22. Oktober 2024
Der Menschenrechtsaktivist Issa Amro wurde verhaftet, gefoltert und angeklagt, weil er sich gegen die israelische Siedlungspolitik einsetzt. Für seinen gewaltlosen Widerstand wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Wie seine Arbeit vor Ort aussieht und was ihm in diesen Tagen Hoffnung gibt, erzählt er im Gespräch mit JACOBIN.
Issa Amro in seiner Heimatstadt Hebron, 22. Juli 2024.
Issa Amro ist ein palästinensischer Menschenrechtsaktivist und Gründer von »Youth Against Settlements« (YAS), einer Basisorganisation, die sich auf gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzung im Westjordanland konzentriert. Er hat internationale Anerkennung für seine standhafte Hingabe zum Frieden erhalten, obwohl er kontinuierlich Gewalt und Unterdrückung durch israelische Siedler, das israelische Militär und die Palästinensische Autonomiebehörde aushalten muss.
Durch YAS gelingt es Amro, lokale Gemeinden und internationale Unterstützer erfolgreich in friedliche Bemühungen einzubinden, um der israelischen Besatzung entgegenzuwirken. Amros Heimatstadt ist Hebron – eine Stadt, die im südlichen Westjordanland liegt und von großer religiöser Bedeutung für Muslime, Juden und Christen ist. Die Stadt wird von mehr als 200.000 Palästinenserinnen und Palästinensern und etwa 800 israelischen Siedlern bewohnt, wobei die Siedler unter dem Schutz des schwer bewaffneten Militärs stehen, während die palästinensische Bevölkerung mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert ist, die den Alltag erschweren. Viele Geschäfte, Straßen und Wohnungen in der Altstadt wurden aufgrund der Besatzung geschlossen. Häufige Belästigungen, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch israelische Streitkräfte schaffen eine anhaltende Atmosphäre der Angst und Instabilität für die lokale palästinensische Bevölkerung.
YAS spielt eine zentrale Rolle bei der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, der Organisation von Protesten und der Unterstützung der Einwohnerinnen und Einwohner Hebrons, die ständigen Bedrohungen und Angriffen durch israelische Siedler und dem Militär ausgesetzt sind. Die Arbeit der Organisation hat auch gewaltfreie Widerstandsbewegungen in anderen palästinensischen Städten unter israelischer Kontrolle inspiriert.
In diesem Jahr wurde Amro mit dem »Right Livelihood Award« geehrt, der auch als »Alternativer Nobelpreis« geläufig ist. Im Gespräch mit JACOBIN sprach er über sein Leben unter der Besatzung, den gewaltfreien Widerstand und seine Ansichten darüber, wie zwischen Israelis und Palästinensern Frieden geschaffen werden kann.
Im Jahr 2007 haben Sie die Aktivistengruppe »Youth Against Settlements« (YAS) gegründet, die für ihren friedlichen Widerstand bekannt ist. Können Sie erklären, wie Ihre tägliche Arbeit vor Ort aussieht? Auf welche konkreten Aktionen oder Initiativen konzentrieren Sie sich, um die Besatzung herauszufordern und die lokale palästinensische Gemeinschaft zu unterstützen?
Zusammen mit meinen Kollegen von »Youth Against Settlements« führen wir weiterhin viele Aktionen und Aktivitäten durch, die darauf abzielen, der Besatzung entgegenzuwirken. Gleichzeitig helfen wir Palästinenserinnen und Palästinensern, in ihren Häusern zu bleiben, insbesondere in den am stärksten von der Besatzung betroffenen Gebieten, da die Siedler versuchen, unser Land, unsere Häuser und unser Eigentum von uns zu nehmen. Wir kämpfen für unser Existenzrecht, verteidigen unser Leben und unsere palästinensische Identität. Die israelische Besatzung erschwert unser Leben kontinuierlich, und sie versuchen uns das Gefühl zu geben, dass wir keine Freiheit und gleichen Rechte verdienen. »Youth Against Settlements« hat das Ziel, palästinensische Familien darin zu schulen, ihr Leben unter der israelischen Besatzung zu dokumentieren. Mit Hilfe von Videokameras oder anderen Geräten ermutigen wir die palästinensische Bevölkerung, Menschenrechtsverletzungen aufzuzeichnen und die Realität ihres täglichen Lebens festzuhalten.
