29. Februar 2024
Der neue Präsident Indonesiens hat eine gruselige »Bilanz« aus Menschenrechtsverletzungen und Demokratiefeindlichkeit vorzuweisen. Dank einer raffinierten Kampagne konnte er sich im Wahlkampf aber erfolgreich als knuddeliger Opa darstellen.
Prabowo hält seine Siegesrede in Jakarta, 14. Februar 2024.
Nach einem gut zehnjährigen Streben nach der Macht hat Prabowo Subianto Djojohadikusumo, meist einfach Prabowo genannt, »endlich« die Präsidentschaft Indonesiens übernommen. Der Rest der Welt sollte darüber zutiefst besorgt sein.
Prabowos Social Media Team stellt ihn als knuddeligen, katzenliebenden Opa dar. Der Lebenslauf des selbsternannten Faschisten umfasst derweil Putschversuche, Verbindungen zur kriminellen Unterwelt und zahlreiche angebliche Menschenrechtsverletzungen, die von Entführung bis hin zu Völkermord reichen. Während seiner 28-jährigen Karriere in der indonesischen Armee machte sich Prabowo vor allem mit außergerichtlicher Gewaltanwendung einen Namen – die schließlich sogar zu seiner unehrenhaften Entlassung aus dem Militärdienst führte.
Wie Robert S. Gelbard, ehemaliger US-Botschafter in Indonesien, einst anmerkte: »Prabowo ist sicherlich jemand, den man zu den größten Menschenrechtsverletzern der Gegenwart innerhalb des [indonesischen Militärs] zählen kann. Seine Taten in den späten 1990er Jahren, bevor die Demokratie Einzug hielt, waren schockierend, selbst für indonesische Militärverhältnisse.«
Prabowo wurde 1951 in eine gut vernetzte Familie hineingeboren. Als sein Vater mit dem ersten Präsidenten Indonesiens, Sukarno, wegen dessen Wirtschaftspolitik in Konflikt geriet, ging die Familie ins politische Exil. Prabowo wuchs in Singapur, Malaysia, Thailand, der Schweiz und Großbritannien auf und erhielt dort seine schulische Ausbildung. Die Familie kehrte in den ersten Jahren der folgenden Diktatur (1966-98) zurück, kurz nach dem berüchtigten antikommunistischen Blutbad, mit dem die neue Regierungsmacht des Militärgenerals Suharto gefestigt wurde.
Prabowos Vater arbeitete als Wirtschaftsminister für Suhartos Regime. Prabowo selbst schrieb sich 1970 an der indonesischen Militärakademie ein. Er hätte seine Verbindungen nutzen können, um sich einen sicheren Schreibtischjob im Staatsapparat zu sichern, empfahl sich stattdessen aber mehrere Jahre lang für gefährliche Missionen auf dem Schlachtfeld. Als junger Offizier leitete er eine Spezialeinheit (genannt Kopassus) bei der brutalen Besetzung von Osttimor.
»Bei den Wahlen 2014 ritt Prabowo auf einem Pferd bei den Wahlveranstaltungen ein und schaltete Fernsehwerbung mit Nazi-Ästhetik.«
In einer spektakulären Operation machte Leutnant Prabowo Jagd auf Nicolau dos Reis Lobato, den ersten timoresischen Premierminister, der 1978 tatsächlich in einem Hinterhalt getötet wurde. Lobatos Überreste sind bis heute verschwunden. Einige Berichte deuten darauf hin, dass er enthauptet und sein Schädel nach Java gebracht wurde. Das weitere Schicksal der Familie Lobato steht stellvertretend für das Grauen, das dem timoresischen Volk angetan wurde: Die indonesischen Streitkräfte vergewaltigten und ermordeten Lobatos Frau und entführten den kleinen Sohn, der in Jakarta »indonesisch« erzogen wurde.
Der Kopassus werden zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen, die zum Tod von bis zu einem Drittel der timoresischen Bevölkerung zwischen 1975 und 1999 beigetragen haben. Prabowos sogenannte »Ninjas« – schwarz gekleidete irreguläre Truppen, die vor allem nachts operierten – terrorisierten die Bevölkerung. Prabowo leitete außerdem Kopassus-Aktionen gegen papuanische Unabhängigkeitskämpfer. Dabei kam unter anderem ein mit einem Roten Kreuz getarnter Kampfhubschrauber zum tödlichen Einsatz.
