29. Januar 2024
Der Internationale Gerichtshof hat entschieden, dass das israelische Vorgehen in Gaza eine rechtliche Überprüfung verlangt. Das fordert auch die Haltung der Bundesregierung heraus, die im Falle Israels am liebsten gar kein Verfahren gehabt hätte.
Die Richterbank des Internationalen Gerichtshofs im Verfahren gegen Israel, in der Mitte IGH-Präsidentin Joan E. Donoghue.
Nach über hundert Tagen des Konflikts, 26.000 Toten im Gazastreifen und der fast vollständigen Verwüstung großer Teile des Gebiets, hat der Internationale Gerichtshof (IGH) entschieden, dass das israelische Vorgehen in Gaza eine rechtliche Überprüfung verlangt. Am 29. Dezember 2023 hatte Südafrika am IGH in Den Haag einen Antrag wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen die Völkermord-Konvention durch Israel eingereicht. Südafrika beantragte dabei auch die Anordnung vorsorglicher Maßnahmen, um die Bevölkerung in Gaza zu schützen. Am 11. Januar legte Südafrika seinen Antrag in Form einer Anklage dar, am Tag darauf äußerte sich Israel und bestritt die Vorwürfe.
Am 26. Januar entschied das Gericht, die südafrikanische Klage zu akzeptieren und vorsorgliche Maßnahmen zu erlassen. So wurde die israelische Regierung aufgefordert, einen Genozid zu verhindern und humanitäre Hilfe zuzulassen. Der IGH betonte außerdem, dass es sich »des Ausmaßes der menschlichen Tragödie in der Region« bewusst sei, verurteilte ausdrücklich die Massaker vom 7. Oktober und forderte die sofortige Freilassung der israelischen Geiseln.
Der Antrag Südafrikas wurde vom deutschen Vizekanzler Robert Habeck bereits am 11. Januar abgelehnt – mit der Aussage, was im Gazastreifen geschehe, sei zwar eine »fürchterliche Auseinandersetzung«, aber Völkermord sei »etwas anderes«. Die Entscheidung des IGH stellt nun die Haltung der Bundesregierung vor Herausforderungen. Über die Implikationen der Entscheidung sowohl für den weiteren Verlauf des Krieges als auch die außenpolitische Positionierung der Bundesrepublik sprach Völkerrechtsexperte Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights mit Mario Neumann von medico international.
Südafrika hat einen Antrag gegen Israel wegen Verstoßes gegen die Völkermord-Konvention beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht. Jetzt hat der Gerichtshof den Antrag akzeptiert, seine Zuständigkeit erklärt und außerdem eine Reihe von Maßnahmen erlassen. Wie bewertest Du das Geschehen in Den Haag?
Der Gerichtshof hat angeordnet, dass Israel alles in seiner Macht Stehende tun muss, um sicherzustellen, dass es in Gaza keine Handlungen begeht, die von der Völkermord-Konvention geächtet werden. Ich werte das als eine klare Kritik an der offenkundig exzessiven Gewalt der israelischen Armee. Darüber hinaus hat das Gericht Israel verpflichtet, seine militärischen Operationen in Hinblick auf die Verletzung von Rechten aus der Genozid-Konvention zu überprüfen und einen monatlichen Bericht, man kann es auch einen Rapport nennen, an den Gerichtshof zu schicken. Auch das ist nicht selbstverständlich und zeigt, in welch hohem Maße beunruhigt das Gericht ist; etwa über die vorliegenden Berichte der UN-Hilfswerke aus Gaza, die ja auch umfänglich zitiert wurden.
Richtig ist, dass das Gericht, anders als im Fall des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, keinen sofortigen Waffenstillstand verlangt hat. Damals hat Den Haag Russland ultimativ dazu aufgefordert – was in Moskau natürlich ignoriert wurde. Dennoch kann man die Entscheidung auch so interpretieren: Wenn Israel alle rechtlich bindenden Entscheidungen des Gerichts bezüglich der humanitären Versorgung und des Schutzes der Zivilbevölkerung respektieren will, muss es seine Kampfhandlungen deutlich und massiv einschränken und eine Waffenruhe erklären.