Wir organisieren auch zahlreiche Proteste, Kundgebungen und Kampagnen, wie zum Beispiel Kampagnen zur Olivenernte, um das Bewusstsein für die Situation um uns herum zu schärfen. Wir engagieren uns stark in rechtlichen Bemühungen, um Hauszerstörungen, Landkonfiszierungen und die forcierte Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern aus ihren Häusern durch das israelische Militär sowie den Bau neuer [israelischer] Siedlungen anzufechten.
Darüber hinaus führen wir internationale Kampagnen durch, wie die »Open Shuhada Street«-Kampagne [Anm. d. Red.: Die Al-Shuhada-Straße in Hebron ist eine historisch bedeutende Straße, die seit 1994 größtenteils für Palästinenserinnen und Palästinenser gesperrt ist]. Eine weitere jährliche Veranstaltung, die wir organisieren, ist der »Hebron Day«, der am 25. Februar stattfindet, um an das Massaker in der Ibrahimi-Moschee 1994 [bei dem 29 Palästinenser von einem israelischen Siedler in Hebron getötet wurden] zu erinnern. An diesem Tag soll weltweit auf die Situation in Hebron aufmerksam gemacht werden, insbesondere auf die Schwierigkeiten, denen Palästinenserinnen und Palästinenser unter israelischer Besatzung ausgesetzt sind. Solidarität mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt wird auch durch Filmvorführungen und andere kreative Aktivitäten gezeigt.
Wir führen derzeit eine Kampagne namens »Gegenüberwachung« durch, bei der wir Kameras in Schlüsselbereichen und Brennpunkten platzieren, um die militärische Überwachung herauszufordern, die sich nur gegen Palästinenserinnen und Palästinenser richtet. Unser Ziel ist es, mit unseren eigenen Kameras israelische Siedler und Soldaten zu filmen, wenn sie palästinensische Häuser angreifen. Wir begleiten auch Kinder zur Schule, stärken die Gemeinschaft und ein großer Teil unserer Arbeit konzentriert sich darauf, durch die Medien das Bewusstsein zu schärfen.
Wie reagieren das Militär und die Siedler, wenn Sie sie filmen?
Die Soldatinnen und Soldaten mögen es nicht, gefilmt zu werden, und sie sehen uns als ihre Hauptkontrahenten. Aber immer, wenn sie die Kameras sehen, bietet es uns Schutz. Als Palästinenser werden wir nicht so behandelt wie die israelischen Siedler oder Soldaten im selben Gebiet. Wir leben unter israelischem Militärrecht, das gewaltfreien Widerstand verbietet. Nach dem Militärrecht bin ich schuldig, bis meine Unschuld bewiesen ist, und das Einzige, was meine Unschuld beweisen kann, ist die Kamera. Für uns ist die Kamera der verlässlichste Zeuge. Sie schützt uns vor falschen Anschuldigungen, die häufig vorkommen, und liefert uns die Beweise, die wir benötigen, um uns zu verteidigen.
»Die Mehrheit der Palästinenser hat oft Angst, sich zu engagieren. Viele halten sich von der Politik fern.«
Israels Spitzenpolitiker behaupten, dass Palästinenserinnen und Palästinenser »menschliche Tiere« seien und bezeichnen Israelis als zivilisiert und Palästinenser als unzivilisiert. Sie stellen es als einen Krieg zwischen zivilisierten, vernünftigen Menschen und uns, den sogenannten Unzivilisierten, dar. Durch unsere Kameras und Aktionen vor Ort decken wir die unhaltbare Realität der Besatzung auf. Wir zeigen, wer das Völkerrecht verletzt, wer die Demokratie nicht aufrechterhält, und wer die Menschenrechte missachtet.
Ihr Einsatz für den gewaltfreien Widerstand begann in Hebron, einer Stadt, die stark von der israelischen Besatzung betroffen ist. Können Sie erzählen, wie Ihr Leben dort Ihr Engagement für diese Form des Aktivismus geprägt hat?
