10. März 2025
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung hat Trumps Vertreibungspläne für Gaza befürwortet. Doch die Empörung darüber greift zu kurz. Denn seine Worte stehen für eine Logik, die Deutschland seit Längerem verfolgt: bedingungslose Unterstützung für Israels Krieg gegen Gaza.
Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, bei einer Bundespressekonferenz, 10. September 2024.
Im Frühjahr 2020 wurde Felix Klein, seit 2018 Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, schlagartig einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Anlass war die Einladung des kamerunischen Historikers Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale. Mbembe hatte in seinen Arbeiten den Holocaust mit dem Kolonialismus verglichen – und Israels Politik gegenüber den Palästinensern mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime. Klein war einer seiner schärfsten Kritiker. Das Werk Mmbembes, so Klein, weise »alle Merkmale des israelbezogenen Antisemitismus« auf.
Landesweit stritten Medien, Politik und Kulturinstitutionen über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Die Debatte folgte einem Muster, das seither immer wieder aufflammt. Die Leitfragen lauten: Wo endet Vergleich, wo beginnt Gleichsetzung – und damit verbunden eine angebliche Relativierung – historischer Verbrechen? Wo liegt die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israels Politik und Antisemitismus?
Seit dem 7. Oktober 2023 sind diese Fragen alltäglich geworden. Angesichts von wachsendem Antisemitismus ist zweifellos Vorsicht geboten. Doch die Debatte wirkt – zumal aufgrund ihrer politischen Vereinnahmung für Attacken auf linke Kulturschaffende – zunehmend schrill und schwer vermittelbar. Klein gilt hier als Hardliner: In Interviews betonte er etwa, der Apartheid-Vorwurf gegenüber Israel sei antisemitisch – obwohl unter renommierten Menschenrechts-NGOs seit Jahren weitgehend Konsens darüber besteht, dass Israel in den besetzten Gebieten ein Apartheid-Regime aufrechterhält.
Kleins jüngste Äußerungen gehen über bisher Gesagtes hinaus. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung erklärte der Regierungsbeauftragte, er stehe Trumps vor wenigen Wochen angekündigten Plänen für Gaza grundsätzlich positiv gegenüber. »Es lohnt sich, genauer hinzuschauen«, so Klein. Die Medien hätten Trumps Vorschläge übertrieben dargestellt – schließlich habe er nicht wörtlich von Vertreibung, sondern lediglich von Umsiedlung gesprochen. Und weiter: »Ich halte es nicht für verkehrt, radikal und einmal völlig neu zu denken.«
Klein bezog sich dabei auf Trumps Vorschlag, die in Gaza lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser zwangsweise umzusiedeln – eine Praxis, die auch als ethnische Säuberung bekannt ist. Zudem solle das Gebiet in eine »Riviera des Nahen Ostens« unter US-amerikanischer Kontrolle verwandelt werden. Dass die Vertreibung einer Zivilbevölkerung nach geltendem Völkerrecht ein Kriegsverbrechen darstellt – und oft Bedingungen für Völkermord schafft –, erwähnte Klein nicht. Dabei ist er selbst Jurist mit Spezialisierung auf Völkerrecht.
»Die vergangenen 17 Monate waren eine Abfolge politisch absehbarer Entscheidungen, die in ihrer Summe genau das befördert haben, was Klein in seinem Interview überspitzt formuliert hat.«
Ein Video, das noch vor der Veröffentlichung des Interviews kursierte – Trump selbst hatte es auf Truth Social gepostet – verlieh der US-Forderung die für Trump charakteristische Portion Geschmacklosigkeit. Die Szene: Eine Familie steigt aus den Trümmern des von israelischen Bomben zerstörten Gazastreifens und betritt einen futuristischen Badeort mit Wolkenkratzern. Am Pool liegt Trump auf einer Sonnenliege, Cocktails schlürfend, neben ihm ein oberkörperfreier Benjamin Netanjahu. Im Hintergrund sitzt Elon Musk und tunkt Pita in Hummus.
Die Reaktionen auf Kleins Aussagen ließen nicht lange auf sich warten. Yehuda Shaul, Vorsitzender des israelischen Thinktanks OFEK und Mitbegründer von Breaking the Silence, nannte sie eine »Unterstützung kahanistischer Politik der Massenumsiedlung«. Der Kahanismus ist eine neofaschistische Ideologie, die unter anderem von Netanjahus Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir vertreten wird und darauf abzielt, die arabische Bevölkerung vollständig aus Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zu vertreiben. Shaul bezeichnete Kleins Befürwortung von Trumps Plan – mit Blick auf Kleins Amt – als »Schande für alle Opfer von Antisemitismus«.
Bei der Bundespressekonferenz letzte Woche bemühten sich die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesinnenministeriums sichtlich, eine klare Stellungnahme zu Kleins Aussagen zu vermeiden. Offiziell hieß es, er habe seine Äußerungen zu Trumps Plänen in persönlicher Kapazität getätigt. Schwer nachvollziehbar – schließlich war Klein im Interview explizit als Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung vorgestellt worden. Als die nd-Journalistin Pauline Jäckels fragte, ob die Regierung ebenso zurückhaltend reagiert hätte, wenn Klein, anstatt der palästinensischen, die Zwangsumsiedlung der israelischen Bevölkerung befürwortet hätte, blieb eine Antwort aus. »Die Äußerungen stellen die außenpolitische Haltung der Bundesregierung nicht dar«, stellte ein Sprecher des Auswärtigen Amts schließlich klar. Regierungssprecher Steffen Hebestreit ergänzte, Klein habe »nicht für die Bundesregierung gesprochen«.
