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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

26. Juni 2025

Israel setzt auf eine High-Tech-Propaganda­­maschine

Je mehr die Stimmung gegenüber Israel im Westen kippt, umso stärker fährt das Land seine PR-Maschine hoch. Mittels Social-Media-Werbespots und künstlicher Intelligenz erreicht sie aktuell ein neues Level.

Die israelische Führung betrachtet Social Media als eine weitere Front in ihrem Krieg.

Die israelische Führung betrachtet Social Media als eine weitere Front in ihrem Krieg.

IMAGO / NurPhoto

»Israel ermöglicht derzeit humanitäre Hilfe in REKORDHÖHE für Gaza«, tönt die monotone KI-Stimme aus einem YouTube-Ad des israelischen Außenministeriums. Das in mehreren Sprachen veröffentlichte Video verkündet außerdem, unterlegt mit Bildern vermeintlich palästinensischer Kinder: »Ein Lächeln lügt nicht.«

Die israelische Propagandamaschine hingegen schon. Denn die Spots erschienen verdächtig kurz nach den unerwartet kritischen Statements der französischen, britischen und kanadischen Regierungen, in denen die Blockade von Hilfsgütern verurteilt wurde – eine Blockade, wegen der mittlerweile laut UNICEF bis zu 600.000 Menschen in Gaza, darunter größtenteils Kinder, vom Hungertod bedroht sind. Eine Blockade, die sich auch – oder gerade – gegen solche humanitäre Hilfe wendet, die eher symbolischer und medienwirksamer Natur ist.

Dass das israelische Außenministerium mit Social-Media-Werbespots aktiv und global Desinformation verbreitet, und Plattformen wie YouTube und X dabei gerne beide Augen zudrücken, ist lange bekannt. Allerdings ist die Langlebigkeit und Entwicklung dieser Praxis durchaus bemerkenswert. Denn der Daten- und KI-getriebene imperiale Krieg spitzt sich deutlich zu und offenbart dabei die Mittäterschaft der Silicon Valley Tech Konzerne und deren tiefsitzenden wirtschaftlichen und ideologischen Verstrickungen mit der Start-Up-Nation Israel.

Das Narrativ wackelt

Innerhalb eines Jahres nach Beginn der Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza hat das israelische Außenministerium mindestens 15 Millionen US-Dollar allein für Werbung auf Social Media ausgegeben. Bis heute dürfte dieser Wert sich vervielfacht haben. Das neue Budget des Außenministeriums sieht zusätzliche 145 Millionen US-Dollar für »public diplomacy« vor, also für das Beeinflussen der öffentlichen Meinung im Ausland. Nach Angaben des israelischen Außenministers Gideon Sa'ar sollen diese zusätzlichen Mittel für das flächendeckende Monitoring von ausländischen Medien und Social Media eingesetzt werden.

Das allein zeigt die obsessive Entschlossenheit der israelischen Regierung, die öffentliche Meinung, besonders in Westeuropa und den USA, auf alle erdenkliche Arten zu antizipieren und zu beeinflussen und Rechtfertigungen für die Besatzung auf der einen und den Genozid auf der anderen Seite zu verbreiten. Ohne die Unterstützung der transatlantischen Bündnisstaaten wie Deutschland, England und den USA wäre der Traum eines »Greater Israel«, den viele Rechte in Israels aktueller Regierung inzwischen als greifbar empfinden, längst geplatzt.

Mit der zunehmenden Radikalität militärischer Methoden und dem steigenden Druck auf die Regierung wächst auch ihre Angst vor einem Ende der Eskalation – denn das wäre wohl auch ihr eigenes Ende. Entsprechend aggressiv wird die Meinungsmache vorangetrieben. Und dazu zählt vor allem ein immer extremeres Ad-Campaigning auf Social Media.

»Israel wird als die Start-up-Nation bezeichnet – ein Land mit mehr Venture Capital in der florierenden Tech-Industrie im Verhältnis zum BIP als jede andere Nation der Welt.«

Natürlich sind solche YouTube-Ads nur die Spitze des Eisbergs. Die israelischen Propagandabemühungen, insbesondere in den USA, sind spätestens seit dem Sechstagekrieg und besonders in den 1990er Jahren extrem beschleunigt worden. Unter anderem die Lobbygruppen ADL (Anti-Defamation League) und das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) sind seit Jahrzehnten bemüht, amerikanische Juden und Nicht-Juden für ihre Auslegung des Zionismus zu begeistern.