Die Mehrheit der Palästinenserinnen und Palästinenser hat oft Angst, sich zu engagieren. Viele versuchen, persönliche Lösungen zu finden – sie konzentrieren sich auf das Studium, die Arbeit und halten sich von der Politik fern. Auch ich habe mich früher von der Politik ferngehalten. Wir hatten unseren Großvater verloren, der in den 1950er Jahren getötet wurde, und mein Vater wollte, dass ich mich von politischen Aktivitäten fernhalte. Ich war ein guter Schüler, konzentrierte mich auf meine Ausbildung und spielte Fußball. Aber in meinem letzten Jahr an der Ingenieurhochschule der Palestine Polytechnic University schloss das israelische Militär meine Universität endgültig.
Stellen Sie sich vor, Sie sind im letzten Semester, haben so viel Zeit, Geld und Energie investiert, um Ihren Ingenieurabschluss zu machen. Sie studieren Tag und Nacht, und eines Morgens gehen Sie zur Universität und finden sie dauerhaft geschlossen vor. Das hat mich gebrochen – es hat mich zutiefst schockiert. Ich war bereit, alles zu tun, um meinen Abschluss zu bekommen. Für mich ging es nicht nur um Bildung. Ich führte die Studentenbewegung an, um die Universität gegen den Willen des israelischen Militärs wieder zu eröffnen, und am Ende gelang es uns. Ich schloss mein Ingenieurstudium ab und wurde durch diesen Prozess zum Aktivisten.
Die Universität in Hebron, die Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen durch Ihren Aktivismus wieder eröffnen konnten, ist bis heute geöffnet?
Ja, die Universität ist bis heute geöffnet, und seitdem haben viele palästinensische Studierende dort ihren Abschluss gemacht. Sie hat sich im Laufe der Jahre erheblich weiterentwickelt, und darauf bin ich unglaublich stolz. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass es uns, zusammen mit anderen Studierenden, gelungen ist, die Universität wieder zu eröffnen, trotz der Bemühungen des israelischen Militärs, sie geschlossen zu halten. Man sieht ein ähnliches Muster in Gaza, wo Israel Universitäten demoliert, bombardiert und zerstört hat. Die Israelis zielen auf unsere Bildung ab. Sie verstehen, dass Bildung für uns ein mächtiges Werkzeug ist – ein Werkzeug des Wandels und des Widerstands – und sie wollen nicht, dass wir es besitzen.
Seit 1997 ist Hebron in zwei Gebiete unterteilt: H1, das theoretisch unter der Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde steht, und H2, wo Israel die Sicherheitskontrolle behält. Wie wirkt sich diese Teilung auf das soziale und wirtschaftliche Leben der Palästinenserinnen und Palästinenser aus? Wie geht die Arbeit von »Youth Against Settlements« mit den Herausforderungen um, vor denen die Palästinenserinnen und Palästinenser in H1 und H2 stehen?
Die Stadt Hebron ist ein Mikrokosmos der israelischen Besatzung. In Hebron kann man die Segregation, die Trennung, die Schließungen, die Ungleichheit und die Apartheid hautnah erleben. Man sieht gewalttätige israelische Siedler, aggressive Soldatinnen und Soldaten und zahlreiche Einschränkungen, darunter Abgrenzungen und Barrieren. In nur wenigen Stunden kann man die Besatzung in ihrer ganzen Form beobachten. All dies wurde von israelischen rechten Gruppen, Regierungen und extremistischen Akteuren, die jetzt an der Macht sind und die Entscheidungsträger sind, geformt.
In Hebron arbeiten die Israelis aktiv daran, palästinensische Familien zu vertreiben. Man kann deutlich den Einfluss der Besatzung auf die Stadt sehen, die sie von einem blühenden Handelszentrum mit belebten Märkten, Läden und Besuchern in eine Geisterstadt verwandelt hat. Hebron ist von einer der lebhaftesten palästinensischen Städte zu einem verlassenen Ort geworden. Wir haben über hundert Bewegungseinschränkungen auf einer Fläche von weniger als 1 Quadratkilometer. Etwa 1.800 Geschäfte sind geschlossen, was etwa 77 Prozent der Gesamtzahl der Geschäfte ausmacht. Ungefähr 1.000 palästinensische Wohnungen wurden aufgrund der Schließungspolitik verlassen, was etwa 40 Prozent der Wohneinheiten entspricht. Uns fehlen grundlegende Rechte. Wir haben nicht genügend Wasser oder Strom aufgrund der Besatzung. Israel kontrolliert jeden Aspekt unseres Lebens, von Exporten und Importen bis hin zu Bildung und Reisen.
