Impfstoffen nimmt zunehmend Züge einer Impfstoff-Apartheid an.
Seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie sind neun Menschen durch ihre Beteiligung an der Impfstoff-Industrie zu Milliardären geworden. Zusammen verfügen sie über ein Nettovermögen von 19,3 Milliarden Dollar (etwa 16,2 Milliarden Euro). Nach Angaben der People’s Vaccine Alliance würde das ausreichen, um alle Menschen der ärmeren Länder der Erde 1,3 Mal zu impfen. Dieser Zusammenschluss aus neun Nichtregierungsorganisationen – darunter Amnesty International, Oxfam und UNAIDS – hat die »Rich List« des Business-Magazins Forbes ausgewertet und daraufhin Kampagnen gestartet, die aufzeigen, wie einige wenige Personen riesige private Profite einstreichen, obwohl Milliarden an öffentlichen Geldern in die Produktion dieser Impfstoffe geflossen sind.
Das sind die Impfstoff-Milliardäre:
Bancel, französischer Staatsbürger, wurde 2011 CEO von Moderna, nachdem er seine vorherige Position als CEO des französischen Diagnostikunternehmens BioMérieux verlassen hatte. Ihm gehören heute etwa 6 Prozent von Moderna – bis vor kurzem waren es noch 9 Prozent, doch dann verkaufte er im März 2020 mehr als 1 Million Aktien des Unternehmens, dessen Wert damals um 550 Prozent gestiegen war. Und so wurde er zum Milliardär. Laut behördlichen Unterlagen hat er in diesem Jahr darüber hinaus noch weitere Aktien im Wert von fast 30 Millionen Dollar verkauft.
Uğur Şahin ist Vorstandsvorsitzender von BioNTech. Er und seine Frau Özlem Türeci gründeten das Unternehmen im Jahr 2008 mit Unterstützung der Milliardärsbrüder Thomas und Andreas Strüngmann. Şahin besitzt etwa 17 Prozent der Anteile an BioNTech, das im Oktober 2019 in den USA an die Börse ging. Er wurde in der Türkei geboren und wuchs in Deutschland auf, wo er Medizin studierte und sich auf Onkologie spezialisierte. Im Jahr 2001 war er Mitbegründer des Unternehmens Ganymed Pharmaceuticals, das 2016 von Astellas Pharma, einem großen Pharmakonzern mit Sitz in Tokio, für 460 Millionen Dollar aufgekauft wurde.
Timothy Springer ist Immunologe und Professor für Biochemie und molekulare Pharmakologie an der Harvard University. 2010 war er einer der Gründungsinvestoren von Moderna. Damals steckte er 5 Millionen Dollar in das noch junge Unternehmen – sein Anteil von 3,5 Prozent ist ein Jahrzehnt später rund 1,6 Milliarden Dollar wert. Springer ist ein aktiver Investor im Bereich der Biotechnologie mit kleineren Beteiligungen an den börsennotierten Firmen Selecta Biosciences, Scholar Rock und Morphic Therapeutic, die aus »bescheidenen« Forschungsprojekten seiner Postdocs hervorgingen. Im Jahr 1993 gründete er die Biotech-Firma LeukoSite und brachte sie 1998 an die Börse; im Jahr darauf verkaufte er das Unternehmen für 635 Millionen Dollar an Millennium Therapeutics, das heute im Besitz des japanischen Pharmamultis Takeda ist.
Noubar Afeyan wurde 1962 als Sohn armenischer Eltern in Beirut geboren. 1975 floh er mit seiner Familie vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Montreal. Afeyan ist der Gründer und CEO der auf Biowissenschaften spezialisierten Risikokapitalgesellschaft Flagship Pioneering, deren Unternehmen mehr als 30 Milliarden Dollar wert sind. Er vergrößerte sein Vermögen als Vorstandsvorsitzender von Moderna und besitzt außerdem Anteile an mehr als einem Dutzend börsennotierter Biotech-Unternehmen in den USA.
Juan López-Belmonte López ist Vorstandsvorsitzender von Laboratorios Farmaceuticos Rovi (bekannt als Rovi), einer in Madrid ansässigen Biotechnologie-Firma. Sein Sohn, Juan López-Belmonte Encina, ist CEO; zwei weitere Söhne fungieren als Vize-Präsidenten des Unternehmens. Zusammen besitzt die Familie mehr als 60 Prozent der Firma. Nachdem er einwilligte, bei der Herstellung und Verpackung des Moderna-Impfstoffes mit dem Pharmaunternehmen Rovi zu kollaborieren, machte er im Juli 2020 aus seinen Millionen Milliarden.