Diese Distanzierung der Regierung mag auf den ersten Blick beruhigend wirken – sie setzt eine für den Kontext Israel-Palästina eher ungewohnte Grenze, was die politische Vereinnahmung des Kampfes gegen Antisemitismus für menschenfeindliche Kriegsrhetorik angeht. Gleichzeitig wirkt sie aber auch etwas halbherzig, wenn nicht gar widersprüchlich.
Denn inhaltlich betrachtet enthielt Kleins Kommentar zu Trump ja keine grundlegend neue Erkenntnis. Mehr noch: Klein spricht gewissermaßen lediglich offen aus, was die Bundesregierung seit dem 7. Oktober 2023 mit ihrer nahezu bedingungslosen Unterstützung der israelischen Militärkampagne in Gaza aktiv mitträgt: eine Politik, die den systematischen Angriff auf die palästinensische Zivilbevölkerung nicht nur toleriert, sondern auch diplomatisch, militärisch und juristisch absichert. Eine Politik, die Staatsräson über Menschenrechte stellt – und diesen Grundsatz gegen erhebliche Widerstände innen- wie außenpolitisch durchsetzt.
Die Bundesregierung hielt sich noch im vergangenen Oktober – unter der US-Präsidentschaft von Joe Biden – mit Kritik am sogenannten »Generalsplan« Israels in Gaza zurück. Die damit verbundene Zwangsvertreibung der palästinensischen Bevölkerung nördlich des Netzarim-Korridors ließ sie damals weitgehend unkommentiert. Dass sie sich nun von Trumps Plänen beziehungsweise der Unterstützung eines Innenministeriumsbeauftragten dafür distanziert, deutet weniger auf eine neu entdeckte Sorge um das Wohl der Palästinenserinnen und Palästinenser hin als auf den Versuch, kommunikativen Schaden zu begrenzen.
»Klein nun für seine Aussagen zu rügen, indem man sein Interview als ›persönliche Meinung‹ abtut, ermöglicht der Bundesregierung, eine rote Linie zu ziehen, die de facto jedoch längst überschritten wurde.«
Die vergangenen 17 Monate waren eine Abfolge politisch absehbarer Entscheidungen, die in ihrer Summe genau das befördert haben, was Klein in seinem Interview überspitzt formuliert hat. Dazu zählen Waffen- und Rüstungslieferungen an Israel – in vollem Bewusstsein, dass sie mutmaßlich für schwere Kriegsverbrechen eingesetzt werden. Aber auch die wiederholte Enthaltung Deutschlands bei UN-Resolutionen für einen sofortigen Waffenstillstand. Oder die Attacken seitens hoher Regierungsangehöriger auf Personen wie die jüngsten Oscar-Gewinner Basel Adra und Yuval Abraham, die Israels Vorgehen in Gaza kritisieren, sowie die gezielte Definanzierung palästinensischer und israelischer Menschenrechtsorganisationen.
Und zuletzt auch Passivität und Desinteresse gegenüber zahllosen Berichten und juristischen Einschätzungen, die nahelegen, dass Israel in Gaza eine Politik der ethnischen Säuberung verfolgt – und so Bedingungen schafft, die allen Anzeichen nach auf Völkermord hinauslaufen. Die systematische Zerstörung der Infrastruktur, der Abwurf schwerster Bomben auf sogenannte »sichere Zonen«, die bewusste Inkaufnahme der Tötung Hunderter Zivilistinnen und Zivilisten, die Zerstörung von Krankenhäusern, die gezielte Verhinderung humanitärer Hilfe – all das ist umfassend dokumentiert. Und es geschieht, ohne dass sich an der politischen Haltung der Bundesregierung substanziell etwas verändert hätte.
Man erinnere sich an Annalena Baerbocks Rede vor dem Bundestag im Oktober 2024, ein Jahr nach Beginn der israelischen Offensive in Gaza. Sie hielt sie kurz nachdem bekannt wurde, dass der zwanzigjährige Palästinenser Shaaban al-Dalou bei einem israelischen Angriff auf den Innenhof eines Krankenhauses in Gaza lebendig verbrannte. Baerbock erklärte: »Wenn Hamas-Terroristen sich hinter Menschen, hinter Schulen verschanzen, können auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren; weil Terroristen diesen missbrauchen.« Eine Argumentation, die nicht nur schablonenhaft, sondern in letzter Konsequenz auch gefährlich ist. Sie zeigt, wie weit sich die deutsche Debatte von völkerrechtlichen Grundsätzen entfernt hat. Und wie bereitwillig sich politische Verantwortungsträger teilweise auf eine Rhetorik einlassen, die Kriegsverbrechen verschleiert.
Klein nun für seine Aussagen zu rügen, indem man sein Interview als »persönliche Meinung« abtut, ermöglicht der Bundesregierung, eine rote Linie zu ziehen, die de facto jedoch längst überschritten wurde. Dazu kommt: Es ist eine Distanzierung ohne Konsequenz. Eine wirkliche Trennlinie zu den Ideen, die Klein mit seinem Zuspruch für Trumps Gaza-Plan transportiert, müsste sich in politischem Handeln manifestieren – sprich, in einer Neubewertung der deutschen Unterstützung für Israels Krieg, in einem klaren Bruch mit einer Außenpolitik, die das Völkerrecht selektiv auslegt. Dass eine solche Neubewertung bislang ausbleibt, ist der eigentliche Skandal. Kleins Aussagen aus seinem jüngsten Interview sind nur ein besonders offensichtliches Symptom.
Hanno Hauenstein ist freier Journalist. Seine Beiträge sind unter anderem beim Guardian, the Intercept, Zeit Online, Haaretz und der taz erschienen. Er war mehrere Jahre Redakteur und Ressortleiter im Kulturressort der Berliner Zeitung.