11. September 2020
Acht Jahre lang in Folge wurde Japan von ihm regiert. Jetzt gibt Shinzō Abe sein Amt auf. Als autoritärer Regierungschef stand er vor allem für eines: die Stärkung des Militärs, die Wiederbelebung des Nationalstolzes und den Bruch mit dem japanischen Pazifismus.
Shinzō Abe ist der am längsten amtierende Premierminister in Japan – das verdankt er vor allem einer schwachen Opposition.
Shinzō Abe, seit 2012 amtierender Premierminister von Japan, trat aus gesundheitlichen Gründen zurück. Er war eine polarisierende Figur und erregte wegen seiner revisionistischen Ansichten über Japans Rolle im Zweiten Weltkrieg den Zorn der ostasiatische Nachbarn des Landes (und vieler seiner eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger). Er versuchte, die japanische Verfassung zu ändern, um deren pazifistische Ausrichtung abzuschwächen und die Verbindung zwischen dem japanischen und dem US-amerikanischen Militär zu stärken. Abe war außerdem verantwortlich für die sogenannten »Abenomics«, einen ambitionierten Versuch, die japanische Wirtschaft anzukurbeln. Kristin Surak ist an der SOAS (School of Oriental Studies) der University of London und ist Expertin für japanische Politik. Sie sprach mit Jacobin über Abes Werdegang, seine Politik und sein Erbe als Premierminister.
Daniel Finn: Shinzō Abe ist der am längsten amtierenden Premierminister von Japan. Was steckt hinter dieserpolitischen Langlebigkeit und was hat sie zu bedeuten?
Kristin Surak: Dahinter steckt vor allem das Fehlen einer Opposition, die diesen Namen verdient – sowohl außerhalb als auch innerhalb seiner eigenen Partei. Seine Liberaldemokratische Partei (LDP) ist seit 1955, als sie zum ersten Mal die Regierung stellte, beinahe ununterbrochen an der Macht. Seither verloren sie die Wahl nur einmal im Jahr 2009: Skandale, politische Fehler und Postengeschacher innerhalb der Partei führten dazu, dass die Bevölkerung der Demokratischen Partei Japans (DPJ) den Regierungsauftrag erteilte.
Drei Jahre blieb die DPJ an der Macht und musste während dieser Zeit gegen alteingesessene Interessen vor allem im mächtigen Bürokratie-Apparat kämpfen. Sie hatte tiefgehende Änderungen geplant, gab dann aber dem zunehmenden Druck nach und erreichte letzten Endes kaum etwas. In der Folge war sie als inkompetent gebrandmarkt und verlor über 80 Prozent der Sitze in den Wahlen vom Dezember 2012. Für die LDP bedeutete das einen Erdrutschsieg und den größten Wahlerfolg ihrer Geschichte.
Nur drei Monate zuvor wurde Abe aller Erwartungen zu Trotz zum Parteiführer gewählt. Keine der Politikexpertinnen und -experten hatte damit gerechnet, dass sich Abe – diese langweilige Figur mit gerade einmal 11 Monaten Erfahrung als Premierminister zwischen 2006 und 2007 – gegen ein Dutzend anderer Kandidaten würde behaupten können. In einer Stichwahl für den LDP-Vorsitz wurde er als Kompromiss-Kandidat nach oben getragen und führte dann den Wahlkampf gegen die DPJ. Noch vor Ende des Jahres war er Premierminister.
Die bislang achtjährige Amtszeit wurde Abe genauso wenig zugetraut wie schon der Parteivorsitz. Die durchschnittliche Regierungszeit eines Premierministers beträgt seit 1990 gerade einmal eineinhalb Jahre. Gerade während der ersten Legislaturperiode tat Abe wenig, um sich in Szene zu rücken. Für seine anhaltende Macht waren zwei Faktoren ausschlaggebend.
Erstens verstand es Abe, durch vorgezogene Neuwahlen den Vorsprung der LDP gegen eine unkoordinierte Opposition zu sichern und kontroverse Gesetzesvorhaben durchzusetzen. Der Slogan seiner Wahlkampagne in den vorgezogenen Wahlen von 2014 bringt das auf den Punkt: Kono Michi Shikanai – »Es gibt keinen anderen Weg«.
