08. Januar 2024
Der kürzlich verstorbene Jacques Delors galt als führender Architekt der Europäischen Union zu Beginn der 1990er Jahre. Er versprach ein »soziales Europa«, doch sein Traum wurde durch die fiskalpolitischen Dogmen, auf denen er beruhte, auf fatale Weise untergraben.
Jacques Delors in Lissabon, 27. Juni 1992
Die Europäische Union, die in den frühen 1990er Jahren entstand, wird oft als »Synthese« bezeichnet, die der langjährige Kommissionspräsident Jacques Delors erzielt habe. Der Historiker Laurent Warlouzet nannte sie treffend einen »sich entwickelnden Kompromiss zwischen dem [zentralisierten] französischen Dirigismus und dem deutschen Ordoliberalismus«. Seit Delors’ Tod wird der Ex-Kommissionchef in den Nachrufen meist als Vorkämpfer für ein »soziales Europa« dargestellt – auch wenn meist eingeräumt wird, dass dieses Projekt von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.
Schuld daran seien vor allem die Vetos der einzelnen Mitgliedsstaaten und die Hindernisse gewesen, die dadurch entstanden waren, dass man in Europa bis dato fast ausschließlich auf Vereinbarungen zwischen den nationalen Regierungen baute. Warlouzets Definition erlaubt es allerdings, sich stärker auf die Merkmale (und strukturellen Schwächen) des neuen »Sozialpakts« zu konzentrieren, den der Sozialdemokrat Delors anstrebte. Aus dieser Perspektive war Delors nicht so sehr der unterlegene Kämpfer für ein soziales Europa als vielmehr der Befürworter eines (gescheiterten) Versuchs, eine ordoliberale Wirtschaftsverfassung auf sozialdemokratische Weise zu verwalten.
Damit würde auch die klassische Lesart des Widerstreits zwischen Delors und Margaret Thatcher in dieser entscheidenden Phase der europäischen Integration in Frage gestellt. Die Geschichtsschreibung stützt sich meist auf Delors’ Rede vor dem britischen Gewerkschaftskongress (TUC) im Jahr 1988. Diese wird weithin als Ausdruck der Unversöhnlichkeit zwischen Thatchers neoliberaler, euroskeptischer Vision und Delors’ Projekt für eine »stark sozial geprägte« EU angesehen. Wenig überraschend kamen seine Aussagen bei den meisten TUC-Mitgliedern gut an.
Im Gegensatz zu dieser verkürzten Darstellung ist es vielleicht sinnvoller, sich auf die Möglichkeiten zu stützen, die die inzwischen sehr umfangreiche Literatur über neoliberales Denken bietet: So kann man den Konflikt zwischen Thatcher und Delors auch als Widerstreit zwischen zwei verschiedenen Varianten neoliberaler Ansätze betrachten. Die britische Premierministerin vertrat eine Variante, die der österreichischen Schule verpflichtet und in der englischsprachigen Welt vorherrschend war: eine strikt staatsfeindliche Linie, die jede Form von europäischem »Superstaat« ablehnt, sofern dieser das Wirtschaftsleben zu stark regulieren könnte. Delors’ Ansatz war hingegen von seinem eigenen christlich-sozialen Hintergrund geprägt: Er orientierte sich eher an den Vorgaben der ordoliberalen Strömung, die aus der Freiburger Schule hervorging, und an ihrer Vorstellung von Schutz und politischer Gestaltung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs.
Eine solche Lesart ist keineswegs abwegig. Delors selbst erkannte 1989 in einer Rede am Wissenschaftszentrum in Bonn an, was sein Projekt der ordoliberalen Doktrin zu verdanken hatte. Er betrachtete die »großen Prinzipien des freien Wettbewerbs und der Stabilität« – also die beiden Eckpfeiler des ordoliberalen Gesellschaftsprojekts, die für das westdeutsche Gesellschaftsmodell der Nachkriegszeit charakteristisch waren – als grundlegende »Beiträge [...] zum Geist und zur Funktionsweise der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft«.