Robert Langer ist Professor für Chemieingenieurwesen am Massachusetts Institute of Technology. Er war 2010 einer der Gründungsinvestoren von Moderna – dessen Zentrale sich direkt gegenüber von seinem Büro in Cambridge befindet – und hat nie auch nur eine Aktie veräußert; sein Anteil von 3 Prozent ist heute etwa 1,5 Milliarden Dollar wert. Er besitzt kleinere Anteile an den börsennotierten Biotech-Startups SQZ Biotechnologies und Frequency Therapeutics, die beide von Postdocs an seinem Institut gegründet wurden. Er hält mehr als 1.400 Patente, die über 400 Mal an verschiedene Medizin- und Pharmaunternehmen lizenziert wurden.
Zhu Tao promovierte 2003 an der University of Pittsburgh in Chemieingenieurwesen und forschte anschließend als Postdoktorand an der Carnegie Mellon University, wo er sich auf Impfstoffforschung spezialisierte. Zhu ist seit 2009 Mitbegründer und Chief Scientific Officer des Unternehmens CanSino Biologics, das unter anderem den Covid-19-Impfstoff Convidecia produziert, der gegenwärtig in einigen Ländern Asiens, Europas und Lateinamerikas zugelassen ist.
Qiu Dongxu ist ebenfalls Mitbegründer und Senior Vice President von CanSino Biologics. Von Beruf Pharmazeut, machte er sein Vermögen in der Biotechnologiebranche. In den letzten vier Jahren hat er CanSino geholfen, 20 Millionen Dollar aufzubringen und den Technologietransfer von zwei Impfstoffprodukten geleitet. Zuvor war er neun Jahre lang in leitenden Positionen bei Biomira, AltaRex und Arius Research tätig.
Mao Huinhoa ist ebenfalls Mitbegründerin und Senior Vice President bei CanSino Biologics.
Der People’s Vaccine Alliance zufolge haben acht Personen, die vorher schon Milliardäre waren und die über umfangreiche Portfolios in den Covid-19-Pharmaunternehmen verfügen, ihr Vermögen um insgesamt 32,2 Milliarden Dollar vergrößern können.
Die hier aufgelisteten Personen gehören zu der Art von Milliardären, die Konservative und Liberale gleichermaßen gerne heranziehen, um die Existenz extremen Reichtums zu rechtfertigen: Schließlich haben sie zur Entdeckung und Entwicklung von lebensrettender Technologie beigetragen. Zudem kommen einige von ihnen aus bescheidenen Verhältnissen. Sie sind also der lebende Beweis für eine funktionierende Meritokratie; an ihnen zeigt sich der Innovationsgeist, den der Kapitalismus hervorbringt.
Wenn die Welt bereits von Covid-19 befreit wäre, dann könnte man das wohl so formulieren. In Wirklichkeit hängen diese Erfolgsgeschichten jedoch voll und ganz von der Erzeugung künstlicher Knappheit ab: Was die Pharmakonzerne profitabel macht, sind die Patente, die die Produktion von Impfstoffen begrenzen. Hätten alle freien Zugang zur Impfstofftechnologie – so wie es eigentlich sein sollte –, dann gäbe es diese Milliarden nicht. Natürlich spielt Innovation auch eine Rolle – aber ebenso wird auch gehortet, zum Nachteil von Millionen von Menschen.
In einem Bericht von Anfang April gab die WHO an, dass bis dahin 87 Prozent der Impfstoffdosen an Länder mit hohem oder höherem mittlerem Einkommen gegangen waren, während Länder mit geringem Einkommen nur 0,3 Prozent erhielten. Die jüngste Verpflichtung der G7-Staats- und Regierungschefs, 1 Milliarde Covid-19-Impfdosen in ärmere Länder zu schicken, könnte zu spät kommen: Der Plan ist nicht besonders ehrgeizig. Und er beweist einmal mehr, dass die Regierungen der reichen Länder die Interessen der Pharmaunternehmen über die Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt stellen.
Das Versäumnis, das geistige Eigentum am Impfstoff frei verfügbar zu machen, hat die globalen Bemühungen zur Bewältigung der schlimmsten Gesundheitskrise seit einem Jahrhundert völlig untergraben. Wir sehen weiterhin dabei zu, wie das Virus immer neue Mutationen hervorbringt, was im schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass es gegen die neuen Impfstoffe resistent wird. Darüber kann nur die Zeit Aufschluss geben.
Was wir aber schon jetzt mit Sicherheit wissen, ist, dass diese Impfstoffe mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden und in erster Linie ein globales öffentliches Gut sein sollten – nicht eine private Gewinnmöglichkeit.
Beauty Dhlamini forscht im Bereich Global Health mit einem Fokus auf Ungleichheiten im Gesundheitswesen, arbeitet mit Community- und Basisorganisationen zusammen und ist Co-Moderatorin des Podcasts »Mind the Health Gap«.
Beauty Dhlamini forscht im Bereich Global Health mit einem Fokus auf Ungleichheiten im Gesundheitswesen, arbeitet mit Community- und Basisorganisationen zusammen und ist Co-Moderatorin des Podcasts »Mind the Health Gap«.