Wichtig ist zu verstehen, dass in der Hauptsache des möglichen Verstoßes gegen die Völkermord-Konvention zwar nichts entschieden wurde, der südafrikanische Antrag allerdings angenommen wurde. Das ist, im besonderen Falle Israels, alles andere als selbstverständlich.
Was sind mögliche Konsequenzen des Urteils?
Die Anordnung der vorläufigen Maßnahmen ist für die Parteien – hier: Israel als Adressat der Anordnung – rechtlich bindend. Allerdings nur für Israel, nicht für die Hamas. Nicht etwa, weil die Hamas dem Gericht egal wäre (die Vorsitzende Richterin hat in ihrer Verlesung die Massaker vom 7. Oktober eindeutig verurteilt), sondern weil die Adressaten solcher Beschlüsse nur Verfahrensbeteiligte sein können, also die Parteien des jeweiligen Rechtsstreits, die auch an das spätere Urteil gebunden sind. Der Gerichtshof kann keine Maßnahmen gegen Dritte erlassen.
Allerdings gibt es beim möglichen Tatbestand des Völkermords eine Besonderheit: Alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, zur Verhinderung eines Völkermords jegliche Handlungen zu unterlassen, die einen solchen begünstigen oder unterstützen könnten. Das betrifft nicht nur direkte Kampfhandlungen, sondern auch Waffenlieferungen und andere Unterstützungsmaßnahmen.
»Der Internationale Gerichtshof hat den Vortrag Südafrikas für plausibel gehalten. Das heißt noch nicht, dass ein Völkermord begangen wurde, aber dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass es dazu kommen wird.«
Mehr als wünschenswert wäre es, wenn jetzt auch die Bundesregierung sich die Auflagen des Gerichtshofs zu eigen machen würde. Das betrifft nicht nur ihre Wortwahl, also wie sie über den Konflikt spricht, sondern es würde auch bedeuten, dass sie klare Aufforderungen an die israelische Regierung formuliert; zum einen die exzessive Gewalt einzustellen, aber auch endlich im angemessenen Maße der humanitären Schutzverpflichtung nachzukommen.
Wie funktioniert so ein Antrag überhaupt? Wie kam es zu dem Verfahren in Den Haag?
Die Ausgangslage ist die Völkermord-Konvention von 1948, beschlossen von der UN-Generalversammlung. Jede derartige Konvention hat einen Streitbeilegungsmechanismus. Wenn es Streitigkeiten über eine Konvention gibt, dann kann eine Vertragspartei eine Schlichtungsstelle oder ein Gericht anrufen. In diesem Fall ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag zuständig, der ein UN-Organ ist. All jene Staaten, die die Völkermord-Konvention unterzeichnet haben, haben damit grundsätzlich auch den Internationalen Gerichtshof als das Organ, das über etwaige Streitigkeiten entscheidet, anerkannt.
Der Internationale Gerichtshof sollte übrigens nicht verwechselt werden mit dem ebenfalls in Den Haag ansässigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der auf Grundlage des Römischen Statuts Völkerstrafrechtsangelegenheiten verhandelt und keine UN-Institution ist. Vor letzterem müssen sich Personen verantworten, vor ersterem – wie im jetzigen Fall Südafrika gegen Israel – Staaten.
Und wieso tritt in diesem Fall Südafrika vor dem Gerichtshof auf, das doch gar nicht direkt betroffen ist?
Südafrika ist natürlich nicht direkt von einem möglichen Verstoß gegen die Völkermord-Konvention betroffen, aber es gibt nicht nur den Vorwurf des Völkermords an sich, sondern den dann damit einhergehenden Verstoß gegen die internationale Konvention. Alle Vertragsstaaten sind »Hüter« der Konvention und können aus Interesse an Rechtsstaatlichkeit oder Rechtssicherheit solch ein Gremium anrufen, wenn sie Anhaltspunkte dafür sehen, dass ein anderer Staat dagegen verstößt.