Auch bei anderen Gelegenheiten drückte Delors seine Bewunderung für die Grundpfeiler einer »sozialen Marktwirtschaft« westdeutscher Prägung aus, zum Beispiel in einer Rede vor dem wirtschaftspolitischen Ausschuss der deutschen CDU. Nach Delors’ Vision sollte sich die künftige EU an dieser bundesdeutschen sozialen Marktwirtschaft orientieren, weil ihre Grundprinzipien (die sowohl auf Denker der Freiburger Schule wie Walter Eucken und Alfred Müller-Armack als auch auf den Einfluss anderer westdeutscher politischer Kulturen, die einen »sozialen Kompromiss« anstrebten, zurückgehen) die vermeintlich besten wirtschaftlichen Erfolge ermöglichen würden.
Die Prinzipien einer solchen ordoliberal geprägten Politik sind zunächst ein »funktionierender Markt«, der auf einem hohen Maß an Wettbewerbsfähigkeit basiert – die allerdings kein spontanes oder ausschließliches Produkt der privaten Wirtschaftstätigkeit ist, sondern von staatlichen Behörden sichergestellt wird. Letztere sollen eine gut abgestimmte Wettbewerbspolitik betreiben, um Wettbewerbsverzerrungen und Marktkonzentrationen zu verhindern.
Zweitens folgt eine »aktive Finanzpolitik«, deren Hauptziel die »Währungsstabilität« ist. Dies soll durch die »präventive Anwendung von geld- und finanzpolitischen Maßnahmen« durch eine »völlig unabhängige Zentralbank« erreicht werden. Die Rolle, die andere (sozialistische, christsoziale, gewerkschaftliche usw.) politische Kulturen spielen, zeigt sich dagegen im Prinzip eines »sozialen Ausgleichs«, der sowohl durch Umverteilungs- und Wohlfahrtspolitik als auch durch Konsultationen und Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern erreicht werden soll.
Delors betonte selbst, diese Säulen der sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland hätten sein eigenes Projekt zur Wiederbelebung der europäischen Integration geprägt. Während die vier Freiheiten des Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehrs, die im Weißbuch von 1985 für den europäischen Binnenmarkt eingeführt wurden, dem Prinzip eines gut funktionierenden, auf Wettbewerb beruhenden Marktes entsprachen, sah Delors den ebenfalls benötigten sozialen Ausgleich im europaweiten Sozialdialog und in weiteren Ausgleichsmaßnahmen, die durch die sogenannten Strukturfonds und ähnliche Strategien umgesetzt werden sollten.
»Faktisch war die »absolute Unabhängigkeit« der künftigen Zentralbank aber nicht Gegenstand von Debatten oder Kompromissen.«
Die letzte Säule der bundesdeutschen sozialen Marktwirtschaft – nämlich eine »aktive Konjunkturpolitik«, die auf die »Geldwertstabilität« und die »Regulierung« des Marktes abzielt – sollte schließlich durch die EU-weite Koordinierung makroökonomischer Politik und die Einrichtung einer unabhängigen Währungsbehörde realisiert werden. Dies waren auch die beiden Schlüsselelemente des Berichts über die Wirtschafts- und Währungsunion von 1989.
Die Unabhängigkeit der Zentralbank von politischen Entscheidungen war eine der ordoliberal inspirierten verfassungsrechtlichen Regelungen, für die Delors sich mit ganzem Herzen einsetzte. Er verteidigte diesen Ansatz vehement. So erklärte er im Oktober 1989 vor dem Europäischen Parlament unumwunden, die Unabhängigkeit einer zukünftigen Europäischen Zentralbank (EZB) sei unerlässlich für eine »akzeptable« Europäische Währungsunion.