Zweitens sicherte er mit dieser TINA-ähnlichen Strategie auch den Zusammenhalt seiner Partei. Regierungswechsel kommen in Japan traditionell nicht durch eine Abwahl der regierenden Partei zustande. Meist sind es Veränderungen innerhalb der LPD, wenn etwa unterschiedliche Parteigranden um Kontrolle wetteifern. Abe gelang es, die innerparteiliche Opposition zu neutralisieren. Sein Wachhund und Stabschef Yoshihide Suga brachte große Teile der Partei auf eine Linie und rüstete den Posten des Premierministers so um, dass dessen Macht zentralisiert wurde. Ein bedeutender Schritt dabei war, dass der Premierminister 600 Schlüsselpositionen in der Bürokratie selbst ernennen konnte.
Das führte dazu, dass Führungsfiguren der traditionell allmächtigen öffentlichen Verwaltung in der Schuld des Premierministers standen und so in Zaum gehalten wurden. Zudem schaltete Abe auch seinen stärksten Herausforderer innerhalb der LDP aus, Shigeru Ishiba, indem er ihm immer wieder die kompliziertesten ministeriellen Ressorts übertrug. Es war also weniger Abes Popularität (die in Meinungsumfragen alles andere als stabil war), als vielmehr der Mangel an Alternativen, der ihn an der Macht hielt. Am besten verdeutlicht dies die ständig sinkende Wahlbeteiligung unter der Bevölkerung.
Inwiefern sind Abes politische Ansichten durch seinen familiären Hintergrund geformt?
Es wird immer wieder behauptet, dass Abe seinen Großvater mütterlicherseits, Nobusuke Kishi, in höchsten Ehren hält. Seinerzeit leitete Kishi die wirtschaftliche Entwicklung im japanisch besetzten Manchukuo und war unter dessen Bevölkerung äußerst unbeliebt. Er war ein die Nazis rühmender Nationalist und verantwortlich für eine brutal durchgesetzte Highspeed-Industrialisierung. Die Gelder dafür stammten aus dem Opiumhandel in dem chinesische Zwangsarbeiter, die er mit Hunden verglich, unter furchtbaren Bedingungen schufteten. Manche Fabriken mussten mehr als die Hälfte der Arbeiter jährlich ersetzen, weil die Sterberate so hoch war.
Als Rüstungsminister überwachte Kishi später die Zwangsumsiedlung tausender Menschen aus Korea und China, die zur Fabrikarbeit nach Japan gebracht wurden. Der Großteil dieser Menschen überlebte nicht. Nach dem Krieg sollte Kishi wegen Kriegsverbrechen der Klasse A angeklagt werden. Die US-Amerikaner befanden ihn aber für nützlich und entließen ihn vor dem Prozess, sodass er in die Politik zurückkehren konnte und 1957 in Japan Premierminister wurde.
Kishi ist für große Teile der Klientelpolitik verantwortlich, mit der die Macht der LDP für die nächsten Jahrzehnte gesichert wurde. In Japan ist er aber vor allem dafür bekannt, den Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit zwischen Japan und den Vereinigten Staaten durchgesetzt zu haben – eine verstärkte Version des Sicherheitsabkommens, durch das Tokio an Washington gebunden war. Zeitgleich mit Demonstrationen, bei denen mehr als ein Drittel der Bevölkerung auf die Straße gingen, drückte Kishi das neue Abkommen durch das japanische Parlament, das sogenannte Kokkai. Die Entscheidung war so unpopulär, dass sie nach Mitternacht stattfinden musste. Die Polizei verbarrikadierte die Türen des Parlaments und hinderte die Opposition daran, an der Abstimmung teilzunehmen.
Natürlich ist Abe nicht sein Großvater, aber gewisse Ähnlichkeiten lassen sich in charakteristischen Elementen seines Führungsstils wiedererkennen. Auch Abe ist überzeugter Nationalist. Anklänge dessen finden sich in einigen Zeilen seines Bestseller Towards A Beautiful Country (etwa »Der Weg zu einem schönen Land«), das er während seiner ersten Amtszeit als Premierminister verfasste und das jeden Neo-Orientalisten mit Stolz erfüllen würde.
Noch deutlicher zeigt sich das durch seine Mitgliedschaft in der überparteilichen, extrem nationalistischen Gruppierung »Nippon Kaigi«. Diese verschlossene Gemeinschaft zielt auf eine Neuordnung der Verfassung und will den Kaiser ins Zentrum der Nation rücken. Nippon Kaigi verfolgt den Aufbau von Nationalstolz und Wohlstand in Japan, im Zweifel setzt man sich dafür auch über bürgerliche Freiheitsrechte hinweg.