Die Entscheidung des Gerichtshofs schließt einen Prozess in Den Haag nicht ab, sondern ist eine Eilentscheidung. Das ordentliche Verfahren folgt noch.
Ja, es gibt neben dem ordentlichen Verfahren noch die Möglichkeit eines Eilverfahrens, denn der Gerichtshof braucht in der Regel zwei, drei Jahre, um in solchen Fragen zu entscheiden. Aber wenn in der Zwischenzeit schon etwas zu passieren droht, wenn weiterhin Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, hat der Gerichtshof die Möglichkeit, auf Grundlage einer plausiblen Begründung der antragstellenden Partei vorläufige Maßnahmen anzuordnen. Damit soll verhindert werden, dass Rechtsverstöße fortgesetzt begangen werden, bevor endgültig entschieden werden kann. Das ist das, was in Den Haag jetzt passiert ist.
Was ist denn, zumindest auf dem Papier, die Kompetenz des Internationalen Gerichtshofs?
Der IGH hat auf dem Papier eine erhebliche Kompetenz. Das kann man sich am Beispiel Russlands anschauen und was dazu in Den Haag entschieden wurde. Da geschah ähnliches, wie Südafrika auch beantragt hatte: Anordnungen des Stopps aller militärischer Operationen. Das sind Maßnahmen, die der Gerichtshof anordnen kann. Die Frage ist dann die nach der Durchsetzung. Diese kann nur zurückgehen in den UN-Sicherheitsrat. Auch sind alle anderen Staaten aufgefordert, nichts zu unternehmen, was den vorläufigen Maßnahmen zuwiderlaufen würde. Das könnte zum Beispiel Waffenlieferungen betreffen, sofern solche im Konflikt genutzt werden könnten.
Nicht nur in Den Haag stehen eine ganze Menge Dinge im Raum zu dem, was am 7. Oktober und danach passiert ist. Der ganze Nahostkonflikt ist seit langem Gegenstand völkerrechtlicher Auseinandersetzungen. Wie stellt sich diese komplexe Situation für Dich im juristischen Sinne dar?
Einmal gibt es die Kriegsführung, ihre Art und Weise und die Mittel der Kriegsführung, auf beiden Seiten. Nicht nur jetzt, sondern auch die Jahre zuvor, die man nach humanitärem Völkerrecht bewerten muss sowie nach Völkerstrafrecht, wo die Dinge ungleich schwerer zu beweisen sind, bevor es zu einem Strafurteil kommt. Ein großes Problem sind die unterschiedslosen Angriffe palästinensischer Gruppen auf Zivilistinnen und Zivilisten in Israel, aber auch die Strategie der israelischen Streitkräfte, in der der rechtliche Rahmen überschritten wird bei der Bestimmung dessen, was ein militärisches Ziel ist, wie es bekämpft wird und welche Vorsichtsmaßnahmen vor einem Angriff getroffen werden.
Dazu zählt auch, wie man das Verhältnis zwischen potenziellen zivilen Schäden und militärischen Vorteilen gewichtet. Dies waren auch schon in anderen Konflikten sehr umstrittene Fragen, die leider nur sehr selten gerichtlich geklärt werden konnten. Ich denke hier an den andauernden Drohnenkrieg der USA und die Zerstörung anderer Städte in jüngster Vergangenheit.
Wie würdest Du den Vorwurf des Völkermords einordnen?
Der Internationale Gerichtshof hat den Vortrag Südafrikas für plausibel gehalten. Das heißt noch nicht, dass ein Völkermord begangen wurde, aber dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass es dazu kommen wird. Es gibt völkerrechtlich die Pflicht, einen möglichen Völkermord zu verhindern. Dass ein Völkermord droht, löst bereits völkerrechtliche Verpflichtungen für Staaten aus.