Angesichts geäußerter Zweifel spielte Delors die Risiken eines Abdriftens in Richtung einer immer größeren Technokratie herunter. Er betonte, »Unabhängigkeit« dürfe nicht mit »Verantwortungslosigkeit« verwechselt werden. Denn selbst bei derartiger wirtschafts- und finanzpolitischer Steuerung würde »das letzte Wort immer die Politik haben«. Schließlich müsste sich auch eine unabhängige Zentralbank »vor der öffentlichen Meinung rechtfertigen« und »berücksichtigen, was die politischen Instanzen zu sagen haben«.
Faktisch war die »absolute Unabhängigkeit« der künftigen Zentralbank aber nicht Gegenstand von Debatten oder Kompromissen. Das wusste auch Delors: Die Länder, die »die Vorteile« dieser Form einer Geldbehörde erprobt hatten (sprich: Westdeutschland), würden ohnehin »nicht bereit sein, zurückzugehen«, sagte er dem Europäischen Parlament. Aus diesem Grund müssten das Profil und die Kompetenzen einer EZB »auf dem derzeitigen Status der [deutschen] Bundesbank« aufbauen.
Hier soll nicht behauptet werden, dass Delors’ sozioökonomische Vision mit den theoretischen Grundsätzen des Ordoliberalismus völlig identisch war. Tatsächlich hat er bei mehreren Gelegenheiten seine Abgrenzung zu ihnen zum Ausdruck gebracht. Nehmen wir zum Beispiel die Frage des Haushaltsdefizits und seiner angemessenen Höhe: Obwohl er sich dagegen aussprach, dass die Mitgliedsstaaten »Haushaltsdefizite durch Geldschöpfung finanzieren«, wie er am 23. November 1989 vor dem Comité d'action pour l'Europe sagte, war Delors’ Position nicht dieselbe wie die (strengeren) Vorgaben der Westdeutschen.
Er war der Meinung, es sei falsch, »zu starke Haushaltsbeschränkungen« aufzustellen. Für Delors blieb die Höhe der Defizite »eine Angelegenheit, die auf nationaler Ebene abzuschätzen ist«. Sie könne nicht schematisch beurteilt werden und müsse aus dem spezifischen Kontext abgeleitet werden. In diesem Sinne stellte er eine »goldene Regel« auf, nach der Defizitausgaben zulässig sind, wenn sie der Finanzierung von Investitionen dienen. Ganz allgemein sprach sich Delors dagegen aus, die gesamte Wirtschaftspolitik auf »geld- und haushaltspolitische Aspekte allein« zu reduzieren; es müssten auch andere Überlegungen angestellt werden.
»Der Ordoliberalismus und sein »Wirtschaftshumanismus« lehnten den klassischen Atomismus beziehungsweise radikalen Individualismus der liberalen Tradition ab.«
Tatsache ist dennoch, dass Delors’ klare Abneigung gegen das Sozialmodell und sogar gegen das Menschenbild des Reaganismus, des Thatcherismus und der neoliberal-monetaristischen Kultur, die in der englischsprachigen Welt hegemonial ist, gleichzeitig eine deutliche Affinität zu einigen der charakteristischsten Elemente der von der Freiburger Schule inspirierten deutschen liberalen Tradition widerspiegelt.
Der Hintergrund für diese zwar wirtschaftsliberale, aber doch von den britischen und US-amerikanischen Ansichten abweichende Haltung, liegt womöglich in der anti-atomistischen und kommunitaristischen Orientierung, die diese ordoliberale Tradition auszeichnete. Der Ordoliberalismus und sein »Wirtschaftshumanismus« lehnten den klassischen Atomismus beziehungsweise radikalen Individualismus der liberalen Tradition ab – wie Thatcher einst behauptete: »Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen«. Stattdessen wird im Ordoliberalismus ein fast schon feudal und organizistisch inspiriertes Gesellschaftsbild vertreten.
Der Ordoliberalismus lehnt zwar die Zwischeninstanzen zwischen Individuum und Staat (Gewerkschaften, Verbände usw.), die für Umverteilungskämpfe in der Industriegesellschaft stehen, im Namen des freien Wettbewerbs weitgehend ab. Doch er schätzt jene »traditionellen« sozialen Organisationen, die eine eigentumsbasierte Ordnung respektieren und das zum Ausdruck bringen, was Alexander Rüstow eine spontane, »naturwüchsige Hierarchie« nannte, als »Quelle der gesellschaftlichen Integration«.