In den 1980er Jahren erhielt Prabowo in Fort Benning und Fort Bragg eine Ausbildung in irregulärer Kriegsführung und Aufstandsbekämpfung und wurde somit zu einem Aktivposten des US-Geheimdienstes. 1983 heiratete er die Tochter von General Suharto, womit er endgültig in die inneren Machtzirkel gelangte.
1998 kam seine Karriere jedoch zum vorzeiteigen Erliegen. Als das Suharto-Regime infolge von Massenprotesten zusammenbrach, wurde Prabowo beschuldigt, die Entführung, Folterung und Ermordung mehrerer Demokratie-Aktivisten organisiert zu haben.
Folgend auf Suhartos Rücktritt im Mai 1998 legte sich Prabowo mit den Oberoffizieren und dem neuen Präsidenten an. Im August wurde er unehrenhaft entlassen und ging für kurze Zeit ins Exil nach Jordanien. Er behauptete, man habe ihn zum Sündenbock für die Verbrechen des vorherigen Regimes gemacht. Im Jahr 1998 ließ er sich von General Suhartos Tochter scheiden (und heiratete nie wieder).
Nach der Entlassung aus dem Militär baute Prabowo die Nusantara Group auf, ein Konglomerat von 27 Unternehmen mit Beteiligungen an Öl-, Kohle- und Erdgasprojekten, Palmölplantagen, der Fischereiindustrie und in anderen Branchen. Nachdem es ihm nicht gelungen war, die Unterstützung der Golkar-Partei Suhartos zu gewinnen, gründete er seine eigene Partei Gerindra – ein Kürzel für »Partei der Bewegung Großes Indonesien«. Gerindra steht für einen rechtspopulistischen Nationalismus.
2009 erschien Prabowo erstmals auf der politischen Bühne und wurde Vizepräsidentschaftskandidat auf der Wahlliste von Megawati Sukarnoputri, der Tochter des ersten Präsidenten des Landes. Bei den nächsten beiden Wahlen kandidierte er selbst für die Präsidentschaft und verlor in der zweiten Runde gegen Joko Widodo (kurz: Jokowi). Bei den Wahlen 2014 ritt Prabowo auf einem Pferd bei den Wahlveranstaltungen ein und schaltete Fernsehwerbung mit Nazi-Ästhetik.
Bei seiner erneuten Niederlage 2014 unterstützte er eine populistisch-islamistische Protestbewegung gegen einen von Jokowis Verbündeten (und war möglicherweise an Putschplänen beteiligt). Jokowis Regierung erwog, Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den lästigen Prabowo zu erheben. Bei den Wahlen 2019 verbündete sich Prabowo erneut mit islamistischen Gruppen und befeuerte die absurden Gerüchte, Jokowi sei ein kommunistischer Geheimagent. Er weigerte sich, seine Wahlniederlage zu akzeptieren und zettelte damit Unruhen im Zentrum Jakartas an, bei denen es auch zu Todesfällen kam.
»Ganjar schloss sich der Bewegung gegen die Teilnahme Israels an der U20-Fußballweltmeisterschaft an, die in Indonesien stattfinden sollte. Eine empörte FIFA verlegte das Turnier kurzerhand nach Argentinien.«
Als sich der Rauch und das Tränengas lichteten, begann Jokowi seine zweite Amtszeit mit einer Reihe von Zugeständnissen an seinen rechten Rivalen. Jokowi, der einst als großer Reformer galt, schaffte die Anti-Korruptionsbehörde ab und machte einen Rückzieher bei den Arbeits- und Bürgerrechten, während er die Macht stärker auf das Präsidentenamt konzentrierte. In einem geradezu machiavellistischen Schachzug ernannte er niemand Geringeren als Prabowo zum Verteidigungsminister.
Vor einem Jahr, als sich abzeichnete, wer für die Wahl 2024 kandidieren würde, hätten vermutlich nur wenige Analysten auf Prabowo gesetzt. Seine gescheiterten Präsidentschaftskandidaturen in den Jahren 2014 und 2019 schienen darauf hinzudeuten, dass die politische Zeit des Siebzigjährigen bereits abgelaufen war.