Zudem ist der Aufruf zum Völkermord ein eigenständiger Straftatbestand. Diesen durchzusetzen, hat der IGH gegenüber Israel angeordnet. Es gibt also eine Reihe von rechtlich starken Verpflichtungen und Sanktionen, um zu verhindern, dass es überhaupt erst zur Begehung und Vollendung eines Völkermords kommt.
Jenseits des aktuellen Krieges in Gaza werden aber auch andere Vorwürfe erhoben. Wird dazu auch ermittelt oder verhandelt?
Es gibt zum einen den Auftrag der UN-Generalversammlung an den Internationalen Gerichtshof, ein Gutachten zu rechtlichen Konsequenzen aus der Politik und den Praktiken Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalems, zu erstellen. Dazu soll es Ende Februar eine Anhörung geben und damit wird der Blick auch wieder auf die Besatzungspolitik Israels inklusive der Westbank geleitet, die zuletzt stärker in den Hintergrund getreten ist.
Es finden aber auch strafrechtliche Ermittlungen statt, etwa seit 2021 vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu möglichen Völkerstraftaten, die vor dem 7. Oktober von beiden Seiten begangen wurden. Zeugen werden interviewt und Beweismittel gesammelt und wir erhoffen uns, dass bald Haftbefehle ausgestellt werden. Ebenso können Drittstaaten strafrechtliche Ermittlungen führen und Beweismittel sammeln und so den Internationalen Strafgerichtshof praktisch unterstützen; nicht nur durch Anträge an den Internationalen Gerichtshof oder eine Überweisung an den IStGH.
»Die Bundesregierung hat sich nicht einmal positiv dazu geäußert, dass dieses Verfahren überhaupt stattfindet. So handelt man nicht, wenn man glaubwürdig für eine starke Völkerrechts- und internationale Ordnung eintreten will.«
Unsere palästinensische Partnerorganisation, das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR), hat im letzten Jahr eine Strafanzeige in Argentinien gestellt. In Deutschland unterstützen wir vom ECCHR ein Ermittlungsverfahren zum Tod der deutsch-palästinensischen Familie Abujadallah am 25. Oktober in Gaza, so wie früher auch schon in einem ähnlichen Fall der Familie Kilani, die 2014 bei einem Luftangriff getötet wurde. Die Bundesanwaltschaft hat allerdings die für Völkerstraftaten zuständigen Referate bislang nicht ermitteln lassen, weder zur Hamas, noch zu israelischen Streitkräften. Das wird der Situation in keiner Weise gerecht.
Dem Gerichtshof und allgemein den UN werden Doppelstandards vorgeworfen. Welche Bedeutung hat das Urteil des IGH, aber auch das Verfahren am IStGH für die Glaubwürdigkeit des Völkerrechts?
Der 26. Januar war ganz sicher kein Rückschritt, auch wenn sich viele Beobachter und Beobachterinnen, besonders aus den arabischen Ländern des Nahen Ostens, eine klare Aufforderung an Israel für eine Waffenruhe erhofft hatten. In Bezug auf strafrechtliche Ermittlungen des IStGH haben wir als ECCHR schon letztes Jahr gesagt, als es den Haftbefehl gegen Putin gab, dass der nächste Test für die Glaubwürdigkeit internationalen Rechts in Israel und Palästina sein werde. Immerhin gibt es hier seit 2021 Ermittlungen des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs. Dass der IStGH trotz seiner Zuständigkeit zu den Vorwürfen gegen die USA in Afghanistan sowie die britische Armee im Irak nicht weiter ermittelt, sehen wir schon als einen doppelten Standard im Vergleich zu den Anklagen, die es gegenüber afrikanischen Staatsangehörigen gab.
