12. Oktober 2023
Anfang Oktober hat die indische Polizei fast hundert Journalistinnen und Journalisten sowie Informanten festgenommen. Das ist ein klarer Angriff auf die Linke, die Bauernbewegung und die Pressefreiheit im Land.
Der Journalist Paranjoy Guha Thakurta legt sich mit Indiens herrschender Klasse an.
Am 3. Oktober 2023 schwärmten rund 500 Beamte der Polizei von Delhi in der indischen Hauptstadt aus, um Razzien in mehreren Büros durchzuführen und dabei fast 100 Journalisten festzunehmen. Die Polizei von Delhi – die direkt dem indischen Innenministerium untersteht – beschlagnahmte darüber hinaus Laptops, Handys und Festplatten. Das Hauptziel dieses Großangriffs auf die Medien war Newsclick, eine im Jahr 2009 gegründete Nachrichten-Website. Die Polizei verhaftete unter anderem den Gründer und Chefredakteur, Prabir Purkayastha, und den Leiter des Bereichs Human Relations, Amit Chakravarty.
Die Ermittlungen scheinen vor allem von einem Thema motiviert gewesen zu sein: die Berichterstattung über die indische Bauernbewegung, die 2020 und 2021 in großen Protesten gipfelte. Die Landwirte besetzten damals die Straßen nach Delhi, um gegen drei Gesetze zu protestieren, die von der rechtsgerichteten Regierung der Bharatiya Janata Party unter Premierminister Narendra Modi eingebracht worden waren.
Nach den Razzien befragte die Polizei die Journalistinnen und Journalisten, ob sie über diese Proteste berichtet hätten. Wenn dies der Fall war, wurde weiter gefragt, ob es dafür Boni von Newsclick gegeben habe. Im Mittelpunkt der Befragung standen somit nicht etwaige Rechtsverstöße der einzelnen Reporter oder der Newsclick-Redaktion, sondern die Themen, über die sie berichtet hatten – neben der Bauernbewegung vor allem auch die Reaktion der indischen Regierung auf die Coronavirus-Pandemie.
Zwar wird in Artikel 19 (1) der indischen Verfassung die Presse nicht direkt erwähnt, doch der Artikel garantiert den indischen Bürgerinnen und Bürgern »Rede- und Meinungsfreiheit«. Auf dem World Press Freedom Index 2023 ist Indien inzwischen auf Platz 161 (von 180 Ländern) abgerutscht. Aktionen wie die Einschüchterung der Newsclick-Angestellten durch die Polizei von Delhi erklären diese schlechte Platzierung.
Kurz nach den Verhaftungen veröffentlichte die Polizei einen ersten Bericht (First Information Report, FIR), den die Justiz zur Rechtfertigung der Verhaftung von Purkayastha und Chakravarty heranzog. Der FIR ist ein absolut irrlichterndes Dokument, in dem die vermeintlichen »Verbrechen« der Verhafteten nicht klar dargelegt werden. Newsclick reagierte scharf auf den FIR und nannte die Vorwürfe »ebenso unhaltbar wie erfunden«. Eine der wohl schwerwiegendsten Behauptungen ist, Newsclick werde von privaten und staatlichen Geldgebern aus China finanziert. Die Online-Publikation antwortete unmissverständlich: »Newsclick erhält keinerlei Finanzierung oder gar Anweisungen von China oder von irgendwelchen chinesischen Stellen.« Kurz nach dieser Aussage veröffentlichte auch Jason Pfetcher eine Erklärung im Namen von Worldwide Media Holdings, das 2019 in Newsclick investiert hatte. Worldwide Media Holdings, betonte Pfetcher, finanzierte diese Investition mit Geldern aus dem Verkauf eines IT-Unternehmens an Apax Partners aus dem Vereinigten Königreich. Dass (fiktives) chinesisches Geld bei den Razzien eine Rolle spielt, dürfte der aktuellen Kalter-Krieg-Mentalität geschuldet sein; auf Fakten beruhen die Anschuldigungen offenbar nicht.