Die Veröffentlichungen dieser Gruppe preisen die Familie (was in diesem Fall so viel bedeutet wie: »Frauen an den Herd«), beleben imperialistische Ansichten einer rassischen Überlegenheit wieder und leugnen das Massaker von Nanjing in den Jahren 1937–1938 in China. Abe steckte über mehrere Jahre in einem Skandal um die Finanzierung eines nationalistischen Privatkindergartens, der von einem Nippon-Kaigi-Mitglied geleitet wurde. Dort mussten die Kinder Ausflüge zu Militärbasen machen, sich vor einem Bild des Kaisers verneigen und einen Loyalitätsschwur leisten, der mit dem Erziehungssystem des japanischen Kaiserreichs in Verbindung steht.
Zudem entwickelte Abe einen Politikstil, der zahlreiche demokratische Mechanismen ausschaltet. Kontroverse Gesetze wie das zum »Schutz der Staatsgeheimnisse«, das in weiten Kreisen als »Anti-Whistleblower-Gesetz« angesehen wird, erleichtern es ihm, Debatten im Keim zu ersticken und seine Vorhaben durch das Parlament zu drücken.
Zu Abes größten Coups zählt die Legalisierung der »kollektiven Selbstverteidigung«. Artikel 9 der japanischen Verfassung schließt Krieg ausdrücklich von den staatlichen Hoheitsrechten aus. Mit dem Ziel, den militärischen Einflussbereich Japans zu erweitern, bestand Abe jedoch darauf, dass es Japan erlaubt sein müsse, seine Alliierten zu unterstützen – so etwa für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Japan unter Umständen die USA, die über das bei weitem größten Militär der Welt verfügt, retten müsse.
Diese Lesart der Verfassung wurde von beinahe allen Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern des Landes abgelehnt, unter ihnen auch Strohmänner der LPD. Abe drückte sie dennoch durch. Es ist bemerkenswert, dass die Neuauslegung eines fundamentalen Gesetzes des Landes nicht von Gerichten ausging, wie es in Demokratien normalerweise der Fall ist. Wie in autoritären Regimen kam sie stattdessen aus der Exekutive. Jetzt ist sie jedenfalls hier und wird so schnell nicht mehr verschwinden.
Zu Abes größten Fehlern in diesem Zusammenhang zählt, dass er nicht für die Revision der gesamten Verfassung gesorgt hat. Bereits sein Großvater Kishi strebte danach und diese Vorhaben ist seit der Gründung der Partei Teil des Programms gewesen. Bislang war diese Revision niemandem gelungen. Dazu muss man wissen, dass die japanische Verfassung das älteste Dokument dieser Art ohne Überarbeitung ist. Das hat mehrere Gründe, zu den wichtigsten Faktoren zählt aber, dass die Verfassung kurz und relativ vage ist. Sie ist nicht besonders detailliert, wenn es um Institutionen geht, und sie verbietet auch nicht wirklich viel. Dadurch gewährt sie auch ohne Verfassungsergänzung eine gewisse Flexibilität bei Neuinterpretationen.
Abe war es sehr wichtig, dort erfolgreich zu sein, wo andere scheiterten. Entsprechend diente ihm die Neuinterpretation von Artikel 9 nicht nur dazu, die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte als Armee anzuerkennen, sondern sollte Ausgangspunkt zur Änderung fast aller 103 Artikel sein. Manche der Vorschläge waren unbedeutend, andere hatten hingegen weitreichende Auswirkungen. Zu ihnen zählen Einschränkungen der individuellen Rechte und Freiheiten im Namen der »öffentlichen Ordnung«, die Stärkung der Rolle des Kaisers und die Aufnahme von Klauseln zum Schutz der Äußerung nationaler Gefühle.
Artikel 9 genießt enorme öffentliche Unterstützung in Japan. Die Absage an Krieg ist für die Bürgerinnen und Bürger ein Kernelement ihrer nationalen Identität. Zwar ist dies für die Jüngeren weniger wichtig als für die Generation, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat. Es war aber dennoch unsicher, ob es Abe gelingen würde die nötigen 50 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung dazu zu bringen, einer Änderung des Dokuments (und damit des neunten Artikels) zuzustimmen.
Sein Ansatz sah vor, das Wahlalter auf 18 Jahre abzusenken und zu betonen, dass die Verfassungsänderung notwendig sei, um mit den sich wandelnden Gegebenheiten Schritt zu halten. Sie beinhaltete sogar eine anti-homophobe und umweltfreundliche Stoßrichtung: Die Passage der Verfassung, der zufolge die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann, sei überholt (wobei Abe sich dagegen aussprach, dass Ehepartner unterschiedliche Nachname behielten) und der Naturschutz sollte in das Gründungsdokument des Landes aufgenommen werden.