Auffallend ist die gezielte frühe Einführung von Kindern in zionistischen Militarismus. Vielen jungen US-amerikanischen Jüdinnen und Juden wird schon im Kleinkindalter eingebläut, dass ihr Glaube auf natürliche Art und Weise untrennbar mit dem heutigen Nationalstaat Israel verbunden sei – und dessen Verteidigung gegen Barbaren an erster Stelle stehe. In den USA finden sich so mehrere Hunderttausend Kinder und Jugendliche, deren spirituelle Armut mit imperialistischer und nationalistischer Propaganda »behandelt« wird. Sie wachsen mit dem Glauben auf, dass es ein spirituelles Abenteuer und ihre Pflicht als Jüdinnen und Juden sei, Israel mit Waffengewalt bis aufs Blut zu verteidigen – ein Land, das sie bis zur Teilnahme an Birthright Israel, einer Partnerorganisation von AIPAC, oft nie betreten haben.

Und auch in den digitalen Ads wird diese Nachricht verbreitet – teilweise unterlegt mit bunten Farben, Regenbogen und Einhörnern auf YouTube, teilweise in Kindervideospielen. Im Außenministerium scheint man zu glauben, dass Kinder nie zu früh ihre Bestimmung auferlegt bekommen können. So früh wie man daher die Kinder in Gaza bekämpfen muss, bevor sie unweigerlich zu Hamas-Soldaten werden, so früh müssen Kinder – besonders in den USA – mit der Aufgabe betraut werden, ein Land zu besetzen, in dem sie vorher noch nie gelebt haben. Und die großen Tech-Konzerne, die solche Werbung in ihrem Kindersegment schalten, scheinen das ganz ähnlich zu sehen.

Vom Silicon Valley ins Silicon Wadi

Die Nachsicht der Social-Media-Konzerne, allen voran Twitter (heute X) und Meta, gegenüber der israelischen Regierung erscheint auf den ersten Blick überraschend. US-Tech-Firmen haben strenge Policies gegen explizit politische Werbung, vor allem von ausländischen Regierungen. Allerdings werden sowohl Meta als auch X (ehemals Twitter) eher wie Monarchien als wie Unternehmen, geschweige denn Demokratien, geführt. Sowohl Mark Zuckerberg als auch Elon Musk – ein Erbe eines anderen Apartheid-Regimes – stehen in Wort und Tat hinter den Menschenrechtsverbrechen Israels. Und Google, das aktiv mit der israelischen Regierung zusammenarbeitet, stört sich wohl auch nicht groß daran.

Dass das »Valley« allgemein ein Interesse an einer Vormachtstellung Israels in der Region hat, macht aus mehreren Gründen Sinn. So wird Israel als die Start-up-Nation bezeichnet – ein Land mit mehr Venture Capital in der florierenden Tech-Industrie im Verhältnis zum BIP als jede andere Nation der Welt. Nicht ohne Grund nennt sich Tel Aviv auch Silicon Wadi (sowohl arabisch als auch hebräisch für Silicon Valley).

So ziemlich alle großen Unternehmen aus Palo Alto und Umgebung haben Niederlassungen in Tel Aviv. Zusätzlich zu ihren eigenen Facilities hat das Valley zwischen 2003 und 2021 insgesamt 22,4 Milliarden Dollar in israelische Unternehmen gesteckt, und drei der fünf größten Betriebsübernahmen in der israelischen Geschichte geschahen durch kalifornische Unternehmen: Intel, NVIDIA und Google. Die Zuneigung beruht scheinbar auf Gegenseitigkeit, denn 22 israelische »Einhörner« – Unternehmen mit einem Marktwert von über einer Milliarde – sind mittlerweile in Kalifornien angesiedelt, mehr als irgendwo sonst in den Staaten und auf der Welt.

Außerdem ist Israel historisch bedingt ein herausragender Innovator in Sachen Überwachungs- und Militärtechnik. Die Golfstaaten beispielsweise haben schon lange vor den Oslo-Verträgen Überwachungstechnik von Israel gekauft. Der Mossad ist berühmt für seine technische Finesse – wie von liberalen Medien nach der Pager-Operation mit vor Ehrfurcht wässrigen Augen immer wieder wiederholt wurde. Auch wegen dieser Fähigkeiten haben die meisten kalifornischen Tech-Unternehmen hier Innovationszentren sowie Forschung und Entwicklung – denn sie sind mittlerweile so gut wie alle tief verstrickt in den militärisch-industriellen Komplex der USA.