»Wir stehen den Familien bei, unterstützen die Schulen und haben auch einen Kindergarten und ein Frauenzentrum eingerichtet.«
In Hebron haben sie die Straßennamen geändert und die palästinensischen arabischen Namen durch hebräische ersetzt. Zum Beispiel wurde die »Shuhada«-Straße in »King David«-Straße umbenannt. Die Schilder sind jetzt nur noch auf Hebräisch. Unsere Identität in unserer eigenen Stadt wird ausgelöscht, als ob wir nicht existieren würden. Dies betrifft auch unsere bloße Präsenz. Jüdische Feiertage bedeuten zum Beispiel für uns in Hebron Ausgangssperren. Wir wehren uns gegen dieses aggressive Verhalten auch, indem wir die palästinensische Flagge hissen, um zu zeigen, dass wir tatsächlich existieren. Wir tun alles, um in der Gegend zu bleiben, unsere Erzählung und Identität zu schützen und die Apartheid, die Segregation und die Ungleichheit aufzudecken. Wir stehen den Familien bei, unterstützen die Schulen und haben auch einen Kindergarten und ein Frauenzentrum eingerichtet.
Historisch gesehen war palästinensischer Widerstand meistens gewaltsam. Erst in den letzten Jahrzehnten hat ein gewaltfreier Ansatz innerhalb der Bewegung mehr an Bedeutung gewonnen – zumindest bis zum 7. Oktober 2023. Wie hat sich Ihr Leben als Palästinenser und als Verfechter der Gewaltlosigkeit seitdem verändert?
Historisch gesehen haben sich Palästinenser häufig auf gewaltfreien Widerstand verlassen. Unter israelischem Militärrecht wird jedoch kein Unterschied zwischen gewalttätigen und gewaltfreien Palästinensern gemacht. Ich wurde verhaftet, geschlagen, angeklagt und in einem Militärgericht verurteilt, nur weil ich für gewaltfreien Widerstand eingetreten bin.
Seit dem 7. Oktober ist das Leben für uns zunehmend schwieriger geworden. Die israelische Regierung hat die Geschehnisse dieses Tages ausgenutzt, um die Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser weiter zu verschärfen und neue Realitäten vor Ort zu schaffen. Wir sehen uns nun mit weniger [Arbeits]beschäftigungsmöglichkeiten, weniger grundlegenden Dienstleistungen und verstärkten Angriffen konfrontiert. Wir fühlen uns nicht mehr sicher – Israelis töten nach Belieben, inhaftieren mehr Menschen ohne Gerichtsverfahren durch administrative Haft, beschlagnahmen mehr palästinensisches Land und beschleunigen den Bau von Siedlungen. Palästinensische Häuser werden in einem ähnlichen alarmierenden Tempo abgerissen. Organisierte Gruppen von Siedlern führen koordinierte Angriffe auf palästinensische Dörfer durch und zielen dabei wahllos auf jeden.
»Nach israelischem Militärrecht ist das, was ich tue, illegal. Friedlicher Protest ist verboten und kann Gefängnisstrafen von ein bis zehn Jahren nach sich ziehen.«
Seit dem 7. Oktober hat sich unsere Situation politisch, wirtschaftlich und vor Ort verschlechtert. Trotz allem haben die meisten Palästinenserinnen und Palästinenser nie an Gewalt geglaubt. Nur weil eine kleine Gruppe Gewalt anwendet, bedeutet das nicht, dass wir alle sie unterstützen.
Sie wurden mehrfach verhaftet und sogar gefoltert, sowohl vom israelischen Militär als auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde. Können Sie erklären, warum Sie so oft von den israelischen Streitkräften und der Palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet wurden, und beschreiben, wie Ihre Erfahrungen bei diesen Verhaftungen waren?