Es gibt daher auch eine Chance für den IStGH, nun seine Legitimität zu stärken, die er in vielen Teilen der Welt verloren hat. Die Frage ist aber, wer den IStGH unterstützt. Im Falle der Ukraine gab es 43 Staaten, die die Situation offiziell dem Gerichtshof unterbreitet haben. Es gab zudem eine relativ große finanzielle Unterstützung und Abordnungen von Personal. Es ist gut und wichtig zu sehen, dass dies nun auch, wenn auch auf deutlich geringerer Ebene zu Israel und Palästina beginnt. Hier sind die Staaten weiterhin gefordert, sich stärker einzubringen.
Die Bundesregierung hat den Antrag von Südafrika bereits nach den Anhörungen kategorisch zurückgewiesen und erklärt, in einer Hauptverhandlung als Drittpartei für Israel sprechen zu wollen. Wie bewertest Du die Haltung der Bundesregierung?
Die Bundesregierung hat Verfahren vom Internationalen Gerichtshof unterstützt, so zum Beispiel Gambia gegen Myanmar oder auch Ukraine gegen Russland. Sie haben auch die Ukraine-Ermittlungen beim Internationalen Strafgerichtshof unterstützt, auch finanziell, vor allem aber mit viel politischem Support.
Das sind zwei Dinge, die wir in Bezug auf Israel und Palästina nicht sehen. Es wurde sich nicht einmal positiv dazu geäußert, dass dieses Verfahren überhaupt stattfindet. So handelt man nicht, wenn man glaubwürdig für eine starke Völkerrechts- und internationale Ordnung eintreten will. Außenpolitisch müsste man zumindest sagen: »Es ist gut, dass die Institutionen, die es gibt, auch angerufen werden; auch wenn nicht von uns, sondern von Südafrika. Wir unterstützen, dass dieses Völkerrechtssystem genutzt wird, denn wir trauen ihm ein Urteil zu, das wir nicht vorwegnehmen müssen.«
Deutschland hat seine Solidarität mit Israel stets historisch begründet.
Richtigerweise betont die Bundesregierung, dass Deutschland aus historischer Verantwortung ein einzigartiges Verhältnis zu Israel hat. Aber deshalb braucht man das Völkerrecht nicht kleinmachen oder andere davon abhalten, es einzufordern.
Deutschland hat schon beim IStGH eine unrühmliche Rolle gespielt, als es gegen die Aufnahme von Ermittlungen in der palästinensisch-israelischen Situation argumentierte und die Entscheidung des Gerichts in anschließenden Stellungnahmen immer noch nicht anerkennen wollte. Dabei entsteht ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem, wenn man gleichzeitig international auftritt im Namen wertebasierter Außenpolitik und sich das bei Ukraine, Russland und Syrien auf die Fahnen schreibt. Da ist in der Vergangenheit schon einiges an Schaden entstanden, der auch von der jetzigen Bundesregierung nicht korrigiert worden ist.
Formal ist es übrigens nicht möglich, »auf Seiten Israels« dem Verfahren in Den Haag »beizutreten«. Das ist juristischer Unsinn. Staaten können an einem Verfahren nur rechtlich teilhaben – ob neutral oder zur rechtlichen Unterstützung des Gerichts. Deutschland will hier das Verfahren zusätzlich politisieren, was den Gerichtshof unterminiert und ebenso das Völkerrecht. Das sollte allen bewusst sein.
Hat die Entscheidung in Den Haag auch eine innenpolitische Komponente?
Der Internationale Gerichtshof ist bekanntlich ein Hauptorgan der Vereinten Nationen, seine unabhängige Rechtsprechung ist weltweit anerkannt. Da dieses Gericht nun entschieden hat, die Vorwürfe gegen Israel, dass in Gaza womöglich die Völkermord-Konvention verletzt würde, seien so gewichtig, dass sie eine rechtliche Überprüfung verlangen, dann sollte auch die innenpolitische Debatte in Deutschland sachlicher geführt werden.
Dieses Interview erschien zuerst im Blog von medico international.
Andreas Schüller leitet den Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung im European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Er ist europaweit in nationalen Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip tätig, ebenso vor dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.