Doch mit der Absage der Olympischen Spiele im vergangenen April und der kürzlichen Bekanntgabe seines Rücktritts ist unklar, ob Abes Plan aufgehen wird.
Lässt sich zwischen den verschiedenen Amtszeiten Abes als Premier eine Kontinuität feststellen?
Die großen politischen Ziele seiner ersten Amtszeit 2006-2007 und die Ziele der darauffolgenden Amtszeiten unterscheiden sich kaum. Bereits vor 15 Jahren wollte Abe die Verfassung überarbeiten, eine unabhängige Armee aufbauen und eine nationalistische Schulreform durchführen (was ihm auch gelungen ist). Er wollte analog zur jetzigen Transpazifischen Partnerschaft eine »Arche des Friedens und des Wohlstands« schaffen. Dafür hat er lang und hart gekämpft, es gelang ihm aber erst während seiner zweiten Amtszeit.
Die »Abenomics« markieren den größten Unterschied zwischen den beiden Amtszeiten. Die darunter verstandenen Maßnahmen hatten aber einen eher gemischten Erfolg. Mittels lockerer Geldpolitik, Fiskalanreizen und strukturellen Reformen sollte eine gesunde Inflationsrate von 2 Prozent erreicht werden. Damit, so die Hoffnung der Abe-Regierung, würden Japans kapitalistischen »Instinkte« geweckt und die seit 1990 stagnierende Wirtschaft angekurbelt.
Eine Inflationsrate von 2 Prozent wurde nie erreicht. Stattdessen trieb die lockere Geldpolitik die bereits zuvor extrem hohe Staatsverschuldung auf astronomische 250 Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt. Von den Maßnahmen profitierten große Unternehmen und der TOPIX-Aktienindex, kleinere Unternehmen und Haushalte aber nicht. Letztere mussten zudem eine 5-prozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer verkraften, wodurch das verfügbare Einkommen und die Konsumausgaben weiter sanken.
Die langfristigen Auswirkungen dieses massiven Gelddruckens bleiben abzuwarten. Japan setzte diese Technik als eines der ersten Länder nach seinem Finanzcrash von 1989 ein, viele westliche Staaten kopierten den Ansatz. Im Falle Japans bleibt ein Großteil der Schuldscheine innerhalb des Landes, da Haushalte und Unternehmen die wichtigsten Investoren in Regierungsanleihen waren. Verglichen mit den Verschuldungspraktiken westlicher Länder hat Japan dadurch ein geringeres Risiko.
Blickt man auf Abes außenpolitische Ziele, erkennt man eine Spannung: einerseits möchte er Japan die »volle Unabhängigkeit« einer »normalen Nation« geben (also eine anerkannte Armee), andererseits strebt er danach, die enge Verbindung, die er mit den Vereinigten Staaten pflegt, weiter aufrecht zu erhalten. In dieser Allianz fungiert Japan als eine Art Klientelstaat. Der Historiker Gavan McCormack bezeichnet Japan daher als Washingtons »Hündchen im Pazifik«. Tatsächlich schließt sich beides nicht gegenseitig aus: Die japanischen Versuche, die Reichweite seiner militärischen Aktivitäten zu erweitern, ergänzen US-amerikanische Interessen sehr gut.
Auch wenn Artikel 9 der Verfassung Krieg als Hoheitsrecht ausschließt, wurde diese Auslegung über die Jahre hinweg aufgeweicht und die japanischen »Selbstverteidungsstreitkräfte« zur neuntgrößten Militärmacht der Welt. Die Vereinigten Staaten zielen auf »Interoperabilität« mit Japan, was so viel letztendlich bedeutet, dass das japanische Militärsystem dem amerikanischen so ähnlich sein soll, dass es von den USA kommandiert und kontrolliert werden könnte, wenn es für nötig sein sollte. Die Kosten für ihre Instandhaltung zahlt natürlich Japan.
Wie gestaltete Abe die Verhältnisse zu Japans ostasiatischen Nachbarn?
Abe ist zwar ein überzeugter Nationalist, er ist aber auch Pragmatiker. Das wird oft übersehen, wenn es um die japanische Außenpolitik geht. Abe machte so viele Auslandsreisen wie kein Premierminister vor ihm. Er war auch der erste Staatschef, den Donald Trump nach seiner Wahl empfing – Abe war damals gerade auf dem Weg nach Südamerika und machte unterwegs einen Stopp in New York.
Auf seinen Reisen schloss er so viele bilaterale Verträge und Handelsabkommen wie nur möglich und diversifizierte Japans Beziehungen zu anderen Ländern enorm. Eines dieser Länder war natürlich auch China, Japans wichtigster Handelspartner– Abe war sich dessen sehr bewusst. Trotz allem nationalistischen Posieren war er sehr darauf bedacht, die ökonomischen Beziehung aufrechtzuerhalten.