Ich wurde unzählige Male vom israelischen Militär wegen meines gewaltfreien Aktivismus verhaftet. Sie nahmen mich fest, weil ich friedliche Aktionen organisierte, wie zum Beispiel das Leiten von Führungen oder die Begleitung von Bauern während der Olivenernte zu ihrem Land. Ich wurde verhaftet, weil ich über meine Rechte sprach, auf Facebook über Freiheit schrieb und dabei die Besatzung beschrieb, sowie für das Filmen der Gewalt israelischer Soldatinnen, Soldaten und Siedler. Anstatt die von mir dokumentierte Gewalt zu adressieren, wurde ich dafür verhaftet, dass ich sie aufgedeckt habe.
Am 7. Oktober wurde ich von israelischen Soldaten und Siedlern gefoltert, geschlagen, traumatisiert und sexuell missbraucht – nur weil ich ein gewaltfreier Aktivist bin. Das ist vielen anderen Palästinensern widerfahren, darunter unschuldigen Zivilisten und Menschenrechtsverteidigern, die getötet, verhaftet, gefoltert, in Verwaltungshaft genommen, isoliert oder, wie ich, auf schwarze Listen gesetzt wurden. Das ist die harte Realität der Besatzung. Nach israelischem Militärrecht ist das, was ich tue, illegal. Friedlicher Protest ist verboten und kann Gefängnisstrafen von ein bis zehn Jahren nach sich ziehen. Ich zahlte eine Geldstrafe und wurde in einem Militärgericht verurteilt. Mein Prozess dauerte viele Jahre, nur wegen meines gewaltfreien Protests.
Was die Palästinensische Autonomiebehörde betrifft, so handelt sie leider im Einklang mit den Forderungen Israels, fast wie ein Unterauftragnehmer der Besatzung. Sie fürchtet die Besatzung und fügt sich deren Wünschen, ohne sich dagegen zu wehren. Sie haben mich verhaftet, weil ich einen palästinensischen Journalisten verteidigt habe, der seine Radiostation verlor und die Führung dafür kritisierte, dass sie ihn nicht schützte. Ich setzte mich für sein Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Dafür wurde ich verhaftet, und die Palästinensische Autonomiebehörde hat mich mehrfach wegen meiner Arbeit als Menschenrechtsaktivist angegriffen. Übeltäter sind für mich Übeltäter, unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion.
Glauben Sie, dass die Palästinensische Autonomiebehörde Ihren gewaltfreien Widerstand als Bedrohung ansieht? Wie beurteilen Sie die Rolle von Mahmoud Abbas und der Palästinensischen Autonomiebehörde im breiteren palästinensischen Widerstand?
Leider bietet die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas uns keine demokratischen Plattformen, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu reformieren oder Wahlen für eine neue Führung abzuhalten. Es gibt erhebliche Korruption innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde, und als Palästinenserinnen und Palästinenser müssen wir das ansprechen und sie zur Rechenschaft ziehen. Sie sehen mich definitiv als Bedrohung, weil sie keinen Wandel wollen. Sie möchten auf unbestimmte Zeit an der Macht bleiben.
Traurigerweise profitiert Israel von dieser Situation, da sie uns Palästinenserinnen und Palästinenser schwächt. Wenn es uns an Demokratie fehlt und die Palästinensische Autonomiebehörde ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht respektiert, wird sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren, und die Menschen werden sich von ihr abwenden, was es Israel leichter macht, uns zu untergraben. Es gibt sogar Elemente innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde, die zu ihrer eigenen Zerstörung beitragen.
Wie hat der anhaltende Krieg in Gaza Ihren Aktivismus im Westjordanland beeinflusst, und glauben Sie, dass er die Dynamik des gewaltfreien Widerstands in der palästinensischen und israelischen Gesellschaft verändert?
Wir arbeiten mit israelischen Organisationen wie »Breaking the Silence«, »B’tselem«, »Yish Din« und vielen anderen Gruppen zusammen, die großartige Arbeit leisten. Allerdings bewegt sich die Mehrheit der israelischen Gesellschaft zunehmend in Richtung Rechtsextremismus und Gewalt, was das Hauptproblem darstellt. Leider erhalten sie volle Unterstützung aus Großbritannien, Europa und den USA, was es ihnen ermöglicht, ohne Konsequenzen zu handeln und sich keiner Rechenschaft stellen zu müssen.
