30. Januar 2021
Von der Russischen Revolution inspiriert, kämpften Feministinnen im Japan der 1920er Jahre für die Gleichberechtigung. Sie wussten schon damals: damit der Feminismus keine Angelegenheit der Mittelschicht bleibt, braucht es den Klassenkampf.
Yamakawa Kikue (links) mit Aktivistinnen der Roten Welle (Sekirankai).
In einem Interview betonte die japanische Medienkünstlerin Mori Mariko mit Blick auf die Situation von Frauen in ihrem Heimatland, dass diese »weder ihrer Lust noch ihren Ambitionen entgegenkam«, sodass sie sich schließlich für ein Studium und ein Wirken im Ausland entschied. Tatsächlich gibt es in Japan aus Sicht junger und ambitionierter Feministinnen und Feministen noch einiges, was sich ändern muss. Ein historischer Rückblick auf die Frauenrechtsbewegung des Landes zeigt, dass während der Taishō-Zeit (1912-1926) – neben der zäsursetzenden Wirkung des Ersten Weltkrieges – bedeutende Erfolge hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter errungen wurden, die vor allen Dingen dem Wirken japanischer Feministinnen unterschiedlichster Couleur anzurechnen sind, die ihre Forderungen nach mehr Gleichberechtigung mit der Agenda der politischen Linken des Landes zu verbinden wussten.
Im Zuge der Auseinandersetzung innerhalb der japanischen Linken in der Folge der Russischen Revolution entwickelte sich ein Streit zwischen Anarchistinnen und Anarchisten sowie Sozialistinnen und Sozialisten über die Rolle von Frauen innerhalb einer post-revolutionären Ordnung. Zwar waren sich beide Gruppierungen darin einig, dass sich eine aus der Revolution hervorgehende Gesellschaft durch die Gleichberechtigung der Geschlechter ausweisen sollte, doch an der Frage, wie diese genau aussehen würde und wie sie zu erreichen sei, schieden sich die Geister. Während die Anarcha-Feministinnen einen frauenzentrierten Feminismus vertraten, beriefen sich die sozialistischen Feministinnen auf eine humanistische Lesart.
Im Zentrum dieser Auseinandersetzung standen die Anarchistin Takamure Itsue (1894–1964) und die marxistische Sozialistin Yamakawa Kikue. Schon seit 1915 wurde die Rekonzeptionalisierung der Rolle der Frau als Mutter diskutiert. Die konservativ-bourgeoise Feministin Yamada Waka (1879–1957) argumentierte, die Rolle der »guten Frau und weisen Mutter«, wie sie in der Meiji-Zeit propagiert worden war, gelte es fortzuführen. Yamakawa Kikue betrachtete derlei reaktionäre Positionen als dem Feminismus hinderlich. Frauen, die diese unterstützten, würden ihren Leidensgenossinnen einen Dolch in den Rücken rammen, so Yamakawa. Anstatt an solchen antiquierten Vorstellungen festzuhalten, die auf der Akzeptanz eines biologistischen Verständnisses von Geschlecht fußten, hoffte Yamakawa darauf, dass der Sozialismus zu echter Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau führen würde. Im Gegensatz zu Waka, forderte Yamakawa, dass Frauen ihr Geschlecht unabhängig von gesellschaftlichen Normen selbst bestimmen können sollten.
Yosano Akiko, eine der feministischen Pionierinnen Japans, forderte dahingehend eine bessere Ausbildung für Frauen in Einrichtungen der höheren Bildung, allerdings ging Yosana im Gegensatz zur Sozialistin Yamakawa davon aus, dass Frauen derlei Möglichkeiten individuell für sich erstreiten müssten, während letztere dies für illusorisch hielt, solange der Staat und die Gesellschaft Frauen aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligten und ihnen den paritätischen Zugang zu gesellschaftlicher und politischer Partizipation verweigerten. Im Sinne des Sozialismus plädierte sie also für einen Wandel der Gesellschaft, denn nur dieser würde allumfassende Gleichheit schaffen.
Dabei wies Yamakawa vor allem darauf hin, dass Frauen mit Blick auf ihre Arbeitskraft von der existierenden Gesellschaftsordnung Japans in doppelter Hinsicht ausgebeutet wurden. Zum einen verdienten sie als Arbeiterinnen weniger Geld als ihre männlichen Kollegen – ein Umstand der sich in Japan, aber auch in anderen Ländern bis heute nicht gebessert hat –, zum anderen wurde die Sorge- und Pflegearbeit, die sie innerhalb familiärer Strukturen leisteten, überhaupt nicht entlohnt. Yosanos Ideen ließen sich daher nur für eine geringe Anzahl von Frauen umsetzen, sodass laut Yamakawa zunächst eine breitere Basis für den Konsens über echte Gleichberechtigung gefunden und umgesetzt werden musste. Die Sozialistin Yamakawa wies dahingehend immer wieder darauf hin, dass die Feministinnen um Yosano die ökonomische Grundordnung Japans nicht in Frage stellten und daher eine feministische Vision entwarfen, die lediglich für Frauen aus der Mittel- und Oberschicht erreichbar zu sein schien. Durch ihr Festhalten an bestimmten Rollenbildern, wie etwa dem der Mutter, zementierten sie zudem die Dominanz des Mannes in der Gesellschaft.