Eine solche »gemeinschaftlich« geprägte Variante der Marktwirtschaft – die stark von der Soziallehre der Kirche und dem katholischen Korporatismus des 19. Jahrhunderts beeinflusst ist – scheint eine besondere Nähe zwischen diesem Zweig des deutschen Liberalismus und den Überzeugungen eines christlich geprägten Sozialdemokraten wie Delors zu bieten.
In der Tat kritisierte er die radikal individualistische Ethik des angloamerikanischen Neoliberalismus und warf ihm vor, die »Dialektik zwischen Mensch und Gesellschaft« zu verwischen. Außerdem untergrabe diese Form des Neoliberalismus die Institutionen, die »dem Menschen einen strukturierten Platz innerhalb des gesellschaftlichen Kollektivs geben sollten«. Die Haltung des EU-Kommissionschefs gegenüber den Grundlagen eines »regelbasierten Liberalismus« der Freiburger Schule lässt sich erklären mit den offensichtlichen konzeptionellen und sogar semantischen Ähnlichkeiten zwischen (a) einem ordoliberalen Ideal mit starker Wettbewerbsfähigkeit, eingebettet in die Hülle eines traditionellen Kommunitarismus, und (b) dem Dreigestirn »Wettbewerb-Kooperation-Solidarität«. Für Delors lag diese Kombination seinem eigenen Projekt eines »sozialen Europas« zugrunde.
Aus dem bisher Dargelegten geht nicht nur Delors’ Nähe zu den Hauptsäulen der westdeutschen »sozialen Marktwirtschaft« hervor – wenn auch in ihrer kompromissbasierten Form, die sie während der drei »goldenen Jahrzehnte« des Nachkriegs-»Wirschaftswunders« annahm – sondern auch eine gewisse Ahnungslosigkeit gegenüber den Nebeneffekten, die diese Säulen für das Sozialmodell haben würden. So scheint Delors nicht berücksichtigt zu haben, dass die Kernelemente des ordoliberalen Modells nicht mit den vorherrschenden Gegebenheiten vereinbar waren, auf denen sein bevorzugtes sozialdemokratisches Gesellschaftsmodell für Europa aufbauen sollte.
Im spezifischen Kontext der sozialen Marktwirtschaft in Nachkriegsdeutschland konnte ein sozialdemokratisches Projekt dank der Verhandlungsmacht der Arbeiterinnen und Arbeiter Wirkung entfalten – unterstützt durch die grundsätzliche Stärke der Sozialdemokratie und ihren Einfluss auf verfassungsrechtliche Regelungen sowie international durch die Bretton-Woods-Ordnung. Doch als das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeiterschaft langsam zerbrach, führte die monetaristische Wende in den späten 1970er Jahren zu einer Neugewichtung des bisherigen Kompromisses im westdeutschen Modell – und zwar zu Gunsten der ordoliberalen Komponente und ihrer strikt antiinflationären Ausrichtung.
»Im 1992 in Maastricht unterzeichneten EU-Vertrag sind die sozialen Rechte nur Beiwerk. Sie sind eindeutig den wirtschaftlichen Bedürfnissen untergeordnet.«
Kurz gesagt: Innerhalb einer stark merkantilistisch geprägten Wirtschaftsverfassung, die vor allem auf Preisstabilität ausgerichtet war, gab es für sozialdemokratische Projekte nur einen äußerst geringen Handlungsspielraum. Eine Einschränkung der Binnennachfrage, die der Ordoliberalismus als Mittel zur Sicherung der externen Wettbewerbsfähigkeit Westdeutschlands propagierte, wirkte sich tatsächlich negativ auf die Verhandlungsmacht der Arbeiterklasse aus. So führte das Ungleichgewicht zwischen der internen und externen Nachfrage auch zu einem Ungleichgewicht in den Machtbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit. Trotz dieser politischen Folgen der Anti-Inflationspolitik hielt Delors an der »dauerhaften Preisstabilität« als wichtigstem Parameter für die Evaluierung von Gesellschaftsmodellen fest. Damit stilisierte er eine solche Stabilität als »verfassungsrechtlichen Fetisch« für die gerade entstehende EU.