»Der Staat inszeniert sich als Opfer einzelner Richter am internationalen Gerichtshof, die es allein auf Israel abgesehen haben, oder als Heilsbringer, der Nahrungsmittel aus den Klauen der Hamas befreit.«

High-Tech-Software und -Hardware zum Überwachen und Vernichten wird hier im Labor entwickelt und direkt vor der Tür getestet, im Westjordanland, in Gaza, im Libanon und in Syrien. Was Erfolg verspricht, kann auch zu Hause eingesetzt werden – so die Spekulation der Venture Capitalists und Tech-CEOs. Und es scheint Früchte zu tragen: Peter Thiels Palantir etwa ist zuletzt eine strategische Partnerschaft für Militärtechnologie mit der israelischen Regierung eingegangen.

Palantirs Technologie wird dort allerdings schon seit mindestens zehn Jahren getestet. Ihre Kenntnisse, die nicht zuletzt im Nahen Osten erprobt wurden, sind maßgeblich für die aktuellen ICE-Raids in den USA, und auch in Deutschland ist Palantir schon mit Überwachungstechnologie aktiv. Und auch Anduril, ein anderes Verteidigungsunternehmen aus dem Valley, geführt von einem selbsterklärten »radikalen Zionisten«, entwickelt Kriegsgerät für die israelische Regierung – unter anderem in Zusammenarbeit mit Zuckerbergs Meta.

Dass israelische Propaganda-Ads in den Kinderzimmern von Abermillionen europäischen und amerikanischen Familien laufen, hat also mit größter Wahrscheinlichkeit nicht nur Schlampigkeit seitens der Tech-Konzerne zur Ursache. Vielmehr ist die beinahe bemutternde Nachsicht Ausdruck struktureller Komplizenschaft zwischen den westlich-liberalen Eliten in Pentagon und Palo Alto, und den rechtsnationalistischen zionistischen Hardlinern in der israelischen Regierung.

Neue Dimension des High-Tech-Kriegs?

Der neue Haushalt der Knesset und seine Priorisierung des Budgets für Propaganda im Ausland zeigt, dass die Netanyahu-Regierung früh, aber nicht früh genug erkannt hat, dass es ein Problem geben wird. Selbst zentristische bis rechtskonservative Regierungen wie die deutsche lassen sich mittlerweile zu Lippenbekenntnissen herab, in denen das Vorgehen der israelischen Regierung kritisiert wird. Natürlich kommt das anderthalb Jahre zu spät und wird an der Gesamtsituation vorerst wenig ändern. Es zeigt jedoch, was die israelische Regierung befürchtet: schwindende Solidarität im Westen, die immer für selbstverständlich gehalten wurde.

Auch deshalb ist Teil der medialen Ausrüstung wohl der Einsatz eines KI-basierten Social-Media-War-Rooms im März dieses Jahres. Der panische Zwang des Vorhersehens und Vorwegnehmens, der auch der Natur von KI-Modellen eigen ist, ermöglicht dem War Room Media Monitoring auf der ganzen Welt, um ohne Verzögerung auf Entwicklungen und bestimmte Narrative mit KI-generierten Gegennarrativen reagieren zu können. Konnte Israel in der Frühphase des Genozids noch auf das Hasbara, zu Deutsch »Aufklären«, setzen, muss es mittlerweile auf sehr viel defensivere und spezifischere Erzählungen zurückgreifen. So inszeniert sich der Staat als Opfer einzelner Richter am internationalen Gerichtshof, die es allein auf Israel abgesehen haben, oder als Heilsbringer, der Nahrungsmittel aus den Klauen der Hamas befreit.

Auch wenn medial selbst in Deutschland zaghaft ein Aufwachen zu vernehmen ist: Nicht nur wird das israelische Außenministerium mit immer mehr Geld ausgestattet. Die Clips zeigen auch die völlig neuen Dimensionen der Verflechtungen von kalifornischem Kapital und imperialen Kriegen weltweit. Israels High-Tech-Krieg, der seit Jahren palästinensische Menschenleben fordert, entfaltet immer neue Dimensionen. So bleibt es weiter den Aktivistinnen und Aktivisten überlassen, Druck zu machen und neue Wege zu finden, der KI-getriebenen Propaganda etwas entgegenzusetzen.