Yamakawa griff deshalb immer wieder, besonders Ende 1918, den japanischen Kapitalismus als Ursache der Knechtschaft der Frau an und wies darauf hin, dass es eines revolutionären Wandels bedürfe, um diesen Missstand zu beenden. In ihren Ausführungen bezog sich die japanische Sozialistin auf die Russische Revolution, deren revolutionäre Neuordnung der Gesellschaft aus Sicht der marxistischen Sozialistinnen und Sozialisten durchaus als positives Vorbild zu begreifen war.
Die anarchistische Feministin und Dichterin Takamure Itsue bezeichnete sich als Pionierin der neuen Frauenbewegung in Japan und forderte, dass Frauen über die Notwendigkeiten der Erziehung der nächsten Generation entscheiden sollten – schließlich waren sie es, die den Fortbestand der Menschheit garantierten. Dabei sollten sie allerdings die Bürde der Mutterschaft nicht alleine tragen. Die Gesellschaft müsse sie vielmehr aktiv und gleichberechtigt bei dieser Aufgabe unterstützen. Wie viele andere Anarchistinnen und Anarchisten weltweit, verlangte auch sie die Abschaffung der die Institution der Ehe, die – so argumentierte Takamure – allein deshalb existiere, um die Frau der Dominanz des Mannes zu unterwerfen. Sie wandte sich dabei gleichzeitig gegen eine Überbewertung westlicher Normen und verlangte vielmehr eine Art anarcho-syndikalistisch-feministische Neuausrichtung der japanischen Gesellschaft, die die genuinen Gegebenheiten des nationalen Kontextes berücksichtigen sollte. Der Bildung bemaß sie dabei eine besondere Rolle bei, denn die notwendigen Ideale müssten zunächst einmal von allen Mitgliedern der Gesellschaft verstanden, verinnerlicht und anschließend umgesetzt werden.
Die Diskussion um die Rolle der Frau innerhalb der japanischen Gesellschaft war eng verbunden mit dem Klassendiskurs, welcher von den sozio-ökonomischen Folgen des Ersten Weltkrieges in Gang gesetzt worden war. Zwar endete der Krieg 1918 und führte nicht nur zu sozialen Protestbewegungen, wie etwa den Reisaufständen von 1918 oder den Streiks und Protesten in den Folgemonaten. Er stimulierte auch einen langfristigen Diskurs über die herrschenden Geschlechterrollen in Japan.
Während sich in den großen Städten die Geschlechterordnung verschob, verhinderte das sozio-kulturelle Gefälle zwischen Stadt und Land eine reibungslose Adaption dieser neuen Normen im ländlichen Raum. Zwar war dieser seit den 1870er Jahren zunehmend in den Nationalstaat integriert worden, und auch während der Taishō-Zeit hatten sich dort Organisationen gebildet, die eine Beteiligung der Bauernschaft am ökonomischen Aufschwung verlangten, wie etwa die »Bewegung zur Verbesserung des täglichen Lebens« (Seikatsu Kaizen Undō). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bevölkerung der peripheren Regionen allen Neuerungen, die mit den Folgen des Krieges zusammenhingen, positiv gegenüberstanden.
Etlichen Widerständen trotzend versuchten Feministinnen und Feministen im Japan der 1920er Jahre allerdings weiterhin, die Verankerung der Frauenrechte im als etabliert geltenden Nationalstaat zu stärken. Bereits 1919 wurde der »Verband der Neuen Frau« (Shin Fujin Kyōkai) gegründet und Mitbegründerin Hiratsuka Raichō betonte nach dem Diskurs der Kriegsjahre, dass Frauen sich zunächst als Klasse verstehen müssten, um den Schutz des Staates und die Einbeziehung in denselben zu erreichen. Der Verband setzte sich vor allem für eine Revision des Gesetzes für Öffentliche Ordnung und Polizei (Chian Keisatsu Hō) von 1900 ein, das Frauen verbot, politischen Parteien beizutreten oder Protestveranstaltungen zu organisieren. Der legale Protest gegen den Staat sollte auch Frauen ermöglicht werden, die sich dadurch nicht nur emanzipieren würden, sondern, so die Argumentation des konservativ-feministischen Lagers, dadurch viel besser in der Lage wären, den veränderten Ansprüche an die moderne Ehefrau und Mutter gerecht zu werden. Dieser Spagat zwischen traditioneller Rolle und moderner Ambition nach Emanzipation und Gleichstellung sollte die Vereinigung der unterschiedlichen Positionen innerhalb des feministischen Lagers ermöglichen, um so viele Aktivistinnen wie möglich unter dem Schirm des neuen Verbandes zu vereinen.
