10. August 2023
Der jüngste Putsch in Niger ist der siebte in der Region innerhalb von drei Jahren. Die anhaltenden Konflikte drohen sie in pro- und antiwestliche Fraktionen zu spalten. Kommt der »neue Kalte Krieg« nach Afrika?
Demonstrierende in Niamey zeigen Flagge unweit der nigrischen Nationalversammlung und der französischen Botschaft.
IMAGO / UIGAm 26. Juli hat eine Splittergruppe des nigrischen Militärs den Präsidenten Mohamed Bazoum gestürzt und ihn im Präsidentenpalast festgesetzt. Als die Telekommunikationsinfrastruktur noch intakt war, hieß es in einem Tweet aus dem Präsidentenbüro, Bazoum und seine Familie seien bei guter Gesundheit. Man werde aber die Nationalgarde zum Angriff aufrufen, falls die rebellierenden Soldaten nicht umgehend abzögen.
Weniger als 48 Stunden später übernahm Oberst Amadou Abdramane die nationalen TV-Sender und erklärte dort, umgeben von neun weiteren Offizieren, er habe »dem Regime, das [das nigrische Volk] insbesondere für die sich verschlechternde Sicherheitslage und die schlechte Regierungsführung kennt, ein Ende gesetzt«. Die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) verurteilten den Umsturzversuch. Der abgesetzte Bazoum selbst war vor zwei Jahren bei der ersten friedlichen, demokratischen Machtübergabe seit der nigrischen Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 zum Präsidenten gewählt worden.
Europäische Staats- und Regierungschefs, ebenso wie der UN-Vorsitzende António Guterres, verurteilten »jeglichen Versuch einer gewaltsamen Machtergreifung« und mahnten die Achtung der nigrischen Verfassung an. Die USA äußerten sich ebenfalls besorgt und forderten die umgehende Freilassung von Bazoum. Selbst die äthiopische Regierung, der Menschenrechtsorganisationen Kriegsverbrechen während des Tigray-Krieges vorwerfen, kritisierte, die Putschisten handelten »in absolutem Verrat an ihrer republikanischen Pflicht«. Nigerias kürzlich gewählter Präsident Bola Tinubu mahnte, die Reaktion der Nachbarn und der regionalen Regierungen auf diese Krise sei ein »Lackmustest für die Demokratie in Westafrika«.
Seit 2020 ist dies bereits der siebte Coup in der Sahelregion, die sich von Mauretanien im Westen bis Eritrea im Osten erstreckt. In jüngster Zeit kam es in Mali und Burkina Faso zu drei Staatsstreichen in ebenso vielen Jahren. Der aktuelle politische Aufruhr droht, die gesamte Region zu spalten. Mali und Burkina Faso, die beide aktuell von Putschisten regiert werden, haben erklärt, dass sie auf jeden Versuch der ECOWAS – eines politischen und wirtschaftlichen Blocks, der sich aus überwiegend mit dem Westen verbündeten westafrikanischen Staaten zusammensetzt – Bazoum wieder einzusetzen, mit einer groß angelegten Invasion reagieren würden. Während der geschasste Präsident von Niger seinerseits eine Intervention der USA fordert, haben sich die Juntas in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso seit ihrer Machtübernahme mit Russland arrangiert.
Niger war bis kürzlich ein Sonderfall und für den Westen in gewisser Weise ein strategischer Außenposten und Hoffnungsträger im Kampf gegen die wachsenden dschihadistischen Bewegungen in der Sahelzone. Nach den Machtergreifungen der Militärs im Tschad, in Mali und Burkina Faso im Jahr 2020 sahen der Westen und seine Verbündeten Niger als wichtigen Bestandteil des Versuchs, ihren Einfluss in einer Region aufrechtzuerhalten, in der die pro-russische Stimmung wächst und islamistische Gruppen immer stärkere Kontrolle ausüben.
Am 28. Juli betonte auch der russische Außenminister Sergej Lawrow, die verfassungsmäßige Ordnung in Niger müsse wiederhergestellt werden. Fast zeitgleich postete der Chef der Wagner-Gruppe Jewgeni Prigoschin eine Sprachnachricht auf Telegram, in der er jegliche Beteiligung an dem Putsch dementierte. Laut Reuters bezeichnete er die Entwicklungen jedoch als »einen Moment der längst überfälligen Befreiung von den westlichen Kolonisatoren« und warb offenbar dafür, dass seine Kämpfer »bei der Aufrechterhaltung der Ordnung helfen sollten«.
Niger hat 27 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, von denen 40 Prozent in extremer Armut leben und 50 Prozent mit lediglich 2,15 Dollar pro Tag auskommen müssen. Das nationale BIP beträgt mit 15 Milliarden Dollar weniger als ein Zehntel desjenigen der US-Hauptstadt Washington mit ihren 700.000 Menschen. Der Staat importiert fast ein Drittel seiner Lebensmittel. Im Index für menschliche Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) liegt Niger auf Platz 189 von 191; das Pro-Kopf-BIP von 594,90 Dollar ist eines der niedrigsten in Afrika. Im internationalen Vergleich verzeichnet das Land eine der größten wirtschaftlichen Ungleichheiten. Infolge all dieser Faktoren liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Niger bei nur sechzig Jahren – und das Median-Alter bei fünfzehn, womit es das jüngste Land der Welt ist.