Das Verhältnis zu Südkorea hingegen wurde im Laufe seiner Amtszeit getrübt. Die sogenannten »Trostfrauen« , die während der imperialistischen Expansion Japans zu Sexarbeit gezwungen wurden, belasteten die Beziehungen. Diese Angelegenheit wurde von der südkoreanischen Regierung, den Gerichten und der Öffentlichkeit immer wieder auf die Agenda gesetzt. Zum Teil wurden sogar seit langem bestehende Verträge zwischen beiden Ländern auf die Probe gestellt. Abe wollte die abscheulichen Erfahrungen der »Trostfrauen« und Japans Verantwortung dafür nicht anerkennen. Das führte zu wachsenden Spannungen.
Mit welchen Maßnahmen reagierte Abes Regierung auf die Covid-19-Pandemie? Kann man ein vorläufiges Fazit ziehen?
Verglichen mit den anderen G7-Staaten ist Japan in der glücklichen Situation, viel weniger Corona-Fälle zu haben. Dennoch gab es in der Öffentlichkeit viel Kritik an dem schlechten Corona-Management. Abes Umfragewerte sanken von ca. 60% Zustimmung zu Beginn des Jahres auf ca. 30% jetzt. Am Anfang setzte die Regierung alles daran, die Olympischen Spiele nicht absagen zu müssen. In diesem Zusammenhang schien es auch eine gute Idee zu sein, das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess vor der Küste festzusetzen und die Passagiere nicht in Krankenhäuser zu verlegen: Dadurch tauchten sie nicht in den offiziellen Statistiken auf.
Abes Ansatz, Masken an die gesamte Bevölkerung zu verteilen, war ein Flop. Zwar tragen Japanerinnen und Japaner während der Grippesaison oder wenn sie krank sind ohnehin Masen, von den verteilten Masken war aber ein großer Teil defekt oder wurde gar nicht erst verteilt. Die Bevölkerung sprach schnell von »Abenomasken« und die Angelegenheit wurde zum Witz in den Medien. Der Lockdown hingegen war kurz. Und die harte Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitssystem, die Kontaktpersonen von Infizierten ermittelt haben, scheint sich gelohnt zu haben. Obwohl 125 Millionen Menschen in Japan leben, gab es dort weniger als 70.000 Infektionen und nur 1200 Tote. Für kurze Zeit war die durchschnittliche Sterberate sogar niedriger als im Jahresschnitt, weil die Menschen zu Hause blieben. Zum Vergleich: Bei einer Bevölkerung von 40 Millionen hatte Kalifornien 700.000 Infektionen und 13.000 Tote.
Letzten Endes war das größte Opfer in Japan vielleicht die für 2020 und nun auf 2021 verschobene Olympiade. Die Sommerspiele sollten Japan als Marke wieder weltweit bekannt machen, große Unternehmen beteiligten sich mit gigantischen Summen von mehreren 100 Million Dollar. Auch wenn die Spiele im kommenden Sommer stattfinden werden, wird die Veranstaltung wohl um einiges gedämpfter ausfallen als ursprünglich geplant. Sie wird dadurch auch kaum den wirtschaftlichen Effekt haben auf den die japanische Regierung gehofft hatte.
Was lässt sich abschließend zum Zustand der Überbleibsel der Demokratischen Partei sagen, und wie sieht es bei anderen oppositionellen Kräften aus? Sind sie in irgendeiner Weise in der Lage, in naher Zukunft eine Regierungsalternative anzubieten?
Aktuell sieht die Lage eher düster aus. Die größten »Herausforderungen« für Abe kamen von anderen Mitgliedern des rechten Flügels der LPD. Yuriko Koike, Gouverneurin von Tokio und ebenfalls überzeugte Nationalistin, verließt die LDP, um Abe bei der Wahl 2017 herauszufordern. Zwar folgte ihr ein Teil des rechten Flügels, aber der Versuch scheiterte letztlich.
Die verbleibenden Gruppierungen der alten DPJ – die Konstitutionell-Demokratische Partei und die Demokratische Volkspartei – wollen sich im kommenden Monat zu einer neuen Oppositionspartei vereinigen. Sie haben aber auch zusammen weniger als ein Viertel der Sitze im Parlament. Es sieht gerade leider so aus, als wäre Abes alter Slogan Kono Michi Shikanai immer noch war: »Es gibt keinen anderen Weg«.