Die Übernahme des Stabilitätskonzepts des Ordoliberalismus auf die europäische Ebene führte in Kombination mit der stärkeren Mobilität der Produktionskräfte und -faktoren sowie der schwächeren Regulierungs- und Umverteilungsmöglichkeiten der nationalen Behörden zu einem Umfeld, das stark auf Markt und Wettbewerb ausgerichtet war (und ist). Angesichts dieser Konstellation musste Delors’ viel gepriesenes »soziales Europa« strukturell schwach bleiben.
In einem rechtlichen Kontext, der einerseits auf die maximale Einhaltung der negativen Dimension der Freihandelsintegration, aber andererseits nicht in gleichem Maße auf eine positive Angleichung von Rechten und Standards abzielte, wurden die Maßnahmen für eine gemeinsame europäische Sozialpolitik letztendlich »eher stiefmütterlich behandelt«, wie Alessandra Bitumi es ausdrückt. In Artikel 136 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft heißt es explizit, dass die Sozialpolitik »die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Europäischen Gemeinschaft« nicht gefährden dürfe. Außerdem sollte die Harmonisierung der Sozialsysteme ein Ergebnis des »Funktionierens des Gemeinsamen Marktes« sein. Im 1992 in Maastricht unterzeichneten EU-Vertrag sind die sozialen Rechte nur Beiwerk. Sie sind eindeutig den wirtschaftlichen Bedürfnissen untergeordnet.
Wie Delors selbst erklärte, war er sich von Anfang an bewusst, dass das Vorhaben, das er ab 1985 als Kommissionspräsident in Angriff nahm – nämlich die Wiederbelebung des Integrationsprozesses über den Binnenmarkt – eine Herausforderung war. Es war ein Wagnis, das er »aus der Not heraus und in einem Klima, in dem der Wind eher günstig für Deregulierung und Liberalismus stand«, einging. Zweifelsohne wollte Delors die für seine Vision günstigen Winde ausnutzen – doch, wie Mark Mazower betont, ging er dabei davon aus, »dass Europa sowohl von der Liberalisierung des Kapitals profitieren als auch den allgemeinen Wohlstand steigern könnte. Wie sich zeigte, lag er damit falsch.«
Es scheint also, dass Delors’ Ansatz unter einem übermäßigen Glauben an den Funktionalismus litt – ein Integrationskonzept, das auf einer gemeinsamen europäischen Verwaltung staatlicher Funktionen und der dadurch erwarteten Dynamik beruht. Da er die Zwänge des ordoliberalen Sozialmodells und die Folgen einer gemeinsamen Währung ohne gemeinsamen Staat, die nach Maastricht geschaffen wurden, nicht angemessen berücksichtigte, »konnte Delors’ Projekt sein Versprechen eines gerechten Europas nicht einlösen«, betont Isidoro Davide Mortellaro. Verweise auf ein »soziales Europa« wurden so zu einer – wenn auch wichtigen – »motivierenden [aber letztlich wirkungslosen] Botschaft«.
In den 1980er Jahren war ein gewisses Maß an Idealismus und Enthusiasmus notwendig, um den europäischen Integrationsprozess aus seiner Krise zu führen. Die »soziale« Idee trug dazu bei, entsprechende Begeisterung für weitere Integration zu wecken. Doch ohne angemessene politische und verfassungsrechtliche Grundlagen, die die Hebel zur Umsetzung einer solchen Politik bilden würden, konnte Delors’ Vision einer europäischen sozialen Solidarität nicht verwirklicht werden.
Mattia Gambilonghi ist Autor des Buches Controllo Operaio e Transizione al Socialismo.