»Würden der Westen oder seine Verbündeten nun in Niger intervenieren, dürfte dies höchstwahrscheinlich zu einem Konflikt mit den von der Wagner-Gruppe unterstützten Kräften in Mali und Burkina Faso führen.«
Seit 1945 und auch lange nachdem Frankreichs afrikanische Kolonien in den 1960er Jahren ihre Unabhängigkeit erlangten, hat die alte Kolonialmacht schrittweise den sogenannten CFA-Franc als Währung seiner westafrikanischen Ex-Kolonien eingeführt oder durchgesetzt. Die Währung wird von der französischen Staatskasse gestützt und ist an den Euro gekoppelt. Sie wird heute in vierzehn Mitgliedsländern akzeptiert, darunter auch in den drei Ländern, in denen kürzlich Coups stattgefunden hat: Mali, Burkina Faso und Niger.
Während der CFA-Franc für eine gewisse wirtschaftliche Stabilität und einfachere Finanzbeziehungen zwischen den Staaten sorgt, werden durch die Euro-Kopplung sein Wert, seine Inflationsrate und seine Volatilität durch das Verhalten von Menschen und Märkten auf einem völlig anderen Kontinent bestimmt. Das Fehlen von Währungssouveränität innerhalb der Region schränkt die innenpolitischen Möglichkeiten der lokalen Regierungen ein. Im Jahr 2019 räumte der konservative Think-Tank Brookings Institution ein, dass der CFA-Franc zwar für Währungsstabilität sorge, aber den intraregionalen Handel einschränke, das Entstehen von Volkswirtschaften, die auf den Export von Primärrohstoffen angewiesen sind, fördere und die Entwicklung einer unabhängigen Industriepolitik der westafrikanischen Staaten erschwere.
Niger liefert 5 Prozent der weltweiten Uranproduktion und hat bisher auch Frankreichs Atomindustrie mitversorgt. Berichten zufolge plant die neue Führung des westafrikanischen Landes nun, die Ausfuhr des Rohstoffs nach Frankreich künftig zu verbieten. Das mag angesichts des aktuellen Chaos (vor allem aus französischer Sicht) bedrohlich wirken, tatsächlich sollte es aber nicht überbewertet werden. Kurz- oder mittelfristig würde diese Veränderung, sollte sie denn tatsächlich eintreten, den Zugang Frankreichs zu Uran nicht wesentlich einschränken. Australien, Kanada und Kasachstan sind drei der vier größten Uran-Produzenten und alle drei planen, ihre jeweilige Produktion für den Weltmarkt zu erhöhen. Die Besorgnis Frankreichs und des Westens bezüglich Niger kann daher nicht allein auf die Angst vor Ressourcenknappheit zurückgeführt werden.
Wichtiger für das Verständnis der Lage in der Region ist die Rolle, die der Westen bei der Gewährleistung der Sicherheit in der Sahelzone gespielt hat, ohne dass die Staaten dort selbst dazu in der Lage gewesen wären. Die Regierungen in der Sahelzone haben Frankreich oft regelrecht aufgerufen, sie zu unterstützen und/oder die Sicherheitsmaßnahmen in weiten Teilen der Region zu verstärken, wo die wachsende Präsenz dschihadistischer Bewegungen die Stabilität der jeweiligen Zentralregierung bedrohte. Französische Sicherheit im Austausch für die Beibehaltung und Bindung an den CFA-Franc ist hier die stillschweigende geopolitische Vereinbarung. Die ehemalige Kolonialmacht hat es jedoch lange versäumt, ihren Teil der Abmachung einzuhalten. Zahlreiche Unruhen, insbesondere in den abgelegenen Regionen der Sahelzone, wurden weder unterdrückt noch befriedet. Infolgedessen wurden Regierungen durch Putsche gestürzt und die französischen Truppen sahen sich mehrfach gezwungen, sich zurückzuziehen, wie in Mali und Burkina Faso. Dies führt dazu, dass sich die regionalen Mächte in Sachen Sicherheit verstärkt an Russland und die Wagner-Gruppe wenden.
Würden der Westen oder seine Verbündeten nun in Niger intervenieren, dürfte dies höchstwahrscheinlich zu einem Konflikt mit den von der Wagner-Gruppe unterstützten Kräften in Mali und Burkina Faso führen. Damit würde sich eine weitere Front im Stellvertreterkrieg mit Russland eröffnen. Die humanitären Folgen einer solchen Intervention wären schwerwiegend. Sie würde mit Sicherheit die Fluchtbewegungen aus der Region in Richtung Norden verstärken, somit die migrationsfeindliche Politik in Europa verschärfen und einen Vorwand für unheilvolle Allianzen zwischen der EU und nordafrikanischen Staaten liefern, die bereit sind, die Drecksarbeit des europäischen Blocks zu erledigen und Menschen, die vor Armut und Krieg fliehen, gewaltsam aufzuhalten.
Jody Ray ist Autor und Journalist und lebt in New Orleans.