»Zwischen 1995 und 2018 haben in Indien fast 400.000 Bauern Selbstmord begangen (ein Viertel davon, seit Modi 2014 Premierminister wurde)«
Im fast schon hanebüchenen FIR heißt es dann weiter:
»Die Angeklagten haben sich des Weiteren mit dem Ziel verschworen, die Versorgung und die Dienstleistungen zu stören, die für das öffentliche Leben in Indien essentiell wichtig sind, und die Beschädigung und Zerstörung von Eigentum durch die Aufrechterhaltung der sogenannten Bauernproteste mit Hilfe von illegalen ausländischen Geldern zu fördern. Es ist erwiesen, dass zu diesem Zweck eine für beide Seiten vorteilhafte Verbindung zwischen gewissen indischen Unternehmen und feindlichen ausländischen Stellen hergestellt wurde. Das Ziel dieser Beziehungen war es, sich gegenseitig zu fördern und zu unterstützen, um die Bauernproteste weiter zu unterstützen und zu finanzieren – mit dem Ziel, der indischen Wirtschaft einen enormen Schaden in Milliardenhöhe zuzufügen und die öffentliche Ordnung in Indien zu stören.«
In die Flut unbegründeter Anschuldigungen finden sich somit drei besonders schwerwiegende Vorwürfe gegen Newsclick und seine Belegschaft:
Derartige Vorwürfe der Staatsmacht zielen wohl auch darauf ab, die Bedeutung der Proteste und die tatsächliche Rolle der Landwirtinnen und Landwirte 2020/21 herunterzuspielen. Dabei sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass der Konflikt sehr weit zurückreicht – lange bevor Newsclick im Jahr 2009 gegründet wurde. Die Behauptung, Newsclick habe die Revolte angezettelt oder verlängert, ist insbesondere eine weitere herabwürdigende Haltung gegenüber der indischen Bauernschaft, ihrer Familien und der fast eine Milliarde Menschen, also 70 Prozent der indischen Bevölkerung, die in ländlichen Gebieten leben und von denen die meisten den (anhaltenden) Kampf unterstützten.
Zwischen 1995 und 2018 haben in Indien fast 400.000 Bauern Selbstmord begangen (ein Viertel davon, seit Modi 2014 Premierminister wurde). Grund dafür sind die hohen Preise für Betriebsmittel und die niedrigen Erzeugerpreise, die durch die neoliberale Agrarpolitik seit 1991 entstanden sind. Diese haben andere Krisen (einschließlich der Klimakatastrophe) noch verschärft. Die Rücknahme staatlicher Kreditprogramme zur Unterstützung der Landwirte, die Abschaffung des staatlichen Agraraufkaufprogramms (das einerseits faire Preise bieten und andererseits die Bevölkerung mit preisgünstigen Nahrungsmitteln versorgen sollte) und der Einstieg von Großkonzernen in die indische Agrarwirtschaft haben die Hoffnungen großer Teile der Landbevölkerung zerstört. Vor diesem Hintergrund begannen verschuldete Landwirte, Selbstmord zu begehen, indem sie Düngemittel zu sich nahmen – eines der Produktionsmittel, die besonders teuer geworden waren.
Seit rund zehn Jahren wehren sich die Bäuerinnen und Bauern jedoch mit großen Mobilisierungen im ganzen Land – unter Beteiligung mehrerer Organisationen, darunter linke Bauern- und Landarbeitergewerkschaften. Eines der ersten symbolträchtigen Ereignisse gab es im März 2018. Damals marschierten rund 50.000 Landwirte – angeführt von der All India Kisan Sabha – über 200 Kilometer von Nashik nach Mumbai, um gegen die ausbleibende Unterstützung der Regionalregierung zu protestieren, nachdem die Ernten durch Überschwemmungen und folgenden Schädlingsbefall 2017 zerstört worden waren. Als die Bäuerinnen und Bauern am späten Abend des 11. März in Mumbai eintrafen, erfuhren sie, dass am nächsten Tag eine wichtige Prüfung in den Schulen der Stadt anstand. Anstatt sich auszuruhen und tagsüber weiter zu gehen, liefen die erschöpften Landwirte die ganze Nacht hindurch, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu stören. Als diese Nachricht die Stadtbevölkerung erreichte, schlossen sich viele Menschen dem Marsch spontan an. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu riesigen Protestaktionen, beispielsweise der landesweiten Bewegung im Jahr 2015 gegen die neue »Landraubverordnung«, wie sie von den Bauern genannt wurde. Der Marsch zum Parlament im Jahr 2016, um den Erlass von Kreditforderungen, Landrechte und höhere Renten zu fordern, und die Streiks der Bauern 2017 in Madhya Pradesh, Maharashtra und Rajasthan, ebenfalls für den Erlass von Kreditforderungen.
Im Sommer 2020 brachte die Regierung von Premierminister Modi drei Gesetze ins Parlament ein, die die Bauernschaft ein weiteres Mal schwer trafen. Letztere sahen Modis Gesetzesvorschläge zu Recht als existenzielle Bedrohung an und beschlossen am 26. November 2020, sich an einem Generalstreik von 250 Millionen Arbeiterinnen und Landwirten zu beteiligen. Vom nächsten Tag an verharrten sie im unbefristeten Protest in Camps rund um Delhi. Zahlreiche Medien besuchten die Camps, um über die »Delhi Commune« zu berichten. Die meisten von ihnen gingen jedoch bald wieder nach Hause, wohingegen die Reporterinnen und Reporter von Newsclick vor Ort blieben und über sämtliche Aspekte des Bauernprotests berichteten. Die Besuche auf der Newsclick-Website stiegen dramatisch an, Millionen Menschen wollten sich zum Beispiel die kurzen Videointerviews mit den Protestierenden ansehen.