In frühen Umfragen lag er im Dreierrennen mit Ganjar Pranowo und Anies Baswedan tatsächlich an letzter Stelle. Ganjar trat für die Partei von Präsident Jokowi, die PDI-P (Indonesische Demokratische Partei des Kampfes), an und konnte so auf die Unterstützung von Jokowis populärer Regierung bauen. Anies, der in seiner Kampagne zum Gouverneur von Jakarta islamische Identitätspolitik betrieben hatte, schien ebenfalls auf einer Welle der Popularität zu surfen.
Im März 2023 kam es dann zu einem überraschenden Fehltritt von Ganjar auf seiner Wahlkampftour. Auf Anweisung von PDI-P-Chefin Megawati Sukarnoputri schloss sich Ganjar der Bewegung gegen die Teilnahme Israels an der U20-Fußballweltmeisterschaft an, die in Indonesien stattfinden sollte. Eine empörte FIFA verlegte das Turnier kurzerhand nach Argentinien, was Indonesien mehrere hundert Millionen Dollar an Einnahmen kostete. Ganjars Schritt verärgerte nicht nur die Fußballfans; seine Beliebtheitswerte fielen in den Keller.
Im Sommer vergangenen Jahres lagen Prabowo und Ganjar bei den Wahlen somit plötzlich gleichauf bei etwa 35 Prozent. Somit hatten beide die für einen Sieg im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit allerdings weit verfehlt. Viele gingen davon aus, dass die Wählerinnen und Wähler, die den dritten Kandidaten Anies im ersten Wahlgang unterstützt hatten, nun im zweiten Wahlgang Ganjar ihre Stimme geben würden.
Der FIFA-Skandal hatte jedoch auch den amtierenden Präsidenten Jokowi verärgert. Angesichts seiner Zustimmung von 80 Prozent der Bevölkerung war ihm bewusst, dass er die Rolle des Königsmachers spielen konnte (er dachte des Weiteren auch darüber nach, sich entgegen der Verfassung kurzerhand selbst für eine dritte Amtszeit zu bewerben). Zwar waren Jokowi und Megawati in der gleichen Partei, pflegten aber seit langem eine angespannte und rein pragmatische Beziehung. Jokowis Abneigung gegen Ganjar und auch die PDI-P als Ganzes verschärfte sich angesichts der nationalen »Fußballblamage«.
Ebenso mochte Jokowi den Kandidaten Anies nicht, der bei seinem Aufstieg zur Macht vor allem islamische Identitätspolitik und Sinophobie eingesetzt hatte, um seinen politischen Rivalen Basuki Tjahaja Purnama – seinerseits ein Jokowi-Schützling – anzugreifen.
Im Juni vergangenen Jahres »witzelte« Jokowi, er könne sich in die Wahlen »einmischen«. Ende August war dann klar, dass Noch-Präsident Jokowi den Kandidaten Prabowo, seinen früheren Rivalen, favorisierte.
Das Wahlkampfdrama nahm im Oktober an Dramatik zu. Prabowo wollte offensichtlich von Präsident Jokowis Popularität profitieren und kündigte an, dessen ältester Sohn Gibran Rakabuming Raka werde Vizepräsidentschaftskandidat. Gibran galt als unerfahrenes »Seilschaftsbaby«: der Restaurantunternehmer hatte zwar kaum politische Erfahrung, war aber kürzlich zum Bürgermeister von Surakarta gewählt worden – das erste politische Amt, das schon sein Vater bekleidet hatte.
»Es gibt kaum Beweise für eine direkte Beeinflussung der Wahl am Wahltag selbst. Denkbar ist dennoch, dass die exzessive, wenn nicht gar illegale Sparpolitik und vorherige staatliche Einschüchterung das Klima beeinflusst haben.«
Die Gegner wiesen unter anderem darauf hin, dass Gibran erst 36 Jahre alt war, wobei das Mindestalter für das Amt des Vizepräsidenten bei 40 liegt. Die Angelegenheit ging bis zum Verfassungsgericht, wo der Oberste Richter Anwar Usman entschied, dass Gibran trotz seines Alters für das Amt des Vizepräsidenten qualifiziert sei, da er schließlich schon zum Bürgermeister gewählt worden war. Diese seltsame Logik und die Tatsache, dass der Richter überdies der Schwager von Jokowi war, sorgten für einen öffentlichen Aufschrei.
