30. März 2023
Ihre Grenzen sind nicht mehr und nicht weniger willkürlich als die von Deutschland.
»Die Ukraine ist wirtschaftlich weniger gespalten als Großbritannien, sprachlich weniger gespalten als Kanada und politisch weniger gespalten als die USA.«
Illustration: Markus StumpfIm Jahr 2014, als Russland die Krim von der Ukraine annektierte, veröffentlichte die renommierte britische Literaturzeitschrift London Review of Books einen Artikel des Philosophen Glen Newey. Dessen Titel »Remember Eastern Rumelia« bezog sich auf den kurzlebigen Staat Ostrumelien, der im späten 19. Jahrhundert gegründet wurde. Er sollte die panslawischen Ambitionen im untergehenden Osmanischen Reich eindämmen, wurde aber bald vom unabhängigen Bulgarien absorbiert.
Die Implikation war eindeutig – auch die Ukraine sei ein künstlicher Staat, ein Protektorat des Westens, dessen Grenzen bedeutungslos seien und der von der Geschichte vergessen werden würde wie Ostrumelien, an das sich höchstens erinnert, wer seltene Briefmarken sammelt. Der Name Rumelien erinnert an Ruritanien, ein fiktives Königreich, das sich der Schriftsteller Anthony Hope als Handlungsort für seinen Roman Der Gefangene von Zenda von 1894 ausdachte. Ruritanien wird zumeist in Osteuropa verortet und steht für albernen Prunk für die Herrschenden und Armut für die Bevölkerung – das europäische Äquivalent einer Bananenrepublik.
Im Vorfeld von Russlands jüngstem Einmarsch in die Ukraine wurde in Nischen der gesellschaftlichen Linken schon mal darüber spekuliert, ob die Grenzen des Landes nicht effektiver gezogen werden könnten. Vielleicht könnten sich Wladimir Putin und Joe Biden zusammensetzen und entscheiden, welche Teile der Ukraine an ihren östlichen Nachbarn abgetreten werden sollten. Etwa zu dieser Zeit veröffentlichte eine Organisation der britischen Linken wider besseres Wissen eine Karte des Landes, auf der die Krim, die völkerrechtlich als Teil der Ukraine anerkannt ist, als Gebiet Russlands eingezeichnet war.
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Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.