In der Taishō-Zeit wurde von der Masse der politisch aktiven Frauen vor allem eine bessere Gesundheitsversorgung, ein Ende weiblicher Armut, bessere Arbeitsbedingungen und der Schutz der Mutter gefordert. Die Benachteiligung in diesen Bereichen schien besonders drückend, zumal die schlecht bezahlte Arbeit in den Fabriken nicht nur die Arbeitskraft, sondern gleichfalls die Gesundheit der arbeitenden Frauen ausbeutete. Höhere Löhne sowie Absicherung im Falle von Krankheit oder Verdienstausfall waren dementsprechend Veränderungen, die besonders von weiblichen Aktivistinnen der sozialistischen Bewegung in Japan als notwendig erachtet wurden. Dass diese Ansprüche auf Gleichbehandlung in Japan bis heute nicht ausreichend umgesetzt worden sind, so dass viele Frauen mit der Ehe und Mutterschaft aus dem Berufsleben ausscheiden und damit wieder in die Rolle der Ehefrau und Mutter gedrängt werden, erscheint gut hundert Jahre nach den Aktivitäten der Feministinnen der Taishō-Zeit mehr als tragisch.
Eine andere zentrale Forderung des »Verbandes der Neuen Frau« war das Wahlrecht. Wie auch bei vielen anderen Suffragettenbewegungen, war diese Forderung durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges gestärkt worden. Im Gegensatz zu anderen Ländern gelang es der Bewegung in Japan allerdings nicht, das Wahlrecht auch durchzusetzen und es würde bis 1945 dauern, bis dieses demokratische Grundrecht durch die US-Besatzungsmacht auch Frauen gewährt wurde.
Die Forderung der japanischen Suffragetten verband sich in den 1920er Jahren auch verstärkt mit einer Abkehr von der bisher tradierten Mutterrolle der Frau. Mit dem Wahlrecht wurde nun auch die Geschlechtergleichheit angestrebt. Die Sozialistin Ichikawa Fusae verlangte im Dezember 1920 schließlich die »absolute Gleichheit« der Geschlechter. Dabei verwies sie auf die USA als Vorbild für Japan, denn dort hatte die Regierung mit der Gewährung des Frauenwahlrechts bereits einen wichtigen Schritt getan.
1921 organisierte Yamakawa Kikue die Gründung des ersten sozialistischen Frauenverbandes in Japan, die Gesellschaft der Roten Welle (Sekirankai), deren Gründungserklärung den Kapitalismus dafür verdammte, dass er Frauen zu Sklavinnen doppelt herabwürdige, nämlich im Arbeits- als auch im privaten Familienleben. In den 1920er Jahren näherten sich konservative und sozialistische Feministinnen darüber hinaus wieder etwas an, wollten doch beide das Wahlrecht der Frau erreichen. Für dieses trat inbesondere auch die Liga für die Realisierung des Frauenwahlrechts (Fujin Sanseiken Kakutoku Kisei Dōmei) ein.
Ungeachtet dieser Anliegen, die die Kongruenz sozialistischer und feministischer Ziele noch einmal belegt, blieb den japanischen Feministinnen und Feministen ein umfassender Erfolg verwehrt. Die Aktivitäten der Frauenrechtsbewegung in Japan wurden zwar in anderen Teilen der Welt, etwa von Aktivistinnen in Ägypten oder im Mittleren Osten der 1930er Jahre, durchaus positiv wahrgenommen, die Einschränkung patriarchaler Vorherrschaft konnte auf der Ebene des japanischen Staates jedoch nicht erwirkt werden.
In den 1930er und 40er Jahren gingen viele Rechte wieder verloren, sodass nach Ende des Zweiten Weltkriegs etliche Debatten erneut geführt werden mussten, besonders da viele Errungenschaften, die aufgrund der sozio-ökonomischen Veränderungen des Ersten Weltkrieges zwischen 1914 und 1931 eingefordert worden waren, in den folgenden Expansions- und Kriegsjahren wieder revidiert wurden. Ein Blick auf die Geschichte der japanischen Frauenbewegung legt jedoch offen, inwiefern sich die feministischen und sozialistischen Debatten überlappten und mitunter gegenseitig bedingten. In Japan, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt, ist echte Gleichberechtigung selten mehr als ein politisches Lippenbekenntnis geblieben. Um eine echte Überwindung der Ungleichheit der Geschlechter in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens zu ermöglichen, braucht es – das gilt für damals wie heute – einen feministischen Sozialismus.
Frank Jacob ist Historiker, Japanologe und Professor für Globalgeschichte an der Nord Universitet, Norwegen.
Der vorliegende Artikel ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des Beitrags »Klassendiskurs und Geschlechterrollen im Japan der Taishō-Zeit (1912–1926)«, der in dem kürzlich erschienenen Sammelband »Geschlecht und Klassenkampf. Die ›Frauenfrage‹ aus deutscher und internationaler Perspektive im 19. und 20. Jahrhundert« (Hrsg. Frank Jacob und Vincent Streichhahn) veröffentlicht wurde.
Frank Jacob ist Historiker, Japanologe und Professor für Globalgeschichte an der Nord Universitet, Norwegen.