Der Ethikrat des Verfassungsgerichts enthob Richter Anwar später seines Amtes und verbot ihm, sich künftig in Wahlrechtsstreitigkeiten einzumischen. Bei seiner erstinstanzlichen Entscheidung habe es sich um einen »schweren ethischen Verstoß« gehandelt. Sein Neffe durfte aber trotzdem für das Amt kandidieren – und das Duo Prabowo-Gibran legte in den Umfragen stetig zu.
Noch Anfang Februar entschied ein anderer Ethikrat erneut gegen die Allgemeine Wahlkommission und kritisierte, dass diese Gibran die Kandidatur erlaubt hatte. Dennoch gewannen Prabowo und Gibran in der kommenden Woche die Wahl mit fast 60 Prozent der Stimmen und sorgten somit dafür, dass es keiner zweiten Wahlrunde im Juni bedurfte.
Der Wahlprozess selbst war offenbar fair. Zahlreiche internationale Beobachter zeigten sich beeindruckt von der Transparenz dieser weltweit größten eintägigen Wahl. Der amerikanische Rechtshistoriker Eric Jones, der als Wahlbeobachter tätig war, beschrieb detailliert, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es gewesen sei, nennenswerte Wahlmanipulationen vorzunehmen. Jones sagte: »Diese Low-Tech-Wahl ist ein großer Vorteil. Es ist praktisch unmöglich, sie zu manipulieren. Es gibt acht Oppositionsparteien, die buchstäblich jede Stimme überprüfen und nachzählen können. In jedem Wahlbezirk überprüfen sie die von der KPU gemeldeten Ergebnisse doppelt – und jede Unstimmigkeit lässt die Wahlbeobachter sofort aufhorchen.«
Der erfahrene Journalist Allan Nairn, ein Überlebender des Massakers von Santa Cruz in Osttimor im Jahr 1992, vertritt allerdings einen anderen Standpunkt zu den Umständen, unter denen die Wahl stattfand. Nairn verweist auf Berichte über weit verbreitete Einschüchterungen im Vorfeld der Wahl, darunter die Drohung, von der Regierung subventionierten Reis und Speiseöl zurückzuhalten. Es gab auch Berichte, dass Polizei und Militär Forschende sowie Wahlkampfaktivistinnen unter Druck gesetzt hätten, die auf das Fehlverhalten von Jokowi bei der Wahl aufmerksam gemacht hatten.
In jedem Fall gibt es kaum Beweise für eine direkte Beeinflussung der Wahl am Wahltag selbst. Denkbar ist dennoch, dass die exzessive, wenn nicht gar illegale Sparpolitik und vorherige staatliche Einschüchterung das Klima beeinflusst haben, in dem einzelne Indonesierinnen und Indonesier ihre Stimme abgaben. Prabowos unterlegene Rivalen kritisieren, derartige Vorgänge hätten die Wahl unfair gemacht. Sie fordern weitere Untersuchungen und Ermittlungen. Insgesamt scheint aber unwahrscheinlich, dass die Probleme um die Wahl herum allein ausgereicht haben, Prabowo satte 60 Prozent in der ersten Wahlrunde zu bescheren.
Denn Prabowos Sieg war vielmehr das Ergebnis eines brillanten Wahlkampfs. Zwar ist die indirekte Unterstützung durch Präsident Jokowi mit seinem Sohn als Vize-Kandidat nicht zu vernachlässigen, aber den Wahlsieg verdankt Prabowo seinem Image-Wandel vom einstigen »starken Mann« zur knuddeligen Opa-Figur auf Social Media.
Die jungen Indonesierinnen und Indonesier bekamen in den sozialen Medien ein Bild des vermeintlich »neuen« Prabowo zu sehen. Den Anfang machte ein Instagram-Post, der den ehemaligen General in einem weißen Kapuzenpulli und mit sanftem Lächeln zeigt – ganz im Gegensatz zu früheren Bildern, auf denen er streng-militärisch zu Pferde ritt. Seine Mitarbeiter veröffentlichten weitere niedliche Karikaturen dieses Ex-Generals, der der Ermordung, Folter und Massaker in Osttimor, Papua und Aceh sowie der Entführung von Demokratieaktivisten, der Organisation tödlicher Unruhen und der Planung von Staatsstreichen in Jakarta beschuldigt wird.