»Politisch stimme ich mit der Hamas nicht überein, aber es ist wichtig zu verstehen, dass die Hamas weniger populär wäre, wenn die Palästinenser Freiheit hätten. Das schließt auch die Freiheit zum gewaltfreien Widerstand ein.«
Nach dem 7. Oktober konnten wir aufgrund der intensiven Unterdrückung und der gegen uns verhängten Einschränkungen mehrere Monate lang keine Aktionen durchführen. Doch jetzt kehren wir zu unseren Bemühungen zurück, und ich sehe, dass sich immer mehr Palästinenserinnen und Palästinenser unserer Sache anschließen. Nachdem ich den [Right Livelihood] Award erhalten habe, haben viele Menschen mir gegenüber geäußert, dass sie dies für den richtigen Ansatz halten. Die Anerkennung durch diesen Preis hat mir sowohl innerhalb der palästinensischen Gesellschaft als auch international mehr Sichtbarkeit verschafft, was dazu beiträgt, mehr Menschen für den gewaltfreien Widerstand zu gewinnen.
Die Hamas spielt eine bedeutende Rolle in der palästinensischen politischen Landschaft. Wie wirkt sich ihr Einfluss auf den breiteren palästinensischen Widerstand aus?
Wenn wir morgen die Hamas beseitigen würden, würde das Frieden für die Palästinenserinnen und Palästinenser bringen? Diese Frage stelle ich vielen Israelis. Sie wissen, dass die derzeitige israelische Regierung der palästinensischen Bevölkerung keine grundlegenden Rechte und politische Freiheit gewähren wird, selbst wenn die Hamas verschwinden würde. Politisch stimme ich mit der Hamas nicht überein, aber es ist wichtig zu verstehen, dass die Hamas weniger populär wäre, wenn die Palästinenserinnen und Palästinenser Freiheit hätten. Das schließt auch die Freiheit zum gewaltfreien Widerstand ein.
Zudem ist die palästinensische Gesellschaft sehr vielfältig. Einige unterstützen die Fatah oder die Hamas, andere unterstützen linke Gruppen, und viele bevorzugen keine politische Partei, weil sie die bestehenden Parteien als veraltet betrachten.
Wie steht es um die jüngere Generation der Palästinenserinnen und Palästinenser, mit der Sie zusammenarbeiten?
Die meisten jungen Palästinenserinnen und Palästinenser können sich nicht mit den bestehenden Parteien identifizieren, da all diese Parteien recht veraltete Ideen vertreten. Wir sprechen von politischen Parteien, die teilweise schon seit über einem halben Jahrhundert existieren. Die Jugend würde gerne eine Rolle spielen und sich am politischen Entscheidungsprozess beteiligen, aber sie kann es nicht.
Was glauben Sie, ist notwendig, um eine nachhaltige und friedliche Zukunft für Israel-Palästina zu schaffen? Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung für diese Zukunft gibt?
Ich bin sehr optimistisch, basierend auf dem, was ich weltweit sehe. Viele Menschen auf der ganzen Welt, darunter auch viele Jüdinnen und Juden, stellen sich gegen den israelischen Völkermord und den Krieg in Gaza und erkennen, dass die Wurzel des Problems in der Besatzung liegt. Das gibt mir Hoffnung. Menschen weltweit beginnen, die Realität der israelischen Besatzung und Apartheid zu verstehen und erkennen, dass die Lösung in friedlichem, gewaltfreiem Aktivismus liegt.
Wir wollen konkrete Maßnahmen – Schritte, die Israel für die Besatzung zur Rechenschaft ziehen und die Kosten der Apartheid und der illegalen Siedlungen erhöhen. Wir suchen Unterstützung für uns als politische, gewaltfreie Aktivistinnen und Aktivisten, sowie Anerkennung und Schutz. Dies ist entscheidend, um eine globale Friedensbewegung anzuführen. Wahrer Frieden wird durch das Ende des Apartheid-Systems, der unhaltbaren Besatzung und der illegalen Siedlungen kommen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam die Gewalt verringern können, weil wir fest daran glauben, dass es unsere Verantwortung ist, das Leben aller Menschen zu schützen.