Die Bewegung schien nicht enden zu wollen. Sie überdauerte die Repressionen der Polizei, die Anfeindungen und Angriffe der Regierung und das harsche Wetter. Rund 700 Menschen starben in den Camps. Am 19. November 2021, eine Woche vor dem ersten Jahrestag des Protests, kapitulierte Modi und versprach, die Gesetze zurückzuziehen. Es war erst das zweite Mal in sieben Jahren, dass die Modi-Regierung ein Gesetz nicht nach ihrem Willen durchsetzen und einen Rückzieher machen musste.
Im Februar 2021 hatte das sogenannte Enforcement Directorate der indischen Regierung schon einmal eine Razzia im Haus des Newsclick-Gründers Purkayastha durchgeführt und ihn in den folgenden fünf Tagen in seiner Wohnung festgehalten. Die Behörden beschlagnahmten diverse elektronische Geräte sowie umfangreiches Datenmaterial. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die indische Regierung Newsclick und andere Investigativ-Netzwerke (beispielsweise die Tricontinental Research Services) wegen ihrer Berichterstattung und Analyse der Bauernbewegung im Visier hatte. Ein paar Tage nach dieser Razzia schrieb Professor Apoorvanand in The Wire: »Newsclick war bei der Berichterstattung über die Bauernbewegung sehr aktiv. Die Berichte und Analyse-Videos wurden von Millionen Menschen gesehen. Eine Regierung, die darauf versessen ist, eine eigene Medien-Blase zu schaffen, in der keine Informationen oder Gedanken zugelassen werden, die ihrem nationalistischen Charakter entgegenstehen oder schaden könnten, wird zu allen erdenklichen Mitteln greifen, um ein Zerplatzen dieser Blase zu verhindern.«
Wie auch im aktuellen Fall wurde 2021 schnell klar, dass die Razzia nichts mit dem zu tun hatte, was die Behörden zunächst an Beschuldigungen – Geldwäsche, ausländische Einflussnahme, chinesische Einmischung – vorgaben, sondern vielmehr mit der Berichterstattung über die Bauernbewegung.
Wenige Tage, nachdem Anfang Oktober 2023 nun der FIR-Bericht der Polizei zu zirkulieren begann, meldete sich die Sammlungsbewegung der Landwirtschaftsgewerkschaften Indiens, die Samyukt Kisan Morch (SKM), mit einem Statement zu den Maßnahmen gegen die Bewegung sowie gegen die Pressefreiheit im Allgemeinen und Newsclick im Speziellen zu Wort. In der Erklärung wird betont, dass der Protest stets friedlich blieb und niemals gegen die indische Gesellschaft gerichtet war:
»Die Versorgung wurde von den Landwirten nicht unterbrochen. Kein Eigentum wurde durch Landwirte beschädigt. Der Wirtschaft wurde kein Schaden durch die Landwirte zugefügt. Keinerlei Probleme für Recht und Ordnung wurde von Landwirten geschaffen [...]. Die Bäuerinnen und Bauern mussten 13 Monate lang unter der glühenden Sommersonne, sintflutartigen Regenfällen und eisiger Winterkälte protestieren. Es war [die Regierungspartei], die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung schuf, indem sie die Bauern in Lakhimpur Kheri von Fahrzeugen niedermähen ließ und dabei vier Bauern und einen Journalisten tötete [...]. Die Verharmlosung solcher Vorgänge, gepaart mit der Behauptung, die Bewegung sei vom Ausland finanziert worden und habe zu Terrorakten geführt, zeugt von der ganzen Arroganz, Ignoranz und zutiefst menschenverachtenden Gesinnung der Regierung.«
Die SKM hat angekündigt, man werde landesweite Massenproteste gegen die Regierung wegen dieser Verunglimpfung der Bauern und ihrer anhaltenden Kämpfe organisieren. Dass die SKM ihren Kampf in der Stellungnahme auch mit dem Vorgehen gegen Newsclick verknüpft hat, deutet darauf hin, dass sich die weiteren Entwicklungen beim Thema Newsclick nicht nur in Gerichtssälen abspielen werden. Stattdessen wird sich in ganz Indien entscheiden, wie es weitergeht, wenn sich Bäuerinnen und Bauern mit anderen Menschen zusammenfinden, die ebenfalls empört sind über die Razzien und Verhaftungen und über den Versuch, die freie Presse zu unterdrücken, die über wichtige aktuelle Prozesse in unserer Gesellschaft berichtet.
Vijay Prashad ist ein indischer Historiker, Redakteur und Journalist. Er ist Autor und Chefkorrespondent bei »Globetrotter«. Außerdem ist er Herausgeber von LeftWord Books, Direktor des Tricontinental: Institute for Social Research und Senior Non-Resident Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China.