»Prabowo hat davon gesprochen, zu einem früheren, autoritäreren Entwurf der indonesischen Verfassung zurückzukehren. Er hat in der Vergangenheit auch offen darüber nachgedacht, ›wie ein Faschist‹ zu regieren.«
Das Image-Makeover mag banal erscheinen, hat aber die Wählerschaft unter vierzig Jahren angesprochen, die 56,6 Prozent der gesamten Wählerschaft ausmacht – insgesamt weit über hundert Millionen Menschen. Diese entscheidende Bevölkerungsgruppe hat keine Erinnerungen an die frühere Diktatur von General Suharto. Die Jungen erinnern sich auch nicht an den jähzornigen General Prabowo mit seiner derart problematischen Menschenrechtsbilanz, dass die USA ihm jahrzehntelang die Einreise verweigerten. Und nur wenige haben der Tatsache Beachtung geschenkt, dass Prabowo der einzige Kandidat war, der einen Fragebogen von Human Rights Watch nicht ausfüllte.
Indonesien ist eine der Gesellschaften mit der höchsten Nutzung sozialer Medien weltweit. Prabowos Cartoon-Opa-Wahlkampfstrategie und die gemeinsamen Auftritte mit seinem jungen Vize-Kandidaten, bei denen er zu vermeintlich flott-jugendlicher Musik alberne Altmänner-Tänze aufführte, gewannen die Herzen und Köpfe der indonesischen Jugend.
Sicherlich war es auch hilfreich, dass sich der Wahlkampf auf Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung konzentrierte. Während die nationalen Debatten eher fad verliefen und alle Kandidaten sich einig waren, dass die Wirtschaft weiter wachsen sollte, konnte sich Prabowo als Erbe von Jokowis erfolgreicher Bilanz aufspielen.
Zudem distanzierte sich Prabowo von seinen früheren islamistischen Verbündeten. Er hatte offensichtlich begriffen, dass islamische Identitätspolitik nicht der Weg zu nationalem Wahlerfolg in Indonesien ist – und überließ sie dementsprechend dem Konkurrenten Anies.
Was bringt die Regierung Prabowo? Zunächst: Eine radikale autoritäre Wende, vergleichbar mit der Machtübernahme durch Suharto im Jahr 1966, ist unwahrscheinlich. Allerdings wurde die Macht in den vergangenen Jahren der Amtszeit von Jokowi zunehmend in den Händen des Präsidenten zentralisiert.
Dieser Prozess wird sich wahrscheinlich noch beschleunigen. Menschenrechtsaktivistinnen, Gewerkschafter und Umweltschützerinnen dürften dann am meisten gefährdet sein, ebenso wie die Bevölkerung des von Indonesien besetzten Westpapua. Angesichts der Rhetorik Prabowos und seiner engen Verbindungen zur Bergbau- und Plantagenindustrie ist auch mit weiteren Schäden an den gefährdeten Ökosystemen Indonesiens zu rechnen.
Komplett unsicher ist indes, wie sich Ex-Präsident Jokowis Schachzug auswirken wird: Wird es ihm gelingen, eine politische Dynastie zu errichten, indem er seinen erstgeborenen Sohn dem Ex-Rivalen als Vize »schenkt«? Oder wird der einstige starke Mann auf dem Pferd die Maske des netten Großvaters ablegen, seine Kontrolle eisern behaupten und den jungen Gibran an den Rand drängen?
Diesbezüglich muss daran erinnert werden, dass Prabowo davon gesprochen hat, zu einem früheren, autoritäreren Entwurf der indonesischen Verfassung zurückzukehren. Er hat in der Vergangenheit auch offen darüber nachgedacht, »wie ein Faschist« zu regieren. Selbst wenn er diese Ideen kurzfristig nicht in die Tat umsetzt, könnte die indonesische Demokratie im Laufe seiner Regentschaft daher durchaus gefährdet sein.
In Jacobin hat Max Lane Indonesien als ein Land ohne Linke bezeichnet. Das ist leider auch heute noch der Fall. In Ermangelung einer progressiven Opposition könnten die von der Niederlage Anies frustrierten islamistischen Gruppen die größte Konkurrenz für die Prabowo-Regierung darstellen.
Michael G. Vann ist Professor für Geschichte an der Sacramento State University und Co-Autor des Buches The Great Hanoi Rat Hunt: Empire, Disease, and Modernity in French Colonial Vietnam.